Donnerstag den 13. Juni 1907

Krönungsjubiläum in Ungarn.

Wien, 11. Juni.

In Budapest ist mit allem historischen Prunk, den der magyarische Adel aufzubieten wermag und der kaum irgendwo, außer vielleicht in England, seines­gleichen findet, der vierzigste Jahrestag der Krönung des Kaisers Franz Josef zum König von Ungarn ge­feiert worden. Der Prunk war da aber die Stim­mung hat gefehlt, und von dam Jubelrausch, der in den Junitagen von 1867 geherrscht hat und von dem sich damals nur ein kleines Häuslein unnachgiebiger Op­positionsmänner ausschloß, war micht einmal der leise­ste Nachklang zu spüren. Damals gründeten die Oppo­sitionsmänner die Unabhängigkeitspartei, und an der Stätte, an der sich dies Ereignis vollzogen hat, kamen auch jetzt unter der Führung eines der Mitbegründer von damals, des uvalten Abgeordneten Madarasz, 16 Mitglieder der Partei zusammen, und es wurde ein Trinkspruch ausgebracht, in welchem der Redner aus­drückte, daß Madarasz noch die vollständige Unabhän­gigkeit des Landes erleben möge. Muß man da noch fragen, warum die Stimmung gefehlt hat? Der Un­abhängigkeitsgedanke hat seit 1867 fortwährend auch diejenigen, die sich ihm nicht anschlossen, vorwärts ge­drängt, und in steter Unzufriedenheit mit dem, was Ungarn damals errungen hat, suchten sie durch immer weitergehende Auslegungen immer mene Stücke von der Macht des Monarchen und der Gesamtmonarchie an sich zu reißen, bis die Krise kam, die im vorigen Frühjahr durch einen Waffenstillstand zum Stocken gebracht worden ist. Die magyarischen Staatsvechtler, die in den Erinnerungen an die Zeit des Mathias Corvinus schwelgen, habe allmählich eine Kluft zwi­schen der magyarischen Nation und allen übrigen Fak­toren: dem Monarchen, den Oesterreichern und ver­blendeterweise sogar den nichtmagyarischen Völkern der Länder der Stephanskrone selbst geschaffen. Die Kroaten, mit dewen die Koalition ein Bündnis gegen Wien suchte, hat sie jetzt, weil sie sich ihrer Macht sicher glaubten, abgestoßen, und die Rumänen treibt sie durch ungeschickte Behandlung zur offenen Feindselig­keit. Die Szene vom letzten Freitag, deren Opfer der Rumäne Vajda war, war eine in dieser Hinsicht gera­dezu verhängnisvolle Episode. Die repräsentierende Klasse der magyarischen Nation hat einen Kampf nach alben Seiten hin begonnen, sogar gegen die Lohnarbei­ter des eigenen Volkes, denen sie vernünftigerweise jetzt die größten Zugeständnisse machen mußte, woge­gn sich aber die Grundbesitzer sträuben. Es ist schwer, eine solche Politik anders zu erklären, als durch einen blinden triebartigen Zug, wie er Ungarn nicht zum ersten Male ergreift; und es wäre auch nicht das erste Mal, daß er es zur völligen Niederlage führt. Der Versuch, durch künstliche Einschränkung des Wahlrechts eine gründliche Umgestaltung des Parlaments zu ver­hindern, kann weder gegen die Regungen in den ärm­sten Schichten des magyarischen Volkes selbst, noch ge­gen die Nationalitätenbewegung dauernd schützen, und wie weit die Verschanzung der jetzigen Positionen ge­gen die Krone durch die Erlangung der sogenannten Verfassungsgarantien gelingen wird, ist noch zweifel­haft. Die Ungarn was man so dieUngarn nennt merken nicht, daß sie bei ihrem Beginnen alle Kräfte der Zeit gegen sich haben, und daß die dumpf: Luft, die über den Königsfeierlichkeiten liegt, nur das Zei­chen einer widernatürlichen Situation ist, die sie selbst geschaffen haben.

Politische Uebersicht.

Der Kaiser in Hannover.

Hannover, 12. Juni. Um 8,45 Uhr traf der Kaiser auf der Varenwalder Heide ein, wo das Königs=Ula­nen Regiment Nr. 1, Hannoversches Nr. 13, zur Besich­tigung bereit stand. Nach dem Abschreiten der Front formierte sich das Regiment zum Parademarsch, der in Zügen und im Schritt stattfand. Dann begann das Gefechtsexerzieren, dem die berittenen Offiziene der Garnison, die Offiziere der Reit= und Kriegsschule als

Die Weinbaukrise in

Vielleicht ist zu der Zeit, wo diese Zeilen dem Leser vorliegen, schon das Geschick der französischen Weinbauern entschieden, vielleicht haben schon die Ge­wehre geknallt. Für kein Land der Welt ist die Frage des Weinbaues von so weittragender Bedeutung, wie für Frankreich, denn nirgends steht der Weinbau in solcher Blüte, wie gerade hier, wo von den sämtlichen 87 Departements nur 10 im äußersten Nordwesten und Norden gänzlich der Weinberge entbehren. Die wein­reichsten Departements sind die im Südosten und Sü­den belegenen Herault, Ande, Gironde, Gard und Ost­pyrenden, welche sich auch durch die französische Gesetz­gebung am meisten geschädigt erachten. Alle Klagen, wellche der französischen Kammer unterbreitet worden sind, haben nur taube Ohren gefunden, und die gerin­g: Anzahl von Deputierten, welche an den betreffenden Sitzungen teilgenommen haben, beweist das Interesse, welches die Mehrzahl für diese Klagen hat. Daß solche Behandlung von den heißblütigen Südländern als ein Schimpf empfunden werden mußte, ist klar, und des­halb ist es auch nicht zu verwundern, wenn die Men­gen, mit ddenen das Militär zu sympatisieren beginnt, zur Selbsthilfe schreiten. Sie haben alle Beziehungen zur französischen Regierung abgebrochen, zahlen keine Steuern mehr und haben statt der Trikoloren Trauer­fahnen aufgezogen. Dabei sind sie ihrem Führer, dem Agitator Mercelin Albert blind ergeben. Führt dieser sie nach Paris, wie er gedroht hat, werden sie ihm folgen und die Welt wird das Schauspiel eines neuen Bruderkampfes in Frankreich sehen. Aber noch hat die Regierung nicht alle Brücken abgebrochen und eine Einigung scheint auch in letzter Stunde nicht unmög­lich zu sein.

Zuschauer beiwohnten. Nach Beendigung des Exerzie­rens hielt der Kaiser Kritik. Die Besichtigung schloß mit einem Parademarsch. Der Kaiser setzte sich an die Spitze der Fahnenschwadron und führte sein Regiment in die Stadt. In den Einzugstraßen bildeten die Truppen der Garnison Spalier. Vor der Ulanen­kaserne am Königswerther Platz nahm der Kaiser Aufstellung, um die im Spalier verwandten Truppen im Parademarsch vorbeiziehen zu lassen. Nach Been­digung des Parademarsches nahm der Kaiser militäni­sche Meldumgen entgogen. Es folgte im Kasino ein Frühstück im Kreise des Offizierkorps der Königs­ulanen.

Paris, 11. Juni. Der heutige Ministerrat be­schäftigte sich mit der Krise im Weinbau. Kriegsmi­nister Picquart teilte mit, daß er eine Untersuchung über die Vorkommnisse eingeleitet habe, die sich am Sonntag abend beim 100. Infanterie=Regiment in Narbonne zugetragen haben sollen. Bei der Be­sprechung über die Weinfälschungen in der heutigen Vormittagssitzung der Kammer gab Finanzminister Caillaux den Weinbauern den Rat, sich zu organisie­ren, um die Produktion zu regeln, den Anbau der mit­telmäßigen Weine eingehen zu lassen und die Unter­drückung der Fälschungen zu unterstützen. Der Be­richterstatter Cazeaux Canalet meinte, eine Kontrolle könne sowohl bei den Weingroßhändlern wie bei den Weinbergsbesitzern ausgeübt werden. In Beantwor­tung verschiedener Bemerkungen erklärt der Finanz­minister, er werde auf fünf Jahre die Grundsteuer er­lassen für das Weinland, worauf zu anderen Kultu­ren übergegangen wird. Darauf wird die General­diskussion geschlossen.

Paris, 12. Juni. Wie dasEcho de Paris" be­hauptet, habe General Baillond, Kommandeur des 16. Armeekorps in Montpellier, an den Kriegsminister einen vertraulichen Bericht gesandt, in dem er ihn da­von verständigt, daß er keinesfalls des Gehorsams sei­ner Truppen im Falle eines Zusammenstoßes mit den Winzern sicher sei. Von mehreren nationalistischen Blättern wird gemeldet, daß die Soldaten des 2. Ge­nieregiments in Montpellier sich am Sonntag gewei­gert hätten, die feldmäßige Ausrüstung anzulegen, da sie ohnedies entschlossen seien, nicht gegen die Winzer zu marschieren. Zwei Unteroffiziere seien mißhandelt und ein Offizier bedroht worden.

Nachklänge zum Journalistenbesuch.

London, 12. Juni. Ueber die Reise der englischen Journalisten schreibt Sydney Low imStandart: Der Besuch der englischen Journalisten in Deutschland be­deutete eine hervorragende Ehrung, wie sie weder in Deutschland noch in einem anderen Lande der Presse zuteil geworden ist. Des Kaisers Worte haben den Grundton angegeben. Wenn uns auch bereits vorher versichert war, daß wir die Ehrengäste der Nation sei­en, und viele ganz fähige Beurteiler von öffontlichen Angelegenheiten in England glauben, daß Deutschland uns von Grund aus feindlich gesinnt sei, und daß die jüngste Kundgebung nur eine Szene in einer sorgfältig einstudierten Komödie sei, so erkläre ich aus voller