6. Jahrgang.

Bonn, Sonntag den 28. Januar 1877(Erste Ausgabe.)

Nr. 25.

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Organ für das kakholische deutsche Folk.

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* Landtagsverhandlungen.

Abgeordnetenhaus.

7. Sitzung vom 25. Januar.

12 Uhr. Am Ministertische: Leonhardt, Geh. Räthe Rindtfleisch, Starke und Oehlschläger und zahlreiche Commissarien.

Zweite Berathung der Vorlage, betreffend die nach dem Gesetz über das Kostenwesen in Auseinandersetzungssachen vom 24. Juni 1875 zu gewährenden Tagegelder, Reisekosten und Feldzulagen.

Zu Titel 5(Antheil an dem Arbeitsverdienst der Gerichtsgefangenen 483.350.) rügt Abg. Röckerath die Art und Weise, in welcher

gegenwärtig von der preuß. Gefängnißverwaltung die Arbeit der Ge­jungenen einem Großindustriellen in Entreprise gegeben und zu deren Privatvortheil unter empfindlichster Schädigung der Kleinindustrie und des freien Handwerks ausgebeutet werde. 52 Abg. Eberty: Die Klagen der Industriellen und der Handwerker über die nicht gerechtfertigte Concurrenz durch Beschäftigung der Ge­fangenen sind im vollsten Maße begründet. Die Sache ist geradezu zu einer Calamität für das Land geworden. Ich habe von je her die in Irland und England mit so großem Glück durchgeführte Beschäftigung der Gefangenen an öffentlichen Werken befürwortet. In England be­trägt der Procentsatz der Rückfälligen unter den Verbrechern 5 bis 7 Procent, in Preußen aber 78 Procent(Hört!), das ist eine schwer­wiegende und schneidige Verurtheilung des bei uns herrschenden Systems. Ich behalte mir vor, beim Etat des Ministeriums des Innern ausführ­lich auf diesen Gegenstand zurückzukommen.

Zu Titel 1 der dauernden Ausgaben(Gehalt des Justiz­Ministers) spricht

Abg. Schröder(Lippstadt): Zu den Pflichten des Justizministers gehört bekanntlich auch die Ueberwachung der Staatsanwälte. Schon längst haben wir nun in Preußen den Eindruck, daß die Staatsanwälte nicht mehr auf dem Wege sind, eine ruhige, ordnungsmäßige Pflege der Criminaljustiz zu führen und wie das Gesetz vom Jahre 1849 in§ 3 für sie vorschreibt, dafür zu sorgen, daß kein Unschuldiger verfolgt werde. Wäre das wirklich der Fall, so hätten wir nicht so viel Freisprechungen und Anklagen, die geradezu erheiternd wirken, wenn man den logischen Sprüngen folgt, die nach gewissen Richtungen hin darin ausgeführt werden. Ich erinnere nur an die letzte Freisprechung des social=demo­kratischen Abgeordneten Fritzsche in Berlin. Wer diese Anklage und die Verhandlungen vor Gericht gelesen, der muß in der That die Achseln so hoch wie möglich zucken.(Heiterkeit.) Statt im Bewußtsein ihres Amtes ihren Verpflichtungen nachzukommen, hat sich bei vielen Staatsanwälten, namentlich bei den geistig minder begabten(Heiterkeit), schon längst die Idee eingenistet, daß es ihr hauptsächlicher Beruf sei, den Staat retten zu helfen gegen die oppositionellen Parteien, die Social=Demokraten und die sogenannten Ultramontanen. Welche Erfolge gegen die ersteren da­mit thatsächlich errungen find, dafür liefern ja die Berliner Reichstags­Wahlen einen schlagenden Beweis; bekanntlich haben ja die Social­Demokraten am Abend des Wahltages nach Constatirung ihres glän­zenden Sieges in Berlin auf Herrn Tessendorf in öffentlicher Versamm­lung ein Hoch ausgebracht.(Heiterkeit.) Ich habe insbesondere hier fol­genden Fall von staatsanwaltlicher Verfolgungssucht gegen die Ultra­montanen zur Sprache zu bringen. In meiner Heimath Westfalen wurde am 5. Januar dieses Jahres eine förmliche Razzia abgehalten auf sämmtliche Dekane der Diöcese Paderborn; es wurde hausgesucht nach Documenten, welche die amtliche Thätigkeit des Bischofs Martin von Paderborn, dem außer Heren Himly, der bekanntlich Staatsvertreter des­selben ist, noch Alle gehorchen, nachweisen sollten. Als ich am 9. Januar von einer Wahlreise aus Dortmund zurückkehrte, wo ich versucht hatte, den Collegen Berger aus dem Sattel zu heben(Heiterkeit), traf ich einen der Herren, bei dem man hausgesucht hatte, auf der Eisenbahn und er­fuhr von ihm, daß er deshalb nach Hause eile, um wieder einmal seine Briefe aus den Händen des Staatsanwalts in Empfang zu nehmen. Ich erkundigte mich ganz erstaunt, wie das komme, und er versicherte mir, daß schon seit mehreren Tagen nota bene ohne daß irgend welche gerichtliche Untersuchung gegen ihn anhängig war sämmtliche Briefe auf der Post, die auf ihn lauteten, dem Staatsanwalt ausgehän­digt würden(hört! hört! im Centrum), daß dieser sodann jeden Morgen mit den Briefen zu ihm komme und ihn zwänge, die Briefe in seiner Gegenwart zu eröffnen und ihn Einsicht von denselben nehmen zu lassen. (Hört!) Ich frage Sie, meine Herren, und ich frage den Justizminister, auf Grund welches Gesetzes der Staatsanwalt längere Zeit hindurch sämmtliche Briefe an einen Staatsbürger,(Domcapitular Klein) gegen den gar nichts vorliegt, durch einfache Requisition auf der Post an sich selbst dirigiren lassen und den Adressaten zwingen darf, in seine Corre­spondenz Einsicht zu gestatten. Hier muß man wirklich sagen: da hört doch in Preußen Alles auf.(Sehr wahr! im Centrum.)

Die Veranlassung hierzu ist eine so nichtige, daß man eine so unge­heuerliche Verletzung des einfachen Anstandsgefühls, wie es unter Gent­lemens doch üblich ist, gar nicht begreifen kann. Daß der Bischof nach wie vor sein bischöfliches Amt in seiner Diöcese ausüben wird, das wird ja der Oberstaatsanwalt niemals hindern.(Oho! links.) Ja, m.., glauben Sie denn, daß jemals ein römisch=katholischer Bischof sich an die Urtheile der Herren Kannegießer und Genossen im Geringsten kehre? (Hört! Große Unruhe links.) Und glauben Sie denn, daß irgend ein anständiger katholischer Mann sich dadurch hindern lassen wird, den Ge­boten seines Bischofs in Kirchensachen nach wie vor zu gehorchen? Sie sollten sich doch freuen, daß es der Flexibilität der preußischen Richter gegenüber noch Leute gibt, die Charakter haben. Es ist ja ganz selbst­verständlich, daß unsere Bischöfe noch heute vom Auslande aus ihre Diöcese regieren und daß das den Staat ganz und gar nichts angeht. (Oho! Lebhafter Widerspruch links.) Geht es so fort wie bisher und werden alle unsere Bischöfe abgesetzt, nun so wird Preußen eben ein Land wie andere Länder auch, wo die Bischöfe bloß in partibus infide­lium regieren, dann kommt Preußen zu Hinterindien, zu Dahomey in Afrika und zu den Botokuden.(Gelächter links.) Meine Herren, ich bitte Sie doch dringend, nicht zu lachen, die Sache ist sehr ernst ge­meint: wenn die heut herrschende Wirthschaft bei uns so fortgeht, dann werden noch ganz andere Aehnlichkeiten zwischen Dahomey und Deutsch­land eintreten.(Wiederholte Heiterkeit.) Uns gegenüber halten Sie eben alle Mittel für erlaubt. Selbst die Partei, von der ich immer ge­hofft hatte, daß sie nun ernstlich bestrebt sein werde, daß wir endlich mit diesem Culturkampf aufhören, die Fortschrittspartei, die ja die Trennung von Staat und Kirche auf ihr ursprüngliches Programm geschrieben hatte, sehen wir zu unserem Bedauern den Kampf in derselben Weise gegen uns führen, wenigstens hier im Abgeordnetenhause. Ja Sie, m. H. (zur Fortschrittspartei), sind die eigentlich confessionelle Partei, denn Sie haben die Altkatholiken in Ihrer Mitte und suchen auf jede Weise den Altkatholicismus zu fördern, dem ich übrigens persönlich allen Fortgang

wünsche.(Heiterkeit. Rufe: Zur Sache!)

Präsident v. Bennigsen bemerkt, daß die letzten Ausführungen des Redners allerdings in gar keiner Verbindung mehr mit dem Justiz­

stat ftanden.,ipug). T. Ein i2 Lam CxTi5mn mit k.

Abg. Schröder(Lippstadt): So will ich denn schließen mit der Aufforderung an den Justizminister, er möge seine Staatsanwalte mehr an die Kandare herannehmen, damit sie nicht durchgehen.(Beifall im Centrum. Zischen links.)

Justizminister Dr. Leonhardt: Ich muß generell leugnen, daß die Staatsanwaltschaft den gesetztichen Vorschriften nicht nachkomme, und muß insonderheit in Abrede stellen, daß die Staatsanwalte zur Zeit und überhaupt während meiner Amtsführung die objective Ruhe nicht beob­achtet hätten. Im Allgemeinen wird das genügen. Nun hat der Vor­redner ganz unbestimmt eine Reihe von Beschwerden vorgebracht und es beklagt, daß im Bezirke des Appellationsgerichts Paderborn Haus­suchungen stattgefunden hätten, ein Wechsel des Untersuchungsrichters vor­genommen wäre u. dgl.., und ich darf wohl annehmen, daß er glaubt, dies wäre gegen die Ordnung geschehen. Darüber kann ich gar nichts sagen, es ist mir nichts davon bekannt geworden. Ich habe Ihnen schon in der vorigen Session gesagt, es ist ganz unmöglich, daß der Justiz­minister über jeden Vorgang innerhalb der Instizpflege Rechenschaft ge­ben kann. Ich habe damals gebeten, man möchte mir doch derartige Vorgänge vorher mittheilen(Sehr richtig!), dann wäre ich möglicher

Weise in der Lage, Auskunft zu geben. Aber diesen allgemeinen Be­hauptungen gegenüber kann ich weiter nichts antworten, als was zich bis jetzt gethan habe.

Abg. Dr. Lasker: Der Abg. Schröder hat sich gewundert, daß bei seinem Vortrage Lachen im Hause entstand, und uns aufgefordert, seine Rede doch mit Ernst anzuhören; er hat aber vergessen, daß dieses Lachen bloß eine Consequenz seiner Rede war, daß er es also in der Hand hatte, dasselbe zu vermeiden. Als er anfing von Beschlagnahmen, die ungesetz­lich vorgenommen seien, zu sprechen, war man still und aufmerksam, weil wir diesen Dingen, wenn sie begründet waren, die größte Aufmerksamkeit zugewendet hätten. Wenn er aber dann eine ganze Reihe von Sachen vorbringt, die mir ein Rest aus den Wahlversammlungen zu sein schie­nen, und gar nicht in das Haus hineingehören(Oho! im Centrum; Sehr richtig! links), so braucht man sich nicht zu wundern, wenn wir meinten, es wäre ihm mit der ganzen Discussion gar nicht Ernst, und Sie(im Centrum) wären nunmehr in das humoristische Stadium ge­kommen, und wir gratulirten uns schon dazu, daß Sie den Humor ge­funden hatten.(Heiterkeit.) Die Rede hatte aber auch eine ernste Seite. Sie(im Centrum) führen immer die beliebten Stichworte im Munde: Wir sind die kräftigen Männer, wir haben einen unbeugsamen Nacken, wir wahren die Freiheit und das Recht, kurz, Sie sagen von sich Alles Schöne, was ein Mensch mit parlamentarischer Bescheidenheit von sich sagen kann und von den Gegnern wird alles Schlechte gesagt, was man in guter Gesellschaft von einem Nachbarn eigentlich nicht sagen sollte; es geht eben so knapp beim Ordnungsrufe vorbei. Damit man aber im Lande sehe, wie die Herren die Opposition führen, will ich ein paar Punkte herausgreifen. Den königlichen Gerichtshof für kirchliche Ange­legenheiten, der durch ein Gesetz eingerichtet ist..(Aha! im Centrum) Sie verspotten die Gesetze, das weiß ich; das ist gerade unsere Klage, und der Grund des Unfriedens. Diesen Gerichtshof, der für die Mehr­heit eine Autorität ist, nennt dieser Vertreter Ihrer ParteiKanne­gießer und Genossen".(Hört! hört! links: Bewegung im Centrum.)

Wenn Sie nicht Heißsporne in Ihrer Partei hätten, würden solche Ausdrücke nicht gewagt werden; die Besonneneren von Ihnen hüten sich, so offen ihre Karte aufzudecken. Ein Vertreter dieser Partei entwickelt aldann: was kümmert es denn den Staat, ob das von ihm gegebene Gesetz und die unter seiner Autorität erlassenen rechtskräftigen Erkennt­nisse ausgeführt werden? Ein Volksvertreter, der auf Grund der Ver­fassung gewählt ist, auf Grund der Gesetze seine Autorität erhalten hat und das Privilegium der Redefreiheit genießt, spricht in dieser Weise vom Staat und seinen Gesetzen.(Sehr gut!) Das alles müssen wir dul­den und ruhig mit anhören(Bewegung im Centrum), weil die Gesetze und vor Allem unser eigenes Gesetz, die Geschäftsordnung dies erlauben. Selbst diese Ausschreitungen müssen wir ertragen, daß man von der Tri­büne verkündigt, der Staat hat sich um die Ausführung seiner Gesetze nicht zu kümmern.(Abgeordneter Schröder=Lippstadt: Das ist nicht wahr!) Wenn es Ihnen nachher nicht paßt, dann wird natürlich alles interpre­tirt und in Abrede gestellt; diese Gewohnheit kennen wir bereits. Brin­gen Sie es dadurch nicht dahin, daß wir Ihre Reden mit Gleichgültig­keit anhören? Wenn Sie über den wirklichen Bruch der Gesetze Klage führen, so werden Sie uns aufmerksam finden. Aber Sie erläutern es selbst, warum im Lande Derartiges vorkommen kann, wenn die Gesetze hier in unserer Mitte für etwas Gleichgültiges erklärt werden.

Abg. Windthorst(Meppen): Ich habe gar nicht gezweifelt, daß der Generalcorrector des Hauses(Oho! links) eine solche Cor­rection ergehen lassen würde. Ich wünsche nur meines Theils, daß, wenn in diesem Falle sein Rechtsgefühl verletzt ist und er dem Ausdruck geben wollte, er auch gleichmäßig dagegen reagiren wolle, wenn dies von der Regierung geschieht. Was die Ausdrucksweise meines verehrten Freundes Schröder betrifft, so kann sie diesem oder jenem etwas zu scharf erschei­nen; aber wenn man die Sprache in der Conflictszeit damit vergleicht, so war er noch ein Lamm(Sehr richtig! im Centrum); und es steht denen am wenigsten zu, eine Belehrung zu ertheilen, die damals an der Spitze gestanden haben. Diese Gegenstände sind so ernst, daß ich zum Lachen gar keinen Anlaß gefunden habe. Die Dinge aber, wo­rüber die Herren lachen, sind so mannigfaltig geworden, daß ich in der That die Frage, was ridikül ist, nicht mehr beantworten kann. Als unser College Gerlach sprach und keinerlei Stoff zum Lachen vorlag, da ist in einer Art gelacht worden(Sehr richtig! im Centrum), von der ich allerdings glaube, daß der Herr Präsident Sie hätte fragen können, worüber lachen Sie? Wenn ein so alt ehrwürdiger Mann hier eine Antiquität genannt wird, was wollen Sie dann noch für Vorwürfe ma­chen.(Sehr wahr!) Uebrigens ist auch der Abgeordnete Schröber sehr mißverstanden worden; er hat die Gesetzesverletzungen nicht vertheidigt, sondern nur aufmerksam gemacht, wohin es führt, wenn man Will­kürmaßregeln in die Form von Gesetzen kleidet. Wir verspotten nicht die Gesetze, m.., sondern erkliren nur, daß eine Menge Gesetze gemacht sind, die trotz ihres verfassungsmäßigen Zustandekommens schwe­res Unrecht enthalten. Dies dem Generalcorrector. (Heiterkeit).

Präsident von Bennigsen: Ich möchte doch den Abg. Windthorst bitten, solche Bezeichnungen zu vermeiden; wenn sie sich auch für einen Ordnungsruf nicht eignen, so sind sie doch verletzend für denjenigen, den sie betreffen.

Abg. Windthorst(Meppen): Ich hatte nur dieAntiquität vor Augen(Heiterkeit.) Nun noch einige Worte mit dem Herrn Justizmi­nister. Er hat gesagt, von den Staatsanwälten sei nicht mehr als früher geschehen; früher gab es solche Sachen nicht, also kann die Behauptung nicht richtig sein. Daß aber der Justizminister von den Dingen nichts

weiß, darin liegt meine Beschwerde. Er hat so viele Räthe, einen Un­

terstaatssecretär und einen Ministerialdirector, dann ferner ein literari­sches Bureau, besonders aber einen sehr bevorzugten Rath, der sich haupt­sächlich mit politischen Dingen zu beschäftigen hat, die ihn doch auf dem

Laufenden zu erhalten haben. Der Justizminister muß sich um die Dinge

im Einzelnen kümmern. Jedenfalls dürfte seine Antwort nicht lauten: ich weiß nichts davon, sondern: ich werde mich danach erkundigen und, wenn es wahr ist, einschreiten.(Sehr richtig! im Centrum.) Der Abg. Schröder hat sich beschwert über die Beschlagnahme von Briefen, ohne daß eine Untersuchung gegen die Adressaten schwebt. Es ist ja möglich, daß eben so, wie wir einen Belagerungszustand haben, eine generelle Un­tersuchung gegen alle katholischen Geistlichen, ja vielleicht gegen alle Ka­tholiken gerichtet ist, und ich muß beinahe an eine solche generelle Unter­suchung glauben.(Oho! links.) Wenn so etwas in der preußischen Cri­minalordnung steht, so gehört sie in die Barbarei und in die Staaten, von denen der Abgeordnete Schröder gesprochen hat. Ich möchte den Herrn Justizminister bitten, in dem großen Kampfe ein wachsames Auge auf alle Staatsanwälte zu haben, und besonders ihnen anzudeuten, daß sie keine Belohnungen, keine Orden u. s. w. zu erwarten haben, wenn sie besonders scharf gegen die Ultramontanen vorgehen. Wenn die Ju­stizpflege zu politischen und kirchlichen Tendenzen gebraucht und mißbraucht wird, so ist es mit jeder

wahren Freiheit vorbei.

Abg. Petri: Der Abg. Schröder hat mir und meinem Freunde Windthorst(Bielefeld) als Altkatholiken einen Einfluß in unserer Partei insinuirt, über den er jedenfalls keine Auskunft geben kann; ich will auch über diese Interna gar nicht sprechen. Wenn er unserer Partei den Vor­wurf gemacht, sie sei eine confessionelle, so hat er vergessen, in welcher Art und Weise gerade von seiner Partei alle Fragen behandelt werden. Ist denn irgend ein bedeutender Theil vom Centrum überhaupt im Hause vorhanden, wenn es sich um Fragen handelt, die nicht einen Geschmack vom Culturkampf haben? Wie behandeln Sie denn die ganze Etatsbe­rathung! Sie geben uns ja gleich heute ein lebhaftes Bild von dem, was wir zu erwarten haben. Es fällt mir dieses fortwährende Buhlen um den Anschluß an unsere Partei auf.(Heiterkeit.) Warum thun Sie das? Sie wollen sich vor dem Lande den Anschein geben, als seien Sie in der That die Vertreter der liberalen Ideen. Ich will Sie nur er­innern an das Wort Louis Veuillot's: Sind wir in der Minorität, dann fordern wir die Freiheit, sind wir in der Majorität, dann ver­weigern wir sie Ihnen nach unseren religiösen Anschauungen.(Beifall links.)

Abg. Schröder(Lippstadt): Der Abg. Lasker hat eine ganze Summe sittlicher Entrüstung gegen mich geschleudert, aber den Hauptsatz, den ich

ausgesprochen habe, unrichtig vorgetragen, um seine Entrüstung zu moti­viren. Ich habe nicht gesagt, es sei für den Staat gleichgültig, ob seine Gesetze ausgeführt würden. Das wäre ein Nonsens, und Nonsens zu sprechen habe ich hier wenigstens nicht im stärkeren Maße geleistet, als jeder Andere.(Große Heiterkeit.) Ich gab nur zu bedenken, daß, wenn die Gesetzesmacherei so fortgeht, die Aehnlichkeit zwischen uns und einem andern Lande immer mehr hervortreten müßte. Sollte er sich dadurch getroffen fühlen, so ist das nicht meine Schuld. Er sollte dann lieber seine sittliche Entrüstung dahin wenden, von wo solche Gesetze hergekom­men und entstanden sind. Der Abg. Lasker brauchte aber seine sittliche Entrüstung, denn er wollte von den unterschlagenen Briefen nicht sprechen, also mußte er doch etwas anderes sagen.

Abg. Häuel: Das Lachen von unserer Seite erscholl erst, als der Abg. Schröder zu einem durch nichts provocirten und gerechtfertigten Angriff gegen die Fortschrittspartei überging. Glaubt er denn, daß die beiden altkatholischen Mitglieder derselben einen Einfluß haben auf die Justizverwaltung und die Staatsanwälte? Wenn er unsere Partei für eine schwache und gedrückte hält, warum einer solchen Partei dann noch einen Fußtritt geben? Wenn er sie aber für eine mächtige hält, warum sie dann ohne Noth reizen? Wir haben in den Kirchengesetzen Punct für Punct unseren Standpunct eingenommen, wir werden also niemals den gesetzlichen Boden untergraben, den wir selbst geschaffen haben. Wir wollen aber den Culturkampf nicht in leidenschaftlicher Erregung führen. Wenn irgend welche begründete Beschwerden vorgebracht werden, steht den Herren vom Centrum unsere volle Aufmerksamkeit zur Seite; aber die Art und Weise, wie der Abg. Schröder seine Beschwerden vorbrachte, flößt uns das tiefste Mißtrauen ein.(Sehr richtig! links.) Seine Leiden­schaftlichkeit scheint mir bewiesen zu haben, daß er nicht mehr befähigt ist, einen solchen Fall objectiv vorzutragen. Durch eine Behandlung des Falles in Lachen erregenden Wendungen werden wir nur verwirrt. Wir verlangen die Beobachtung der Gesetze von Seiten jedes Unterthans, aber auch von Seiten jedes Beamten, heiße er Minister oder Staatsanwalts­gehilfe.(Beifall links.)

Abg. Drescher(Staatsanwalt und Altkatholik): Wenn sich die Herren vom Centrum ihre Theorie von der Geltung der Gesetze näher ansehen, so werden sie sich nicht wundern, weßhalb die Thätigkeit der Staatsanwälte sich vorzüglich gegen sie wendet. Hier werden die Theorien ausgesprochen, außerhalb des Hauses wird die Praxis geübt. Sie predigen Verrath an der öffentlichen Ordnung!(Bewegung im Centrum.)

Präs. v. Bennigsen bemerkt dem Redner, daß der zuletzt gebrauchte Ausdruck nicht parlamentarisch sei... G

Abg. Drescher: Ich nenne es Verrath, wenn Sie die Behauptung aufstellen, daß die bestehenden Gesetze gleichgültig seien; denn solche Be­hauptungen untergraben jede staatliche Ordnung. Nun muß ich noch einige Worte in meiner Eigenschaft als Altkatholik an Sie richten.(Aha! im Centrum.) Sie haben dem Altkatholicismus Fortgang gewünscht; ich theile den Wunsch und fasse den Fortgang als Wachsthum auf; Ihnen (im Centrum) wünsche ich auch Fortganz, aberFortgang identisch mit Verschwinden.(Große Heiterkeit! Rufe: Kalauer!)

Abg. Schröder: Da haben Sie eine Probe von den staatsanwalt­lichen Reden, wie sie vor den Strafdeputationen gehalten werden; das nennt man dann Feststellung des objectiven Thatbestandes. Der Abg. Hänel hat die Dinge viel zu erregt aufgefaßt; wenn ich auf die beiden Herren Alt­katholiken seiner Fraction Bezug genommen habe, so that ich dies nur, weil sie in Cultussachen die Hauptredner find, und hauptsächlich unter dem Eindruck der gestrigen Debatte. Ich habe das Verschwinden der Fortschrittspartei bei den Wahlen lebhaft bedauert, und auch nur dem Gedanken Ausdruck geben wollen, daß jede Partei sich davor hüten sollte, confessionelle Sympathieen und Antipathieen maßgebend sein zu lassen. Bei uns ist das nicht mehr der Fall.(Heiterkeit.) Uns ist jede Con­fession gleich, denn alle sollen im Staate eine gleiche Stellung einnehmen. Ich wünsche, daß auch die Fortschrittspartei diesen Grundsatz, der auf der Trennung von Kirche und Staat beruht, dauernd festhalte.

Deutschland.

:: Berlin, 26. Januar. Nach einernicht officiellen" Zu­

sammenstellung der Fraction im Abgeordnetenhause zählt die na­tionalliberale Fraction 174, die Fraction des Centrums 88(ein­schließlich 4 hannoversche Hospitanten, Dr. Brüel, Dr. v. Ger­lach, Frhr. v. Grote, Pohlmann), die Fortschrittspartei 66, die freiconservative Fraction 34, die neuconservative Fraction 26 (einschließlich 2 Hospitanten, Röhrig, Landrath des Kreises Tecklenburg, der bekanntlich seine Wahl den Katholiken zu dan­ken hat, und Graf zu Eulenburg= Liebenberg), die polnische Fraction 14, die conservative Fraction 9. Keiner Fraction ge­hören an 19(darunter Horst aus Köln, Dr. Löwe, von dem es unlängst hieß, er sei zu den Nationalliberalen getreten, Kreutz, Schmidt=Stettin), und erledigt sind(durch Tod) drei Mandate. Die Gesammtzahl der Mandate beträgt nach dem Hinzutritte eines Abgeordneten für das Herzogthum Lauenburg 433.

* Berlin, 26. Jan. Am Platze wäre es auch gewesen, wenn man dem Cultusminister, welcher am Mittwoch sich auf den Standpunkt stellte, daß der Art. 24 der Verfassung kein that­sächliches Recht enthalte, und nachzuweisen suchte, daß der frühere Cultusminister Ladenberg, der diesen Artikel gemacht, eigentlich selbst nicht gewußt habe, wis er mit demselbe wolle, seine früheren Aeußerungen gerade über diese Puncte ins Gedächtniß gerufen hätte. Bekanntlich wurse in Art. 3 des Schulaufsichtsgesetzes die ausdrückliche Bestimmung aufgenommen:Unberührt durch dieses Gesetz bleibt der Art. 24 der Verfassung, in welchem es heißt: den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die be­treffenden Religionsgesellschaften. Der Minister Falk hielt diese Bestimmung damals für überflüssig, wollte ihr aber doch nicht widersprechen,weil sie zur Beschwichtigung der Gemüther diene", und im Herrenhause sagte er:

Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es ja nicht möglich sei, an­gesichts der Verfassungsurkunde, die da befiehlt, es sollen bei Gründung der Schule möglichst berücksichtigt werden die confessionellen Verhältnisse, die da befiehlt, es sei der religiöse Unterricht unter Leitung der Kirche zu stellen, daß ferner angesichts des Umstandes, daß sehr bescheidene Summen nur zu Gebote stehen, um dieses Gesetz überhaupt zur Ausfüh­rung zu bringen; angesichts des Umstandes, daß, möge man da und dort auch Urtheile über die Qualification der Geistlichen zu diesem Amte fällen, wie man wolle, doch immerhin die Sache so stehe, daß man in den allermeisten Fällen auf sie und keine andere Personen angewiesen sei; daß man, sage ich, unter diesen Umständen die Staatsregierung wohl wahrlich mit Unrecht beschuldigt, wenn man behauptet, sie verlange die Trennung der Schule von der Kirche.

Im Abgeordnetenhause hatte Herr Dr. Falk damals vorher schon in ähnlichem Sinne gesprochen und gesagt:dann bitte ich Gewicht darauf zu legen, daß der Art. 24 der Verfassung besteht und bestehen bleiben soll und ebenso daß das actuelle (thatsächliche) Recht, welches nach Art. 112 dem Art. 24 der Verfassung namentlich in seinen beiden ersten Absätzen(val. oben) entspricht, aufrecht erhalten bleibt. Und ein ander Mal sagte er seinen Gegnern gegenüber auf die Frage:Wie sind diese Sätze gerechtfertigt gegenüber dem zwei­ten Absatz des Artikel 24?:Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften. Ist es möglich bei der Gültigkeit dieser Sätze zu behaupten u. s.. Und im Herrenhause sprach er bald darauf über Art. 24 und bemerkte:Das Anrecht der Kirche(an den Religions­unterricht) ist, wie schon oft gesagt worden, durch Artikel 24 firirt und dieser Artikel bleibt un­berührt. Der Artikel 24 ist formell allerdings noch nicht actuelles Recht, aber er ist es mate­