Nr. 50. Erstes Blatt. Einzelnummer 10 Pfa.

Paberborn, Dienstag, 19. Februar 1929

Westfälische Vezirksausgaben: Der Sauerländer Der Freimütige arsteinecZeitung

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Das Eichsfeld gegen Thüringen

G Gelegentlich der Haushaltsberatungen des Provin­ziallandtages für die Provinz Sachsen hat soeben der Zen­trumsabgeordnete Direktor Schilling=Halberstadt na­mens derFraktion der Mitte erklärt, daß bei dergroßen Flurbereinigung, die einmal kommen muß. nämlich bei der dereinstigen Schaffung des mitteldeutschen Einheits­staates das Eichsfeld es mit aller Entschieden­heit ablehne, an Thüringen angegliedert zu werden. Er hat(unter dem Beifall seiner Fraktion) wört­lich erklärt:

Es wäre ein großes Unrecht, es wäre kata­strophal für das Eichsfeld, wenn bei einer Neugliederung der Staaten das Eichsfeld an Thüringen angegliedert wer­den sollte, an ein Land, dessen Finanzen schlecht sind, an ein Land, das wirtschaftlich, landwirtschaftlich nicht reich ist, an ein Land, das Einwanderer nicht aufnehmen kann.

Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ob diese An­gelegenheit nicht sonderlich dringlich sei; denn die Reichsreform hat sich bisher nicht in einem Tempo ent­wickelt, das man bedrohlich nennen könnte: es ist lediglich darüber geredet und geschrieben worden, Klares und Ver­worrenes, Verständiges und Beschränktes, Deutsches und Nur=allzu=Deutsches, je nachdem. So auch insbesondere über Thüringen und über die Frage, ob und warum und wie es umzugestalten sei.(Ueber Thüringen ist vielleicht sogar am Allermeisten geredet und geschrieben worden, und zwar ist es beiderseits: von den Miniaturföderalisten wie den Vertretern des Reichsgedankens, in dem mehr oder minder deutlich ausgeprägten Bewußtsein geschehen, daß die Lösung der thüringischen Frage das Haupt= und Kernstück der ganzen Reichsreform ist und daß, wenn erst einmal diese Frage gelöst ist, alles übrige nur noch ein Kinderspiel ist.) Aber es geschehen mit Deutschland Dinge, die auch in Bezug auf die Reichsreform zur Aufmerksamkeit nötigen: niemand weiß heute, ob wir nicht schon in Bälde durch übermächtige Ge­walten dazu gezwungen werden, sehr eil­fertig und behende, aber auch sehr nachdrücklich und entschieden zu reformieren, weil wir anders die Repa­rationsmilliarden nicht mehr aufzubringen vermögen. Unser Parteifreund in Halberstadt hat deshalb sehr klug und be­dachtsam gehandelt, als er die Merseburger Tagung des sächsischen Provinziallandtages benutzte, um die einhellige Willensmeinung des Eichsfeldes öffentlich bekannt zu geben. Die Eichsfelder werden ihm Dank wissen, daß er ihre Sache rechtzeitig genug und mit der erforderlichen Entschieden­heit vertreten hat.

Das Eichsfeld will nicht nach Thüringen und hat dafür gewichtige Gründe geltend zu machen. Gründe, die nicht überhört werden können. Diese Gründe beruhen nicht im Gefühlsmäßigen, nicht in der Anhänglichkeit an das geschicht­lich Gewordene. Bei aller Treue und Verbundenheit des Eichsfeldes mit der Tradition: den Luxus der Gefühle hat man sich auf dem Eichsfeld selten einmal leisten dürfen. Leute, die Jahr für Jahr durch die harte Not gezwungen werden, den Heimatboden zu verlassen und ihr bißchen Brot in der Fremde zu suchen, lassen sich nicht von schönen Ge­fühlen überwältigen, wenn es gilt, für des Lebens Notdurft zu sorgen. Die BegriffeStaat" undSteuer haben im Ohr und Herzen des Eichsfelders einen härteren Klang, als bei den meisten anderen der deutschen Stämme: wo man im übrigen Deutschland für den Steuerzettel sich mühen und plagen muß, da muß man auf dem Eichsfeld frohnden und sich qualen. Wenn die Eichsfelder, ob Land­wirte, Gewerbetreibende oder Arbeiter, von den Notstands­kundgebungen ihrer Standesgenossen in den übrigen Teilen Deutschlands lesen, dann haben sie meist den bitteren Ge­danken:Kommt erst einmal nach dem Eichsfeld, dann könnt ihr sehen, was Härte des Lebens ist, weil das Eichsfeld bei all seiner landschaftlichen Schönheit. vom Ge­schick dazu verurteilt ist. alle Nöte des Daseinskampfes drei­mal härter zu empfinden, als sie selbst in der Rhön und Eifel, im Böhmerwald und an der rauhen Alp empfunden werden.(Die biologischen und soziologischen Wachstums­erscheinungen dieser Stämme sind Beweis dafür.) Die Bauersfrau ist überall schlechter daran als ihre Magd; aber auf dem Eichsfeld muß die Frau pflügen und mähen, damit der Mann Geld verdienen kann. Die Gewerbe­traibenden sind überall schlecht daran, und dennoch müssen nicht so viele von ihnen die Steuergroschen durch Hausieren zusammenquälen wie auf dem Eichsfeld. Auch die Arbeiter sind überall schlecht daran; aber so niedrig wie auf dem Eichsfeld sind die Tariflöhne selten irgendwo, und trotz dieser niedrigen Tariflöhne gelingt es nicht, soviel Indu­

bittet um Zuflucht

Telegramm an Toebe

Und das Auswärtige Amt?

X Berlin, 18. Febr.

Reichtagspräsident Loebe hat am Montag­abend folgendes Telegramm erhalten:

Pera, 18. Fedr.

Mich auf Ihre Erinnerungsansprache im Reichstage am 6. d. M. berufend, ersuche ich das hiesige deutsche Kosulat um betreffende Bewilligung.

Leo Trotzki.

Reichstagspräsident Loebe hat diese Bitte befür­wortend an das Reichskabinett, weiter­gegeben.

Die in dem Telegramm erwähnte Erinnerungsrede des Reichstagspräsidenten bezog sich auf die Wiederkehr des 10. Jahrestages der Eröffnung der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung. Darin antwortete der Präsident auf Zwischenrufe von den Kommunisten:Wir haben Ihnen und

den anderen erst die staatsbürgerlichen Rechte gegeben. Viel­leicht kommen wir sogar dazu. Herrn Trotzki in Deutschland ein freiheitliches Asyl zu gewähren.

Das Auswärtige Amt wird sich das Gesuch des Herrn Trotzki, in Deutschland ein Asyl zu bekommen, wenn es demnächst vorliegt, hoffentlich sehr scharf überlegen. Die Frage ist die: Kann Deutschland es sich leisten, einen Mann zu beherbergen, der sicherlich den Kern einer Gruppe bolschewistischer Aaitaloren bilden wird? Das ist aber weder vom außenpolttischen noch vom innenpoliti­schen Standpunkte aus erwünscht. Deutschland hat keine Veranlassung, sich durch Herrn Trotzki in Ungelegenheiten bringen zu lassen, soweit sein Verhällnis zu Sowjetrußland in Frage kommt, unbeschadet von der Meinung, die man von dem Sowjetsystem hat. Daß wir kein innenpolitisches Inter­esse daran haben können, eine Koryphäe des ausländischen Bolschewismus in Deutschland aktiv werden zu lassen, bedarf keiner weiteren Worte.

Die Forderungen des Zentrums

Die Notwendigkeit der großen Koalition

Neue Verhandlungen

X8 Berlin, 18. Febr.

Die achttägige Verhandlungspause des Reichstages ist heute zu Ende gegangen. Damit ist auch die Frage wie sich die innenpolitische Lage weiter entwickeln soll, wieder in ein akutes Stadium getreten, denn es ist klar. daß sie nicht so bleiben kann, wie sie gegenwärtig ist. Es ist unmöglich, mit so unge­festigten Koalitionsverhältnissen, wie wir sie jetzt haben, den Etat und die Steuergesetze zu erledigen, die den Reichstag in den nächsten Wochen beschäftigen werden. Praktisch gesprochen bedeutet es, daß es die Aufgabe des verantwortlichen Reichs­kanzlers sein muß, die gegenwärtig zerbrochen am Boden liegenden Teile aufzuheben und wieder zu einem leistungs­fähigen Ganzen zusammen zu kitten.

Wir befinden uns, wenn wir das sagen. in Uebereinstim­mung mit dem Reichskanzler a. D. Dr. Marx, der am Sonntag in einer Rede in Hamburg erklärt hat die große Koalition müsse kommen und das Zentrum werde wieder die Hand zu gemeinsamer Arbeit reichen, wenn seine Forderun­gen anerkannt würden.

Diese Erklärung wirft zugleich ein klares Licht auf die Frage. welchen Sinn das Ausscheiden des Zentrums aus der Reichsregierung nicht hat. Es kann keine Rede davon sein, daß das Zentrum diesen Schritt getan hat, um sich in eine bequeme Oppositions stellung zu begeben und darin zu verbleiben. Der Schritt ist vielmehr deshalb erfolgt, weil die Führung der Zentrumsfration keinen anderen Ausweg aus einer hauptsächlich durch die Deutsche Volkspartei ver­schuldeten Situation sah. Ein kurzer Blick auf die parla­mentarische Lage genügt, um die nach wie vor fortbestehende Unentbehrlichkeit des Zentrums für jede praktische parlamentarische Arbeit klar erken­nen zu lassen. Es ist Ausgabe des Reichskanzlers, aus dieser Sachlage die Konsequenzen zu ziehen und eine starke Ini­tiative mit der Zielsetzung Bildung fester Koalitionsverhält­nisse zu entwickeln. Er hat es in der Vergangenheit an dieser

Initiative sehr fehlen lassen und er hat es im wesentlichen dem Zentrum und der Deutschen Volkspartei überlassen, ihre Differenzen untereinander auszutragen. Ein Artikel, den der Vorwärts am Sonntage veröffentlichte, scheint darauf hinzuweisen, daß auch der Sozialdemokratie die Erkenntnis dämmert, daß ihr als der stärksten Partei an der Regierung die Rolle des unparteiischen Zuschauers nicht anstegt.

Auf der Linie des Versuches einer direkten Verständigung zwischen Zentrum und Deutscher Volkspartei liegt es wohl, wenn der Zentrumsführer Dr. Kaas und der Vor­sitzende der Deutschen Volkspartei. Außenminister Dr. Stre­semann, sicherem Vernehmen nach am Dienstag eine Zu­sammenkunft haben werden, um sich über die schwebenden Fragen auszusprechen. Zwischen den beiden Männern stehen nicht nur die Differenzen der letzten Wochen, sondern auch sonst noch einiges Unausgesprochene auf dem Gebiete der Außenpolitik. was wohl bei dieser Unterredung eine Rolle spielen wird.

Eine fortbestehende Schwierigkeit ist die Frage der Gleichzeitigkeit der Regierungsumbildungen im Reiche und in Preußen. Sogar das demokratische Berliner Tageblatt sagt heute in einem Artikel über die poli­tische Lage, was in Preußen geschehe. interessiere nach Lage der Dinge erst in zweiter Linie, weit dringender sei. daß Zentrum und Deutsche Volkspartei sich zunächst einmal im Reiche ver­ständigten. Dieser Meinung sind auch wir, und wir hoffen, daß es dem Reichskanzler gelingen wird. auch die Deutsche Volks­partei auf diese Linie zu bringen. Das Zentrum steht den Wünschen der Deutschen Volkspartei in Bezug auf Preußen durchaus loyal gegenüber. Es erscheint uns allerdings zweck­mäßig, daß bei kommenden Verhandlungen über diese Wünsche vom Zentrum die Frage des Konkordates etwas deutlicher zur Debatte gestellt wird, als das in der letzten Etappe der Verhandlungen geschehen ist. Wir vermögen keinen Grund einzusehen, warum das Zentrum nicht klar und deutlich sagen soll, was es von der Deutschen Volkspartei in Preußen in Bezug auf das Konkordat verlan­gen muß.

strie nach dem Eichsfelde zu ziehen, wie nötig wäre, um die Abwanderung zu hindern. Das Wort Steuern hat überall einen harten Klang; aber wo man sich so hart um die Aufbringung der Steuern mühen muß, wie auf dem Eichsfeld, da sieht man doppelt und dreifach scharf, wenn es um diewirtschaftlichen Interessen und die Gefahr der steuerlichen Verschlechterung geht.

Daß die Eichsfelder nicht nach Thüringen wollen, liegt an verschiedenen Ursachen, und zwar zu einem Teil an sol­chen, für die der Staat Thüringen nichts kann(Land­wirtschaft und Industrie sind in Thüringen nicht aufnahme­

fähig für die eichsfeldischen Auswanderer), zum anderen Teil liegt es an Ursachen, für die der Staat Thüringen sehr viel kann. Der Abgeordnete Schilling=Halberstadt hat diese Ursachen nur flüchtig angedeutet, als er Thüringen

ein Land nannte.Vessen Finanzen schlecht sind". E hätte Vieles hinzuzufügen gehabt, wenn es sich in Mersebur darum gehandelt hätte, das Problem in aller Gründlichke aufzurollen. Er hätte insbesondere darauf hingedeutet, we chen Luxus man sich in Thüringen leistet: den Luxus eine Staatsverwaltung über den nicht nur der Reichs sparkommissar und sein Beamtenstab, sondern so ziemli­ganz Deutschland die Köpfe schüttelt, den Luxus einer Fi nanzgebarung, deren einziger Vorzug die Seltsan keit ist, den Luxus eines Berufsschulwesens, eine Unterstützungspolitik der ehemaligen Residen, theater, einer von schlechterdings unausführbaren Pläne getragenen Energiewirtschaft und noch vieles An dere. Thüringen ist derjenige deutsche Staat, der nebe seinen drei Ministern noch fünf Staatsräte in Kabinett haben muß Staatsräte, die ursprünglich nur al reine Gebietsvertreter der früheren Einzelstaaten gedach

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