Nr. 72 82. Jahrgang

Dienstag, den v. Februar 1909

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Hierzu ein 2. und 3. Blatt.

Kleine Chronik.

Der Kaiser nahm gestern vormittag im Kö­niglichen Schlosse die Vorträge des Handels­ministers, des Staatssekretärs des Reichskolonialamtes und des Chefs des Zivilkabinetts entgegen.

Die oldenburgische Regierung be­schloß die Hinzuziehung von Lehrern zu den Jugendgerichtshöfen.

Der bayerische Kultusminister Dr. von Wehner hat sein Entlassungsge­such eingereicht. Ministerpräsident von Pode­wils erstattete darüber dem Prinzregenten gestern Bericht. Dieser empfing darauf den Kul­tusminister und lehnte das Gesuch ab.

heutigen Finanznot erblickt der Verfasser in dem System der Überweisungen und Matrikularbei­träge; dieses führte zu der verhängnisvollen An­leihewirtschaft und damit zur Anhäufung der setzigen enormen Schuldenlast. Es ist serner Schuld an der sich immer unangenehmer geltend machenden Verknüpfung der Finanzen des Reiches und der Einzelstaaten. Ohne eine orga nische Abgrenzung zwischen den Reichs= und Landessinanzen hält Koeppe eine dauernde Ge­sundung des Reichssinanzwesens nicht für mög lich. Er begrüßt deshalb die beabsichtigte Be grenzung der Überweisungen und Matrikularbet träge und die Abschaffung der Stundung unge deckter Matrikularbeiträge. Diese sollten über­haupt nur für den Notfall bestehen bleiben. Auch deren Veredelung würde zu nichts anderem füh­ren, als daß die Einzelstaaten sich vielleicht auf einem noch empfindlicheren Wege, als wie dies eine erweiterte Reichserbschaftssteuer tun soll, neue Einnahmequellen erschließen müssen.

Bei der notwendigen Eröffnung neuer Ein­nahmequellen erwartet Koeppe vom Reichstage

Der Personen= und Eilau:######r nahmequellen erwartet Koeppe vom Reichstage

us dem Bahnyof Gelfeneirchen=f2 die Berücksichtigung sozialpolitischer Momente.

arck ist in vollem Umsange wieder au. Der bisherigen auf Hebung der arbeitenden

enammnen. wieder auf- Klassen gerichteten Politik dürse nicht durch eine

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Vor der Entscheidung.

Aus Berlin wird uns geschriebe.

Unzweifelhaft befindet sich das Deutsche Reich augenblicklich in einer inneren Krise, die schwerer ist als diesenlge vom November v. Is. So heikel damals auch die Stuation war, man konnte doch von vornherein mit einer befriedigenden Lösung rechnen, die ja auch durch die Unterredung des Fürsten Bülom mit dem Kaiser herbeigeführt wurde. Der gleiche gute Wille zum Entgegen­kommen fehlt heute, wo es sich um die Verab­schiedung der

Reichsfinanzreform handelt, bei einem Teile der Parteien, auf derenUnterstützung nicht allein durch die Erhöhung der indirekten

die Erfolge dieser Politik in Frage stellende Finanzpolitik entgegengewirkt werden. Das Ver­halten der verantwortlichen Stellen zur Reichs­finanzreform sei zugleich ein Prüfstein für deren aufrichtige sozialreformatorische Gesinnung. Man solle bedenken, daß die Wirtschaftspolitik des Reiches nur dadurch durchführbar war, daß den unteren Klassen Lasten auferlegt wurden, die eine erhebliche Vorausbelastung ihrer Angehöri­gen gegenüber den Angehörigen der höheren Klassen enthalten(Zölle und Verbrauchssteuern). Die Zinanzpolitik müsse darauf gerichtet sein, den großen Gegensatz zwischen Arbeit und Ver­mögensbesitz nicht zu verschärfen, sondern zu ver­mindern. Die neuen Steuern dürfen deshalb

die Regierung angewiesen ist und ohne welche das Reformwerk scheitern muß. Wo wichtige nationale Interessen auf dem Spiele stehen, wie es bei der unausschiebbar gewordenen Ordnung der Reichsfinanzen der Fall ist, da sollen die Parteien Selbstlosigkeit üben, denn über den Partei­prinzipien, über den Rücksichten auf einen ein­zelnen Erwerbsstand steht das Wohl des Reiches. Wollen diesem Grundsatze die Konservativen und das Zentrum etwa nur dann Geltung verschaf­fen, wenn den übrigen Parteien zugemutet wird, aus nationalem Interesse Selbstentsagung zu üben? Das ist frivol, das ist antinational ge­handelt, das läuft nur auf eine Machtprobe hin­aus, denn wer will ernstlich behaupten, daß die­jenigen Stände, deren Wohl in diesem Falle Kon­servative und Zentrum zu vertreten vorgeben, nicht imstande seien, die Nachlaßsteuer zu tragen? Mit gutem Gewissen kann niemand eine solche Theorie aufstellen, und darum ist das Gebahren im höchsten Grade verwerflich.

Der Landwirtschaft wird niemand den ihr notwendigen Schutz versagen wollen, und sie ge­nießt ihn ja auch seit dem Inkrafttreten des neuen Zolltarifs in vollem Maße. Bei jeder sich darbietenden Gelegenheit werden, wie es z. B. auch bei der Reichserbschaftssteuer geschehen ist, die besonderen Besitzverhältnisse der Landwirte berücksichtigt, wo oft andere Erwerbsstände, die denselben berechtigten Anspruch hätten, leer aus­gehen. Sollte nun aber nicht auch die Landwirt­schaft die Pflicht in sich fühlen, an den Lasten mitzutragen, die das Wohl des Reiches erfordert, und muß es für sie nicht beschämend sein, zuzu­lassen, daß allein die Kräfte der übrigen Erwerbs­stände bis an die Grenze des Möglichen ange­

** Pien Die Erhehnnn Der Woirerten

Abgaben hereingebracht werden; eine Besteuerung des Vermögensbesitzes ist unumgänglich, aller­dings darf auch von diesem nicht die Leistung des gesamten 500 Millionenbedarfes verlangt werden. Eine Störung der im allgemeinen Interesse not­wendigen und bisher erfreulichen Vermögens­entwickelung wäre die Folge. Die. Verteilung der zu erschließenden Mehreinnahmen nach Steuerobjekten im Sinne der Regierungsvorlage halte sich aber hinsichtlich der Belastung des Be­sitzes in milden und mäßigen Grenzen. Berech­tigt sei nur der Widerstand gegen die von der Regierung gewählte Form der Vermögens­besteuerung. Die Nachlaßsteuer mit der Wehr­steuer sei zu verwerfen. Die 98 Millionen, die der Besitz tragen sollte, müßten durch die Aus­dehnung der Reichserbschaftssteuer auf Abkömm­linge und Eheaatten und durch Erhöhung der für die Verwandten der aufsteigenden Linie und Seitenverwandten geltenden Stenerprozentsätze aufgebracht werden. Der Leistungsfähiigkeit der Steuerträger werde dadurch am besten Rechnung getragen. Die notwendige Schonung der un­teren Steuerstufen könne durch entsprechende Steigerung in den hohen und höchsten Steuer­stufen ausgeglichen werden. Eine Bekämpfung des Ausbaues der Erbschaftssteuer aus grundsätz­lichen Gesichtspunkten komme post festum; die Reichsgesetzgebung habe die Berechtigung der Besteuerung der Ehegatten und Kinder prinzi­viell schon anerkannt dadurch, daß sie den Ein­zelstaaten das Recht zu deren Besteuerung und zur Erhebung von Zuschlägen verlieh. Was für die Einzelstaaten Recht, könne für das Reich nicht Unrecht sein.

Eine Reichsvermögenssteuer verwirft Koeppe vor allem aus den gleichen Gründen, die gegen

spannt werden? Wir sind überzeugt, das Grosi.

unserer Landwirte steht gar nicht auf dem Stand=seine Reichseinkommensteuer sprechen. Dann führt punkte, den Konservative und Zentrum in dieser##..h ven Beweis, daß sie eine außer­

punkte, den Konservative und Zentrum in dieser

Frage vertreten vertreten gegen ihre bessere berzeugung und selbst auf die Gefahr hin, das Reich in eine innere Krise zu treiben.

Die Situation ist, wie schon eingangs gesagt, für die Regierung eine sehr schwierige, und es herrscht eine Spannung, die unmöglich lange anhalten kann. Die bisherige Beratung der Nachlaßsteuer läßt deren Aussichtslosigkeit erken­nen, und vorläufig erscheint alles Mühen, einen Ersatz zu finden, umsonst. Se gut der Vorschlag der Reichspartei auch gemeint ist und so manches er für sich hat, die Einzelstaaten halten ihn für undurchführbar und beharren auf der Nachlaßz­steuer. Ohne diese müssen die Hoffnungen, eine Mehrzahl der übrigen Steuerprojekte durchzu­bringen, zu Grabe getragen werden, und die Regierung steht vor einem ungeheuren Loch im Reichssäckel, was angesichts der dringenden Auf­gaben, die nur unter Verwendung großer Mittel zu lösen sind, besonders verhängnisvoll ist und die nationalen Interessen schwer schädigt. Da ist es denn kein Wunder, daß allerhand aben­teuerliche Gerüchte die Luft durchschwirren und daß in Parlamentskreisen eine Erregung herrscht wie am Vorabend bedeutender Ereignisse. Wenn von einer in Aussicht genommenen Auflösung des Reichstages gesprochen wird, so ist demgegen­über zu erwidern, daß zu einer solchen Maß­nahme die Regierung keinen ungünstigeren Zeit­punkt wählen könnte als den jetzigen, denn die Forderung neuer Steuern fürs Reich gibt in Lerbindung mit dem Stande der Wahlreform in Preußen eine sehr schlechte Wahlparole ab. Da­kum wird sicherlich versucht werden, an dem Einanzreformwerk herumzuflicken, soweit dies nur möglich ist und soweit dies das herrschende Lohnwabohn zuläßt.

Wir lassen dieser Zuschrift ein kurzes Referat folgen über einen Aussatz in dem neuesten Hefte derAnnalen des Deutschen Relches über die

Ausgaben der Reichsfinanzreform und die ihr brohenden Gefahren, vom finanz= und sozial­Politischen Standpunkte aus der Feder des Mar­burger Professors Dr. Koeppe. Die Ursache der

ordentliche Ungleichmäßigkeit und Ungerechtigkeit in der Veranlagung aller Vermögen im Reiche zur Folge haben würde. Die einzig richtige und am wenigsten drückende Reichsvermögenssteuer sei eine ausgebildete Reichserbschaftssteuer. Über deren vorhandene Mängel müsse man sich mit Rücksicht auf die Notlage des Reiches wegsetzen. Der Aussatz schließt mit den Worten:Die Lö­sung der Reichsfinanzreformfrage wird dadurch außerordentlich erschwert, daß diese als Kampf­platz für das mehr oder weniger leidenschaftliche Begehren wirtschaftlicher Sonderinteressen und allgemein polttischer Bestrebungen herhalten muß, die nicht oder doch nicht ausschließlich auf die Sache selbst, sondern wesentlich auf das ein­seitige Geschäfts= oder Parteiinteresse abzielen. Und doch verlangt die Lösung gerade dieses eben­so wettumfassenden wie heiklen Problems vollste Hingebung an die Aufgabe und eine rein sach­liche Behandlung, die sich bei jeder Beurteilung und vor allem bei jeder einzelnen Entscheidung nur vom Gesichtspunkte des Gesamtwohls leiten 155­

Deutscher Reichstag.

A Berlin, 8. Februar.

Um 2 Uhr, gerade als Herr Kirschner, der Berliner Stadtgewaltige, die beinahe sertige Aus­schmückung seines Purpurzeltes am nahen Bran­denburger Tore inspizierte, beginnt mit einer Zentrumshandwerkerrehe die neue parlamentari­sche Reichswoche Eigentlich sollte Frhr. v. Gamp der erste Rufer im Streite um das Bethmann­sche Gehalt sein; der aber hatte als alter Korps­student auf das urplötzlich vom Grafen Stolberg ibgeschaffte akademische Viertel gerechnet und saß noch unten am Biertische bei der Atzung, als sein Name gerufen wurde. Auch dem eigenen Freunde dem Malermeister Irl erging's nicht anders als dem Massauner Majoratsherrn. Nicht ein Frak­

tionskollege war im Saale anwesend, als der Ver­treter des 5. bayerischen Wahlkreises seinen In­nungsspecch begann, und es mußte der Zentrums­diener mit fliegenden Frackschößen durchs Haus sagen, um einen bescheidenen schwarzen Reson­nanzboden für Herrn Irls Weisheit zusammen­zubekommen. Voller wurde es im Saale aber doch erst, als D. Naumann gegen 3 Uhr das Wort ergrüff und seine Zuhörer wieder einmal ent­täuschte. Nicht einmal rhetorisch stand seine Rede auf der Höhe früherer Leistungen; inhaltlich war jast alles schief und einseitig dargestellt. Die Rede hatte manches mit dem Kulerskischen Polenlicde gemeinsam, das einem recht bewegten und vtel­ach unterbrochenen Solo des Grasen Carmer folgte. Solche Wahlverwandtschaft ist aber doch sonst nicht des Heilbronner Expfarrers politischer Ehrgeiz und Neigung.

*

Am Bundesratstische zunächst niemand. Spä­ter erscheint Staatssekretär von Bethmann=Holl­weg.

Präsident Graf Stolberg eröffnet die Sitzung um 2 Uhr. Zur Debatte steht der

Etat des Reichsamts des Innern beim Gehalt des Staatssekretärs.

Als erster Redner wird aufgerufen der Abg. Freiherr von Gamp(Rpt.), der jedoch noch nicht anwesend ist.(Heiterkeit.)

Abg. Irl(Zentr.) erscheint im Augenblick des Aufruses seines Namens im Saale. Er sammelt eifrig sein Material und begibt sich sodann unter allgemeiner Heiterkeit zur Rednertribüne. Ich danke der Regierung dafür, daß sie in den letzten Jahren dem Kleingewerbetreibenden und dem Handwerker mehr Interesse zugewandt hat, als dies in schweren Jahren der Fall gewesen ist. Lei­der ließen die Behörden es noch immer an der Förderung des Handwerks fehlen. Dies tritt namentlich bei dem Submissionswesen in Er­scheinung. Es wäre dringend nötig, hierin Wan­del zu schaffen. Ebenso müßten die Behörden den Handwerkskammern gegenüber sich freundlicher stellen. Ein völliges Verbot des Bleiweiß bei den Malerarbelten ist nicht durchführbar, weil ein vollwertiges Ersatzmittel noch nicht gesunden ist. Notwendig ist auch bei der bevorstehenden Anderung des Unfallgesetzes, eine Bestimmung dahin vorzusehen, daß bei Ansammlung des Re­servefonds in den Berufsgenossenschaften in be­sonderen Fällen der Bundesrat Erleichterung ge­währen kann.

Sächsischer Bundesratsbevollmächtigter Ge­heimrat Fischer weist die Angriffe des Abg. Zu­beil am letzten Sonnabend zurück, wonach die sächsische Regierung das Vereinsgesetz nicht loyal und frei von Schikanen handhabe. Wenn eine Versammlung eines großen Leipziger sozioldemo­kratischen Verbandes als öffentliche Versamm­lung angesehen worden sei, so liege das daran, daß der Verband infolge seiner großen Mitgliederzahl eine sehr lockere Zusammengehö­rigkeit darstelle und wegen seines häufigen Mit­gliederwechsels als geschlossener Verein nicht an­zusehen sei.

Abg. Neumann= Hofer(frs. Vgg.) bringt die Maßregelung von technischen Angestell­ten in Augsburg und Oberschlesien zur Sprache und führt aus, die Koalitionsfrei­heit, müsse dem einzelnen Arbeiter und Angestellten gewährt werden; und wie die ein­zelne Persönlichkeit dem Unternehmer gegenüber geschützt werde, so müsse auch ein schwächerer Ar­beitnehmerverband einem stärkerem Arbeitgeber­verband gegenüber gestärkt werden. Auf Grund des heutigen Gesetzes können die Arbeitgeber nicht gehindert werden, ihren Angestellten des­wegen zu maßregeln, weil er von seinem Koali­tionsrecht Gebrauch macht. Der Staatssekretär sollte an den Handelsminister wie im Falle Rad­bod herantreten und dafür sorgen, daß derartige gemaßregelte Angestellte aus dem Privatdienst in den Staatsdienst übernommen werden. Um den tausendfachen Kontraktbruch unmöglich zu machen, sollten die Kontrakte durchgesehen wer­den. Jetzt unterschreiben die Arbeiter irgend ein ihnen unverständliches Schriftstück. Dadurch sind sie auf eine bestimmte lange Zeit gebunden. Verlassen sie inzwischen ihre Stelle, so ist der Kontraktbruch sertig. Ebenso zu bekämpfen ist das System der schwarzen Listen. Wenn die Roh­eisenindustriellen Verhandlungen mit den Ver­bänden und einzelnen Arbeitern ablehnen, so sollten sie daran denken, daß die ganze übrige Industrie sich damit abgefunden hat, mit ihren Arbeitern zu verhandeln. Die großen Eisenindu­striellen sollten an das Wort Arndts benken: Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte.(Beifall links.)

zwungen werden, den sozialdemokratischen Or­ganisationen beizutreten, wollen sie nicht ihre Ar­beit verlieren.(Lärm bei den Soz.) Sie reden immer von Freiheit und lassen mich nicht aus­reden! Als bestes Bollwerk gegen die Sozial­demokratie sollte der Mittelstand gefördert wer­den.

Abg. Kulerski(Pole): Bei der beabsichtigten Reform des Kraukenversicherungswesens ist die Beschneidung des Stimmrechts zu bedauern. Ein Fortschritt ist andererseits die Einbeziehung der land= und forstwirtschaftlichen Arbeiter. Die Verordnung über eine achtstündige Arbeitsruhe halte ich für vollständig unzulänglich. Gefordert muß ein Maximalarbeitstag werden und ein Reichsberggesetz. Zum mindesten die Einrich= tung von Grubenkontrolleuren ist dringend zu fordern, denn in diesen Betrieben wird mit Men­schenleben geradezu gespielt.(Sehr richtig! bei den Soz.). Die Unfallverhütungsvorschriften bei denjenigen Betrieben, welche fremdsprachige Ar­beiter beschäftigen, sind in den betreffenden Spra­chen anzuschlagen. Ein Lockspitzeltum, wie es in der Azewaffäre zutage getreten ist, besteht auch in Preußen, und sollte von der Reichsregierung da­für gesorgt werden, daß Preußen nicht weiter mit Spitzeln in die politischen Kreise eindringt.

Abg. Frhr. von Gamp(Rpt.): Die Lockspitzel uns gibt es überhaupt keine Spitzel.(Lachen bei un sgibt es überhaupt keine Spitzel.(Lachen bei den Soz.) Die schwarzen Listen werden solange bestehen, als die Arbeiter die Arbeitgeber eben­falls boykottieren. Das arbeiterfreundliche Herz sollte man den Unternehmern nicht absprechen. (Widerspruch bei den Polen.) Dann gehören höchstens die polnischen Arbeitgeber nicht zu denen, die Millionen für die Wohlfahrt ihrer Ar­beiter aufbringen, ohne gesetzlich dazu gezwun­gen zu sein. Vielfach sind die Unternehmer die Sklaven der Arbeiter.(Lachen bei den Soz.) Eie müssen sich manches gefallen lassen, was die Ar­beiter sich nicht bieten ließen.(Sehr richtig!) Was den Etat anlangt, so wären noch manche Erspar­nisse möglich. Durch Vermehrung des Personals im Patentamt müßte dafür gesorgt werden, daß die Entschließungen nicht so weit hinausgeschoben werden.

Abg. Rieseberg(wirtsch. Vag.): Schlecht in Einklang zu bringen ist die vielfach schikanöse Anwendung der Bäckereiverordnung mit der Förderung des Handwerks. Was helfen die Submissionsvorschriften, wenn sie von den Be­hörden nicht beachtet werden? Die Ausdehnung der Invalidenversicherung auf die Handwerker ist nötig, damit diese nicht genötigt werden, wie in Dresden, die Armenpflege in Anspruch zu neh­men. Die Sozialdemokratie hat kein Recht, sich über die nationale Arbeiterschaft aufzuhalten. Diese hat sich losgemacht von der Sozialdemokra­tie, um freie Männer zu sein. Nun gehen Sie in die Lehrlingsorganisation, um sich Ersatz zu schaffen für die Ihnen entgangenen Genossen. Leider ist für die Herabsetzung des Rentenalters von 70 auf 65 Jahre immer noch nichts geschehen. Das Handwerk, das so sehr mit Ausgaben im Interesse der sozialen Fürsorge für seine Arbei­ter belastet ist, sollte ebenfalls in die Invaliden= und Altersversicherung einbezogen werden. Die demnächst hier stattfindende Handwerkerausstel­lung empfehle ich dem Staatssekretär zur tatkräf­tigen Unterstützung.

Abg. Pachnicke(frs. Vag.) wünscht erhebliche Unterstützung des Deutschen Verbandes für Ar­beitsnachweis. Vielleicht sei dies schon in einem der kommenden Nachtragsetats möglich. 30000 Mark würden zunächst genügen, um der Arbeits­losigkeit mit diesem Mittel zu steuern.

Darauf wird Vertagung beschlossen. In einer versönlichen Bemerkung wendet sich der Abg. Zu­beil(Soz.) gegen den sächsischen Bundesratsbevoll­mächtigten Geheimrat Fischer. Die Ausführun­gen zeigten, auf welch' niedrigem Niveau die Auslegung des Vereinsgesetzes bei der sächsischen Regierung stehe.

Präsident Graf Stolberg ruft den Redner zur Ordnung.

Nächste Sitzung Dienstag 2 Uhr: Tagesord­nung: Fortsetzung.

Schluß Uhr.

Abg. Graf Carmer=Osten(kons.): Der Fall

der technischen Angestellten in Oberschlesien liegt doch anders, als bisher dargestellt wurde. Es handelt sich zunächst um die Kündigung eines Hilfssteigers, der, obwohl er mehrere Male Un­terstützungen erhielt, in öffentlichen Versamm­lungen gegen die Verwaltung agitiert hat.(Zu­rufe seitens der Sozialdemokraten. Abg. Kreth (kons.) ruft: Wie machen Sie es denn bei den Sozialdemokraten? Haben Sie die edlen Sechs schon vergessen?) Die Darstellungen in der Ver­sammlung und in der Presse sind falsch. Die übrigen sollten schon lange entlassen werden. Sie standen schon lange auf der Liste. Bei Ihnen heißt es:Wer nicht pariert, der fliegt. Deshalb verlangen wir einen Gesetzentwurf zum Schutz der Arbeitswilligen, damit die Arbeiter nicht ge­

Preußischer Landtag.

A Berlin, 8. Februar.

Die Juristen sind heute von den Magistern abgelöst worden. Der alte Witz kurstert wieder und wird pflichtschuldigst belacht:Ich habe das Haus schon voller gesehen, und ich habe es schon leerer gesehen. Aber so voller Lehrer habe ich es niemals gesehen! Unter drei einsamen Damen wohl Kolleginnen sitzen sie zu Dutzenden auf den weiten Tribünen, die tüchtigen und in schwerem Berufe unermüdlichen, weil von hohen Iocalen getragenen Bildner unserer Volksju­gend, und harren mit der Hand am Ohr mit ge­spannter Aufmerksamkeit, was dieser Entschei­dungstag über die künftige Besoldung bringen wird. Auch die Besetzung des Hohen Hauses selbst ist der Bedeutung der zur Beralung stehen­den Materie angemessen und erheblich besser als an den letzten drei Sitzungstagen. Die Verhand­lung an sich trug dank des von allen bürgerlichen Parteien gutgeheißenen Kompromisses den Stem­pel der res judicata. Gigentlich war es nur das Bedürfnis jener Fraktionen, sich und ihren Standpunkt vor ihren Freunden draußen im Lande zu rechtfertigen, daß das Haus volle Stunden über die ersten 5 Paragraphen des be­