Erscheint täglich Abends mit Ausnahme der Tage nach den Sonn= und hohen Feiertagen(Samstags er­scheint ein Doppel=Blatt) und kostet mit der Sonn­tags=Gratis=BeilageIllustrirte Familien=Zeitung monatlich 50 Pfg., durch die Post bezogen viertel­jährlich Mk. 1,90 inkl. Bestellgebühr.

Verantw. Redakteur: Bernhard Klee in Düsselderf.

Düsseldorfer Abend-Zeitung.

Unabhängiges Organ für alle Stände.

Sonntags-Gratisbeilage:Illustrirte Jamilien-Zeitung

Klosterstraße 29. Fernsprech=Ruschluß Nr. 926. Anzeigenpreis:

Die 7 gespalk. Petitzeile oder deren Raum 10 Pfg., auswärtige Anzeigen 15 Pfg. pro Zeile. Reklamen sowie Beilagen nach Uebereinkunft.

Nr. 105.

Post=Zeitungs=Preisliste Nr. 1287.

Mittwoch den 3. Mai.

Druck und Verlag von Bleifuß& Co. in Düsseldorf.

1895.

Presse und Behörden.

Elend, gemein, feige, niedrig 2c. ist es nach militaristischer Anschauung, wenn ein bei der Fahne gemißhandelter Soldat seine traurigen Erfahrungen an Dritte, zumal an die Re­dakteure von Zeitungen mittheilt, um auf diesem Wege eine Besserung der verbesserungsbedürftigen Zustände herbeizuführen. Skandalsucht ist es nach einer gleichwerthigen Anschauung, wenn Zeitungenunliebsame Vorkommnisse aus der Armee und aus anderen staatlichen Instituten aus eigener Initiative an die Oeffentlichkeit bringen und gebührend beleuchten. Es wäre so schön, wenn man sicher wäre vor einer unbequemen Kritik! Und noch schöner wäre es, wenn neben der sogenannten Preßfreiheit der Galgen des Herrn von Thadden stände, an dem man die Feinde des Schlendrians, der Willkür, der Kor­ruption kurzer Hand aufknüpfen könnte, die sich erfrechen, für die verletzten Interessen der Allgemeinheit einzutreten! Nun, der Galgen ist bei uns zu Lande abgeschafft, selbst für Zeitungs=Sünder, aber schwer genug wird es den Männern der Feder gemacht, ihrer hohen Mission, durch Aufdeckung der Schäden, die am Volkskörper zehren, dem Volke zu nützen, in erwünschtem Grade gerecht zu werden. So sehr über Ueber­bürdung mit Geschäften von allen Behörden geklagt wird, so unbestritten der Richtermangel ist, zur Stellung von Straf­anträgen gegen die Presse ist immer Zeit und Lust vorhanden. Der viel näher liegende Weg, es durch die Abstellung der gerügten Uebelstände der Presse zu ersparen, sich mit ihrer Kritik an schlechte staatliche Einrichtungen, an Uebergriffe von Behörden und einzelnen Beamten heranzumachen, wird in der Regel viel langsamer beschritten, als der, mit Hülfe des Strafgesetzbuches den Staat zu retten.

Wenn bisher zahlreiche Urtheile der Gerichte zu solchem Verhalten ermuthigt haben, so ist es um so erfreulicher, wenn einmal ein Urtheil des Reichsgerichts angeführt werden kann, das der Presse giebt, was der Presse zukommt, und das hoffentlich manche Behörden zurückhaltender machen wird in der von ihnen beliebten Praxis der strafgesetzlichen Verfolgung ihrer Kritiker.

Es handelte sich bei diesem Urtheil des Reichsgerichts um die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urtheil des Landgerichts Magdeburg vom 16. Januar d. I., durch welches der Redakteur derMagdeburger Volksstimme Dr. Heinrich Lux, von der Anklage, die Offiziere, Unteroffiziere und Gemeinen der preußischen Armee beleidigt zu haben, frei­gesprochen worden ist. Inkriminirt war ein Artikel unter der UeberschriftMilitarismus", welcher am 28. Mai v. J. in dem genannten Blatte erschien und aus demHamburger Echo entnommen war. Es waren darin die einige Tage vorher bekannt gewordenen Ausschreitungen einzelner Offiziere u. s. w. erwähnt worden, wobei dann auch einige Worte der Entrüstung mit einflossen; u. A. war gesagt, es gehöre zum Ton, gegen das Zivilpack in ebenso dummer wie brutaler Weise zu pöbeln. Vom Landgericht wurden folgende Thatsachen als erwiesen an genommen:

Am 25. Mai 1892 benutzte ein Lieutenant in Mainz unbefugt eine Ackerfurche, wobei es ihm in Folge schwan­kenden Ganges schwer wurde, die Furche einzuhalten. Er redete einen Soldaten an, weil derselbe sich nicht bei ihm meldete. Der Lieutenant glaubte sich beim Weiter­gehen durch Bemerkungen von Arbeitern belästigt, faßte an seinen Säbel und sagte: Wollen Sie sterben? Wenn Sie nicht etwas kaltes Eisen in den Magen bekommen wollen, so entfernen Sie sich möglichst rasch. An einem anderen Tage kam der Husarenlieutenant von Lucius in den Englischen Garten in Mainz und stellte den Polizei­beamten K. darüber zur Rede, wie er sich unterstehen könne, seinen Hund anzuzeigen, seine Hunde seien immer

Heimath des Glücks.

Roman von Max von Weißenthurn.

(Nachdruck verboten.)

(2. Fortsetzung.)

Du willst spazieren gehen, wie ich sehe", sprach Herr Clyde in liebenswürdigem Ton. Er war ein Freund schöner Worte und pflegte als solcher die elegante Phraseologie auf Clyst=Hazel eben so sorgfältig, als da er noch im ärmlichen Heim sich von seinen Töchtern erhalten ließ. Zu jener Zeit war er gegen Hetty zwar oftmals scharf und bissig gewesen, was jetzt nie mehr vorkam; der Herrin von Clyst=Hazel gegenüber legte er im Gegentheil eine förmliche Unterwürfig keit an den Tag, welche das Mädchen einfach mit Verachtung vor dem Vater erfüllte, die zu verbergen sie sich kaum die Mühe gab. Innerlich aber war Herr Clyde trotzdem durchaus nicht immer mit seiner jüngeren Tochter zufrieden; nach seiner Meinung pflegte sie in ihrem neuen Lebenskreise nicht im mindesten jenen Umgang, welcher für die Herrin von Clyst­Hazel paßte, und er hatte wiederholt versucht, sie darauf aufmerksam zu machen. Er that es auch jetzt.

Du willst vermuthlich zur Baronin Selwyn, sprach er mit etwas scheuem Blick. Du schuldest ihr ja einen Besuch.

Nein!" erwiderte Hetty kurz.Lady Selina hat mich gestern genug gelangweilt; ich sehe nicht ein, weshalb ich mich heute bereits wieder von ihr langweilen lassen soll, nur weil ich ihr einen Besuch schulde. Ich gehe nach dem Tower=House.

Nach dem Tower=House? wiederholte Herr Clyde etwas unsicher.Fürwahr, liebes Kind, Du mußt mir gestatten, eine Bemerkung zu machen, welche mir schon oft auf den Lippen schwebte. Herrn Vandergrist's Benehmen gegen Dich ist nicht ganz so, wie es sein sollte. Euren wechselseitigen Beziehungen weit entsprechender wäre es, wenn er Dir zu Diensten stehen würde, anstatt daß die Sache umgekehrt ist.

Herr Vandergrift kann mir doch wohl nicht jeder Zeit zur Verfügung stehen, weil er zufällig mein Vormund ist!" erwiderte das junge Mädchen ruhig.Ich weiß, daß Du ihn nicht magst, und vielleicht ist er mir nicht sympathischer als Dir, aber es läßt sich nun doch einmal nicht leugnen, daß wir ihm zu Dank verpflichtet sind. Es kann ihm schwerlich ein Gefallen damit bereitet sein, daß Herrn von Maquoil's letzter Wille ihn mit der Sorge um mich und meine Zukunst delastete. Wenn ich übrigens nach dem Tower=House gehe, so geschieht es nicht um seinet=, sondern um seiner Schwester willen."

Ich weiß, mein liebes Kind, ich weiß! Du scheinst dem Fräulein Vandergrift außerordentlich zugethan zu sein!" be­eilte Herr Clyde sich einzulenken.

Ja, ganz außerordentlich!" bestätigte Hetty, indem sie ohne Weiteres den Gartensaal verließ.

Ihre blauen Augen blitzten noch in der Erinnerung an

unter Aufsicht. Als K. entgegnete, er könne die Anzeige nicht zurücknehmen, erwiderte Herr von Lucius: Wollen Sie die Anzeige sofort zurücknehmen, Sie Hallunke, ich arretire Sie sosort. Der Beamte entgegnete, er sei im Dienst, worauf der Lieutenant erklärte: Ich steche Sie nieder. Erst als ein anderer Anwesender mit einem Knüppel den Öffizier bedrohte, wenn er den K. nicht in Ruhe lasse, entfernte sich Herr von Lucius. Dann wird erwähnt, daß derselbe Lieutenant einen Zivilisten auf­forderte, über sein vorgestrecktes Bein zu springen, wobei er ausrief: Ihr sollt einen preußischen Lieutenant kennen lernen! Herr von Lucius ist dieserhalb disziplinarisch be­straft worden. Weiter war der Fall des Lieutenants Ley ecker in Mainz erwähnt, welcher einen Herrn mehr­mals mit dem Säbel von hinten über den Kopf geschlagen hat. Von einem anderen Offizier in Speier wird berich­tet, daß er wegen Mißhandlung und Beleidigung zu 43 Tagen Festungshaft verurtheilt worden ist, weil er einen Unteroffizier auf der Straße ins Gesicht geschlagen und gesagt hat: So ein Sauhund denkt, er braucht keinen Infanterielieutenant zu grüßen. Endlich werden noch ähnliche Ueberschreitungen, die von Unteroffizieren 2c. be­gangen sind, registrirt.

Das Gericht ließ nun dem Artikel folgende Beurtheilung zu Theil werden: Der Inhalt ist zwar drastisch und theilweise beleidigend. Nach dem Wortlaute erscheint es aber unbedenk­lich, daß der Artikel nur die Thäter, nicht aber alle Militär­personen treffen wollte. Der Presse muß das Recht zuerkannt werden, Uebelstände zu besprechen. Hier handelte es sich um solche, nämlich um Ueberhebung und Rohheit von Militär­personen gegen Zivilpersonen u. s. w., endlich auch um den Mißbrauch der Gewalt gegen Untergebene. Solche Handlungen verstoßen gegen die gute Sitte und die Anordnungen der Staatsbehörden. Alle die erwähnten Fälle fordern zweifellos die öffentliche Kritik heraus, und hierzu ist eine Zeitung ein geeignetes Organ. Einerseits werden die Uebelstände dadurch den Behörden bekannt gegeben, andererseits wird ein gewisser moralischer Druck auf die vorgesetzten Behörden ausgeübt, eine Untersuchung einzuleiten und eventuell eine Abstellung derartiger Mißstände herbeizuführen. Der Angeklagte handelte also in Wahr­nehmung des berechtigten Interesses(§ 193), welches jeder Staatsbürger daran hat, daß solche Handlungen nicht vorkommen. Auch glaubte man ihm, daß er subjektiv sich in dem guten Glauben befunden hat, daß eine Anrufung der Behörden nutzlos sei und nur eine öffentliche Besprechung das einzige Mittel zur Abstellung der Mißstände bilde. Einzelne Ausdrücke sind zwar sehr stark, z. B.pöbelndes Rowdythum, aber die zulässige Grenze ist nicht überschritten; die Ausdrücke waren der Sachlage ent­sprechend, jedenfalls nicht übertrieben. Deshalb war der Angeklagte freizusprechen.

Die Revision des Staatsanwalts wurde wie dem Vorwärts gemeldet wird am 20. d. M. verworfen, weil das Reichsgericht annahm, daß der Eröffnungsbeschluß ent­gegen der Behauptung völlig erschöpft worden sei und daß das Gericht dem Angeklagten ohne Rechtsirrthum nach Lage des Falles den Schutz des§ 193 zugebilligt habe.

Da von den verschiedensten Gerichten, früher sogar vom Reichsgericht selbst, in überraschendster Verkennung der Be­deutung des§ 193, der Presse als solcher die Berufung auf den Schutz dieses Paragraphen abgeschnitten worden ist, so wird die neuere Entscheidung des höchsten Gerichtshofes um so mehr in's Gewicht fallen, je dringlicher sich das Bedürfniß erweisen wird, daß der in den Parlamenten geführte Feldzug gegen die Uebergriffe des Militarismus und der nach seinem Musterschneidigen" Bureaukratie in der unabhängigen Presse seine Fortsetzung, beziehungsweise Ergänzung finde. Die Be­

diese kleine Szene, als sie in der Begleitung ihres mächtigen Bernhardiners, den Vandergrift ihr vor Monatsfrist beim Willkommen zum Geschenk gemacht hatte, auf dem Wege nach Church, der Clyst=Hazel nächsten Ortschaft, war und halblaut sprach sie vor sich hin:

Ich wollte, er würde sich diese überflüssige Mühe sparen. Ich werde immer zornig, wenn er mich mit seinen Ausstellungen beglückt. Ich bin überzeugt, auch Vandergrift ist dieser Ton schon aufgefallen. Warum nur trieb es mich, dem Vater gegenüber zu thun, als ob ich ihn nicht leiden könnte? Ich weiß freilich selbst nicht recht, ob ich ihn mag oder nicht. Wenn er nicht mein Vormund wäre, hätte ich ihn vielleicht ganz gern, aber der Gedanke, daß er mir alles vorschreiben und befehlen will, was ich thun und lassen soll, als ob ich ein kleines Kind wäre und mehr noch, daß er dazu das Recht hat, der Gedanke ist mir unaussteylich! Ich weiß, daß er mich für eine Gans hält, aber brauchte er mir es gar zu deutlich zu zeigen, was er von mir denkt, Sultan? Die Frage galt dem neben ihr her trabenden Hunde, der bei dieser ihrer Anrede sie mit klugem Blick ansah. Derselbe schien sie zu elektrisiren.Komm, Sultan, rief fie,Niemand sieht uns, wir wollen um die Wette laufen!

Ein Wettlauf war es denn auch wirklich, den beide aus­führten, bis das Tower=House in Sicht kam.

Angesichts desselben schritt die junge Herrin von Clyst­Hazel plötzlich so gemessen einher, daß selbst der strengste Anstandsrichter nichts an ihr auszusetzen vermocht hätte.

Toozer, das vertraute Faktotum des Hauses, öffnete ihr. An seiner Miene sah sie sofort, daß hier irgend etwas ge­schehen sein mußte.

Ich bitte um Entschuldigung, gnädiges Fräulein", sprach er gedämpften Tones,aber Fräulein Agnes war recht leidend und ist jetzt endlich eingeschlafen, nachdem sie die ganze Nacht und den ganzen Morgen über kein Auge schließen konnte!

O, wie mir das leid thut!" antwortete Hetty theil­nehmend.Sagen Sie ihr, wenn sie erwacht, daß ich hier war und daß ich morgen früh nachfragen werde, wie es ihr geht.

Sie hatte dabei ihre Hand auf den Hals des Hundes gelegt und wollte sich jetzt wieder zum Gehen wenden, als der Alte sie daran hinderte.

Gestatten mir gnädiges Fräulein noch die Mittheilung, daß, wenn Sie mit dem Herrn zu sprechen wünschen, derselbe im Bureau ist! sagte er.

Herrn Vandergrift?"

Hetty's Augenbrauen zogen sich zusammen, während ihr gleichsam wider ihren Willen der Name entfuhr. Schwankte sie in ihrem Entschluß, so war dieses Schwanken schnell überwunden.

Ja, ich will mit ihm sprechen, Toozer", entschied sie sich. Bitte, bleiben Sie auf Ihrem Posten; ich kenne den Weg!

Und ihm zunickend, bog sie in den Korridor ein, welcher ihn in die Kanzlei führte. Während sie das that, sollte sie erkennen, daß sie eine etwas übereilige Behauptung aus­

hörden aber, welche es lieben, mit dem trügerischen Allheil­mittel der Strafverfolgung gegenlästige" Kritiken vorzu­gehen, mögen das vorstehende Reichsgerichtserkenntniß in Pausen von je 24 Stunden dreimal sorgfältig durchlesen, ehe sie die Gerichte mit ihren Anträgen behelligen. Und von den Gerichten erwarten wir, daß sie sich im Interesse der sammtheit mit dem Geiste dieses Erkenntnisses nach Mög­lichkeit erfüllen.

kolumbische Weltausstellung

in Chicago ist gestern unter Entfaltung großen Pomps eröffnet worden. Als Gedenkfeier der Entdeckung Amerika's ist die Weltausstellung in Chicago gedacht, aber es ist nicht ihr Zweck, die Vergangenheit in die Erinnerung zurückzurufen, wie wir es an unseren Säkularfeiern gewohnt sind. Sie zeigt uns vielmehr die machtvolle, jugendkräftige Gegenwart. Amerika fordert das in der Kultur ergraute Europa, dem es sein Da­sein verdankt, in die Schranken, und man darf annehmen, daß der Erdtheil jenseits des Wassers mit Ruhm bestehen wird. An schöpferischer Kraft übertrifft er zweifellos den alten Kon­tinent, seine Erfindungen sind von epochemachender Bedeutung, seine Industrie von großer Vollendung, weil seine Verbindungs­wege unendlich viel praktischer sind und weil beinahe der ganze nördliche Erdtheil einen einzigen Staatenbund bildet. Keine Zollschranken innerhalb dieses ungeheuren Gebiets hin­dern den Verkehr, kein Nationalitätenhaß trennt die Einwohner der Union, die nicht von der Last einer Gosellschaftskaste er­drückt wird, welche als solche kein eigenes Verdienst auf­zuweisen hat und ihre Daseinsberechtigung nur aus derTra­dition" herleitet.

Wir beneiden Amerika um die große nationale That, um die Weltausstellung, die den Mittelpunkt eines internationalen kosmopolitischen Freiheitsfestes bildet. Die Ausstellung stellt den Triumph des Nährstandes, der schaffenden Bürger= und Arbeiterklassen dar; sie ist eine Verherrlichung thatkräftiger Arbeit und schöpferischer Erfindungskraft. Die Union kann stolz darauf sein, daß sich die europäischen Kulturstaaten beeilt haben, ihrem Rufe Folge zu leisten.

In ihrem Uebermuth haben die Vereinigten Staaten allerdings auch schwer gesündigt, und trotz ihres Ehrentages seien sie an ihre Fehler erinnert. Die Abschließung gegen Europa durch den Mc Kinley=Tarif hat Amerika ebenso tiefe Wunden geschlagen, als den europäischen Ländern. Ihre eng­herzige Monroe=Doktrin, welche Amerika für die Amerikaner fordert, ist ein Hohn auf die moderne Kultur. Warum sollte gerade jetzt diese Doktrin gelten, warum galt sie nicht vor fünfzig, vor hundert Jahren, oder gar zu der Zeit, als Co­lumbus Amerika entdeckte?

In ihrer Berührung mit Europa haben die Amerikaner Rost angesetzt. Die Monroe=Doktrin und ihr Schutzzollsystem ist unverkennbar europäischen Ursprunges. Wir dürfen aber hoffen, daß die Weltausstellung in Chicago eine Annäherung Amerika's an unseren Kontinent in wirthschaftlicher und ethnischer Beziehung herbeiführen wird. Den europäischen Besuchern der Ausstellung aber wünschen wir, sie mögen mit vollen Zügen die freiheitliche Luft einathmen, welche Amerika durchweht. Das wird ihren Lungen gut thun!

Ueber die gestrige Eröffnungsfeier liegt uns folgen­der telegraphischer Bericht aus Chicago vor: Während an den letzten Tagen und auch noch heute Morgen früh heftige Regen­güsse fielen, blieb die Feier der Eröffnung der Weltausstellung ungetrübt durch Regen, sodaß die riesige im Freien vor dem großen Staatsgebäude angebrachte Tribüne benutzt werden konnte. Der Anblick war ungemein malerisch. Auf der Tri­büne hatten Abgesandte fast aller Staaten der Erde, zum Theil in bunter Uniform, Platz genommen. Vor der Tribüne aber wogte unübersehbar ein wahres Menschenmeer. Auf den

gesprochen hatte. Dennoch wähnte sie, nach einigen Minuten vor der richtigen Thür zu stehen, und sie wußte es selbst nicht, weshalb sie so seltsam zaghaft ihre Hand auf den Drücker derselben legte.

Die Thür war nur angelehnt, und sie daher lautlos öffnend, glaubte sie ihren Vormund zu sehen, welcher ihr den Rücken zugewandt stand. Ja, die hohe Gestalt, die breiten Schultern, das schwarze Haupthaar ließen sich nicht verkennen; sie trat ein und nannte seinen Namen:

Herr Vandergrift!

Die hohe Gestalt wandte sich hastig um, und Hetty wich mit einem Schrei zurück. Dieser Mann mit dem eingefallenen Gesicht, dessen Augen so unheimlich glühten, dessen Haar un­geordnet über die Stirn fiel, war nicht ihr Vormund. Von rückwärts hätte man ihn allenfalls für einen Doppelgänger Hermann Vandergrift's halten können. Aug' in Aug' gesehen, war er jedoch um mindestens 20 Jahre älter, ein von Kummer und Sorge gebeugter Mann mit einem wilden, verzweifelten Ausdruck in seinen Zügen, vor welchem Hetty erschrak. Ihre Hand ließ das Halsband des Hundes, an welchem sie diesen hielt, sich entgleiten; sie wollte sprechen, aber jeder Laut erstarb ihr auf den Lippen Angesichts der furchtbaren Wandlung, die in seinen Zügen vorging, während er plötzlich auf sie zustürzte, sie an der Hand erfaßte und sie geradezu gewaltsam an das Fenster zog.

Wer sind Sie? stieß er dabei aus, indem er ihr forschend in die Augen sah und seine Rechte ihr Handgelenk mit so eisernem Griff umspannte, daß sie, wäre sie weniger erschrocken gewesen, vor Schmerz laut aufgeschrieen hätte.Mädchen, woher kommen Sie? Wie heißen Sie? Wer sind Sie? Wer sind Sie? Ich will, ich muß es wissen?"

Gundry!" tönte da plötzlich der laute Ruf durch das Gemach, und Hetty und ihrem zurücktaumelnden Angreifer gegenüber stand Hermann Vandergrift.

IV.

Ein Räthsel.

Gundry!" wiederholte der Eingetretene im Tone von Ueberraschung und Unmuth.Was ist Ihnen? Was ver­anlaßt Sie, Fräulein Clyde geradezu zu attackiren?

Es entging Hetty nicht, welche gewaltige Wandlung die Worte in dem Manne, an den Vandergrift dieselben richtete, hervorriefen. Wie geistesabwesend starrte er sie und dann ihren Vormund an. In späteren Tagen erst sollte sie diesen Blick verstehen lernen.

Ich bitte um Verzeihung!" stammelte er.Ich weiß nicht, was ich that. Ich hatte eine Vorstellung, eine Vision führte mich irre, ich bitte tausendmal um Verzeihung!"

Die Ihnen Fräulein Clyde zweifellos bereits gewährt hat! schnitt Vandergrift die verworrene Rede des alten Mannes ab.Toozer sagte mir, daß Sie mich sprechen wollten, Fräulein Hetty! wandte er sich dem jungen Mädchen zu.Ist es Geschäftliches, was Sie hierher führte?"

Dächern, den Kuppeln und den Standbildern harrten Unzäh­lige in Spannung der Dinge, die da kommen sollten. Der Anfang der Feier war recht unpünktlich, nämlich nach 11 Uhr statt um 10 Uhr. Dazu waren die Reden und Gesänge außer in nächster Nähe unhörbar, so daß die Massen ungeduldig gegen die Tribünen andrängten. Da zu wenig absperrende Soldaten zugegen waren, entstand ein großes Gedränge, besonders gegen die untere Tribüne, die für die Vertreter der Presse vorbehalten war. Die Soldaten mußten die Menge gewaltsam zurück­drängen, die Leute aber, die von den hinter ihnen Stehenden nachgedrängt wurden und nicht vorwärrs noch rückwärts konnten, durchbrachen die Schranken, stürmten auf die Preß­tribüne und zerbrachen dort einige Tische und Bänke, doch wurde Niemand verletzt. In diesem bedenklichen Augenblick gab glücklicherweise der Präsident Cleveland das Zeichen zur Eröffnung; er drückte auf einen elektrischen Knopf, und im selben Augenblick wurden gleichzeitig alle Fahnen alle Springbrunnen sprangen, das Geläute aller Glocken hob an und vermischte sich mit dem Donner der Kanonen. Es war ein unbeschreiblich großartiger Augenblick. Aus den Kehlen der ungezählten Tausende erscholl ein überwältigendes Hoch. Alle, nicht nur die Amerikaner, gaben durch Hüte= und Tüscher­schwenken ihrer Begeisterung einen lebhaften Ausdruck. Die Zuschauermenge staute sich ob des einzigen Anblicks, verlief sich aber später in aller Ruhe. Der Präsident Cleveland wurde bei seinem Rundgange durch das Manufakturing Buil­ding in der deutschen Abtheilung durch den Reichskommissar Wermuth an der Spitze der deutschen Vertretungen empfangen; er sprach den Herren seine freundlichste Anerkennung über die Vollendung und den Geschmack der deuschen Ausstellung aus.

Politische Uebersicht.

Düsseldorf, 2. Mai.

Gewitterschwüle lagert über dem politischen Horizont. Die Militärvorlage soll morgen zum zweiten Male im Reichs­tag gelesen werden. Von Kompromißanträgen ist die Rede, die von den Oppositionsparteien gestellt werden, um eine Verständigung mit der Regierung zu erzielen. Ein Centrumsabgeordneter, Freiherr v. Huene, ist es, der der Regierung folgendes Angebot gemacht hat. Bekanntlich verlangt die Militärvorlage eine Erhöhung der Friedens­präsenzstärke um 83,894 Mann. Durch die Normirung der Präsenzziffer als Durchschnittsziffer statt der Maximalziffer ergiebt sich eine weitere Erhöhung um 20,000 Mann. Abg. v. Bennigsen hatte unter Annahme der Durchschnittspräsenz­erhöhung statt 83,894 Mann zuerst 42,000 und dann 49,000 Mann angeboten. Nunmehr hat Abg. Freiherr v. Huene ein Angebot von 70,000 Mann(Unteroffiziere und Gemeine) gemacht. Diese Ziffer soll staffelweise in verschiedenen Ter­minen innerhalb von drei Jahren erreicht werden, derart, daß die Präsenzerhöhung mit 49,000 beginnt und bis zu 70,000 Mann aufsteigt. Das Angebot würde gleichbedeutend sein mit einer Verstärkung des Rekrutenkontingents um 53,500 Mann statt von der Regierung verlangten 60,000 Mann. Das An­gebot Huene deckt sich genau mit demjenigen, was schon in den Österferien von der offiziösen Presse als zulässige Herab­

Sie hatte während seiner Worte Zeit gehabt, sich zu fassen; seine Art, wie er den Mann, dessen Angriff sie so sehr erschreckt hatte, behandelte, ließ sie seine Ueberlegenheit mehr denn je erkennen, und mit leisem Trotz erwiderte sie:

O nein, ich wollte Sie nicht sprechen. Ich kam, um Agnes zu besuchen, und da ich hörte, daß sie krank sei und schlief, so wollte ich Sie bitten, ihr zu sagen, wie sehr leid mir dies sei und daß ich morgen wieder kommen wolle, um mich zu überzeugen, ob sie sich besser fühle."

Sie war, während sie diese Worte sprach, nicht mehr bleich, und ihre anmuthige Erscheinung stach in seltsamer Weise ab von dem nüchternen Bureauzimmer. Hermann Vandergrift mochte sich dieser Eindruck aufdrängen; er stand wie verzaubert, bis eine unwillkürliche Bewegung, welche sie machte, ihn zur Seite treten ließ, wie um ihr den Ausgang direkt in den Garten freizugeben.

Sie wollen nach Clyst=Hazel zurückkehren?"

Er stellte die Frage, wie um nur überhaupt etwas zu sagen; sie aber legte ihm dieselbe wie eine Vermessenheit zur Last. Welches Recht hatte er denn, Alles wissen zu wollen, was sie that oder nicht that? Einzig und allein, weil er ihr Vormund war?

Sie neigte leicht den Kopf als Erwiderung und schritt an ihm vorüber; doch nutzlos, er folgte ihr.

Gestatten Sie mir, daß ich Sie nach Hause begleite, Fräulein Hetty," sprach er, draußen angelangt, zu ihr.Ich denke, es interessirt Sie, etwas über den Mann zu erfahren, dessen Bekanntschaft Sie auf eine so sonderbare Art und Weise machen mußten.

Sie konnte sich nicht verhehlen, daß diese Begegnung in ihr ein nicht geringes Interesse wachgerufen hatte.

O, gewiß interessirt mich das! entgegnete sie, einem raschen Impuls folgend.Wer ist er? Ist er mit Ihnen verwandt? Ich meine, weil er Ihnen so ähnlich sieht!" Vandergrift prallte fast zurück.

Mir ähnlich? wiederholte er.

Hetty nickte eifrig.

Ja," bestätigte sie,freilich nicht, was man im Allge­meinen ähnlich nennt, aber als ich in das Bureau trat und er über das Pult gelehnt dastand, glaubte ich wirklich einen Augenblick, Sie waren es, und nannte ihn auch in Folge dessen bei Ihrem Namen!

Um in der nächsten Minute in recht unangenehmer Weise Ihren Irrthum zu erkennen!" versetzte er lächelnd. Es mögen sechs Monate her sein, als er zum ersten Mal meinen Lebensweg kreuzte. Er heißt Fabian Gundry und steht, soviel mir bekannt ist, gänzlich allein im Leben. Sehen Sie, hier wohnt er!

Sie waren, langsam nebeneinander dahinschreitend, an eine niedrige Gartenmauer gelangt, welche ein kleines, reben­umranktes Häuschen einhegte; dasselbe lag äußerst idyllisch, trotzdem machte es einen einsamen, verlassenen Eindruck.

Unwillkürlich sprach Hetty mit leiser Stimme, als ob da drinnen ein Todter läge.