29. Juli.

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1914.

Nr.

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Der österreichisch-serbische Krieg.

50 Jur Lage.

Sir Edward Grey hat sich nicht darauf beschränkt, Eng­lands und Italiens gute Dienste zur Vermittlung anzubieten, sondern er hat den förmlichen Plan einer vierblätterigen Botschafter-Konferenz den Mächten und alsbald auch der Oeffentlichkeit unterbreitet. Und dabei hat ihn sein gewohntes Glück verüssen. Die Konferenz ist gescheitert; die diploma­tischen Verhandlungen zur Sicherung des Weltfriedens dauern aber fort.

Wenn ein Telegraphenbureau meldet, Deutschland habe die englische Anregungabgelehnt, so ist das eine unzu­treffende Ausdrucksweise, der man sofort entgegentreten muß, damit nicht die Hetzpresse im Auslande daraus die Ver­dächtigung herleitet, Deutschland wolle die Friedensbestrebun­gen hintertreiben. Deutschland stimmt mit dem englischen Mi­nister im Ziele überein; es hat aber Zweifel gegenüber den vorgeschlagenen Mitteln und hat demgemäß Vorbehalt gemacht und auf den Weg der direkten Verhandlung von Kabinett zu Kabinett hingewiesen.

Der englische Minister hat in seinem Vorschlage leider nicht die Grenzen eingehalten, die, wie schon gestern dargelegt, eine zweckmäßige Vermittlungsaktion in der Sache und in der Form einhalten mußte. Herr Grey sagte im Anfang seiner Parlamentsrede ganz richtig:So lange der Streit auf Oesterreich und Serbien beschränkt bleibt, haben wir kein Recht uns einzumischen. Er hat aber seine Vermittlungsidee nicht auf das Verhältnis der Groß­mächte zu einander beschränkt, sondern die österrei­chisch=serbische Streitfrage selbst zum Gegenstand der inter­nationalen Verhandlung machen wollen. Ferner hat er die Vorbedingung der Einstellung aller aktiven mi­litärischen Operationen aufgestellt, obschon es doch ganz klar ist, daß Oesterreich unmöglich den erhobenen Arm wieder senken kann. Endlich ist die vorgeschlagene Me­thode bedenklich. Erstens ist eine Botschafter=Konferenz in London ein umständlicher Apparat, der den Ereig­nissen nicht schnell genug zu folgen vermag, und zweitens sieht diese Konferenz einem Gerichtshofe allzu ähnlich. Oesterreich kann und wird auf keinen Fall die Frage des Schutzes seiner Grenzprovinzen dem Urteilsspruch einer oder mehrerer fremden Mächte überlassen.

Wie bisher bekannt geworden ist, hat die deutsche Regierung diese Zweifel und Bedenken in freundlichster Form dem englischen Minister mitgeteilt und ihrerseits darauf hin­gewiesen, daß die vermittelnden Verhandlungen von Ka­binett zu Kabinett fortgesetzt werden sollten.

Es ist bedauerlich, daß Sir Edward Grey bei seinem gewiß wohlmeinenden Vorschlag nicht das rechte Maß ge­wahrt und nicht die rechte Form gefunden hat. Bedauerlich namentlich deshalb, weil die Kriegstreiber im Osten und im Westen aus der sog. Ablehnung des Vermittlungsvorschlages die Verleumdung herleiten werden, Oesterreich treibe eine herausfordernde Politik, und Deutschland wolle keinen Aus­gleich. Es bleibt abzuwarten, wie weit solche Lügen auf die öffentliche Meinung in Rußland und Frankreich Einfluß ge­winnen. Die verantwortlichen Staatsmänner in beiden Ländern wissen ganz genau, daß Oesterreich nichts anderes will, als die gebührende Sühne für die begangenen Frevel und die nötigsten Garantieen gegen weitere verbrecherische Umtriebe an seiner Grenze, und daß Deutschland dieses Bestreben seines Verbündeten gerade im Interesse des gesicherten Weltfriedens rückhaltlos unter­stützt. Zum Glück läßt auch Italien an seiner Bündnis­treue keinen Zweifel aufkommen. Der Dreibund steht für eine gerechte Sache ein, und er steht mit voller Kraft und Entschiedenheit dafür ein. Das ist die wirksame Abschreckung der Kriegsspekulanten und also die beste Stütze des Weltfriedens.

Oesterreich seinerseits hat klaren Tisch gemacht, in­dem es jetzt Serbien formell den Krieg erklärt hat. Es hatte der serbischen Regierung Zeit genug gelassen, sich nochmals zu besinnen, Serbien hat diese Zeit aber nicht ge­nützt, und die Folgen wird es nun zu tragen haben. Die

formelle Kriegserklärung an Serbien bedeutet aber auch zu­gleich eine entschiedene Geste nach Rußland hin, dem damit durch die Tat gesagt wird, daß auch eine eventuelle neue russische Intervention, selbst eine bewaffnete, an den Entschlüssen und dem Vorgehen Oesterreich=Ungarns nichts ändern wird.

Nun kommt es für die diplomatische Kunstfertigkeit der nicht direkt beteiligten Mächte erst recht darauf an, Ruß­land von einem Eingreifen zugunsten der serbischen Revo­lutions= und Mordpolitiker abzuhalten. Als Mittel zu diesem Zweck kann auch in Betracht kommen, daß vermittelnde Freunde oder auch die österreichische Diplomatie selbst(die ja noch im Verkehr mit Rußland steht), dem Zaren und dessen Regierung den überzeugenden Nachweis brin­gen, daß Oesterreich die begonnene Aktion nur zur Abwehr von subversiven Angriffen, aber nicht zur Veränderung der bestehenden Besitz= und Machtverhält­nisse benutzen will und wird. Zugleich müßten die Ver­mittler der serbischen Regierung jede Hoffnung auf Hilfe vom Auslande entziehen.

Auf diese Weise kann die Diplomatie zur Abwendung der Katastrophe des Weltkrieges viel tun, ohne daß es eines umständlichen Apparates bedarf. Sollten die Friedensbe­mühungen scheitern, so werden wir mit Fassung in die große Kraftprobe eintreten. Denn wir alle fühlen und sagen, daß kein fauler Ausgleich getroffen werden darf, sondern klare Bahn geschaffen werden muß, koste es, was es will!

Die Rriegserklärung erfolgt!

Wien, 28. Juli. Eine Extraausgabe derWiener Zeitung" veröffentlicht im amtlichen Teile die Kriegserklärung an Serbien wie folgt:

Auf Grund Allerhöchster Entschließung Seiner Kaiserlichen und Königlichen Majestät vom 26. Juli 1914 wurde heute an die Königlich serbische Regierung eine in französischer Sprache ab­gefaßte Kriegserklärung gerichtet, die in deutscher Uebersetzung folgendermaßen lautet:Da die Königlich serbische Regierung die Note, welche ihr vom österreichisch=ungarischen Gesandten in Belgrad am 23. Juli 1914 übergeben worden war, nicht in be­friedigender Weise beantwortet hat, so sieht sich die Kaiserliche und Königliche Regierung in die Notwendigkeit versetzt, selbst für die Wahrung ihrer Rechte und Interessen Sorge zu tragen und zu diesem Ende an die Gewalt der Waffen zu appellieren. Oesterreich=Ungarn betrachtet sich daher von diesem Augenblick an als im Kriegszustand mit Serbien befindlich.

Der österreichisch-ungarische Minister des Aeußern Graf Berchtold *

Wien, 28. Juli. Das Ministerium des Auswärtigen richtet heute an die fremden diplomatischen Missionen eine Verbalnote, in der die formelle Kriegserklärung den diplomati­schen Missionen zur Kenntnis gebracht wird und erklärt, daß sich Oesterreich während der Feindseligkeiten unter der Voraussetzung eines gleichartigen Vorgehens seitens Serbiens an die Bestim­mungen der Haager Konferenz vom 18. Oktober 1907 so­wie an die Bestimmungen der Londoner Deklaration vom 26. Februar 1909 halten wird. Die Missionen werden gebe­ten, diese Notifikationen schleunigst ihren Regierungen mitzuteilen. *

Aufruf der ungarischen Regierung an das Volk.

Budapest, 28. Juli. Die Regierung hat einen Aufruf an die Nation erlassen, in der mit schwungvollen Worten jedermann aufgefordert wird, seine Pflicht zu tun.Wir stehen an der Schwelle kriegerischer Verwicklungen, lautet der Aufruf,wir werden zeigen, daß sich jene täuschen, die aus Selbst­überhebung glaubten, uns ungestraft beleidigen zu können. Wir sind in die Wagschale der Geschichte gelegt worden. Wir müssen beweisen, daß unsere Vaterlandsliebe und Tatkraft aus dieser Feuerprobe siegreich hervorgehen wird.

*

Die Eröffnung der Feindseligkeiten hat, wie in Wien amtlich erklärt wird, alle Möglichkeiten für Serbien verschlossen. Oester reich=Ungarn läßt sich, demTag zufolge, durch nichts mehr auf­

halten und erwartet auch von keiner Seite mehr Interventionen, da sie völlig zwecklos wären. Die Ereignisse werden nun ihren Lauf nehmen. Schon die nächste Zeit wird wichtige Vorarbeiten Oesterreichs erweisen, denn die tatsächlichen Ereignisse sind bereits viel weiter vorgeschritten, als allgemein geglaubt wird. Der Ueber­gang über die Donau und Save steht unmittelbar bevor. Jede weitere Mächtevermittlung, außer für die Lokalisierung des Krie­ges ist ausgeschlossen. Oesterreich wird sie unbedingt ablehnen. Ein Nachgeben Serbiens wäre, wie hier bekanntgegeben wurde, heute zwecklos. Oesterreich läßt sich heute auf nichts mehr ein.

Die erste authentische Meldung vom Kriegsschauplatz.

Wien, 26. Juli. DieMilitärische Rundschau" meldet: Ser­bische Truppentelle sind in südlicher Richtung im Mo­rawatal abmarschiert. Unmittelbar an der Donau ste­hen nur schwächere Kräfte. An der Drina werden star­ke Freiwilligenabteilungen und auch reguläre Truppen gemeldet. Die neuformierte Division von Novibasar ist an den Lim vormarschiert.

In der Gegend bei Prespolje steht eine montenegrinische Bri­gade mit Gebirgsartillerie. Ueber weitere Truppenbewegungen Montenegros ist nichts authentisches bekannt. An einigen Orten errichten die Montenegriner Verschanzungen; bei dieser Arbeit helfen hunderte von Fauen. Die Truppen, die in Neuserbien bei Istip nahe der bulgarischen Grenze standen, sind mit der Bahn nach Norden gebracht worden. Einige serbische Flußdampfer und requirierte Handelsschiffe, die in Eile als Minenleger eingerichtet worden sind, haben versucht, an gewissen Punkten der Donau und des Saveflusses Minen zu legen. Diese Versuche sind aber ge­scheitert. Einige seebische Militärflieger unternah­men Erkundigungsflüge an der Grenze. In Podgoritza ist ein höherer serbischer Generalstabsoffizier angekommen. Er hatte mit dem montenzegrinischen Kriegsminister eine Besprechung. Das serbische Armeeoberkommando ist bereits ge­bildet. Als Oberbefehlshaber fungiert der Kronprinzregent. Als militärischer Berater des Kronprinzen und Chef des General­stabes der Operationsarmee wird General Putnik fungieren.

*

Kriegsereignisse.

Wien, 28. Juli. Das Ministerium des Auswärtigen, das gestern die Meldung von der Sprengung der Donau­brücke bei Semlin bestritt, hat heute die Bestätigung der Nachricht ausgegeben.(Es handelt sich um die über die Save führende Eisenbahnbrücke nach Belgrad, die auch den Orient=Ex­preßverkehr vermittelte. Der Aufmarsch der österreichischen Ar­mee wird damit natürlich nicht verhindert.)

Budapester Blätter berichten aus Semlin: Gestern früh um 4 Uhr wollte eine Anzahl österreichisch=ungarischer Flüchtlinge in drei Booten über die Donau fahren. Ein Boot, in dem 26 Personen saßen, kenterte, da die Flüchtlinge sich vor den auf sie abgegebenen Schüssen in Sicherheit bringen woll­ten und das Boot umwarfen. Nur zwei Personen konnten geret­tet werden, die übrigen ertranken. Ein Budapester namens Va­mos erhielt einen Schuß durch den Hals. Er konnte noch lebend gerettet werden, starb aber bald darauf. Flüchtlinge erzählen, daß in der Nacht unbekannte Täter in die österreichisch­ungarische Gesandtschaft in Belgrad einbrachen und die gebundenen, allerdings belanglosen Dokumente mitgenommen haben.

Nach einer Meldung aus Wien haben die Kämpfe an der Drina, dem österreichisch=bosnisch=serbischen Grenzflusse, nach der Voss. Ztg. begonnen. Serbische Freiwillige erzwan­gen an mehreren Stellen den Flußübergang. Die österreichischen Truppen erwidern das Feuer. Die Serben haben irrtüm­lich ihren eigenen Transportdampfer beschos­sen. Sie haben dabei viele Tote und Verwundete gehabt. Die Mobilisierung der serbischen Armee schreitet rasch vorwärts. Der Aufmarsch wird in wenigen Tagen beendet sein. Im serbischen Teil des früheren Sandschak Novibasar sind Truppenbewegungen zu erkennen. Die serbischen Truppen haben ihre Posten bis Pri­boi am Nimflusse, wo die alte Grenze Serbiens an Bosnien stößt, vorgeschoben, um mit montenegrinischen Truppen bei Plewlje Füh­lung zu nehmen.

Die Antwort auf Greys Einladung.

Die Vermittlungskonferenz kommt nicht zuslande!

Dem Sinne nach in völliger Uebereinstimmung liegen heute die Antworten Oesterreichs und Deutschlands auf den Vorschlag Greys vor, eine Botschafterkonferenz in London mit dem Vermittlungsversuch zu betrauen. Trotz aller Verbindlichkeit in der Form enthalten die Antworten eine deutliche Ablehnung.

Leider zu spät!

Die österreichische Ablehnung.

Die Erklärung Sir Edward Greys im Unterhause findet in Wien, wie in dortigen unterrichteten Kreisen verlautet, günstige Aufnahme, wie alle bisherigen Aeußerungen dieses Oesterreich=Ungarn sehr gut gesinnten Staatsmannes. Es sei lo­gisch, daß in einer Frage, die Europa so stark bewege, alle Mächte daran dächten, den Weltfrieden zu erhalten. Diesen Zweck ver­folge die Rede Greys, und da sein Vorschlag auch dahin aufzu­fassen sei, daß eine Lokalisierung der Angelegenheit zwi­schen Oesterreich= Ungarn und Serbien erreicht wer­den solle, so könne man dies in Wien nur mit Genugtuung begrü­ßen. Hinsichtlich des Passus in der Rede Greys, betreffend die Einstellung aller aktiven militärischen Opera­tionen bis zur Beendigung der vorgeschlagenen Konferenz gilt es als wahrscheinlich, daß der englische Vertreter mit diesem Er­suchen an die österreichisch=ungarische Regierung herantritt. Doch fürchtet man, daß die Sache viel zu weit vorgeschritten ist, als daß die Operationen noch eingestellt werden könnten. Greys Ueberzeugung, daß die deutsche Regierung der Idee der Vermittlung zwischen Oesterreich=Ungarn und Rußland im Prinzip günstig sei, bewege sich ganz auf der Linie, die Deutschland ver­folge, nämlich die Lokalisierung des Streites zwischen Oesterreich= Ungarn und Serbien zu erreichen. Es sei übrigens vorläufig kein Grund, anzunehmen, daß die Lokalisierung nicht gelingen sollte.

Das deutscheNein.

DieKöln. Ztg. meldet aus Berlin: Der Wunsch der Westmächte, durch rechtzeitige vermittelnde Einwirkung das Ueber­greifen des österreichischen Streites mit Serbien auf das Verhält­nis zwischen den Großmächten zu verhüten, wird von der deut­schen Politik nicht nur in platonischer Weise gehegt, sondern das Berliner Kabinett ist bereits in mehr als einer Hauptstadt für die Zwecke einer den europäischen Frieden sichernden Vermittlung tätig gewesen. Man begrüßt es hier, daß jetzt durch die Ini­tiative Sir Edward Greys der Vermittlungsgedanke amtliche Gestalt angenommen hat und öffentlich zur Erörterung gestellt ist. Es machen sich aber Zweisel darüber geltend, ob als Organ für die Vermittlung eine Konferenz von vier Groß­mächten das geeignete Auskunftsmittel darstellt. Daß man die Einzelheiten des österreichisch=serbischen Streites, die lediglich diese beiden Staaten angehen, nicht vor das Forum einer Konferenz ziehen kann, darüber herrscht wohl allgemeine Ueberein­stimmung. Aber auch was die rechtzeitige Beseitigung der zwischen Oesterreich=Ungarn und Rußland etwa aufkeimenden Schwierigkeiten betrifft, so muß die Frage aufgeworfen werden, ob die Regierungen dieser beiden Mächte gewillt sind, eine Konferenz der vier anderen Mächte mit einer amtlichen Vermittlung zu betrauen. Es erscheint für das Gelingen der Vermittlung zweckmäßiger, wenn man die Mittel dafür möglichst einfach gestaltet und sich im unmiltelbaren Verkehr mit den Hauptstädten der beteiligten Reiche der forklaufenden diplomatischen Erörterungen und Einwirkungen bedient, um ein vermittelndes Vorgehen bis zu dem allseitig ge­wünschten Ergebnis durchzuführen. Bei Benutzung dieses Weges würde Deutschland es an der den Westmächten schon bewiesenen Mitwirkung auch weiterhin nicht fehlen lassen.

*

Berlin, 28. Juli. Reichskanzter Dr. v. Bethmann Hollweg empfing heute nachmittag den großbritannischen Botschafter Sir Goschen.

*

Rußland und Oesterreich.

Wien, 28. Juli. Nach den vorliegenden Nachrichten erfolgt, wie dem Vertreter des Wolffschen Telegraphen=Bureaus an zu­ständiger Stelle erklärt wird, noch keine Mobilisierung Rußlands. Ferner wird gegenüber verschiedenen Gerüchten darauf hingewie­sen, daß kein Anzeichen vorhanden sei, daß Serbien die österrei­chisch=ungarische Note nunmehr bedingungslos annehmen wolle. Die Gerüchte von einer Einstellung der Mobilisierung Serbiens sind unbegründet, vielmehr liegen zahlreiche gegenteiligen Mel­dungen vor, u. a. aus Saloniki über das Passieren serbischer Re­servisten und Freiwilliger auf der Rückreise nach Serbien.

Wien, 29. Juli. DieWiener Allgemeine Zeitung" schreibt nach Informationen von besonderer Seite: Ueber die Haltung Rußlands ist zur Stunde noch nichts bekannt. Die Nachricht, daß die russische Regierung irgendwelche Mobilisierungsorder erteilt habe, hat bisher keine Bestätigung erfahren. Wir und auch die übrigen Mächte sind durch die Vertreter am Petersburger Hose über die Vorgänge in Rußland, soweit sie sich überhaupt nicht der Kenntnis entziehen, vollkommen unterrichtet. Es ist jedoch un­möglich, irgendwelche Prognose zu stellen. Die politische Situation

Das Gespenster-Hotel.

Frei dem Englischen nacherzählt von Gräfin T. K. S.

(11. Fortsetzung.)

Mit der Lady stand er auf sehr vertrautem Fuße," sagte Mrs. Rolland,es war beinahe unangenehm zu sehen. Sie nötigte ihn immer, ihr von seinen Famillen=Angelegen­heiten zu erzählen wie er seine Frau kennen lernte, ob er in Geldverlegenheit sei und so weiter, genau so, als ob er ihresgleichen wäre. Verächtlich anders kann ich es nicht nennen.

Und sein Herr? fuhr Agnes fort.Wie vertrug sich Ferrari mit ihm?

Mylord lebte ganz für sich mit seinen Büchern und sei­nem Kummer, antwortete Mrs. Rolland in gereiztem Ton. Mr. Ferrari bekam pünktlich sein Geld und kümmerte sich weiter um nichts.Wenn ich es könnte, würde ich auch fort­gehen, aber es geht nicht," das waren die letzten Worte, die er an dem Morgen, als ich fortging, sagte. Ich gab keine Antwort, denn ich sprach überhaupt nicht mehr mit ihm nach dem, was vorgefallen.

Können Sie mir wirklich nichts mitteilen, was ein Licht in diese dunkle Angelegenheit werfen könnte?

Nein, gar nichts, sagte Mrs. Rolland ruhig.

Es war aber doch noch ein Familienmitglied im Palast in Venedig," beharrte Agnes, entschlossen, alles zu erfahren, was möglich war.Baron Rivar war auch da.

Mrs. Rolland hob ihre großen, in groben schwarzen Handschuhen steckenden Hände wie abwehrend in die Höhe.

Wissen Sie, Miß, daß ich meine Stelle verließ, als ich entdeckte?

Agnes unterbrach sie.

Ich möchte nur wissen, ob Baron Rivar etwas sagte oder tat, was mit Ferraris Verschwinden zusammenhängen könnte.

Darüber weiß ich nichts zu sagen. Der Baron und Mr. Ferrari waren, wenn ich den Ausdruck brauchen darf, Vögel mit denselben Federn, sowett ich beurteilen kann der eine hatte so wenig Grundsätze wie der andere. Ich bin eine rechtschaffene Frau und werde Ihnen ein Beispiel er­zählen. Am Tage vor meiner Abreise hörte ich, als ich über den Flur ging, den Baron an Ferrari sagen,Ferrari, ich muß tausend Pfund haben. Was würden Sie für taufend Pfund riskieren?. Und Ferrari antwortete:Alles, was Sie wollen, Sir. nur darf ich nicht gefaßt werden. Dann lachten sie beide. Ich hörte nichts weiter, aber Sie können sich num selbst ein Urteil bilden, Miß.

Agnes dachte einen Augenblick nach. Man hatte ja an Mrs. Ferrari tausend Pfund geschickt. Konnte dieses Geld im Zusammenhang stehen mit der Unterhaltung des Baron und Ferrari? Es war nutzlos Mrs. Rolland noch weiter

auszufragen, sie konnte auch keine Aufklärungen mehr geben, und die Damen verabschiedeten sich jetzt. Der einzigste Gast, der noch im Hause war, war der Neffe des neuen Lord Mont­barry der älteste Sohn seiner Schwester, Lady Barville. Bei Tisch konnte Lady Montbarry sich nicht enthalten, die Ge­schichte von dem Angriff auf Mrs. Rollands Tugend zu er­zählen und ahmte deren Sprache in der drolligsten Weise nach. Auf Befragen ihres Gatten, weshalb diese Frau im Hause gewesen sei, erwähnte die Lady natürlich auch den er­warteten Besuch Miß Haldanes. Arthur Barville, sonst so still und schweigsam, mischte sich jetzt sehr aufgeregt in die Unterhaltung.

Miß Haldane ist das reizendste Mädchen in Irland! sagte er.Ich sah sie gestern, als ich an ihrem Garten vor­über ritt. Um welche Zeit kommt sie denn morgen? Gegen zwei Uhr? Dann werde ich wie zufällig in das Zimmer kom­men ich brenne darauf, ihr vorgestellt zu werden!

Agnes amüsierte sich sehr über seinen Enthusiasmus. Hast du dich schon in Miß Haldane verliebt?

Da ist nichts zu lachen, erwiderte Arthur ernst.Den ganzen Tag habe ich gestern an der Hecke des Gartens gestan­den, um sie noch einmal zu sehen! Es hängt von Miß Hal­dane ab, mich zum glücklichsten oder unglücklichsten Menschen zu machen.

Du närrischer Junge, wie kannst du solchen Unsinn reden!

Es war entschieden ein Unsinn und sogar noch mehr. Denn ganz unwissentlich drängte er Agnes noch einen Schritt weiter auf den Weg nach Venedig.

14.

Im Laufe des Sommers machte der Umbau des Palastes in ein Hotel große Fortschritte. Die Gesellschaft scheute keine Kosten, um alles so elegant und wohnlich wie möglich zu machen. Nur im ersten und zweiten Stock blieben die Zimmer unangetastet, da der Architekt es schade fand, dieselben zu än­dern. Es waren die Zimmer im ersten Stock von Lord Montbarry und im zweiten von Baron Rivar. Das Zimmer, in welchem der Lord starb, erhielt die Nummer vierzehn und das des Baron Nummer achtunddreißig. Sie wurden mit allem modernen Komfort ausgestattet und sollten als Schlaf­zimmer dienen. Auch die großen Gewölbe waren in Küchen, Weinkeller usw. umgewandelt. Das Hotel versprach jedenfalls eins der schönsten in Venedig zu werden. Doch nun wieder zurück nach Irland. Mrs. Rolland erhielt die Stelle bei der kranken Mrs. Carbury und Miß Haldanekam, sah und siegte, als sie ihren Besuch in Lord Montvarrys Haus machte.

Die Damen waren ebenso entzückt von ihr wie Arthur Barville. Lord Montbarry erklärte sie für das netteste Mäd­chen, welches er kenne und ganz besonders anziehend mache sie, daß sie sich ihres Liebreizes garnicht bewußt wäre. Auch Miß Haldane war sehr entzückt von ihren neuen Bekannten

zu ihrer Tante zurückgekehrt. Gegen Abend wurde Arthur beauftragt, Blumen und Früchte an Mrs. Carbury zu bringen und anzufragen, ob diese sich wohl genug fühle, um am an­dern Morgen Lord und Lady Montbarry und Miß Lock­wood zu empfangen. Sie verkehrten bald in der freund­schaftlichsten Weise miteinander. Mrs. Carbury, durch eine Lähmung an den Rollstuhl gefesselt, ließ sich immer von ihrer Nichte die neuesten Romane vorlesen. Als Arthur dieses entdeckte, bat er öfter Miß Haldane ablösen zu dürfen. Stun­denlang saß er dann bei Mrs. Carbury, ihr vorlesend und sie unterhaltend und erheiterte auf diese Weise das Leben der armen Leidenden. Auch Miß Haldane gefiel er täglich mehr; daß er in sie verliebt war, hatte sie lange gemerkt, aber über ihre Gefühle für Arthur war sie sich noch nicht klar. Mrs. Carbury beobachtete die beiden jungen Menschen voller In­teresse und freute sich, als sie nach einiger Zeit zu merken glaubte, daß ihre Nichte auch Arthur mehr entgegen käme. Sie benutzte die erste günstige Gelegenheit(in Arthurs In­teresse) ihre Nichte ein wenig auszuhorchen.

Ich weiß wirklich nicht, was ich anfangen soll, sagte sie eines Tages,wenn Arthur fortgeht.

Miß Haldane blickte schnell von ihrer Arbeit auf.Aber er wird doch nicht fortgehen!

Meine Liebe, er ist schon einen Monat länger wie be­absichtigt bei seinem Onkel geblieben. Seine Eltern wünschen ihn wieder bei sich zu haben.

Miß Haldane konnte ihren Schrecken kaum verbergen. Weshalb können sie denn nicht auch hierhin kommen? fragte sie.Sir Theodors Besitzung ist doch nur einige Meilen von hier entfernt und Lady Barville ist Lord Montbarrys Schwester. Deshalb brauchen sie doch nicht so zeremoniös zu sein.

Sie haben vielleicht etwas anderes vor, erwiderte Mrs. Carbury.

Meine liebe Tante, das können wir nicht wissen! Frage mal Arthur!

Wenn du ihn frügest!

Miß Haldane beugte sich über ihre Arbeit, aber Mrs. Carbury hatte ihr Gesicht gesehen und das hatte sie verraten!

Als Arthur am nächsten Tage kam, sprach Mrs. Carbury im Vertrauen ein paar Worte mit ihm, während Miß Hal­dane im Garten war. Zum Vorlesen hatte er keine Ruhe, sondern folgte Miß Haldane in den Garten. Am folgenden Tag schrieb er seinen Eltern und schickte eine Photographie von Miß Haldane mit. Sir Theodore und Lady Barville kamen dann selbst um sich ihr eigenes Urteil über die Aehn­lichkeit des Bildes zu bilden! Sie hatten auch früh ge­heiratet und sahen keinen Grund es ihrem Sohne zu ver­wehren. Miß Haldane war das einzige Kind und im Be­sitze eines schönen Vermögens. Sie war achtzehn Jahre alt. Arthur war zweiundzwanzig und als ältester Sohn Sir Theo­dores auch in sehr guten Vermögensverhältnissen. Es war also gar kein Grund die Hochzeit noch heraus zu schieben und

fand diese im September statt. Während der Hochzeitsreise blieb eine Schwester Mrs. Carburys bei dieser und dann zog das junge Paar zu Mrs. Carbury in deren großes Haus.

Ungefähr zu derselben Zeit war auch der Umbau des Pa­lastes beendet und in allen Zeitungen wurde bekannt gemacht, daß das neue Hotel im Oktober eröffnet werden würde.

15.

(Miß Agnes Lockwood an Mrs. Ferrari.)

Ich versprach, liebe Emily, dir etwas von der Hochzeit Mr. Arthur Barvilles und Miß Haldanes zu erzählen. Sie fand vor acht Tagen statt, aber da Lord und Lady Mont­barry verreist waren, hatte ich so viel im Hause zu tun, daß ich nicht früher schreiben konnte.

Wegen der Krankheit von Miß Haldanes Tante waren nur die nächsten Familienmitglieder zu der Hochzeit eingeladen worden. Von der Familie Montbarry waren anwesend Lord und Lady Montbarry, Sir Theodore und Lady Barville, Mrs. Norbury(wie du weißt, die zweite Schwester des Lord), Mr. Francis und Mr. Henry West­wick. Die drei Kinder und ich waren Brautjungfern und außer uns noch zwei junge Damen, Cousinen der Braut und sehr nette Mädchen. Wir hatten alle weiße Kleider mit grünem Band garniert, Irland zu Ehren! Der Bräutigam schenkte uns jedem ein schönes goldenes Armband. Einige ältere Verwandte von Mrs. Carbury waren auch anwesend. Die alten Dienstboten beider Häuser saßen an einem beson­dern Tisch im Saal und tranken das Wohl des jungen Paares.

Das Wetter war prachtvoll und die ganze Feier(mit Musik) sehr schön. Die Braut sah reizend aus und waren wir alle sehr vergnügt beim Hochzeitsdiner. Es wurden viele und hübsche Reden gehalten, die beste hielt Mr. Henry West­wick. Zum Schluß derselben machte er einen glücklichen Vor­schlag, der auch in mein Leben hier eine unvorhergesehene Veränderung bringt.

So viel ich mich entsinne, schloß er mit diesen Worten: In einem Punkt sind wir alle einig wir sind traurig, daß die Abschiedsstunde herannaht und wir würden uns freuen, wenn wir uns bald wiedersehen könnten. Und weshalb sollten wir das auch nicht? Jetzt im Herbst haben die meisten von uns doch eine Ferienzeit vor sich. Wie wäre es, wenn wir mit dem jungen Paar vor Beendigung der Hochzeitsreise zusammen träfen, Erinnerungen an den heutigen vergnügten Tag auffrischten und dem jungen Paar zu Ehren eine kleine Festlichkeit veranstalteten? Sie reisen heute über Deutsch­land und Tyrol nach Italien. Ich schlage nun vor, daß wir sie während eines Monates sich selbst überlassen und dann mit ihnen in Italien zusammentreffen sagen wir mal in Venedig!

(Forsetzung folgt.)