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Bünder Generalanzeiger / Bünder Zeitung

Bestandhaltende Institution

Institut für Zeitungsforschung, Dortmund

Verfasst von

Dr. Andrea Ammendola (2023), ULB Münster

Geschichte und Entwicklung

Die Anfänge der Zeitung führen in das Jahr 1884, als Ferdinand Vorbäumen als Mitbegründer und -herausgeber der Gütersloher Zeitung nach Bünde zog, um dort eine eigene Druckerei zu gründen, der ein Zeitungsverlag angegliedert war [zur Gründungszeit vgl. den transkribierten Beitrag weiter unten]. Wie Werner Vornbäumen in der Festschrift zum 75jährigen Bestehen schrieb, „wurde am 1. Juli 1885 der Bevölkerung von Bünde und Umgebung kundgetan, daß an der unteren Eschstraße in Hofemeiers Kotten von Ferdinand Vornbäumen eine Buchdruckerei eröffnet sei. Da keine anderen Räume aufzutreiben waren, mußte man mit diesen vorlieb nehmen, obwohl sie sich für eine Druckerei nicht eigneten. Sie waren dunkel und vor den Fenstern nach der Straße nahmen zwei Lindenbäume das an sich schon spärliche Licht fort.“

Die Zeitung hieß zunächst „Stadt- und Landanzeiger“ und wurde ab dem 1. Juli 1887 in „Bünder Zeitung“ umbenannt. Ab 1905 verschmolzen dann der Generalanzeiger und die Bünder Zeitung zum „Bünder Generalanzeiger / Bünder Zeitung“; dieser Titel blieb bis zum 2. Weltkrieg bestehen.

1887 siedelte man dann in das eigene Haus um, wo in zwei Räumen die Druckerei und in einem Schuppen ein Benzinmotor untergebracht war, der später mit Gas betrieben wurde.

Ab 1892 entstand aus Platzmangel ein Neubau, mit dem auch der technische Fortschritt einherging. Durch eine große Schnellpresse konnten nun alle vier Seiten der Zeitung auf einmal gedruckt werden, sodass die Zeitung ab dem 1. April 1894 nun drei- statt zweimal/Woche erscheinen konnte, ab 1898 sogar täglich.

1899 erwarb Ferdinand Vorbäumen eine der neuartigen Linotype-Setzmaschinen. Aufgrund der geringen Erfahrungswerte mit dieser Maschine, der man laut Georg eine „Lebensdauer von nur wenigen Jahren“ beschied, ging Ferdinand mit dieser Anschaffung ein gewisses Risiko ein, das sich allerding auszahlte. Bünde war die erste Kleinstadt in Westfalen, die für das Setzen ihrer Zeitung eine solche Maschine einsetzte und die über 35 Jahre im Einsatz war (1927 folgte eine zweite Setzmaschine).

1905 gab es die nächste große bauliche Veränderung: Der Anbau eines Sheddachgebäudes verdoppelte die Fläche für das Unternehmen, sodass ab dann auch eine neue Rotationsmaschine neben den anderen Druckmaschinen Platz fand. Eine Besonderheit des Verlages war die Erzeugung eigenen Stroms mittels einer sog. Lokomobile, die eigenen Strom erzeugte, lange bevor Bünde an ein öffentliches Elektrizitätswerk angeschlossen wurde.

Die Entwicklung der nächsten Jahre, die durch den 1. Weltkrieg und die Inflationskrise geprägt war, beschreibt Georg als Jahre, die keinen Aufschwung zuließen, den Verlag allerdings auch nicht in den Ruin stürzten. Mindestens ähnlich große Probleme entstanden der Zeitung durch die politische Positionierung gegen „rote und rosarote“ Politiker und gegen die „Machenschaften der Novemberlinge“, durch die der Bünder Generalanzeiger offenbar zahlreiche Abonnenten durch Boykottaufrufe verlor. So war das Blatt schon früh der nationalen Bewegung zugewandt, wie Georg selbst deutlich formuliert: „Dieses Kapitel, über das Bände zu schreiben sind, soll nicht verklingen, ohne daß unser starkes Einstehen für ein nationales Deutschland heute seine Erfüllung in dem einigen Volksstaat Adolf Hitlers gefunden hat.“

In der Folgezeit wurde die Drucksachenherstellung bewusst vorangetrieben, da ein Ausbau der Zeitung durch den „Vernichtungswille[n] der politischen Gegner“ nicht zweckmäßig erschien. Dafür wurden weitere moderne Druckpressen, Buchbindereihilfsmaschinen angeschafft, ohne dass ein weiterer Anbau nötig wurde. Im Laufe der 1920er Jahre wurde das Geschäft nach und nach an die beiden Söhne übergeben. Ein in der Jubiläumsausgabe abgedrucktes Bild zeigt die Betriebsfamilie unter Führung der Gebrüder Vornbäumen und dem Firmengründer Ferdinand in der Mitte.

Nach dem 50jährigen Jubiläum 1935 kam die Zeitung und der Verlag in eine veritable Krise, als Anfang 1936 die Reichspressekammer unter Joseph Goebbels und Max Amann den Verlag wegen angeblichen Auflagenschwindels und Wettbewerbsverstößen verbieten wollte. Auch wenn der Verlag einen Ausschluss und das Ende der Zeitung noch verhindern konnte, war die Blütezeit der Zeitung vorbei. Leider erfüllte sich Ferdinand Vorbäumens in der Jubiläumsausgabe von 1935 geäußerte „Hoffnung, daß es endlich wieder auf- und vorwärtsgehen wird mit unserem Vaterlande“ nicht. Der Firmengründer Ferdinand Vorbäumen starb 1937, beide Söhne wurden zu Kriegsbeginn eingezogen und schließlich musste die Zeitung ihr selbständiges Erscheinen aufgeben – ab dem 1. Juni 1941 war sie nur noch als Lokalteil der Westfälischen Neuestern Nachrichten zu lesen: „Die Kriegswirtschaft erfordert stärkste Konzentration aller Kräfte. Diese Zusammenschließung macht es notwendig, daß unser Bünder Generalanzeiger […] – wie viele andere Zeitungen und Zeitschriften – mit dem heutigen Tag sein Erscheinen einstellt, um Menschen und Material für kriegswichtige Zwecke freizumachen“ [zit. nach Sarhage 2019, S. 345].

Norbert Sarhage fasst die Zeit bis 1949 folgendermaßen zusammen: „Nach Kriegsende startete dann Mitte Mai 1945 die Neue Westfälische Zeitung, ein von der britischen Militärbehörde in Oelde gedrucktes Nachrichtenblatt, das zunächst einmal, vom 10. Juli an zweimal wöchentlich erschien un auch im Stadt- und Landkreis Herford verbreitet war. Bis zur Einführung der Pressefreiheit im September 1949 war die Herausgabe von Zeitungen an die Lizenzerteilung durch die britische Besatzungsmacht gebunden. In den ersten Monaten nach Kriegsende bestand für die Zeitungen zudem eine Vorzensur, die aber im Laufe des Jahres 1946 durch eine Nachzensur abgelöst wurde. Weiterhin galt allerdings, dass Kritik an den Maßnahmen der Militärregierung nicht erlaubt war. In den ersten Jahren konnten die Zeitungen wegen der Papierkontingentierung nur zweimal wöchentlich mit einem Umfang von vier Seiten erscheinen. In der Stadt gab es nach 1945 dauerhaft keine selbständigen Zeitungen mehr.“[Sarhage 2003, S. 36f]. So fiel Georg Vornbäumen 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft, während sein Bruder Werner 1948 aus selbiger zurückkehrte und es schaffte, den Verlag und auch die Bünder Zeitung ab 1949 wieder zum Leben zu erwecken, zunächst allerdings nur als Teil der Westfalen-Zeitung, mittlerweile und bis heute als Teil des „Westfalenblattes“.

Erscheinungsweise, Umfang und Auflage

Die Zeitung erschien zunächst zweimal wöchentlich, ab 1894 dreimal wöchentlich und ab 1898 täglich. Der Umfang der Zeitung entwickelte sich von zunächst nur 1 Seite in den ersten Probenummern, über dann vier Seiten bis hin zu acht Seiten. Über die Auflagenstärke ist recht wenig bekannt, außer dass in den Frühzeiten mit 300 Lesern begonnen wurde und die Zahl in den Jahren nach und nach wuchs. In den frühen 1930er Jahren waren es knapp 2000 regelmäßige Bezieher der Zeitung.

Ausrichtung

National

Beilagen

Unterhaltung zum Wochenende

Konkurrenzblätter

Bünder Tageblatt (liberal)

Quellen und Literatur

  • Sahrhage, Norbert: Bünde zwischen „Machtergreifung“ und Entnazifizierung. Geschichte einer westfälischen Kleinstadt von 1929 bis 1953, Bielefeld 1990
  • Sarhage, Norbert: „Vom ,Stadt- und Landanzeigerֹ’ zur modernen Tageszeitung. Die Bünder Presselandschaft im Wandel“, in: Die Zeiten ändern sich. Bünde - Stadt und Raum im Wandel, hrgs. von Wolfgang Heyer, Urlich Müller und Friedhelm Tiemann, Münster 2003, S. 34-38
  • Sarhage, Norbert: Bünde. Stadt und Amt von 1719 bis 1990 (= Herforder Forschungen 27), Bielefeld 2019
  • Sahrhage, Norbert: Bünder Köpfe. 112 kurze Biographien (= Herforder Forschungen 30), Bielefeld 2022, der Text zu Ferdinand Vornbäumen ist auchonline verfügbar
  • Vornbäumen, Ferdinand: „Die Gründungszeit des Bünder Generalanzeiger / Bünder Zeitung“, in: Bünder Generalanzeiger vom 1. Juli 1935, fol 2
  • Vornbäumen, Georg: „Die Entwicklungsgeschichte des Bünder Generalanzeiger / Bünder Zeitung“, in: Bünder Generalanzeiger vom 1. Juli 1935, fol 2v–3v
  • 75 Jahre Druckerei H.F. Vornbäumen, Bünde, hrsg. von der Druckerei H.F. Vornbäumen, Bünde 1960

Transkription aus der Jubiläumsausgabe vom 1. Juli 1935

Die Gründungszeit des Bünder Generalanzeiger / Bünder Zeitung

Von Ferdinand Vornbäumen

Fünfzig Jahre – o wie weit,
hat man vor sich diese Zeit.
Fünfzig Jahre, welch kurze Frist,
Wenn man sie durchflogen ist.

Anfang des Jahres 1884 gründete ich mit Louis Jander zusammen in Gütersloh die Gütersloher Zeitung. Zufällig hörte ich von dem Färbereibesitzer Schoneweg, daß Bünde eine aufblühende Stadt sei und dort eher eine Zeitung und Buchdruckerei existieren könne, als in Gütersloh. Daraufhin suchte ich die Verbindung mit meinem Teilhaber zu lösen; was auch gelang.

Darauf nahm ich in einer großen Werkdruckerei in Oberhausen eine Stellung an. Hier wurde mir von dem Korrektor der Druckerei das Angebot gemacht, mit ihm eine Buchdruckerei mit Zeitungsverlag in Oberhausen zu gründen. Dies Angebot lehnte ich ab, da ich ja einen anderen Plan hatte.

Auf einer Reise nach Kiel hörte ich, daß in Lütjenburg bei einem Nagelschmied eine Buchdruckerei-Einrichtung zum Verkauf stände. Diese Einrichtung kaufte ich. Zu meinem Leidwesen mußte ich aber feststellen, daß die vorhandene Druckpresse nicht mehr zeitgemäß war und ich bestellte daher bei einer Fabrik eine kleine Schnellpresse, die durch Drehen einer Kurbel oder durch Hebeldruck mit dem Fuß in Bewegung gesetzt werden mußte. Auf dieser Schnellpresse konnten nur jedesmal zwei Seiten im Zeitungsformat gedruckt werden. Die Buchdruckerei-Einrichtung wurde verpackt und nach Bünde geschickt. Trotzdem ich Bünde noch nie gesehen hatte, hatte ich auf das Gelingen des Unternehmens großes Vertrauen.

Von Lütjenburg fuhr ich nach Bünde. Da ich wußte, daß der Friseur Schütz eine Gütersloherin zur Frau hatte, bat ich diesen, mir beim Mieten geeigneter Räumlichkeiten behilflich zu sein. Schütz war gern bereit, und er nahm seinen sogenannten Rasierbeutel unter den Arm und so begaben wir uns auf die Suche. Nirgends im Mittelpunkt der Stadt waren Räumlichkeiten frei, die geeignet schienen für das Unternehmen. Schließlich fiel Schütz ein, daß in Hofemeiers Rotten, vielmehr in dem alten Kolonatsgebäude Kampmeiers, an der unteren Eschstraße, Räume frei wären. Auch diese waren für eine Buchdruckerei wenig geeignet; denn sie waren dunkel, und vor den Fenstern des Zimmers nach der Straße standen zwei Lindenbäume, die das Licht zum größten Teil wegnahmen. „In der Not frißt der Teufel fliegen“, so heißt es in einem Sprichwort. Ich mietete die Wohnung, die aus drei kleinen Zimmern bestand.

Die Einrichtung von Lütjenburg war noch nicht eingetroffen und da sie wahrscheinlich noch einige Tage ausbleiben würde, bat ich den Spediteur Diestelhorst, im Fall die Sendung einlaufen sollte, sie bei dem Kaufmann Hofemeier abzuliefern. Auch dem Briefträger Wiehe gab ich einen derartigen Bescheid für Briefsendungen. Hierauf fuhr ich nach Gütersloh zu meiner Mutter und wollte da einige Tage weilen.

Nach Verlauf von drei Tagen kehrte ich nach Bünde zurück und fand die Buchdruckerei-Einrichtung vor. Die neue Schnellpresse ließ aber auf sich warten und die Zeit mußte ungenützt vergehen. Endlich kam auch die Maschine an und da auch ein Monteur der Maschinenfabrik in Würzburg bald eintraf, konnte die Maschine aufgestellt werden. Beim Abladen der Maschine zog ein heftiges Gewitter auf und ein wolkenbruchartiger Regen ging nieder, so daß die einzelnen Maschinenteile buchstäblich ins Wasser getaucht waren.

Während der Monteur die Maschine aufstellte, besuchte ich die offenen Ladengeschäfte und bat um Anzeigen für die erste Probenummer. Ich hatte erwartet, daß man mit Freuden diese günstige Propaganda-Gelegenheit wahrnehmen würde. Aber bitter wurde ich in meiner Hoffnung getäuscht. Auch nicht eine Anzeige konnte ich erlangen, so sehr ich die Vorzüge der Insertion für die Steigerung des Umsatzes herausstellte.

Da aber eine Probenummer auch Anzeigen enthalten mußte, erbot ich mich, diese unentgeltlich aufzunehmen. Nur mit Mühe gelang es, soviele Anzeigen zusammen zu bringen, daß eine Seite damit gefüllt werden konnte. Aber nach und nach erkannte die Bünder Geschäftswelt den Wert der Zeitungspropaganda und es gingen mehr und mehr Anzeigen ein, die natürlich bezahlt wurden.

Ich hatte verabsäumt, meinen Betrieb anzumelden und holte dies nach, als ich bereits eine Woche hier geweilt hatte. Der Amtmann Mahlendorff, dem ich mein Verlangen unterbreitete, war kurz angebunden und wollte wissen, wie lange ich schon hier sei. Ich gab ihm wahrheitsgemäß Auskunft. Im unfreundlichen Tone belehrte er mich, daß ich mich innerhalb drei Tage hätte melden müssen und fuhr wörtlich fort: „Uebrigens ist es das Beste, Sie packen Ihre Siebensachen zusammen und suchen sich einen anderen Ort aus!“ Ich erwiderte: „Nein, Herr Amtmann, ich bin einmal hier und werde versuchen, ob ich hier eine Existenz finden kann!“ Nach Verlauf eines halben Jahres traf ich mit ihm auf dem Bahnsteig zusammen. Bei dieser Gelegenheit erkundigte er sich nach dem Geschäftsgang. Als ich meiner Zufriedenheit Ausdruck verlieh, sagte er: „Das freut mich.“

Nachdem verschiedene Probenummern Ende Juni ausgetragen waren, ging ich von Haus zu Haus und bat die Bewohner, meine Zeitung, die den Namen „Stadt- und Landanzeiger“ trug, zu bestellen. Hier fand ich bei vielen ein williges Ohr. Daß ich auch erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte, mögen einige Beispiele zeigen: In einem Hause traf ich einen jüngeren Mann an, der mit Holzhacken beschäftigt war. Es stellte sich im Laufes des Gespräches heraus, daß er Kandidat der Theologie war. Ich gab ihm ein Exemplar meiner Zeitung. Er faltete diese auseinander und fing an zu lesen. Wenn in murmelnden Tone eine Notiz gelesen hatte, sagte er ganz deutlich: „Blech.“ Wenn die folgende Notiz auf die eben beschriebene Weise zu Ende war, kam wieder das Wort „Blech!“ aus dem Gehege seiner Zähne. Und so ging es weiter, die ganze Zeitung war in seinen Augen Blech. Ich ließ aber nicht locker und schließlich hatte ich ihn so weit, daß der die Zeitung bestellte. Beim Weggehen sagte er mir: „Wenn Sie es überall so machen wie hier, werden Sie genug Leser bekommen!“

Auf dem Lande mußte ich hart kämpfen, denn Zeitungen waren hier kaum vertreten. In einem Bauernhaus traf ich die Familie beim Mittagstisch an und bat, auf meine Zeitung zu abonnieren. Der Landmann lehnte dies unter dem Vorgeben ab, daß er Lesestoff genug im Hause habe. Auf meine Frage, worin dies bestände, erwiderte er: „Wi hätt de Bibel, den Katechismus und datt Gesangbiuk.“ „Aber lieber Mann“, gab ich zur Antwort, „und diese Schriften können Sie noch nicht auswendig?“ – „Jau, dat Nigg dögt man nich“, war seine Entgegnung. Auf mein weiteres Zureden bestellte er die Zeitung, trotz des „vielen Lesestoffes“, den er nach seiner Meinung besaß.

In Enger kam ich u.a. zum Apotheker. Hie gab ich wiederum meinem Ersuchen Ausdruck. Er sah mich verstört an und tippte sich mit dem Finger an die Stirne und meinte, ich sei nicht normal: „Wie können Sie es wagen, in einer solch kleinen Stadt wie Bünde, eine Zeitung heraus[zu]geben?“ Es gelang mir, ihn davon zu überzeugen, daß es vorteilhaft für eine aufblühende Stadt sei, eine Lokalzeitung zu besitzen. Es wurde ebenfalls mein Kunde.

Und so ging es weiter. Bald erforderte es große Ueberredungskunst, um die Bewohner als Leser zu gewinnen, bald kamen sie mir freundlich entgegen und bestellten ohne viele Worte die Zeitung. Froh war ich, als ich schließlich so viel Leser erworben hatte, daß es ich verlohnte, die Zeitung weiter erscheinen zu lassen, und seit dem 1. Juli 1885 erschien sie zwei mal in der Woche regelmäßig.

Mit 300 Lesern hab ich angefangen und nach und nach kamen immer mehr hinzu, so daß jetzt seit Jahren die Zeitungen auf einer Rotationsmaschine gedruckt wird, die stündlich 6 000 vierseitige Zeitungen liefern kann.

Wenn ich bei Tage nach außen hin gearbeitet hatte, mußte ich des abends noch in der Druckerei tätig sein; denn die Zeitung mußte noch zum Teil gesetzt und gedruckt werden. In der Regel stellte sich spät abends Hermann Galle, ein Original, wie er im Buche steht, ein. Ich veranlaßte ihn, wenn die Zeitung zum Drucken fertig war, die kleine Schnellpresse mit der Hand zu drehen. Dies tat er jedoch nicht gern und setzte sich am liebsten in eine Ecke und schlief. Da in dem Gebäude auch Stallungen waren und die Kühe mal stöhnten, sagte Salle, wenn er dies hörte: „Will ju de olle Kampmeier war baun?“ Da ich den Sinn dieser Worte nicht verstand, fragte ich ihn, was das zu bedeuten hätte. Ich bekam die Auskunft, daß der alte Kampmeier keines natürlichen Todes gestorben sei und der Meinung der Leute nach noch im Hause spuke und die Kühe beruhige. – Wenn bei mir die Arbeit beendet war, dann ging Galle in die warme Backstube von August Kröger, wo er den Rest der Nacht verbrachte.

Meine Erinnerungen möchte ich nicht beenden, ohne allen denjenigen meinen herzlichsten Dank abzustatten, die mir treu zur Seite gestanden haben in dem Ringen und Kämpfen der Zeiten.

Ich denke mit besonders dankbarem Herzen an den leider viel zu früh verstorbenen Herrn Zigarrenfabrikanten August Steinmeister. Herr August Steinmeister war ein hochgebildeter und weitschauender Bünder Bürger, der viel für die Entwicklung der Stadt getan hat. Er benutzte die Zeitung als Sprachrohr für seine Ideen. Leider wurden ihm viel Schwierigkeiten in den Weg gelegt, wenn es galt, für die Schönheit und den Ausbau der Stadt zu wirken. Er schrieb nicht nur Abhandlungen über die Zigarrenfabrikation, sondern auch über Bahnverbindungen, und was sonst für das Gedeihen der Stadt nützlich war.

Ebenso stand mir der Herr Amtmann von Schütz, der gleichfalls viel zu früh dahingerafft worden ist, mit Rat und Tat zur Seite. Die beiden, Herr Steinmeister und Herr von Schütz, arbeiteten Hand in Hand für das Aufblühen der Stadt. Als di Stadt aus dem Amtsverbande ausschied, sagte Herr Amtmann von Schütz zu mir: „Daß ich von Bünde scheiden muß, ist ein Nagel zu meinem Sarge; denn Bünde ist mein Lieblingskind.“ Auch ihn werde ich stets in dankbarer Erinnerung behalten.

So habe ich noch viele andere treue Freunde gehabt, die sich freundlichst mit einer Gesamterwähnung begnügen wollen. Es macht mir immer eine besondere Freude, mit den noch lebenden – leider allzuwenige gewordene – Bekannten von der alten Zeit zu sprechen. Im Vergleich zu der glücklich hinter uns liegenden „Systemzeit“ waren diese Zeiten wirklich gute Zeiten.

Jetzt haben wir aber berechtigte Hoffnung, daß es endlich wieder auf- und vorwärtsgehen wird mit unserem Vaterlande.