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Nr. 265

Montag, den 11. November 1929

36. Jahrgang

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Amstenieden in Aesien

Stegerwald in Boltrop, Höpker=Aschoff in Hamm, Grzesinski in Köln

Bochum, 10. November.

Die bevorstehenden Kommunal= und Provinzial­landtagswahlen hatten am heutigen Sonntag drei Minister nach Rheinland und Westfalen geführf. In Bottrop, sprach in einer Zentrumsversammlung Reichsverkehrsminister Dr. Stegerwald. Er führte u. a. aus:

Auf die Dauer kann Deutschland nur mit dem Betrag Auslandsschulden bezahlen, um den die deutsche Ausfuhr größer ist als die Einfuhr. Nach dieser ein­fachen Formel müssen pir in den nächsten Jahren unsere ganze Innenpolitik, besonders unsere Wirt­schafts= und Finanzpolitik einrichten. In wirtschafts­politischer Hinsicht hat Dr. Schacht richtig ausgeführt, daß es nur zweierlei gäbe: Entweder man macht uns die Durchführung des Youngplanes möglich dadurch, daß man die Zollmauern gegenseitig abbaut und Deutschland die fremdländische Rohstoffversorgung all­seitig erleichtert, oder aber man muß sich damit abfin­den, daß in absehbarer Zeit eine Revision des Young­planes ebenso unvermeidbar ist wie die des Dawes­planes. Neben dieser internationalen Wirtschafts= und Handelspolitik ist in den nächsten Jahren die wirt­schaftspolitische Kardinalfrage in Deutschland: Wie kommen wir wieder zu einer Rentabilität der deutschen Landwirtschaft? Wir müssen einmal unsere Lebensmittel=Einfuhr vom Auslande von gegenwärtig über 4 Milliarden Mark auf mindestens Milliarden Mark herunter­drücken. Dieses Ziel ist in einigen Jahren erreich­bar. Weiter müssen durch eine Reihe Zoll= und inner­politische Maßnahmen der Landwirtschaft höhere Ein­nahmen verschafft werden.

Dann steht Deutschland vor der größten

Steuerreform,

die es von 1925 abgesehen je gemacht hat. Die Steuerreform muß ein dreifaches Ziel verfolgen:

1. Es muß eine Gesamtsteuerregelung gefunden werden, die der deutschen Kapitalflucht entgegenwirkt und die Kapitalneubildung begünstigt;

2. Die Steuerreform muß das Ziel verfolgen, daß die Stellen und Instanzen, die die Ausgaben be­schließen, im wesentlichen auch die Einnahmen be­schaffen müssen.

3. In die Gemeindefinanzen muß eine automatisch wirkende Steuer eingebaut werden, von der auch diejenigen sichtbar betroffen werden, die die Aus­gaben beschließen.

Um eine organische Reform der gesam­ten Sozialversicherung kommen wir nicht herum. Diese wird in der Hauptsache darin zu be­stehen haben, daß man die Bagatellsachen in der Krankenversicherung und die Unzuträglichkeiten in der Arbeitslosenversicherung zurückdrängt, auf eine Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung hin­arbeitet und mit den so gemachten Ersparnissen dort den Ausbau betreibt, wo er unumgänglich notwen­digist.

Daneben muß in den nächsten Jahren in Deutsch­land schwer gearbeitet werden an der Gesundung unseres politischen Lebens. Vor zwei Jah­ren, als ich über Art und Ausmaß der Beamtenbesol­dung Bedenken äußerte, bin ich von den Beamtenblät­tern aufs stärkste angegriffen worden. Was hat sich in der Zwischenzeit herausgestellt? Dadurch, daß wir in den letzten Jahren auf der einen Seite mehrfach Steuersenkungen durchführten und auf der anderen Seite neben den steigenden Ausgaben für den Dawes­Plan Ausgabeerhöhungen über Ausgabeerhöhungen be­schlossen, sind wir mit.,6 Milliarden Mark Kassen­defizit und so schwach nach Paris und den Haag ge­gangen, daß wir der Gegenseite bei den Vexhandlungen gar keinen ausreichenden und wirkungsvollen Wider­stand entgegenzusetzen vermochten. Wetzn im letzten Frühjahr die Pariser Verhandlungen nichtl,auf Spitz und Knopf gestanden hätten und damit=unser letzter Widerstand restlos zusammengebrochen wäre, hätten am 1. April und am 1. Mai im Hinblick auf die Finanz­lage die Beamten nur einen Teil ihres Gehalts ausbezahlt bekommen. Und wenn Deutschland jetzt den Young=Plan ablehnen sollte, ist keine Regierung, mag sie rechts oder links zusammen­

gesetzt sein, imstande zu verhindern, daß sich die Be­amten mit einer wesentlichen Kürzung ihrer Gehälter abfinden müßten.

In Hamm behandelte in einer öffentlichen Ver­sammlung der Demokraten Finanzminister Dr. Höp­ker=Aschoff die Folgen des Volksbegehrens. Er forderte

eine starke bürgerliche Mitte.

Die aus dem Youngplan gesparten Millionen gingen für die Fehlbeträge aus den Jahren 1928/29 drauf. Später bringe der Youngplan 700 Millionen Minder­lasten. Es sei unmöglich, schematische Abstriche an dem Haushalt in Höhe von 3 bis 5 v. H. vorzunehmen, um so die genannten 700 Millionen für Steuersenkungen zu verwenden. Die Wirtschaft müsse durch Kapitalbil­dung entlastet werden. Wege hierzu seien der Abbau der Industrie= und Rentenbanklasten, Erleichterungen bei der Einkommensteuer und eine stärkere Senkung der Realsteuer. Wie Preußen von der Inangriffnahme von neuen Bauten für das Jahr 1930 vollständig ab­gesehen habe, so müsse das auch in den Gemeinden möglich sein. Für die Wohnbautätigkeit dürften keine Mittel in den nächsten Haushalt der Gemeinden eingesetzt werden.

In Köln beschäftigte sich der preußische Innen­minister Grzesinski vorwiegend mit dem Volks­begehren. Er wandte sich dagegen, daß in Deutschland fast alle politischen Kämpfe nicht sachlich, sondern mit den brutalsten Mitteln ausgetragen werden. Der Staat habe bisher Großmut gezeigt, aber jeder verantwor­tungsbewußte Staat könne auf die Dauer einem der­artigen Zustand nicht tatenlos zusehen. Es bleibe dem Staat nichts übrig, als rücksichtslos gegen die Vereine vorzugehen, die den politi­schen Kampf nur mit den Mitteln der Gewalt führen wollten. Man müsse endlich im politischen Leben Zustände haben, wie sie des freien und kulturell hochstehenden deutschen Volkes würdig seien. Waffen dürften nur Exekutivorgane des Staa­tes tragen.

Seadmugerorrehune=Kardieus

79 Stimmen Mehrheit für Tardieu

Paris, 9. November

Am Samstag früh 4 Uhr 30 stimmte die Kammer über die von dem Abgeordneten Thomson(Ra­dikale Linke) eingebrachte Tagesordnung ab, die die Regierung unter Ablehnung jeden weiteren Zusatzes angenommen hat. Die Tagesordnung lautet:

Die Kammer nimmt von der Erklärung der Regierung Kenntnis. Sie bringt ihr das Ver­trauen entgegen, die Achtung der grundlegenden Gesetze der Republik zu gewährleisten und den indu­striellen und landwirtschaftlichen Wohlstand des Landes, den Frieden im Inlande und in der An­näherung der Völker zu steigern, lehnt jeden weiteren Zusatz ab und geht zur Tagesordnung über.

Die Sozialisten schlugen zu dieser Tages­ordnung einen Zusatz vor, der die Laienpolitik aus­drücklich festlegen soll. Ministerpräsident Tardien lehnte dies ab und stellte gegen den Zusatz die Ver­trauensfrage.

Ministerpräsidenten

und auch noch nicht die französische Kabinettskrise voraussah.

Man habe geglaubt, daß die Frist bereits im Jahre 1929 laufen würde. Aber es sei voll­kommen klar, daß bei der gegenwärtigen Lage.

wo noch keine Ratifizierung erfolgt sei, die Frist noch nicht laufe, und der Zeitpunkt des

30. Juni vorbehalten bleibe.(Lebhafter Bei­fall, vor allem auf der Rechten und in der Mitte. Rufe links:Briand, Briand!) Wenn man dagegen nach Erfüllung der Bedin­gungen räume, so kein Interesse vorhanden, die Dinge hinschleppen zu lassen.

Tardieu legte alsdann eine Art Bekenntnis ab. Er, der selbst an den Versailler Vertragsverhand­lungen teilgenommen habe, müsse heute deren An­wendung verteidigen, obwohl er als Abgeordneter bis­weilen die für die Regierung Verantwortlichen kriti­siert habe. Er habe erkannt, daß man das Land nicht

333 Die Kammer gab dem Ministerpräsidenten mit in Zweifel und Entmutigung tauchen dürfe dadurch, 332 gegen 253 Stimmen recht und lehnte damit den### Zweitel und Entnutigung

Zusatz zur Tagesordnung Thomson ab.

Nach der Rede Briands wurde eine kurze Pause eingelegt, nach der der Abg. Francois Aldert die Regierung heftig angriff.

Tardieu ergriff zum Schluß der Debatte das Wort. Er erklärte u.., über die auswärtige Politik seien sämtliche Regierungsmitglieder einig. Er sei aus Pflicht Mitarbeiter Poincarés und Briands in den beiden letzten Ministerien gewesen. Wenn man zwei Jahre lang diese Politik vertrete, könne man sie nicht hinterhertorpedieren". Das Kabinett Briand sei gestürzt worden, weil es Befürchtungen gegeben habe wegen der Truppenbewegungen von der dritten nach der zweiten Zone. Die voraufgegangene Re­gierung habe bereits dementiert, daß diese Truppen­bewegungen mit der Räumung zusammenhingen. Tardien wiederholte, daß kein Befehl für die Räumung gegeben worden sei.

Die Truppenbewegungen hätten Anlaß zu der falschen Auslegung gegeben, als ob die Räumung bereits be­gonnen hätte. Das Ratifizierungsrecht des Parla­ments bleibe nach den Haager Verhandlungen voll­kommen unangetastet. Damit die Räumung innerhalb von acht Monaten erfolge, sei die Ratifizierung des Youngplanes notwendig. Die Inkraft­setzung werde abhängen von den Kommerzialisierungs­Fäglichkeiten, der Schaffung der Internationalen Zank, der Emission einer ersten Trance von Bonds usw. Man könne mit der Unterbringung der Wert­papiere allerdings nicht Deutschland, be­lasten. Es könne keine Zweideutigkeit hierüber be­stehen. Alles sei vollkommen klar.

Der radikale Abgeordnete Francois Albert warf ein:Und der Zeitpunkt vom 30. Juni?

Tardieu erwiderte, der Zeitpunkt vom 30. Juni gestellt worden, weil man damals noch sicht das traurige Ereignis des Todes Stresemanns

daß man die für die Regierung Verantwortlichen an­greife. Frankreich habe in keinem Augenblick seit dem Kriege etwas von der Bismarckschen Politik nach 1871 wissen wollen. Frankreich habe nicht versucht, eine Diktatur in Europa zu betreiben. Ganz im Gegen­teil, Frankreich habe eine Politik des Ausgleiches und der Zusammenarbeit betrieben. Der Ministerpräsident bestritt, daß er während der Krise seine Stellung­nahme geändert habe. Er hoffe, seine Majorität auch auf die Radikalen ausdehnen zu können. Was die Kommunisten anlange, so werde die Regierung nicht die Bildung eines Staates im Staate gestatten, der vom Auslande bezahlt sei, um sich der Straße zu be­mächtigen.

Tardieus Verdrehungskünste

Dem Kabinett Tardieu ist von der Kammer mit 79 Stimmen Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen worden. Leicht ist es für die neue französische Re­gierung nicht gewesen, das Vertrauen zu erhalten, weil sie sich nicht auf eine feste Mehrheit stützen kann und weil die Linksparteien eine entschiedene Fortsetzung der Verständigungspolitik verlangen, während die Rechtsparteien es am liebsten sehen würden, wenn keine vorzeitige Rheinlandräumung erfolgte. Offen­bar um die Rechtsparteien zu gewinnen, hat Minister­präsident Tardieu vor der Abstimmung in der Kam­mer noch über die Rheinlandräumung gesprochen und dabei zu recht sonderbaren Auslegungskünsten seine Zuflucht genommen. Er sagte, daß die im Haag ver­einbarte Räumungsfrist von 8 Monaten erst dann zu laufen beginne, wenn die Ratifizierung des Young­plans und seine Inkraftsetzung erfolgt seien. Der Zeitpunkt des 30. Juni 1930 bleibe vorbehalten: denn durch den Tod Dr. Stresemanns und die Kabinetts­krise in Frankreich seien die Voraussetzungen geänderl worden. Mit dieser Erklärung hat Tardien den guten

Eindruck stark verwischt, den die glänzende Rede Briands in Deutschland gemacht hatte. Es tauchen Zweifel an der Aufrichtigkeit und der Vertragstreue Frankreichs auf.

Nach den klaren Abmachungen im Haag ist Tardieu nicht im mindesten zu einer solchen Aus­legung der Räumungsvereinbarungen berechtigt. Am 30. August wurde die Räumung des Rheinlandes im Haag durch einen Briefwechsel zwischen Frankreich. England und Belgien einerseits und Deutschland andererseits vereinbart. Nach diesen Abmachungen sollte die Räumung der zweiten Zone im September beginnen und in drei Monaten beendet sein. Ueber die Räumung der dritten Zone heißt es in dem Schreiben der drei Mächte:

Die Räumung der dritten Zone durch die fran­zösischen Truppen wird unmittelbar nach der Rati­fikation des Youngplans durch das deutsche und fran­zösische Parlament und nach der Ingangsetzung des Youngplans beginnen. Die Räumung wird ohne Un­terbrechung durchgeführt werden und so schnell, als es die natürlichen Bedingungen erlauben.

Unter allen Umständen wird sie aberspätestens in einem Zeitraum von 8 Monaten vollendet sein, der jedoch Ende. Juni 1930 nicht überschreiten darf.

Dr. Stresemann hat diese Fristfestsetzung mit dem gleichen Wortlaut bestätigt. An dem Termin des 30. Juni gibt es also nichts zu drehen und zu deuteln.

Offenbar hat Außenminister Briand selbst den französischen Ministerpräsidenten auf die Unhaltbar­keit seiner Auslegung hingewiesen, denn in dem Amts­blatt der französischen Regierung, demJournal officiel hat Tardieu seine Aeußerung wie folgt ab­geschwächt:

Im Augenblick, als die Abmachungen im Haag paraphiert wurden, sah man weder das traurige Er­eignis des Todes des Herrn Stresemann, noch unsere gegenwärtige Kabinettskrise voraus. Man glaubte, daß alles schnell gehen würde und daß die Fristen vom Jahre 1929 ab zu laufen beginnen würden. Um technische Verzögerungen, mögliche Verwickelungen zu vermeiden, hatte man dieses Datum vom 30. Juni festgesetzt, um in den schon bestehenden Rahmen einen genauen Zeitpunkt einzustellen. Aber es ist vollkom­men klar, daß in der gegenwärtigen Lage, wo noch keine Ratifizierung, keine Ingangsetzung a kortiori erfolgt ist, nichts beginnt.

Wenn man dagegen, wie es Herr Briand sagte, nach Erfüllung der Bedignungen räumt, so ist kein Interesse vorhanden, die Dinge hinschleppen zu lassen.

Wir nehmen von dieser Abschwächung gern Kennt­nis. Aber der unangenehme Eindruck der ursprüng­lichen Worte Tardieus bleibt bestehen, und es wird Aufgabe des Berliner auswärtigen Amtes sein, in Paris die nötigen Vorstellungen zu erheben, um von der Regierung Tardien die klipp und klare Zusage zu erhalten, daß nach der Inkraftsetzung des Youngplanes die Räumung der dritten Zone am 30. Juni 1930 be­endet sein wird. R. F.

kehn Fahre staatliche Aufbauarbeit in Weltsaten

Von

Regiernngsprälident Dr. Amelunzen, Münkter

I.

Ausbau der staatlichen Tollzei Organilatorische Maßnahmen Törderung der Landwirtschatt

Die Auswirkungen des verlorenen Krieges be­dingten, daß sich der preußische Staat im vergangenen Jahrzehnt besonders stark der Grenzgebiete im Osten und Westen annehmen mußte. Gleichwohl hat die preußische Staatsregierung ihre Fürsorge auch den übrigen Landesteilen in einer Weise zugewandt, die von der Lebenskraft, dem wirtschaftlichen Hilfswillen und der sozialen Einstellung des jungen Freistaates ein hervorragendes Zeugnis ablegt. Nachstehend soll die im letzten Jahrzehnt durchgeführte staatliche Auf­bauarbeit in der Provinz Westfalen aufgezeigt werden.

In erster Linie erforderte die politisch unruhige Zeit einen umfassenden Ausbau der staatlichen Po­lizei. Diese war in der Vorkriegszeit lediglich in Bo­chum und Gelsenkirchen vorhanden. Heute überzieht ein Netz vorzüglich ausgebildeter staatlicher Polizei das gesamte westfälische Industriegebiet. Die Polizei­präsidien Bochum, Recklinghausen und Dortmund mit ihren Polizeiämtern Witten, Herne. Gelsenkirchen­Buer, Gladbeck, Bottrop und Hörde grenzen unmittel­bar aneinander. Dazu kommen die staatlichen Polizei­verwaltungen Hagen. Hamm und Bielefeld. In kurzer Zeit wurde eine Polizei aufgebaut, die imstande ist, jeden Versuch der Umwälzung nieder­zuschlagen. Sie ist auch mit den modernsten Mit­teln der Verbrecherbekämpfung ausgerüstet. Gleichzei­tig erfolgte eine Reorganisation der kummunalen Po­lizei. Eine Reihe zweckmäßig eingerichteter und archi­tektonisch schöner Verwaltungsgebäude und Unter­kunftsbauten in Bochum Recklinghausen, Herne, Dortmund, Gelsenkirchen=Buer, Bottrop und Glad­beck dokumentieren heute den festen Ordnungswillen des preußischen Staates.

Der Neuaufbau der Wirtschaft rief die Staats­regierung zu praktischer Verwaltungsreform. Nach langwierigen Verhandlungen erfolgte in drei Gesetzen die notwendige Neugliederung der Kommu­nen des Industriegebiets, die ein Dreifaches an­strebte: ausreichende Größe. Anpassung der Grenzen an die Wirtschaftsverhältnisse, Abbau jeder Ueberorga­nisation und Verminderung der öffentlichen Lasten. Das Werk ist beendet Die verwaltungsmäßige Grund­lage für die künftige Entwicklung des Industriegebietes ist geschaffen.

Schon vorher, im Jahre 1920, war auf die Initia­tive der Staatsregierung der Siedlungsver­band Ruhrkohlenbezirk gebildet worden. Dieser umfaßt neben dem rheinischen Teil das west­fälische Kohlengebiet bis hinaus an die Lippe und dar­über hinaus und hat die Hauptaufgabe, im Industrie­gebiet die Siedlungs= und Verkehrsverhältnisse nach einheitlichem Plan zu gestalten. Damit haben wir ein Organ, dessen segensreiches. überall erkanntes Wirken allein an den breiten Verbandsstraßen jedermann fest­stellen kann.

Die Nähe des gewaltigen industriellen Versor­gungsgebietes stellte die westfälische Landwirtschaft vor große Aufgaben. Sie hierfür in immer stärkerem Maße zu befähigen, gleichzeitig sie aus der Krise der Nachkriegszeit herauszuführen, diesem Ziel galt das ernste Streben der Staatsregierung. Sie betrachtete es als grundlegende Aufgabe, diejenigen Bedingungen zu fördern, die geeignet sind, den bestehenden wirt­schaftlichen Zustand zu größerer Vollkommenheit zu bringen. So wurde die Landeskultur durch das Landes­kulturamt in Münster mit seinen 14 Kulturämtern ge­fördert Im letzten Jahrzehnt wurden acht die Oed­landkultur betreibende Genossenschaf­ten mit 5000 Hektar gegründet. Der Intensivie­rung alten Kulturlande diente die Umlegungsarbeit, durch die in den letzten Jahren 8000 Hektar verkoppelt wurden.

Hierdurch wurde eine wirtschaftliche Arrondierung der Besitzstände geschaffen, vielfach unter Bildung von Genossenschaften für Meliorationen und Flußregulie­rungen. Ersprießliches wurde auf dem Gebiet des ländlichen Siedlungswesens geschaffen. Allein im letzten Jahr konnten 200 Siedlerstellen errichtet werden. Neben diesen Landeskulturbehörden arbeiteten in der Provinz vier staatliche Kulturämter, denen die Aufstellung von Entwürfen, besonders für Ent= und Bewässerung von Ländereien und den Ausbau von Wasserläufen obliegt ferner die Ueberwachung der ge­nossenschaftlichen Arbeiten. Für letztere stellte die Staatsregierung erhebliche Beihilfen zur Verfügung, seit dem Jahre 1924 für Ent= und Bewässerung von Ländereien und Kultivierung von­Oedland und Moorflächen.4 Millionen Mark, zur Verbesserung der Vorflutverhältnisse und zur Ver­hütung der Hochwassergefahr 1,2 Millionen RM. Um den Wassergenossenschaften die Aufnahme von Bau­geldern zu erleichtern, gab der Staat Darlehen. Diese betrugen allein für den Bezirk Münster in den Jah­ren 1924 bis 1929 insgesamt.5 Millionen Mark.

Der Landwirtschaftskammer der Pro­vinz wurden zur Förderung der Landeskultur, des landwirtschaftlichen Schulwesens, der Tierzucht, des Wein= Obst= und Gartenbaues von Jahr zu Jahr steigende Staatsbeihilfen bewilligt. Diese betrugen 1913: 268 000, 1924: 327000, 1925: 513000, 1926:

572000, 1927: 727000 und 1928:.2 Millionen RM. Das landwirtschaftliche Schulwesen nahm einen erfreulichen Aufschwung. Zu den vorhandenen

21 landwirtschaftlichen Schulen traten 16 neue. Im ein­zelnen wurden bewilligt: 1924 für die Lehranstalt in Soest 14000, für die Errichtung der neuen gärtne­