Samstag, 4. April.
Der Wesisälische Merkur erscheint läglich zweimal, am Tage nach Sonn- und Feiertagen einmal.
Beilagen: Illustrierte Unterhaltungs=Beilage(wöchentlich). Verlosungsliste von Wertpapieren(3 mal monatlich).
Redaktion: Lütkegasse 1—3. Sprechstunden 10—11 Uhr vorm.
Geschäftsstelle: Königstr. 59. Geöffnet 8 Uhr vormittags bis 7 Uhr abends.
Verlag u. Rotationsdruck der Westfälischen Vereinsdruckerei.
Drobenummern: Achtlägiger Probeversand des Westsälischen Merkur gratis und franko. Bestellungen mit deutlicher Adressenangabe wolle man richten an die Geschäftsstelle, Sanlgee a. er e
Telegramm-Adresse: Merkur, Münsterwests.
— Redaktion Nr. 203, Geschäftsstelle Nr. 112.
Segründet 1822.
Mergent-Hargabe.
93. Jahrgang.
1914.— Nr. 172.
Bezugspreise:
Bierteljährlich: In Münster bei der Geschäftsstelle K 3.00; auswärts bei allen deutschen Postämtern A 3.50. Zweimonatlich: In Münster bei der Geschäftostelle K 2.00 auswärts durch die Post KA 2.34. Einmonatlich: In Münster K 1.00; auswärts durch die Pr. (für jeden einzelnen Monat des Quartals zulässig) A 1.11. Einzelnummer: Zu haben in der Geschäftsstelle, an der Bahnbösen 2c. à Exemplar 10 Pig.
Anzeigenpreise:
Für die Petitzeile oder deren Raum 25 J, Reklamezzst 75 8 Anzeigen=Annahme: In Münster Königstraße 59, sowi
Annoncen-Bureaus des In= und Auslandes.
Hierzu die Illustrierte Unterhaltungs-Beilage“.
* Das Schaufenstergesetz.
Es war wohl vorauszusehen, daß die neue Gesetzesvorlage gegen die Ausstellung von Schmutz und Schund in den Schausenstern auf Opposition stoßen würde. Als erster erschien aus dem Plane der Goethebund, der natürlich von dem eigentlichen Zweck des Gesetzes, dem Schutze der Jugend, nichts wissen will. Wir haben uns bereits ausführlich damit besaßt. Aehnlich wie der Goethebund haben auch andere Persönlichkeiten Stellung zu dem Entwurf genommen.
Mit dem Sturmlaufen gegen das Schaufenstergesetz beschäftigt sich eingehend die„Deutsche Tagesztg.“ und erklart, sie habe durchaus nichts dagegen, daß man an dem Wortlaute der Bestimmung Kritik übe und den Versuch mache, sie besser und schärfer zu fassen. Was man aber gegen das Ziel des Entwurfs mit Recht einwenden könne, #i ihr schlechthin unerfindlich. Und noch unerfindlicher, noch unbegreiflicher ist es für jeden Kenner der Verhältnisse, daß die Notwendigkeit gesetzgeberischen Eingreifens jetzt bestritten wird,— eines Eingreifens, das seit Jahren fast in der gesamten Presse und fast in der gesamten Oeffentlichkeit gefordert wurde. Das Blatt besaßt sich dann mit den iym vorliegenden Aeußerungen. Die eine vom Landgerichtsdirektor Dr. Kobelt in der„Deutschen Zeitung". Dr. Kobelt billigt den Grundgedanken und die Absicht des Gesetzes, läßt aber die Frage offen, ob die Fassung glücklich oder ob sie nicht vielmehr zu ändern sei. Er meint, daß es vielleicht besser sei, für den Begriff des„Aergernisgebens“ ein mehr objektives Kriterium zu setzen, und läßt dahingestellt, ob man nicht wenigstens verlangen müsse, daß die Zurschaustellung tatsächlich Aergernis geben müsse und nicht bloß„geeignet sein solle", solches Aergernis zu geben. Mit Recht hebt Dr. Kobelt hervor, daß die Regierung es sicher dankbar begrüßen würde, wenn auch der Goethebund an einer schärferen und besseren Fassung der Bestimmung mitarbeiten wollte; keinesfalls dürfe man einen so ernsten Entwurf mit dem Rufe aus dem„Freischütz“ abtun wollen:„Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!“— Man wird diesen Darlegungen das Zugeständnis der Berechtigung nicht versagen können. Die Art, wie der Goethebund den Entwurf behandelt hat, war, wenn man sich ernst und gemessen ausdrücken will, vielleicht des Bundes, aber nicht der Sache würdig. Eine sachliche Kritik übt auch der Regierungsrat Dr. Lindenau in der„Deutschen Juristenzeitung". Auch er billigt die Absicht des Entwurfes, auch er bestreitet nicht die Notwendigkeit. Er hebt aber mit ziemlicher Schärfe hervor, daß die Beweisführung und Sicherung des Tatbestandes große rechtliche Schwierigkeiten in sich schließe. Die Mehrzahl der Entscheidungen werde von polizeilichen Feststellungen abhängen müssen. Man trete aber der Tüchtigkeit der bewährten Polizeimannschaften nicht zu nahe, wenn man ausspreche, daß ihre Urteils= und Ausdrucksfähigkeit diesen komplizierten Tatbeständen nicht gewachsen sei. Es würde sich kaum ein anderer Ausweg bieten, als daß der Schutzmann mit dem Photographieapparate knipsend von Schaufenster zu Schaufenster wandere und das Album seines Tagewerkes den Gerichten unterbreite. Die„Deutsche Tagesztg.“ hält diese Befürchtungen für übertrieben und bemerkt u. a.:
„Wer verurteilt ist, an gewissen Schaufenstern in Berlin vorüberzugehen, der wird mit uns der Meinung sein, daß sich in diesen Schaufenstern bisher viele Abbildungen, Schriften und Darstellungen befanden, deren Zurschaustellung ohne Frage und zweifellos geeignet war, Aergernis wegen sittlicher Gefährdung der Jugend zu geben. Wir behalten uns vor, unmittelbar vor der Beratung des Entwurfes im Reichstage Beispiel anzuführen, soweit diese Anführung überhaupt möglich ist. Dr. Lindenau meint aber ferner, daß der Gesetzentwurf zu eng gefaßt sei, und darin können wir ihm nicht ganz unrecht geben. Er sagt, daß durch die Annahme des Gesetzes zwar der schlimmste Schmutz und Schund aus den Auslagen verbannt werde, daß aber der Absatz ungestört bleiben und daß die Geriebenheit der Verkäufer die Reklamebeschränkung auszuwetzen wissen werde. Deshalb möchte er, daß das Verbot gerichtet werde gegen jede Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, die, ohne ein höheres Interesse der Wissenschaft oder Kunst zu bieten, geeignet sind, die Jugend sittlich zu gefährden. Darüber läßt sich reden.“
Die„Deutsche Juristenzeitung“ hat auch den Herrn Professor Dr. Max Liebermann, den Senator der Königl. Akademie der Kunst, ersucht, den Entwurf vom künstlerischen Standpunkte aus zu begutachten, und hat dieses Gutachten veröffentlicht. Die„Deutsche Tagesztg.“ erklärt zu diesem Gutachten, sie stehe nicht an,„ihr aufrichtiges und lebhaftes Bedauern— mit aller Schärfe und Entschiedenheit zum Ausdrucke zu bringen, daß ein Mann von der unzweifelhaften Bedeutung Liebermanns in solcher Weise sich äußern konnte, wie er es getan hat". Das Blatt unterzieht dann das Urteil einer besonderen Kritik und wendet sich gegen die Uebertreibung, daß es nach der Meinung Liebermanns logische Konsequenz des Entwurfes sei, die Museen zu schließen, die Bibel und den ganzen Goethe zu konfiszieren.
„Daß der Entwurf sich nicht auf Museen beziehen soll, ist ausdrücklich gesagt; wie man aber Goethe und die Bibel hier hineinzerren kann, das geht über unser Verständnis weit hinaus. Man kann die Werke Goethes und die Bibel in jeder Form, in jeder Aufmachung in irgendein Schaufenster stellen, ohne in
Gefahr zu geraten, mit dem neuen Gesetze in Kollision zu kom
men. Wenn man sich aber eine Ausgabe Goethes denken könnte, die mit Aergernis erregenden Bildern geschmückt wäre, so braucht das Buch doch nicht so in das Schausenster gestellt zu werden, daß die betreffenden Bilder auf die Jugend wirken können. Das würde doch eine Herabsetzung Goethes sein, wie sie schlimmer nicht gedacht werden könnte."
Zum Schluß verbittet sich das Blatt ernst und entschieden, daß Herr Professor Liebermann andeutet, der Gesetzentwurf sei bestimmt, eine krankhaft veranlagte kleine Minderheit zu schützen. Er soll vielmehr die Jugend gesund erhalten und hüten vor den Keimen seelischer Erkrankung, er soll vor allem die Gewissen schärfen, er soll die in Betracht kommenden Kreise an die Pflicht erinnern, auch daran zu denken, wie irgendeine zweifelhafte Darstellung auf die noch unfertige und leicht entzündliche Jugend wirken kann.
Man kann schon aus dieser Erörterung ersehen, daß die Vorlage im Reichstage nicht einfach unter Dach und Fach gebracht werden kann, zumal die sozialdemokratischen Blätter den Aeußerungen des Professors Liebermann ellfertig zustimmen, und ein Gezeter erheben über die bevorstehende Knebelung der Kunst unter dem Vorwande des Jugendschutzes. Man darf sich also auf lebhafte Auseinandersetzungen im Reichstage gefaßt machen.
Deutschland.
Berlin, 3. April.
Der ehemalige Staatssekretär v. Köller hat sich in einem Aussatze„„Reichsländisches— Nachklänge" im Aprilheft der„Deutschen Revue" über Zustände in EisaßLothringen nachstehend u. a. geäußert: Als der Friede kam, sahen die Straßburger ihre„wunderschöne Stadt" zum größten Teil in Trümmern liegen, ihr Land zertreten und mit Blut getränkt, niedergebrannt die stillen Dörfer mit den üblichen zwei Kirchen— das Trümmerfeld der Kriegsfurie! Man gedenkt dessen noch heute überall im elsaß=lothringer Volk. Man will, trotz allem, viel lieber ohne Krieg deutsch bleiben, als mit einem Krieg wieder französisch werden. Die Anhänglichkeit an Frankreich ist bei vielen auch begründet durch ideale Bande, die man schonend behandeln sollte, wenn man das Herz des Volkes gewinnen will. Familienpietät, Traditionen religiöser Art usw., die sollte man der Zeit und ihrem lösenden Einfluß überlassen. Das Protestlertum, der elsässische Partikularismus, die liberale Demokratie, die bis in die höheren Beamtenkreise geht, die Ueberhebung über deutsche Art und deutsche Bildung, die bis in die Klassen der Schulkinder hineinzieht— alle demgegenüber ist gewiß nur eine feste Hand der Politik am Platze; aber gerade die Vorgänge der letzten Zeit haben das gelehrt, daß Elsaß=Lothringen— seiner geographischen Lage gemäß— Ruhe und Beruhigung braucht. Bis 1908 ist man auch mit Erfolg diese Bahn gegangen, wie die Geschichte bestätigen wird. Von da ab begann eine Politik des Germanisierens, der Strenge und des Nachspürens, die einen solchen Grad der Erregung im Volk hervorrief, daß auch die Lenker dieses Kurses erschrocken innehielten. Man verfiel nun in das strikte Gegenteil und kam dadurch mit den deutschen Militärbehörden in fortgesetzte Reibungen, die zum Konflikt wurden.
O Kulturkampfsfragen in Hessen. In der hessischen Ersten Kammer wurde dieser Tage der Antrag der Abgg. Dr. Schmitt und Genossen betr. die katholischen Ordensgesellschaften beraten. Es lag dazu ein Antrag des Gesetzgebungsausschusses vor, im Sinne der Beschlüsse der Zweiten Kammer eine Vorlage von der Regierung zum zweck der Milderung des Ordensgesetzes zu verlangen. Zunächst ergriff Fürst Isenburg=Wächtersbach das Wort. Er verlangt die Aufhebung des ganzen Ordensgesetzes, welches als gehässiges Kulturkampfgesetz seinerzeit unter Umgehung der Verfassung zustande gekommen und im Lande großen Unfrieden und Unsegen gebracht habe. Dieser protestantische Standesherr ging auf die Geschichte der Ordensgesetzgebung näher ein und führte den Nachweis, daß nur durch eine falsche Abstimmung und unter Mißachtung der Verfassungsbestimmungen durch das frühere Ministerium Hoffmann eine Mehrheit in der Ersten Kammer seinerzeit für das Gesetz zustande gekommen sei. Die Gerechtigkeit gegenüber den Katholiken des Landes verlange die Aufhebung des Gesetzes. Graf Erbach=Fürstenau kann als evangelischer Standesherr nur diesem Antrag sich anschließen. Der konfessionelle Friede sei nicht möglich ohne Gerechtigkeit auch gegenüber den katholischen Mitbürgern. Der Prälat der evang. Landeskirche D. Flöring kann dem Antrag Schmitt seine Zustimmung nicht geben; er führt aus:
Die katholische Kirche betrachte in den Orden ein Mittel zur Stärkung ihres Einflusses und speziell die krankenpflegenden Orden versuchten, Propaganda für katholische Zwecke zu treiben. Daher errege auch die caritative Tätigkeit der katholischen Orden in evangelischen Kreisen große Bedenken. Bedenklich sei es auch, daß die englischen Fräulein einen erheblichen Teil der katholischen Lehrerinnen ausbildeten. In katholischen Kreisen betrachte man den Antrag Schmitt nur als eine Abschlagszahlung. Bedenklich sei auch die starke Zunahme der katholischen krankenpflegenden Orden in Hessen in den letzten Jahren, auf die eine Broschüre des evangelischen Pfarrers Müller hingewiesen habe.
Landgerichtspräsident Hangen(Protestant) ersucht um Ablehnung des Antrages des Fürsten Isenburg=Wäch
tersbach. Domkapitular Dr. Bendix stellt fest, daß es sich
hier nicht bloß um eine politische Frage und auch nicht um eine Zentrumsaktion handele, lediglich die Rücksicht auf die Seelsorge habe die kirchliche Behörde veranlaßt, eine Milderung der Ordensgesetzgebung zu verlangen. Jahrelang habe man den Wunsch zurückgestellt, um nicht andere wichtige Gesetzeswerke damit aufzuhalten. Er danke dem Ausschuß, daß er in ruhiger und leidenschaftsloser Weise die Frage gesördert habe. Der Redner wendet sich sodann gegen die Einwürfe des Prälaten Flöring und weist auf die hohe Achtung hin, die auch der evangelische Teil der Bevölkerung dem segensreichen Wirken der katholischen krankenpflegenden Orden entgegenbringe. Wenn evangelische Kreise in weitgehendem Maße die Krankenpflege der katholischen Orden in Anspruch nähmen, so entspreche dies durchaus nicht einem besonderen Verlangen dieser Orden und der Vertretung der katholischen Kirche. Entschieden aber müsse zurückgewiesen werden, daß die katholischen Orden bei der Krankenpflege katholische Propaganda betrieben. Minister des Innern von Hombergk erklärt namens der Regierung, daß sie gerade im Interesse des konfessionellen Friedens bereit sei, in aller Kürze eine Vorlage im Sinne der Milderung des Ordensgesetzes einzubringen, wenn das Haus dem Beschlusse der Zweiten Kammer heute beitrete. Gegenüber dem Prälaten Flöring beinerkte er, daß, wo die Zahl der krankenpflegenden katholischen Orden im Lande sich vermehrt habe, hier ein lorales Bedürfnis vorhanden sei. Bei der Abstimmung wurde hierauf der Antrag des Ausschusses auf Milderung des Ordensgesetzes mit allen Stimmen gegen diejenige des Prälaten Flöring angenommen. Wir finden es mit der„Germ.“ höchst bezeichnend, daß, während evangelische Laien für die Aufhebung eines gehässigen Ausnahmegesetzes gegen die katholische Kirche eintreten, einzig der oberste protestantische Geistliche Hessens sogar eine Milderung dieses Ausnahmegesetzes bekämpft.
8„Ein Akt der„Toleranz“. Die„Frankfurter Ztg.“ vom 25. März berichtete aus der Pfalz, und die liberale und sozialdemokratische Presse ließ sich die Geschichte nicht entgehen:
„Folgendes haarsträubende Vorkommnis wird jetzt erst aus dem Orte Hagenbach bekannt. Vor einigen Tagen wurde der Arbeiter Scherrer, ein Veterau von 1870, auf der Straße von einem Schlaganfall betroffen, der zum alsbaldigen Tod führte. Da Scherrer es mit den religiösen Pflichten nicht sehr genau genommen hatte, verweigerte der Geistliche wie auch der Kriegerverein die Beteiligung an dem Begräbnis. Es durften nicht einmal die Glocken geläutet werden.“ Dann erzählt die „Frankfurter Zeitung", wie die Leiche in unwürdiger Weise zum Friedhof gebracht worden sei.
Die Ueberschrift„Ein Akt der Toleranz“ läßt durchblicken, daß man der katholischen Kirche etwas anhängen will, weil der Pfarrer die Beerdigung verweigerte. Scherrer lebte in protestantischer Ehe. Katholisch geheiratet hat er nicht; einige sagen, er sei protestantisch geheiratet, andere, er sei nur ziviliter getraut. Seine Kinder hat er protestantisch erziehen lassen. Den Sonntagsgottesdienst besuchte er nicht. Die Sakramente der Kirche hat er seit Jahren, man redet von 30, nicht mehr empfangen. Bei der letzten Mission 1908 hat er die Regelung seiner Eheangelegenheit mit Hohn zurückgewiesen. Von seiner Frau lebte er getrennt. Am Abend seines Todes hat er in einer Wirtschaft solche spöttische Reden geführt, daß die Wirtin ihn zurechtwies. Die katholische Kirche würde sich selbst aufgeben, wenn sie Leute kirchlich begraben würde, die absolut nicht zu ihr gehören. Uebrigens ist jeder Katholik darüber unterrichtet, daß ihm bei solchen Fällen die katholische Beerdigung verweigert wird: deshalb kann er sich nicht beklagen, wenn's ihm passiert. Wenn der Mann in unwürdiger Weise zum Kirchhof gebracht wurde, fällt die Schuld allein auf seine Frau und Kinder.
Frankreich.
Paris, 3. April. Nach einer Blättermeldung wird im August dieses Jahres eine französisch-russische Konferenz stattfinden, die sich mit der Frage der russischen Getreideeinfuhr nach Frankreich beschäftigen wird.
Paris, 3. April. In parlamentarischen Kreisen ist das Gerücht verbreitet, daß der Justizminister Bienvenue-Martin Rücktritisabsichten bekundet habe, weil in den Schlußfolgerungen des Rochetteausschusses bemerkt wurde, daß er nicht dazu beigetragen habe, Licht über den Aufschub des Rochetteprozesses zu verbreiten. Bienvenue=Martin erklärte aber mehreren Berichterstattern, daß er keinerlei Grund habe, seine Demission zu geben. Er könne sich nicht erinnern, warum der Rochetleausschuß ihn in das Spiel hineingezogen habe. Er fühle sich durch dessen Aeußerungen nicht im mindesten getroffen. Sein Gewissen sage ihm, daß er seine Pflicht vollständig getan habe. Andererseits verlautet, daß BienvenueMartin entschlossen sei, seine Haltung zu rechtfertigen, falls die heutige Rochettedebatte dies notwendig erscheinen lassen könne.
Die Botschafter als Freunde des Dreijahresgesetzes!
Paris. 3. April. Auf Einladung der republikanisch=demokratischen Vereinigung hielt der frühere Ministerpräsident Barthou in einer von 2000 Personen besuchten Versammlung eine Rede, in der er das Programm des Verbandes der Linken darlegte, die Politik der geeinigten Radikalen scharf kritisierte und seine bisherige Hal
tung in der Rochette=Angelegenheit zu rechtfertigen suchte. Ich werde, erklärte Barthou, diese Haltung auch in Zukunft bewahren, denn ich habe das Bewußtsein, daß ich meine Pflicht getan habe. Mit Nachdruck verteidigte Barthou zum Schlusse das Dreiahresgesetz, indem er u. a. sagte: Ich muß da eine Erklärung abgeben, deren ganzen Ernst ich wohl fühle. Ich sage da nur, was ich mit vollster Bestimmtheit weiß. Ich habe die äußere Lage genau geprüft und die Berichte unserer Botschafter und die des Generalstades genau gelesen. Ich weiß, daß die Berichte unserer Bot###chafter und des Generalstabes sich nicht geändert haben. Ich weiß, Faß unsere Botschafter, welche mit befreundeten Mächten in enger Fühlung sind, erklärten, daß das Dreijahresgesetz zur Sicherung unserer Freundschaften und unseres Bündnisses aufrecht erhalten werden müsse. Ich weiß, daß unsere Botschafter bei den anderen Mächten, die nicht abrüsten und ihre Streitkräfte vermehren, sagen, daß es verdrecherisch wäre, an dem Gesetz über die nationale Verteidigung zu rütteln. Ich weiß auch, daß der Generalstab edenso denkt und daß keine Regierung die Abschaffung des Dreijahresgesetzes vorschlagen könnte, da dies eine Politik des mörderischen Verzichts und der verbrecherischen Abdankung wäre.
Dortugal.
□ Die Katholikenverfolgung in Portugal. Die„Kölnische Zeitung" berichtet nach dem gemäßigt republikanischen Blatte „Lucta", daß Portugal augenblicklich trotz Amnestie wieder den Weg der Anarchie geht, der mit Unduldsamkeit und Verhetzung gepflastert ist. Dafür drei Beispiele. Der erste Fall spielt in Coimbra. Die Klerikalen der Stadt hielten eine Versammlung, worin eine Eingabe an das Parlament besprochen werden sollte, in der sie gegen die Profanierung einer Kirche— sie soll in ein Museum umgewandelt werden — Einspruch erheben wollten. Diese Versammlung gab den „Freidenkern“ der Stadt Veranlassung, mit Knütteln, Steinen und Pistolen über die Versammlung herzusallen und die Ausübung eines in der Verfassung ausdrücklich gewährleisteten Rechtes zu verhindern. Der zweite Fall spielte sich in der nächsten Umgebung Lissabons, in Loures, ab. Eine Gruppe junger Leute veranstaltete ein Essen zu Ehren einiger amnestierter Verurteilter der besten Gesellschaft. Dieses Essen wurde in geschlossenem Raum abgehalten und verlief ohne Zwischenfall, ja sogar nach Aussage der im Hause gegenüberliegenden Polizeiwache ohne Hochrufe antirepublikanischer Art. Die einzige„Kundgebung“ ging von einem Nachbar aus, der den Schalltrichter eines Grammophons auf das offene Fenster des Speisezimmers richtete und unaufhörlich das republikanische Nationallied spielen ließ. Da schlossen die Festteilnehmer das Fenster. Das genügte, um die„Freidenker" des Ortes anzulocken, und als die Gäste das Lokal verließen, wurden ihre Wagen mit Steinwürsen, sie selbst mit Prügeln und Beilen angegriffen. Daß bei dem Einschreiten der Polizei nur Monarchisten verhaftet wurden, brauchen wir eigentlich nicht besonders zu betonen. Der dritte Fall hat seinen Schauplatz im Herzen Lissabons. Im Theater Gymnasio sand eine Wohltätigkeitsvorstellung statt, deren Ergebnis zur Linderung der Not in den Famttien der amnestierten politischen Verbrecher bestimmt war. Es muß betont werden, daß diese Veranstaltung, die auf dem Boden der Gesetze stand, keinen parteipolitischen Charakter trug, sondern jedermann freistand, wie denn auch verschiedene Senatoren und Abgeordnete der Vorstellung beiwohnten. Beim Verlassen des Theaters wurden die Zuschauer von einer Bande von„Carbonarios“ belästigt und die Damen in der unslätigsten Weise beschimpft. Es entstand eine große Keilerei, in deren Verlauf aus den Fenstern der anliegenden Häuser auf die Theaterbesucher geschossen wurde.
Das sind die Tatsachen. In allen drei Fällen steht zweifellos fest, daß die„Weißen Ameisen“ die Angreifer waren. Das hindert aber die radikalen Organe nicht, in einer nicht wiederzugebenden Weise die Schuld auf die„Thalassas" zu schieben, und das Verhalten des Pöbels gutzuheißen. Ging doch sogar ein Senator so weit, in der Kammer zu erklären, es sei eine„Herausforderung“, daß die meisten Zuschauer der Wohltätigkeitsvorstellung in Frack oder Smoking, und die Damen in Gesellschaftstoilette ins Theater gekommen seien. Kommentare sind wohl überflüssig, denn der Umstand, daß diese drei Tumulte lediglich von den„Freidenkern" herbeigeführt wurden, sind durch die behördlichen Nachforschungen einwandfrei nachgewiesen.
Großbritannien.
London, 3. April. Nach der„Times“ ist General Sir Charles Douglas als Nachfolger von Sir French zum Chei des Generalstabes ernannt worden
Rußland.
Petersburg, 3. April. Der Minister des Inneren hat an die Gouverneure ein Rundschreiben gerichtet, in dem er alle ihm unterstellten Beamten auffordert, gemeinsam mit den anderen Staatsbeamten den in dem Reskript an den Finanzminister ausgedrückten Willen des Kaisers zu verwirklichen und die Trunksucht schonungslos und wirksam zu bekämpfen.
Petersburg, 3. April. Der Ministerrat hat auf Vorschlag des Marineministers außeretatsmäßig 575000 Rubel zur Ausrüstung von Expeditionen zur Rettung der arktischen Expeditionen von Sjedow und von Russanow und Brusilow bewilligt. Zur Rettung von Sjedow werden drei Schiffe
* Unpolitische Seitläufe.
(Nachdruck verboten.) Berlin, 2. April.
Gestern habe ich keinen Mitmenschen in den April geschickt. Es hat auch niemand versucht, mich zum Aprilgecken zu machen. Weise Leute sagen, die altväterliche Sitte der zopperei am 1. April nehme überhaupt ab. Das mag wohl stimmen. Die alten Scherze ziehen nicht mehr, und um neue Späße auszuhecken, fehlt uns in dem modernen Ringen und Hasten sowohl die Phantasie als auch die Zeit. Wenn die Fopperei angenehm wirken soll, so setzt sie ein gemütliches Verhältnis zwischen den beteiligten Personen voraus: sie müssen sich so gut kennen und verstehen, daß der eine dem andern nichts übel nimmt. Wo findet man dann noch diese Brüderlichkeit und Herzlichkeit? Auf dem Asphalt und im Benzingestank gedeiht die Gemütlichkeit am wenigsten. Die Frau darf sich mit dem Dienstmädchen keinen Spaß erlauben und der Geschäftsmann nicht einmal mit seinem Laufburschen; denn die wissen ganz genau, daß in ihrem Kontrakt nichts von solchen Dingen steht. Die Welt wird von Tag zu Tag — verzeihen Sie das harte Wort— übelnehmerischer.
Wenn die Leute sich nicht mehr zum Narren halten evollen, so wäre das an sich kein Unglück. Leider sträuben sich aber die„selbstbewußten und aufgeklärten“ Zeitgenossen nur gegen die harmlosen Versucher. Dagegen lassen sie sich fortwährend von bösartigen Schwindlern in den April schicken, und obendrein halten sie sich selbst zum Narren durch ihre blinden Leidenschaften. Die Leichtgläubigkeit ist noch längst nicht ausgestorben. Im Gegenteil, sie blüht heutzutage so üppig, wie kaum je zuvor, und trägt reiche Früchte für die Gaukler.
Da schrieb mir z. B. unlängst eine Leserin der„Unpolitischen Zeitläufe“, sie habe in der und der Zeitung eine Anzeige gelesen, wonach eine Berliner Firma eine verlockende Gelegenheit zu leichtem und lohnendem Nebenerwerb biete, und habe dann auf ihre Anfrage das beifolgende(vervielfältigte) Schreiben erhalten. In diesem Lockbrief wurde ausgeführt, daß man mit leichter Mühe aus dem Material, das die Firma gegen einen Sicherheitsvorschuß von 2 Mark 90 #larheit, die über die Verwertung der erzeugten Riechtissen im Werte von 10 Pfg. das Stück hersteen könne. Das Ding erschien sehr verdächtig, namentlich auch wegen der Unklarheit, die über die Verwertung der erzeuguten Riech
kissen gelassen wurde. Ich erkundigte mich bei der Polizei nach der Firma und bot für den Fall, daß hier ein Schwindel der Aufdeckung bedürfe, meine Mitwirkung an. Da die angebliche Fabrik in einem anderen Vororte belegen war, wie die Wohnung des Inhabers, so verzögerte sich die Antwort. Dann aber erhielt ich von der Berliner Polizeizentrale die Mitteilung, es schwebe bereits ein Strasverfahren wegen Betrugs gegen den Mann, und es sei überhaupt von dem Eingehen auf solche Inserate abzuraten. Als ich diesen Bescheid meiner Leserin mitteilte, war es schon zu spät. Sie hatte ihre Sehnsucht nach dem lohnenden Nebenverdienst nicht länger bezwingen können, hatte die 2,90 A eingeschickt und eine Anzahl Papierdüten erhalten nebst einer parfümierten Füllmasse, dazu die Anweisung, daß sie die fertiggestellten „Sachets" selbst verkaufen möge. Die Leserin schrieb dabei, daß sie ihre 2,90 eA zurückgefordert habe; daß sie inzwischen wieder eingetroffen wären, habe ich nicht erfahren. So sieht man, daß auch Leute, denen zuerst Zweifel aufgestoßen waren, sich doch noch in den April locken lassen. All' diese Ankündigungen wegen„lohnenden Nebenerwerbs“ sind mit dem größten Mißtrauen zu betrachten. Wenn ein reeller Unternehmer Arbeitskräfte braucht für eine Tätigkeit, die sich wirklich lohnt, dann braucht er nicht erst kostspielige Zeitungsankündigungen loszulassen. In Berlin und jeder anderen größeren Stadt findet er Tausende von Händen, die gern um das tägliche Brot arbeiten.
Viel Schwindel wird auch mit den Heiratsannoncen getrieben. Dieser Tage wurde ein neuer Trick auf diesem Gebiete entlarvt. Angeblich suchte ein„Schriftsteller" mit vielen Vorzügen und großer Bescheidenheit eine Lebensgefährtin. Als sich ein Fräulein meldete, erhielt sie einen (gedruckten) Bescheid des Inhalts, daß sie auf die„engere Wahl“ gestellt sei und sich über die Eigenschaften des Zukünftigen am besten informieren könne aus dessen Schrift über Liebe und Ehe, die gegen 50 Pfg. verschickt werde. Wieviele heiratslustige Damen mögen nicht die 50 Pfg. riskiert haben, um statt des erhofften Gatten ein wertloses Buch zu erhalten! Der Mann wird seine Ladenhüter los und schmunzelt: April! April!
„Wir leben im Zeitalter des Verkehrs“, hört man oft nach berühmtem Muster sagen. Treffender wäre wohl noch, vom Zeitalter der Reklame zu reden. Vom Morgen bis zum Abend muß man mit den Augen und Ohren Reklame genießen. Der Briefträger bringt mir alle Tage in bunter
Reihe mit den lieben und den trockenen Briefen eine Portion von Reklamezuschriften, und weil die Leute wissen, daß Gedrucktes sehr leicht in den Papierkorb gerät, lassen sie vielfach das Briesporto darausgehen und geben ihren Zuschriften den Anschein einer handschriftlichen Korrespondenz. Auf der Straße gibt es Reklamen links und rechts, sichtbar und hörbar. Wenn ich die Augen schließen und die Ohren verstopfen wollte, so würde mich das doch nicht schützen gegen die Zettelverteiler, die mir die verlockendsten Angebote in die Hand drücken. Die Ruhe am Feierabend wird uns gestört durch die neumodische Reklame der unterbrochenen Lichteffekte. Leuchtende Inschriften aller Art strahlen auf, verschwinden wieder, strahlen von neuem auf und reizen die Gesichtsnerven. Die Reklame kostet furchtbar viel Geld und erfordert oft eine große Kunst. Die soliden Geschäfte müssen mittun, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Da gilt es nun, zu unterscheiden zwischen den reellen Ankündigungen und der unsoliden Anreißerei. Ein großer, zu großer Teil der Reklame ist auf das Ködern von Aprilgecken berechnet. O, die Leute von heutzutage halten sich für sehr klug. Wenn man sie leichtgläubig nennen wollte, so würden sie auf Beleidigung klagen; aber doch fallen sie massenhaft auf den Schwindel herein, wenn er nur in glänzender Aufmachung oder zäher Wiederholung an sie herantritt.„Das muß man doch mal versuchen,“ heißt es schließlich, und schon steckt der Aprilfisch im Netz,
Prüft und behaltet das Beste! Das ist leicht gesagt, aber in dem Gewirr der Verlockungen schwer zu befolgen. Das gesunde Mißtrauen muß man nicht nur am 1. April haben, sondern an allen 365 Tagen des Jahres, denn Tag für Tag macht man den Versuch, uns zum Narren zu halten und dabei noch den Geldbeutel zu schröpfen. Und nicht etwa in der Stadt allein. Auf dem platten Lande besorgen z. B. die Hausterer das Einfangen von Aprilgecken mit großem Erfolge. Was wird da den Leuten nicht alles aufgeschwatzt? Der Mann mit dem Wanderkasten und der beweglichen Zunge versteht sich auf die zweckmäßige Reklame ausgezeichnet. Er weiß an die Eitelkeit und Großmannssucht zu appellieren, manchmal auch an noch schlimmere Triebe. Dabei verschmäht er auch die Anzapfung der Frömmigkeit nicht. Er hängt den guten Leuten erbauliche Bilder und Bücher zu übertriebenen Preisen an, und wenn man sich nicht vorsieht, so hat man durch die Unterschrift unter einen angeblich ganz harmlosen Schein sich zur Abnahme eines kostspieligen Lieferungswerkes verpflichtet. Dieselben Leute, die in einem soliden Ortsge
schäft das kleinste Geldstück zehnmal umdrehen, gehen dem Hausierer auf den Leim.
Jedermann hat seine schwache Seite; mancher hat auch mehrere schwache Seiten, und die Weiblichkeit kann ich beim besten Willen nicht ausnehmen. Wer es versteht, uns an der schwachen Seite zu fassen, der kann uns zum Aprilgecken machen. Im Leben bewährt sich fortwährend, was im Katechismus steht: daß Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens die Menschen auf Abwege bringen. Wenn das Auge so etwas Gleißendes sieht, so möchte die Hand gleich zugreifen, und wenn dann noch die Spottbilligkeit und die„nie wiederkehrende Gelegenheit“ gepriesen wird, so beißt der Aprilfisch an. Die Sinnlichkeit macht die Leute nicht nur zu leichtgläubigen Gecken, die wegen ihrer blinden Vertrauensseligkeit ausgelacht zu werden verdienen, sondern stürzt sie oft in ein Unglück, das tieses Mitlcid heraussordert. Die Liebelei fängt mit gegenseitigen Apritscherzen an und hört oft in einer Stimmung vom Allerseelentag auf. Und nun erst die Eitelkeit, die Gefallsucht, die Neigung zum Protzen und Prahlen und Glänzen,— das ist die ergiebigste Fundgrube für alle Schwindler und Ausbeuter. Die Liebe macht blind; das gilt nicht bloß von der Liebe zum andern Geschlecht, sondern auch von der Eigenliebe. Wenn die Eitelkeit gekitzelt wird, so steht die Vernunft still.—
Zu Fastnacht kommen die freiwilligen Narren zum Vorschein. Am 1. April ist der Gedenktag für die unfreiwilligen Narren, die sich für recht klug halten und doch zu Torheiten verführen lassen. Das Heer dieser unfreiwilligen Gecken ist riesengroß. Es frägt sich nur, ob ich und du nicht auch manchmal in diese Narrenschar geraten. Hüten wir uns vor der Leichtgläubigkeit, die sich vom verlockenden Schein betören läßt. Hüten wir uns auch vor dem Aberglauben, der eine Spielart der Leichtgläubigkeit bildet und auch manche ausbeutungsfähige Gecken schafft, z. B. für„Wahrsagerinnen wunderbar“, für Kurpfuscher und dergl. Diese Mahnung kann man noch ausdehnen auf den politischen Aberglauben, dem Millionen zum Opfer fallen. So werden z. B. die verführten Arbeiter, die an den sozialdemokratischen Zukunftsstaat glauben, regelrecht in den April geschickt.
Das Herz soll man warm halten, aber den Kopf kühl. Ruhig und nüchtern muß man alles prüfen, was verlockend einem in die Augen oder in die Ohren fällt. Sonst bleibt man ein ewiger Aprilgeck, der zum Schaden noch den Spott hat.