Nr. 156 40. Jahrgang
Mittwoch, 5. Juli 1933
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General# Anzeiger
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hiAstrim FFeumnsch ke!
Die Entscheidung auf Donnerstag vertagt Mardonals höfff auf eine neue Ereiatung Robsebens
London, 4. Juli.
Mit größter Spannung wurde in den Kreisen der Weltwirtschaftskonferenz der Abschluß der Bürositzung am Dienstag abend erwartet. Die Diplomatenhalle war bis zum Brechen voll von Abordnungsvertretern und Pressevertretern, die auf das Todesurteil der Konferenz warteten. Schließlich wurde bekannt, daß sich das Büro auf Donnerstag vertagt habe. Die Vertagung ist ohne Zweifel beschlossen worden, weil die Konferenzleitung Zeit gewinnen will, vielleicht noch eine Uebergangsformel auszuarbeiten, um wenigstens das Gesicht der Konferenz zu retten. Darüber, daß die Konferenz praktisch tot ist, besteht allerdings allgemein kein Zweifel mehr.
Charakteristisch für die Lage ist, daß eine Reihe von führenden amerikanischen Journalisten bereits zum Donnerstag Plätze auf dem nach Amerika fahrenden Dampfer belegt haben.
Wie verlautet, haben sich die Goldwährungsländer energisch für einen sofortigen Abbruch der Konferenz eingesetzt. Sie konnten nur durch die Mitteilung Macdonalds zum Nachgeben bewogen werden, daß bis zum Donnerstag vielleicht eine weitere Erklärung zum Standpunkt des Präsidenten Roosevelt eingetroffen sein werde.
Hierzu drahtet uns unsere Berliner Schriftleitung: Wenn auch die Entscheidung über Vertagung oder Abbruch der Weltwirtschaftskonferenz bis zum Donnerstag verschoben wurde, so ist doch aus allen Nachrichten und Pressekommentaren der an den Londoner Verhandlungen beteiligten Länder zu entnehmen, daß die Konferenz mit ihren hoch= und weitgesteckten Zielen schon heute als gescheitert angesehen werden muß. Die gestrige Botschaft des amerikanischen Präsidenten Roosevelt gegen eine sofortige Stabilisierung der Währungen auf dem Goldstandard hat die letzten Aussichten der Konferenz auf ein Minimum herabgedrückt. Englische Blätter erklären rundheraus, Roosevelt habe die Konferenz torpediert. Verschiedene Stimmen fordern den sofortigen Abbruch der Konferenz, andere treten für eine Vertagung und für die Beibehaltung des Konferenzapparates in Gestalt des Konferenzbüros, ein. Fest steht, daß die bereits unter schlechten Vorzeichen begonnene Weltwirtschaftskonferenz praktisch beiseitegelegt werden kann. Es ist begreiflich, daß sich der englische Ministerpräsident Macdonald um die Möglichkeit einer Fortführung der Konferenz bemüht, denn er kämpft um sein und Englands Ansehen, das beim Scheitern der Konferenz einen argen Stoß erleiden würde.
Wie auch immer der Beschluß am Donnerstag fallen wird, die Hoffnungen der Welt, vor allem die Europas, sind zum größten Teil schon heute zu Grabe getragen.
Die deutsche Abordnung und damit das deutsche Volk darf für sich in Anspruch nehmen, alles aufgeboten zu haben, um ein praktisches Ergebnis zu erzielen.
Deutschland, das immer wieder auf die wunden Punkte der Weltwirtschaft und damit der internationalen Verschuldung rechtzeitig hingewiesen hat, kann heute den Interessenstreit zwischen den goldhortenden Ländern und den Staaten mit abgehängter Valuta ruhig mitansehen und es den beteiligten Staaten überlassen, sich auseinanderzusetzen. Im richtigen Augenblick wird deutscherseits richtig gehandelt werden.
Fliegt die Konferenz nicht auf, so wird ein kleiner Ausschuß übrig bleiben, ähnlich dem der Abrüstungskonferenz und den Ausschüssen des Völkerbundes. Wenn auch zur Stunde die amerikanische Presse scharf gegen eine Vertagung auftritt, so sieht aus diesem Scheinmanöver nur die taktische Absicht hervor, die Schuld am Scheitern der Konferenz von den Vereinigten Staaten auf andere Länder abzuwälzen. Formal kann die Konferenz weiter geführt werden. In ihren Zielen ist sie gescheitert. Grund für den negativen Ausgang bleibt die Tatsache, daß die Genfer Abrüstungskonferenz trotz Verhandlungen im Laufe von 24 Monaten die politische Atmosphäre nicht so bereinigen konnte, daß eine Basis für eine großzügige Lösung der Finanzund Wirtschaftsfragen geschaffen wurde. Deutschland hat ebenso wie die Vereinigten Staaten zu jeder Stunde auf diese Notwendigkeit hingewiesen. Man hat die Mahnungen nicht gehört. Die Weltwirtschaftskonferenz wird darum leider auch weiterhin der Mitgefangene des durch unhaltbare Friedensverträge bedingten Irrsinns bleiben.
„Verächtliches Angebertum“.
Ein Brief des Kanzlers an Reichsstatthalter Loeper Berlin, 4. Juli(Eig. Drahtber.) Reichskanzler Adolf Hitler hat, wie die„Deutsche Allgemeine Zeitung“ meldet, an den Reichsstatt
halter Loeper ein Schreiben gerichtet, in dem er sagt, es sei, um die ganze Arbeit nicht zu stören, erforderlich, daß die in den letzten Wochen beobachtete Sucht, überall Nachforschungen nach Vergehen aus früherer Zeit anzustellen, aufhöre. Der Reichskanzler spricht in diesem Zusammenhang von einem„verächtlichen Angebertum" und fährt fort:
„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß in vielen Fällen nicht das Verlangen der Antrieb ist,
führende Männer der Wirtschaft vor das Gericht zu ziehen, sondern oft persönliche Gefühle, vielfach sogar Rachsucht und die Verfolgung äußerer egoistischer Ziele die Triebsedern des Handelns sind. Wenn die Staatsanwaltschaften und die Polizei in jedem Falle, der zur Entscheidung kommt, die vorläufige Festnahme verfügen, so wird auf der einen Seite jenes Angebertum gefördert, das den niedrigen Instinkten der Menschen und nicht der sittlichen Erhebung des.Valkes entspringt. Auf der
anderen Seite entsteht mit der Zeit bei den Führern der Wirtschaft ein Gefühl der Vogelfreiheit, das geradezu die Lähmung der verantwortlichen Leitungen der wirtschaftlichen Unternehmungen nach sich zieht.“
Der Kanzler schließt mit der Feststellung, daß bedeutsame Fälle von Korruption natürlich geahndet werden müssen, aber es sei Großzügigkeit am Platze bei Verfehlungen, die weniger aus Eigennutz als im Ringen um die nackte Existenz begangen worden seien.
Geisthersen!
Ein Aufruf des Reichsausschusses„Brüder in Not“.
Berlin, 4. Juli.
Die im Reichsausschuß„Brüder in Not“ zusammengeschlossenen volksdeutschen und kirchlichen Verbände erlassen folgenden Aufruf:
„Eine furchtbare Hungersnot breitet sich über Rußland aus. Millionen von Menschen, Bauern und Arbeitern, sind ihr bereits zum Opfer gefallen. Ganze Landstriche sind ausgestorben. Verzweiflung und Grauen sind in die Dörfer und Städte eingezogen.
In diese Hungerkatastrophe sind 1½ Millionen unserer deutschen Volks= und Glaubensgenossen mit hineingerissen. Zehntausende der treuesten und tüchtigsten deutschen Menschen werden von der Hungerpest dahingerafft. Tausende von Notschreien und Hilferufen geben täglich Kunde von der entsetzlichen Todesnot, in 1 die sie schuldlos geraten sind. Gras, Baumrinde, Torf, Eidechsen, Frösche, Katzen, Hunde und Kadaver, müssen den Zusammenbrechenden und Verzweifelnden als letzte Nahrung dienen. Auf den Feldern und an den Landstraßen liegen die Leichen der Verhungerten. Seuchen und Epidemien halten ihre grausige Ernte.
Wir können nicht länger schweigen! In unbeirrbarer Treue zu unserem Volkstum, in grenzenloser Liebe zu unsern verderbenden Brüdern er
heben wir laut und eindringlich vor aller Welt unsere Stimme. Es geht jetzt nicht mehr um diese oder jene Form des Lebens, es geht um das nackte Leben selbst. Dieser Riesennot ist unsere bisherige Hilfe nicht gewachsen. Darum wenden wir uns an das gesamte deutsche Volk mit dem Ruf: Helft uns retten, ehe es zu spät ist! Wir dürfen unsere Volksgenossen nicht der Vernichtung preisgeben. Ihre Rettung ist Sache aller Deutschen im Reich und in der ganzen Welt!
Jeder Deutsche beweist die Verbundenheit mit seinen Brüdern, die in Not und Tod versinlen, durch ein Opfer für die allgemeine Volkssammlung. Alle Spenden fließen auf das Postscheckkonto „Brüder in Not“, Berlin 85000.
!] In seinem schweren Kampf um Leben und Freiheit kann das deutsche Volk nicht allen Notleidenden in Rußland die rettende Hand bieten. Hier ersteht allen Völkern und Kirchen der Welt eine unabweisliche Pflicht und eine hohe Aufgabe. Im Namen der christlichen Nächstenliebe und der Menschlichkeit rufen wir unsere Freunde in aller Welt auf, sich mit in den Dienst der rettenden Liebe zu stellen und teilzunehmen am Rettungswerk für die hungernden Millionen in Rußland.“ Reichsausschuß„Brüder in Not.“
SSp. und Oop. aufgelrst
Das Zentrum folgt heute— Die NSDAp. beherrscht allein das Feld
Berlin, 4. Juli.
Der Parteiführer der Deutschen Volkspartei, Reichstagsabgeordneter Dingeldey, teilt mit:
„Da mit dem Wesen des jetzigen nationalsozialistischen Staates Parteien im alten Sinne nicht vereinbar sind, werden hierdurch mit sofortiger Wirkung sämtliche Organisationen der Deutschen Volkspartei aufgelöst. Die Liquidation ist nach Möglichkeit zu beschleunigen. Ueber die Stellung der Mandatsträger sind Verhandlungen mit den maßgebenden Stellen aufgenommen.
Ich erwarte von allen Freunden der Deutschen Volkspartei, daß sie, getreu ihrer Ueberlieferung verantwortungsfreudig an des Vaterlandes Größe und Freihet mitarbeiten. Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Dingeldey.“
Ferner gibt, wie aus München berichtet wird der ehemalige Staatsminister und Reichstagsabgeordnete Eugen Graf Quadt=Isny eine Erklärung bekannt, in der es u. a. heißt:
„Im Benehmen mit der bayrischen Staatsregierung erkläre ich als Bevollmächtigter der Landesparteileitung der Bayrischen Volkspartei, daß mit dem heutigen Tage jede Tätigkeit der BBP aufgehört hat und ihre Mitglieder aus dem Treuverhältnis zur Partei entlassen sind. Die Partei ist praktisch damit aufgelöst. Durch die nationalsozialistische Revolution gibt es außerhalb der NSDAP. keine politische Wirkungsmöglichkeit mehr. Es ist deshalb für jeden Angehörigen der BBP. der Weg frei, unter der unmittelbaren Führung Adolf Hitlers am Aufbau des neuen Deutschlands mitzuwirken.“
Graf Quadt hat seine Aufnahme in die NSDAP. beantragt und gebeten, bei der Reichstagsfraktion der RSDAP. hospitieren zu dürfen. Der Führer der Bayrischen Volkspartei, Prälat Leicht, hat sein Reichstagsmandat niedergelegi
Am Mittwoch dürfte, wie wir erfahren, mit der endgültigen Entscheidung über die Auflösung der Deutschen Zentrumspartei zu rechnen sein. Die Fühlungsnahme mit den führenden Männern der NSDAP. ist soweit gediehen, daß ein Abkommen vorbereitet werden konnte, durch das den positiv tätigen Kräften der bisherigen Zentrumspartei auch weiterhin eine politische Betätigung ermöglicht werden kann. Der mit allen Vollmachten ausgestattete Reichsführer des Zentrums, Reichskanzler a. D. Dr. Brüning, dürfte daher morgen die Auflösung der Deutschen Zentrumspartei verkünden.
Da sich inzwischen auch die Bayrische Volkspartei und die Deutsche Volkspartei aufgelöst haben, sind mit
der Auflösung der Deutschen Zentrumspartei sämtliche politischen Parteien neben der RS DAP. von der Bildfläche verschwunden.
Seilbruch auf einer
Siegerländer Zeche
Keine Opfer, da die Fangvorrichtung funktionierte
Gosenbach(Siegerland. 4. Juli.
Von einem großen Vergwerksunglück blieb das Siegerland verschont. Im Hauptschacht der Grube„Storch und Schöneberg“ riß bei der Einfahrt der Bergleute das Unterseil des Förderkordes. Infolgedessen sauste der Korb, der mit 24 Bergleuten besetzt war, mit ungeheurer Geschwindigkeit in die Tefe. Da die Fangvorrichtung ordnungsgemäß in Wirkung trat, kam der Korb glücklicherweise zum Stehen. Auch das Oberseil hatte standgehalten. Die Feststellungen haben ergeben, daß der Korb ungefähr acht Sekunden gestürzt ist.
Schweres Segelbootunglück
auf der Außenweser— Sechs personen, darunter fünf Kinder, ertrunken
Bremen, 4. Juli
Unverantwortlicher Leichtsinn hat zu einem schweren Segelbootunglück geführt, dem wahrscheinlich fünf Kinder und ein Erwachsener zum Opfer gefallen sind. Trotz schweren Nordweststurmes wagten sich am Dienstag nachmittag sechs Erwachsene mit fünf kleinen Kindern in einem Segelboot auf die offene Weser. Kurz nach Verlassen der Geestemündung kenterte das Boot. Durch den Schlepper„Elsfleth“ wurden drei Erwachsene gerettet. Ein anderes Boot nahm zwei Erwachsene auf. Vermutlich sind der sechste Erwachsene und sämtliche fünf Kinder ertrunken. Zwei Kinderleichen sind bereits geborgen worden.
12 Jahre Zuchthaus
wegen der Ermordung eines SA.=Mannes in Ohlau
Brieg, 4. Juli.
Das Schwurgericht verurteilte den Arbeiter Karl Ziebolz, der sich an dem Ueberfall auf Nationalsozialisten am 10. Juli vorigen Jahres in Ohlau beteiligt und dabei den SA.=Mann Konietzke mit einer Latte erschlagen und in die Ohle geworfen hatte, wegen Totschlages zu 12 Jahren Zuchlhaus.
U/R. auf den Spuren
des Jalchismus;
Von
Benilo Mussolink, talienischem Ministerpräsicenten
Copyright by King Features Syndicate.
Nachdruck und Uebersetzung, auch auszugs
weise, verboten!
Nachdem ich die 257 Seiten von Roosevelts Buch „Looking Forward“(Blick in die Zukunft) gelesen und den Band in die Bibliothek zurückgestellt habe, allerdings in die erste Reihe, um leicht etwas nachschlagen zu können, kam mir die Frage, die ich bei der großen Zusammenkunft der Träger der faschistischen Regierung in Rom am 16. Oktober 1932 aufgeworfen habe, sofort wieder auf die Lippen:„Ist der Zustand, in dem wir seit vier Jahren leben, eine Krise„innerhalb" des Systems oder ist er eine Krise„des“ Systems? Wie beantwortet Roosevelt diese dringliche Frage? Erst auf Seite 247 deutet er an, daß die Krise keine der üblichen regelmäßig wiederkehrenden Krisen, sondern eine strukturelle oder sogar eine Kulturkrise ist.
„Wenn“, sagt er,„unsere gegenwärtige Gesellschaftsordnung fortdauern soll, so muß sie sich unserer Mühe und Aufopferung sowie der Lebensarbeit unserer Vorjahren würdig erweisen, und zwar innerhalb der nächsten Jahre. Wir müssen erkennen, daß sich in einem sehr kurzen Zeitraum tiefgehende Veränderungen in den wirtschaftlichen Kräften der Welt vollzogen haben.“
Es ist meiner Meinung nach schon außerordentlich bedeutsam, daß Roosevelt Zweifel an der Dauer des gegenwärtigen Wirtschaftssystems hegt, aber das ganze übrige Buch, das den Leser auf jeder Seite fesselt, zeigt, daß für Roosevelt die Krise noch„innerhalb“ des Systems liegt. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat jedoch schon— in sehr entschiedener Weise— den klassischen Boden des Wirtschaftssystems der Liberalen verlassen. Er hat der Schule von Manchester mit ihrem„laissez faire, laissez passer“(Laßt die Welt gehen, wie sie eben geht) den Rücken gewandt und stellt fest, daß das„laissez kaire“ die Vereinigten Staaten dazu geführt habe, eine regelrechte Oligarchie(Herrschaft weniger) durch einige hundert Personen zum Schaden des gesamten Volkes zu dulden, das nach einer Zeit gefährlicher Illusionen am Rande des wirtschaftlichen Abgrunds stand und einer sozialen Katastrophe nahe war.
Die Achtung vor dem Privateigentum ist gut und schön, sagt Roosevelt, aber die Ausübung der Rechte des Privateigentums kann nicht von den Interessen der Allgemeinheit getrennt werden. Die Anerkennung der Initiative des einzelnen ist gut. aber der Individualis= mus darf nicht zur Quelle des Elends werden und muß die Interessen des Verbrauchers des Arbeiters und des Teilhabers berücksichtigen. Präsident Roosevelt tritt für den freien Wettbewerb ein, aber in Krisenzeiten ist der freie Wettbewerb eine Maschine, die nicht funktioniert. Er ist auch nicht dafür, daß der Staat Unternehmer oder Kapitalist ist, aber es gibt Produktionszweige, wie die Elektrizitätserzeugung, wo der Staat, direkt oder indirekt, die Verwaltung eines Unternehmens durchführen kann. Den traditionellen Standpunkt des wirtschaftlichen Liberalismus. der im Gegensatz zur sozialen Gesetzgebung steht, lehnt Roosevelt ab. Er versicht die Ansicht, daß in unserem modernen Zeitalter der Staat für Arbeitslosigkeit, Betriebsunfälle, Invalidität und Alter eintreten muß. Der Präsident erklärt, daß diese allmäbliche Ausdehnung der sozialen Tätigkeit seitens des Staates unvermeidlich und nützlich ist. Es handelt sich nur darum, sie sorgfältig zu organisieren.
Ich möchte daher die Regierung Roosevelt als entschieden interventionsfreundlich auf wirtschaftlichem Gehiete bezeichnen. Nach Ansicht des Präsidenten dürfen Individuen und Geschäftsinhaber nicht als Individuen denken und handeln, sondern nur als Teil des nationalen und sozialen Gefüges. Ist aber dieses Eingreifen des Staates, das Roosevelt für vorübergehend erklärt, beschränkt auf die Dauer der gegenwärtigen Krise oder muß sie als etwas Bleibendes angesehen werden?
Ein Absatz in der Vorrede und zahlreiche Seiten im Tert des Buches geben Anlaß zu der Schlußfolgerung, daß Roosevelt der systematischen und vorbeugenden Intervention des Staates in wirtschaftlichen Fragen nicht abgeneigt ist. Tatsächlich erklärt er sich für Planwirtschaft nicht nur während der augenblicklichen Krise, sondern auf lange Zeit hinaus. In seinem Buche vertritt Roosevelt ein solches Eingreifen der Regierung auf dem Gebiete der Landwirtschaft, die ihm am meisten am Herzen liegt, sowie für elektrische Lieferungs= und ähnliche Gesellschaften, Verkehrsunternehmen, Banken und Sparkassen. Auch für Zollfragen und Regelung der internationalen Beziehungen ist die Regierung zuständig. Zur Abschaffung der wirtschaftlichen Oligarchie, die Roosevelt energisch bekämpft— er erwähnt auch in seinem Buch die sensationelliten Skandalassären— schlägt er folgendes vor: Eine Festlegung wirtschaftlicher Rechte, die Schaffung einer Wirtschaftsverfassung ist die gemeinsame Aufgabe von Staatsmännern und Geschäftsleuten. Sie ist die erste Voraussetzung einer dauerhafteren Gesellschaftsordnung. Glücklicherweise zeigen die gegenwärtigen Verhältnisse, daß die Schaffung einer solchen Ordnung nicht nur die allein richtige Regierungspolitik, sondern auch die einzige Rettung für unsere Wirtschaftsstruktur ist.“
Eine andere Erklärung Roosevelts, die zum Nachdenken zwingt, auf dem Boden der Tatsachen steht und beweist, daß der Präsident nicht mehr in den Lehren des wirtschaftlichen Liberalismus befangen ist, lautet:„Wir wissen, daß Freiheit und Glück des einzelnen nichts be
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