J: 285. 103. Jahrg.

Erste

fraf Posadowskij

zur Arbeiterfrage.

8 Berlin, 4. Dezember.

Der vierte und letzte Beratungstag des dritten deutschen Arbeiterkongresses wurde eingeleitet mit einem Referat des Stadtrats Dr. Bold(Dortmund) über

die Wohnungsfrage.

der Redner erörterte zunächst die gesundheitlichen Nachteile einer schlechten Wohnung und betonte dann, daß die Wohnungsfrage auch eine eminent hollswirtschaftliche Frage sei, denn die Wohnungen, namentlich in den Großstädten seien für den Min­derbemittelten viel zu teuer. Die hohen Miens­preise seien bedingt durch die hohen Bodenpreise. da müßten die Städte eine großzügige Bodenpoli­iu treiben. Die Einwände der Terrainspekulanten seien unberechtigt, ebenso ihre Verdächtigungen ge­gen die Bodenreformer, als ob diese sozialdemo­kratischen Tendenzen huldigten.

Korreferent Arbeitersekretär Meyer(M.Gladbach) erörierte die Bestimmungen des neuen preußischen Pohnungsgesetzentwurtes, die eine Verbesserung der gißstände im Wohnungswesen bringen, sowie die Pünsche, die der Entwurf nicht erfülle. Die Refe­renten legten gemeinsam eine Resolution vor, in der ihre Sonderwünsche zum Ausdruck gebracht wa­ren. Eine weitere Resolution liegt vor vom Ge­verkverein christlicher Bergarbeiter, wonach 1. bes den Werkswohnungen jede Verquickung des Miets­vertrages mit dem Arbeitsvertrag vermieden wer­den und 2. die Knappschaftskassen angehalten wer­den sollen, größere Summen frei zu machen, die

sie den Bergarbeitern als Baudarlehen zum Bau von Arbeiterwohnungen zur Verfügung stellen sol­len. Nach einer Diskussion wurden die Reso­lutionen angenommen und hierauf das letzte Thema, die Arbeiterfürsorge erörtert. Reserent war Gewerkschaftsfekretär Baltrusch(Köln), der die gegenwärtige Arbeitslosigkeit in ihrem Umfange schilderte und allgemein die Schaffung einer Arbeitslosenversicherung durch das Reich auf der Grundlage der Solldarität forderte. Die Versammlung stimmte ihm in einer Resolution zu. Bei der nun folgenden Wahl zum Ausschuß kam es zu einem Zwischenfall. Imdusch(Essen) er­hob Widerspruch gegen die Wahl der Vertreter des Verbandes katholischer Arbeitervereine mit dem Sitz in Berlin unter Hinweis auf deren Verhalten auf dem Kongreß und die Tatsache, daß sie die jüngste päpstliche Encyklika in die Debatte gezogen hätten. Imbusch beantragte, daß der Kongreßaus­schuß beauftragt werde, ähnliche Zwischenfälle in Zukunft zu verhindern, und von dem Verband der katholischen Arbeitervereine jetzt noch keinen Ver­treter zu wählen, dagegen zu beschließen, daß ein Mitglied des Verbandes in den Ausschuß kooptiert verde, wenn eine Gewähr dafür geboten werde, daß der Verdand in Zukunft im Interesse der von em Kongret geschaffenen Beschlüsse arbeite. Ein Vertreter des angegriffenen Verbandes erklärte aber den Antrag für eine Beleidigung seines Verbandes. Bei der Abstimmung enthielten sich die evangeli­schen Kongreßmitglieder der Stimmabgabe, der An­aog Imiug, wurde angemmmen.

O 5

Pielsfel d,

Freitag, 5, Dezember 1913.

Zum Schluß des Kongresses ergriff noch

Graf Posadowsky

das Wort, um seine Stellung zur christlichen Ar­beiterfrage zu präzisieren. Er führte u. a. aus: Die Angriffe, die heute auch in Deutschland gegen die Sozialpolitik gerichtet worden sind, scheinen dem Beginnen jenes kleinen Mannes Herostratus zu glethen, der, um sich berühmt zu machen, einen der schönsten Tempel anzündete. Man wirft der deutschen Sozialpolitik vor, daß sie das eigene Ver­antwortlichkeitsgefühl der deutschen Arbeiter schä­dige. Ich frage, ob die Spannkraft eines einzigen Arbeiters geschädigt wird, wenn er durch Krankheit erwerbsunfähig würde und ihm auf dem Wege der Gesetzgebung die Mittel zur Erhaltung und Pflege gewährt werden. Wenn das der Fall wäre, müßte die Spannkraft eines jeden erschlaffen, der vor Not und Elend geschützt wird. Es wird ferner ge­sagt, daß einzelne Arbeiter sich Renten zu er­schleichen oder zu erhalten wüßten, zu denen sie kein Recht hatten. Solche Fälle sind zweifellos vor­gekonmen, aber in der großen Masse der Versicher­ken werden immer einzelne sein, die nicht das volle Verantwortlichkeit gefühl gegenüber dem Staat und den Versicherten haben, das kommt aber auch in anderen Ständen vor. Auch Personen der be­sitzenden Klassen gibt es, die durch fassche Ein­kommensteuer=Dekkarationen zum Schaden des Vol­kes sich Vorteile zu verschaffen suchen.

Die deutsche Sozialpolttik angreisen, heißt

einen der schönsten Tempel deutscher Arbeits­kraft zerstören.

Das Ausland hat stets von der deutschen Sozial­politik mit Bewunderung gesprochen und sie hat dem deutschen Vaterlande großes Ansehen in der Welt verschafft. Alle Kulturstaaten Europas haben sie übernommen oder nachgemacht. Wer ein Gegner der Sozialpolitik ist, muß niemals die Not des Arbeiters kennen gelernt haben oder er muß ein dreifach gepanzertes Herz haben. Sie als christliche Arbeiter stehan im Gegensatz zur Sozial­demakratie. Sie wollen als Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft mit dieser arbeiten und das ist die tiefe Kluft, die sie von der deutschen Sozialdemokratie trennt. Der scharfe Schnitt, der das deutsche Volk in bürgerliche Parteien und in die Sozialdemskratie trennt, ist bedauerlich; aber wir dürfen nie vergessen, daß auch die So­ztaldemokraten Deutsche sind und wir müssen jedes Mittel versuchen, sie zur bürgerlichen Gesellschaft zurück­zufähren. Es geht jetzt ein gewisser Kampf gegen unsere sozialpolitischen Ginrichtungen und namentlich gegen das den Arbeitern garantierte Recht, sich zusarnmenzuschließen. Auch wenn es ge­lingen wird, die Sozialdemokratie zu unterdrücken, wird es immer Arbeiterparteien geben. Will man in einer Zeit, wo sich alle Interessengruppen ver­einigen, den Arbeitern dieses Recht der Vereini­gung nicht gönnen? Auch der französische Minister Briand, der aus sozialdemokratischen Kreisen her­vorgegangen ist, hat dieses Recht ausdrücklich an­erkannt. Durch wesentliche Strafver­schärfungen wird man Ausschreitun­gen in Arbeiterkreifen niemals verhüten können; diese Verhütung hängt von einer ruhigen, vernünftigen Polizei ab. Nach mei­ner lieberzeugung genügen die besteben­

Der detederderag adden buchen. Ich bin

ein Gegner aller Ausnahmgesetze,

weil diese auf eine schwache Staatsaktion hindeu­ten.

Graf Posadowsky schloß: Fahren Sie in Ihren Bestrebungen fort zum Segen des deutschen Volkes und des deutschen Vaterlandes!(Stürmischer, mi­nutenlanger Beifall.)

Nach den üblichen Dankesworten gab General­sekretär Stegerwald noch eine Würdigung des Kon­gresses, der damit beendet war.

Gerichtssaal.

* Der Prozeß der Gräfin Fischler.

Unter den für Dienstag geladenen in dem Prozeß gegen die Gräfin Fischler von Treuberg fand sich auch der bekannte Herren­reiter Graf Holck, der mit einer Reitpeitsche bewaffnet im Gerichtssaal erschien. Es wird zunächst nochmals der Sachverständige Verlags­buchhändler Herlet über das Büchergeschäft der Prinzessin Luise von Koburg vernommen. Er erklärt, seine Behauptung, daß die Bücher einen erheblich geringeren Wert hatten, als den, zu welchem sie verkauft wurden, müsse er aufrecht halten. Das BuchHanne Rüte" von Reuter z. B., das mit 4 Mark angesetzt wurde, habe z. B. einen Wert von 70 Pfennigen. Der Vert. R.=A. Bahn lehnt darauf den Sachver­ständigen als befangen ab. Der Gerichtshof beschließt nach kurzer Beratung, das Ablehnungs­gesuch nicht für begründet zu erachten. Der Staatsanwalt legt darauf dem Zeugen Schröter einen Auszug über die verkauften Bücher vor, die in dem Prozeß Kietz gegen v. Hagenow eine Rolle gespielt haben und fragt Schröter, ob dieser Auszug richtig sei. Der Zeuge Schröter verweigerte seine Aussage, da seine Vereidigung abgelehnt wurde, weil er der Mit­täterschaft verdächtig sein soll. Der Gerichtshof beschließt, daß die Zeugnisverweigerung be­gründet sei. Der Sachverständige macht dann Ausführungen zum Fall v. Hagenow und äußert sich über das Büchergeschäft in ähnlicher Weise wie zu dem Fall der Prinzessin Luise von Koburg.

Zeuge Graf Holck, der bekannte Herren­reiter, bekundet, daß ihm die Angeklagte in einem Brief die Beschaffung von Geld anbot. Der Zeuge war damals in Metz Leutnant. Als er sich nach einiger Zeit in Geldverlegen­heit befand, wandte er sich an die Angeklagte und ersuchte sie, ihm Kredit zu verschaffen. Die Gräfin Treuberg machte ihm nunmehr mit dem Agenten Domarus bekannt, der ihn mit Pariser zusammenführte. Er habe diesem einen

1500 Mark höher gewesen sein. Er fühle sich dadurch nicht bewuchert, denn dergleichen sei allgemein üblich. In einer Notlage habe er sich auch nicht befunden. Provision habe er nicht an die Angeklagte, sondern nur an Domarus gerchtt

Die dachte uich due dater­essante Erscheinung aus vergangener Zeit vor die Schranken des Gerichts: die ehemaligeKu­sine" des Gouverneurs v. Putkamer. Dieser hatte Fräulein Maria Ecke, eine auffallende blonde Schönheit, im Strudel der Berliner Ver­gnügungen kennen gelernt und sie, als er zuur Gouverneur von Kamerun ernannt wurde, als Freiin v. Eckenstein und angebliche Kusine mit nach dort genommen. Die vielgenannte Dame führte längere Zeit als Frau v. Germar ein sehr zurückgezogenes Leben und bezog einen Teil ihrer Einnahmen aus dem Geschäft einer Heiratsvermittlerin. Als solche figuriert sie auch in dem Prozeß der Gräfin Fischler v. Treu­berg, in dem sie als Zeugin geladen ist. Sie erzählte, daß sie die Ehe zwischen einem Gra­sen v. Schmettow und der Fürstin Sulkowsk vermittelt und dafür als Provision Wechsel über 18000 Mark erhalten habe. Bei dem

Verkauf der Wechsel erhielt die Zeugin freilich nur zwei Reitpferde, die sie dann wieder zu

Gelde machen mußte. Die Zeugin hat auch den Grafen Günther v. Königsmarck gekannt, gegen den nach seiner eigenen Angabe ein Entmün­

digungsverfahren schwebt. Unter großer Heiter­keit der Prozeßbeteiligten enthülte die Zeugin, daß der Graf nicht weniger als sechs Frauen hat, von denen er sich nachelnander scheiden

ließ. Es handelt sich bei ihnen nicht sowohl um liebes= als um titelbedürftige Damen, die den Grafen sofort nach der Hochzeit, mit der üblichen Abfindungssumme, wieder vor die Türe setzten. Graf Königsmarck, der gerade frei war, als er die Angeklagte kennen lernte, hatte bekanntlich die Absicht, auch diese zu hei­raten. Er hat der Zeugin gegenüber erklärt, leiden könne er die Angeklagte nicht, aber er müsse sie doch heiraten, denn er brauche Geld.

Schluss des redaktionellen Tells.

CGARETTEN

Taahrslum Umanag, Biektro und Kachlse

Tecinikum Oinellau ies

Werkmeister. Prospekt

Dededtende-Preiseriae..,

KOFTON

und

KRasoh