Nr. 42. Erstes Blatt.
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158 Millionen für die Landwirtschaft, die Kleinrentner und Sozialrentner.— Deckung aus den Mehreinnahmen der Zölle.
Zeitzünder.
Was sich im Deutschen Reichstag begibt, würde im Sprachgebrauch des Artilleristen etwa„Bomben mit Zeizünder“ genannt werden; der Reichstag liebt es, große Ereignisse anzukündigen, die mit beträchtlichem Knalleffekt verbunden sein sollen, aber er läßt das angenehm aufgeregte Volk jeweils eine geraume Zeit auf den besagten Knalleffekt warten, in der Hoffnung vielleicht, daß auf diese Weise die Wirkung um so größer sei.(Aber der Reichstag soll sich über den Grad der politischen Anteilnahme beileibe keine Illusionen machen; wir vermuten, daß die Zahl derer, die auf die Fortsetzung des Krantzprozesses warten, beträchtlich größer ist als die Zahl derjenigen, die der Nachricht über die Reichstagsauflösung entgegenfiebern.)
Daß nicht heute schon über die vollzogene Reichstagsauflösung zu berichten ist, liegt zweifellos nicht an der Entschlußlosigkeit der Parteien, auch nicht daran, daß der Widerstand der beiden Rechtsparteien gegen eine sofortige Auflösung nicht zu überwinden gewesen wäre. Zwar hat die Deutsche Volkspartei eine berechtigte und begreifliche Scheu vor Neuwahlen, die sich zu einem großen Teil unter einer von ihr selbst gelieferten kulturpolitischen Parole: für freies Elternrecht und für die christliche Bekenntnisschule!" abspielen würden; zwar haben die Deutschnationalen noch immer nicht die Hoffnungen aufgegeben, auf dem Wege über den Notekat und mittels der zahlreichen Forderungen für die ostelbische Landwirtschaft, die bei diesem Etat angemeldet werden könnten, die Lebensdauer der gegenwärtigen Regierung über den kriktschen Sommer hinweg bis in den Herbst verlängern zu können. Aber daß das Zentrum nicht die Absicht hat, zu diesem Spiel seine Hand zu bieten, ist bereits am Donnerstag abend ersichtlich gemacht worden, als auf Veranlassung des Zentrums der Reichsinnenminister die Länderreglerungen teleggaphisch ersuchte, die Vorbereitungen für die Reichstagsneuwahlen, insbesondere die Aufstellung der Wählerlisten, unverzüglich in Angriff zu nehmen.
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An sich ist die politisch-parlamentarische Lage seit der öffentlichen Erklärung über die Beendigung der Koalition eine glatte Unmöglichkeit. Man vergegenwärtige sich: eine aus vier Parteien gebildete Regierung zerfällt, weil eine Regierungspartei bei einem wichtigen und für die Errichtung der Koalitionsgemeinschaft wichtigen Gesetze versagt hak. Da diese Partei aus ihrem Verhalten nicht selbst die gebotenen Folgerungen zieht, erklären die übrigen Parteien die Koalition für aufgelöst. Damit hat die Koalition aufgehört zu bestehen. Aber die Reichsregierung bleibt nach wie vor im Amte und tut, wie wenn nichts gewesen wäre. Die Regierung verfügt zwar nicht mehr über eine Mehrheit, sondern hat nur noch eine Minderheit des Parlaments hinter sich. Sie kann im Amte bleiben, weil nicht nur die ausgeschiedene Partei, sondern auch die Opposition damik einverstanden ist, daß die Regierung zur Erledigung einiger bestimmter Aufgaben und gewissermaßen als Geschäftsministerium bis zur Vornahme von Neuwahlen beisammen bleibt. Die Opposttionsparteien übernehmen aber mit der Bereitwilligkeit, zusammen mit den Regierungsparteien den Versuch zur Erledigung des Reichshaushalts zu machen, nicht auch die Verpflichkung, den Reichshaushalt anzunehmen. Insbesondere hat die Sozialdemokratie ganz unzweidentig erklärt, daß sie den Etat ablehnen würde; sie hat nur ein parteitaktisches Interesse daran, daß dieser Etat noch von der jetzigen Regierung fertig gestellt wird, damit sie in der Wahlagitation desto hemmungsloser gegen einzelne Posten des Etats zu Felde ziehen kann.— Also, wie man sieht, eine politisch-parlamentarische Lage, die lediglich den Reiz der Neuheit für sich in Anspruch nehmen kann, die aber in keinem anderen Lande mit einiger parlamentarischer Vergangenheit praktisch möglich
Die Stimmung für die sofortige Auflösung des Reichstages hat sich in dem Augenblick verschärft, als erkennbar wurde, daß das sogenannte Arbeitsprogramm, also die Liste derjenigen Arbeiten, die der Reichstag noch vor dem 31. März erledigen sollte, von den Rechtsparkeien als eine Art Prell- und Sturmbock gedacht sein konnte, mit dessen Hilfe die Hinausschiebung der Wahlen bis zum Herbst erreicht werden sollte. Die Rechnung war verhältnismäßig einfach: bei dem Notetat, der gewisse Hilfsmaßnahmen für die Landwirkschaft, namentlich für die von Unwetterschäden betroffene, vorsah, sollte ein großzügiges Agrarprogramm mit Maßnahmen für die ostelbische Landwirkschaft(im ungefähren Umfang von 540 Millionen) zum Vorschein kommen, das dann nicht Hals über Kopf zu erledigen war, sondern umfangreicher Prüfungen, Feststellungen und Beratungen bedurft hätte, worüber der größte
Beratungen der
Von unserer Berliner Vertretung
X Berlin, 17. Febr.
In der gemeinsamen Sitzung der Regierung mit den Führern der Regierungsparteien legte die Regierung ihr Notprogramm vor. auf das sie sich geeinigt hat und zwar geschlossen. Es sieht vor, daß für Landwirtschaft. für die Kleinrentner und für die Sozialrentner Mehraufwendungen von insgesamt 158 Millionen gemacht werden sollen. Davon würden 183 Millionen den Eta: dauernd belasten. Der Finanzminister stellte die Deckung dieser Mehrausgaben mit dem Hinweis in Aussicht, daß eine Erhöhung der Einnahmen aus Zöllen von 1050 auf 1200 Millionen sich sehr wohl rechtfertigen lasse.
Im einzelnen verteilen sich die Mehraufwendungen wie folgt:
Landwirtschaft.
1. Zur Organisierung des Absatzes von Schlachtvieh und Fleisch sollen 30 Millionen in den Etat eingestellt werden. Diese 30 Millionen sollen in Form von Krediten in die Landwirtschaft fließen.
2. Zur Sicherung der rationellen Fortführung der Betriebe weitere 30 Millionen.
3. Zur Verhütung des Niederbruches und zur Fortführung der Genossenschaften einmal 20 Millionen.
4. Zu Förderung der Geflügelzucht und dieser Erzeugnisse im Nachtragsetat 1927 und im Etat 1928 zu 500000 M.
5. Der Reichsfinanzminister soll ermächtigt werden, einer Organisation beizutreten, die die Aufgabe hat, die landwirtschaftlichen Kreditinstitutionen bei der Entschuldung der Landwirtschaft zu unterstützen.
6. Ratenweise Herabsetzung des Gefrierfleischkontingents der Bevölkerung.
7. Ausdehnung des Einfuhrscheinsystems auf die Einfuhr von Schweinen und Schweinefleisch.
8. Die Rentenbankkreditanstalt soll durch Gesetz ermächtigt werden, den zentralen Unternehmungen zur Förderung der landwirtschaflichen Organisationen Kredite zu geben
Kleinrentner.
Hier handelt es sich vor allem um die Sicherstellung der Kleinrentner über 65 Jahre. Die erhöhten Richtsätze sollen ihnen sichergestellt werden. Mehraufwendungen jährlich 15 Millionen Mark(statt 25 jährlich 40 Millionen). Von diesen 40 Millionen sollen 15 Millionen sofort ausgeschüttet werden.
Sozialrentner.
Die Steigerungssätze sollen vom 1. Juli 1928 ab um 40 Pzt., d. h. um monatlich 3,30 A erhöht werden. Mehraufwand jährlich 100 Millionen Mark. Die Werkpensionsversicherung soll jährlich eine Zuwendung von drei Millionen zur Unterstützung der Werkspensionäre erhalten.
Sehr ins einzelne gehende Bestimmungen werden schließlich noch in dem Kriegsschädenschlußgesetz besprochen. Die Mehraufwendungen, die durch diese Regelung entstehen, belaufen sich auf 263 Millionen. Es ist u. a. vorgesehen, daß die kleinen und mittleren Geschädigten volle Entschädigung erhalten, soweit die Grenze von 4000 Mark nicht überschritten wird.
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Ar die Vorlegung dieses Programms schloß sich eine Aussprache an, in der Abg. Dr. Scholz namens der Deut
Teil des Sommers vergangen wäre. Dieses Agrarprogramm für den Osten hätte zwar unmöglich mit der Zusicherung vereinbart werden können, daß die restlichen Arbeiten des Reichstages von Agitationsanträgen vollkommen freigehalten werden sollten, aber der Zweck wäre vermutlich bei einigermaßen geschickter Handhabung der Parlamentsmaschinerie erreicht worden. Das Zentrum wäre an sich durchaus bereit gewesen, den Etat zu verabschieden und die übrigen Restarbeiten wie die Notmaßnahmen durchzuführen; es hat sich aber überzeugen müssen, daß ein solcher Arbeitsversuch ein gefährliches Experiment ist, gefährlich deshalb, weil er das Ansehen des Parlamenks noch stärker herabsetzen könnte als es bisher schon geschehen ist.
Der einfache Wähler im Lande steht diesem Wirrwarr der Parlamenksbürokratie fassungslos gegenüber. Er wird nicht fehl gehen in der Vermutung, daß das ganze Ringen nur den einen Zweck hat: dem Gegner eine möglichst günstige Wahlsituation und-Parole abzugewinnen. Die Zentrumsleute im Lande, so ungehalten sie auch über diese
schen Volkspartei und Abg. Graf Westarp namens der Deutschnationalen sich gegen die Erhöhung der Invalidenrenten in dieser Höhe aussprachen, und zwar zu Gunsten einer stärkeren Berücksichtigung der Landwirtschaft und der Kleinrentner, ihnen traten die Vertreter des Zentrums(Guerard. Stegerwald, Perlitius und Esser) entgegen. Die Zentrumsfraktion nahm um 9 Uhr den Bericht ihrer Vertreter entgegen und es ergab sich, daß sie bereit ist, für das Notprogramm der Regierung einzutreten. Es ist aber fraglich, ob es durchdiingen wird. Mit einer Auflösung des Reichstages am Samstag ist noch immer zu rechnen.
Um 10 Uhr fand eine neue Zusammenkunft mit den Vertretern der ehemaligen Regierungsparteien statt, um mit ihnen Fühlung zu nehmen.
Austritte aus der deutschnationalen Partei.
Eigener Drahtbericht.
X8 Berlin, 17. Febr.
Die Reichstagsabgeordneten Dibrich. Dorsch und Hänse haben sich im Reichstag zu einer selbständigen Parteigruppe unter dem Namen„Christlich=nationale Bauernparte!“ zusammengeschlossen.
X Berlin, 17. Febr.
Bei den drei bäuerlichen Abgeordneten, die heute aus der deutschnationalen Fraktio., ausgetreten sind, handelt es sich um Abgeordnete, die ursprünglich nicht auf das deutschnationale, sondern auf ein rein agrarisches Programm gewählt worden waren und sich später der deutschnationalen Volkspartei angeschlossen hatten. Im Reichstage wurde heute die sehr begründete Vermutung ausgesprochen, daß es diesen Abgeordneten nur dar auf ankomme, freie Hand für die Wahlagitation zu bekommen und nicht mit der deutschnationalen Parteizugehörigkeit belastet zu sein, die ihnen im Wahlkampfe immerhin lästig werden könnte.
Auffallend ist auch die mehr als zurückhaltende Aufnahme des Fraktionsaustritts in der deutschnationalen Presse. Die Kreuzzeitung registriert nur die Tatsache und die agrarische„Deutsche Tageszeitung“ macht ein paar harmlose Bemerkungen dazu.
Ein ähnlicher Vorgang hat sich übrigens auch bei der Wirtschaftspartei avgespielt. Dort haben die Abgeordneten Fehr und vier andere Mitglieder des Bayerischen Bauernbundes ebenfalls die Fraktionsgemeinschaft geründigt. Es handelt sich offenbar sowohl in dem einen wie in dem anderen Falle um rein taktische Manöver, die von Wahlrücksichten eingegeben sind. Nach den Wahlen werden sich die Herren schon wiederfinden.
Wenn die Dinge so weitergehen, wenn diese oder jene Berufsgruppe beginnt. sich des Parteiganzen zu schämen. mit dem sie bisher verbunden war. so kann das Parteisammelsurium des Reichstages noch recht bunt werden. Der Wähler schüttelt den Kopf und beginnt zu fragen, ob es denn kein Mittel gibt. eine Parlamentsreform so durchzuführen, daß diese Verwirrung der Verantwortlichen und diese Flucht vor den Verantwortlichkeiten, die der Reichstag in den letzten Monaten erlebt hat, ein für allemal aus dem Wege geräumt wird.
Zanderpolitik sein mögen, werden volles Verständnis dafür haben, daß die Reichstagsfraktion des Zentrums in diesen kritischen Stunden sich bemüht, sich nicht überlisten und sich nicht in eine wahltaktisch unvorteilhafte Position hineinmanöorieren zu lassen, wie es geschehen würde, wenn das Jentrum die Möglichkeiten zu einer ordnungsmäßigen Erledigung der Restarbeiten ohne sachliche und eingehende Prüfung zerschlagen und bedingungslos an der sofortigen Auflösung festhalten würde. Denn es ist vorauszusehen, daß die Rechtsparteien ihre bedenklich erschütterte Situation dann dadurch zu verbessern suchten, daß sie alle die schädlichen Wirkungen und Folgen der unterbliebenen Notmaßnahmen in den denkbar grellsten Farben ausmalen würden, um sie der vorzeitigen Reichstagsauflösung und damit dem Zentrum zur Last zu legen und— bei dem notorisch kurzen Gedächtnis der Wähler— nicht ohne Erfolg einen Schleier über ihr eigenes Versagen breiten zu können. Diesem Versuch ist durch die inkerfraktionellen Verhandlungen des gestrigen Tages der Boden entzogen worden.