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Volksblatt

Jauerländer Tageblatt

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verlag und Rotationsdruck der Aktien-Gesellschaft westfälisches Volksblatt, A.=G., Paderborn, Rosenstraße 15#.

. 230. Fernsprech=Auschluß Nr. 10. Paderborn, Donnerstag, den 31. August 1911. Telegramm=Adresse: Volksblatt. 65. Jahrgang.

Erstes Blatt.

Hierzu ein zweites Blatt sowie Feier­stunden im trauten Heim.

Die Vorfrucht

der Sozialdemokratie.

Zu Zeiten, wenn es ihnen in den Kram paßt, finden auch die Liberalen einmal Worte der Abwehr gegen die Sozialdemokratie. Aber wohlgemerkt nur Worte, zu Taten kommt es niemals; im Gegenteil, die Taten des Liberalismus stehen mit seinen Worten in denkbar schroffstem Gegensatz. Manch Liberaler mag ja die Worte der Abwehr gegen den Umsturz ganz ehrlich meinen, aber im allgemeinen sind sie ja doch nur darauf berechnet, jenen Parteiangehörigen, die sich noch als staatserhaltende Elemente fühlen und als solche ein Zusammengehen mit der Umsturzpartei scheuen, über den Kurs des liberalen Parteischiffes zu täuschen.

Aber einsichtige Leute, denen nicht der Hah gegen Andersdenkende den Verstand umnebelt, soliten doch eigentlich kaum noch getäuscht werden können. Und auch jene im liberalen Lager, die da glauben, der Liberalismus sei imstande, die Sozialdemokratie zurück­zuwerfen, in welchem Wahn sind sie befangen! Der Liberalismus ist seiner ganzen Natur nach die Vor­frucht der Sozialdemokratie. Das Feld, das der Liberalismus beackert hat, ist reif für die rote Saat. Und so sehen wir, wie im Laufe der Zeit eine Hochburg des Liberalismus nach der anderen in den Besitz der Umsturzpartei übergeht. Wo früher der Liberalismus dominierte, da führt heute der Um­sturz das Regiment. Und unaufhaltsam geht der Liberalismus seinem Niedergang entgegen. Jene, die noch zur rechten Zeit die abschüssige Bahn erkannten. haben sich abgewandt von ihren früheren Gesinnungs­genossen; die anderen aber, die nicht sahen oder nicht sehen wollten, wohin die Fahrt geht, sinken immer mehr zur Hörigkeit unter die Sozialdemokratie herab. Wie blind macht doch der Haß und die Gier nach Macht. Sonst wäre es unbegreiflich, wie der Liberalis­mus nicht sieht, daß er durch seine Liebedienerei und Unterstützung der Umsturzpartei sein Ende nur be­schleunigt, sein bisheriges Gleiten auf der schiefen Ebene zu einem jähen Absturz in die rote Flut werden läßt. Wir sagen ja nichts Neues, wenn wir darauf hinweisen, wie alle Nachwahlen den vollgültigen Beweis dafür er­bracht haben, daß die ganze haßerfüllte Hetze der Libe­ralen nicht ihnen zum Nutzen war, sondern einzig und allein der Umsturzpartei. Jetzt ist die Kette der Beweise um ein weiteres Glied vermehrt. Bei der Ersatzwahl im bayerischen Landtagswahlkreis Waldmoor haben die Nationalliberalen rund 1600 Stimmen verloren, die Sozialdemokratie hat einen Zuwachs von 1000 Stimmen zu verzeichnen. Einen schlagenderen Beweis für die Richtigkeit unserer vorstehenden Ausführungen kann man kaum verlangen.

Die liberale Vorfrucht ist jetzt zur Ernte reif und wenn aus den nächsten Reichstagswahlen der Liberalis­mus noch einigermaßen heil hervorgeht, so wird das nicht aus eigener Kraft geschehen, sondern nur mit Hilfe anderer. Wie sehr sich die Sozialdemokratie bewußt ist, Herr des Liberalismus zu sein, beweist nichts besser als die Geringschätzung, die jene diesem so unverhohlen entgegenbringt. Die Umsturzpartei macht heute die Melodie, nach der der Liberalis­mus tanzen muß. Und hat er einmal selbstherrliche An­wandlungen, so bedarf es nur eines Stirnrunzelns, und sofort liegt der liberale Handlanger wieder auf dem Bauche weh- und demütig um Gnade winselnd. So hat der Haß und die Gier nach Macht den Liberalismus nicht nur blind gemacht vor den Folgen seines Tuns, son­dern er hat ihn auch jeder Selbstachtung beraubt. Ge­radezu anwidern muß es jeden aufrechten Mann, wenn er fast Tag für Tag in der liberalen Presse, allen voran natürlich im B. T. das Gebettle um die Hilfe der Roten lesen muß, wie sie überfließt von Liebedienerei vor den Roten, jeden Fußtritt demütig einsteckt und den hin und wieder zugeworfenen Knochen mit dankbarer Freude aufnimmt.

Ein trauriges Schauspiel, aber so mußte es kommen. Der Liberalismus hat sich sein Schicksal selbst bereitet und darf sich nicht beklagen. Mit seinen religionsfeindlichen Tendenzen und Bestrebungen hat er seine Wählermassen auf die rote Saat vorbereitet. Wo der Glaube an eine höhere Autorität systematisch unter­graben wird, da gibt es kein Halten mehr und schon beim ersten Ansturm war daher die Widerstandskraft des Liberalismus gegenüber der Sozialdemokratie ge­brochen. Und so ist der Liberalismus gesunken von Stufe zu Stufe, bis er jetzt endlich zum willenlosen Werkzeug der Umsturzpartei herabgesunken ist. Kann es da noch wundernehmen, wenn die besonnenen Elemente des Liberalismus erschrecken vor den Folgen der libe­ralen Politik und zur Rückkehr mahnen. Jene Herren, die noch an eine Rückkehr glauben, täuschen sich. Zur Rückkehr ist es jetzt zu spät und nichts und niemand vermag den Liberalismus noch zu retten. Die Vor­frucht ist reif und das Feld bereitet für die rote Saat, die schon an vielen Orten üppig in die Halme schießt. F.

Politische Uebersicht.

Nuntius Frühwirth über die Freiheit der Katholiken in politischen Dingen.

Der päpstliche Nuntius Frühwirth hat sich zur Kritik ber Unità Catholica an der Mainzer Rede des

Fürsten Löwenstein. in der Fürst Löwenstein ausführte, daß die Katholiken in Fragen der Politik alle Freiheit hätten, geäußert: Was die Unità Catholica angehe, so wisse er nicht, ob es wahr sei, daß diese das Lieblingsblatt des Heiligen Vaters sei. Aber auch angenommen, das sei der Fall, so be­deute das noch nicht, daß dieses Blatt, wenn es etwas veröffentlicht, vom Heil. Vater inspiriert sei. Uebrigens wäre es im allgemeinen das beste, daß die deutschen Katholiken mehr indifferent blieben gegen Auslassungen, welche ausländische Blätter, auch katholische, über die Verhältnisse der Kirche sich erlauben. Er hege den Wunsch, daß die deutschen Katho­liken sich deswegen nicht beunruhigen, sondern einig und geschlossen bleiben und fortfahren, ihr ganzes Vertrauen auf die Persönlichkeiten zu setzen, die seit Jahren mit Eifer und Opferwilligkeit sich der katholischen Sache angenommen hätten.

Die Offiziere desEber beim Kalifen.

Am 24. d. M. haben sich einige Offiziere des deutschen KanonenbootsEber nachmittags zu einem Besuch des Kalisats nach agadir begeben. Dort wurden sie vom Kalifen in sehr zuvorkommender Weise aufgenommen. Er ließ sie die Zitadelle und die Stadt besichtigen.(Kalif ist dort ungefähr dasselbe, was bei uns der Regierungspräsident.)

Maßnahmen gegen Futternot und Fleischteuerung

will nun auch die sächsische Regierung ergreifen. Vom Landeskulturrat wird vorgeschlagen, Heu in ge­preßtem Zustande mit Ausschluß des Zwischenhandels aus Steiermark zu beziehen. Das Ministerium be­absichtigt, in weitgehendster Weise dieser Absicht ent­gegenzukommen, besonders durch Einfuhrerleichterungen und durch Frachtermäßigungen. Ferner sollen den Land­wirten zum Ankauf von Grünfuttermitteln unvereins­liche Darlehen gewährt werden. Auch erwartet man, daß die Regierung die betreffenden Dienststellen anweist, den notleidenden Bauern aus den Wäldern Futtermittel zu geben und ihnen zu gestatten, ihre Viehherden auf die öffentlichen Waldbestände zu treiben.

Die Wohnverhältnisse der Offiziere und Beamten

werden jetzt, wie die Neue Preuß. Korr. erfährt, einer eingehenden Untersuchung unterzogen, die gegebenenfalls zu einer Aenderung in den Servisklassen führen wird. Seit einer Reihe von Jahren hat sich ergeben, daß die Wohnungsentschädigungen, die den Offizieren und Reichsbeamten in mehreren Großstädten gezahlt werden, nicht mehr als ausreichend betrachtet werden können. Vielfach sind deshalb Offiziere und Beamte gezwungen gewesen, sich in ihren Wohnverhält­nissen ungebührlich einzuschränken. Diesem Uebelstande sucht jetzt das Reichsschatzamt abzuhelfen, indem es in mehreren Städten Erhebungen darüber anstellt, wieviel Zimmer im Durchschnitt die Wohnungen der Offiziere und Reichsbeamten haben, ob die Wohnungen hin­sichtlich ihrer Größe, Beheizung und Beleuchtung an­gemessenen Ansprüchen genügen und in welchen Stadtvierteln die Wohnungen gelegen sind. Auf Grund dieser Erhebungen ist eventuelt eine Aenderung in den Servisklassen beabsichtigt. Man darf erwarten, daß bei diesem Anlaß auch Paderborn berücksichtigt wird.

Wahlen zur Tierärztekammer.

Der Landwirtschaftsminister, dem nach§§ 5 und 8 der Verordnung über die Einrichtung einer Standes­vertretung der Tievärzte vom 2. Avril 1911 die Fest­setzung der Wahlperiode und des Termins der Ein­berufung der Tierärztekammer zusteht, hat bestimmt, daß die erste Wahlperiode bis Ende des Jahres 1914 dauern soll. Im Januar 1912 sollen die Tier­ärztekammern zum erstenmale zusammentreten. Die Listen der wahlberechtigten Tierärzte liegen auf An­ordnung der Regierungspräsidenten schon aus. Dabei ist zu beachten, daß die aktiven Militärveterinäre gemäß § 3 Abs. 2 nicht aufgenommen werden dürfen. Ein­sprüche und Berechtigungsanträge sind durch die Ober­präsidenten zu erledigen. Die Wahlen finden im No­vember d. J. statt.

Genossen unter sich.

Genosse Kautsky hatte ein Flugblatt über die Ma­rokkofrage verfaßt, das von dem Parteivorstande über­nommen und veröffentlicht wurde. An diesem Flugblatte übte Rosa Luremburg eine recht scharfe Kritik, gegen die sich Kautsky heute im Vorwärts wendet. Auf die Sache selbst einzugehen, ist nicht nötig. Kautsky wirft in seiner Gegenkritik der liebenswürdigen Genossin vor, sie verstehe so ausgezeichnet zu verdächtigen, daß gegen sie Basilie ein Waisenknabe im Verdächtigen sei. Seine Ausführungen schließt Kautsky mit dem Vor­wurfe, daß Rosa Luremburg sich auf das frevelhafteste gegen das Wohl der Partei versündige. Ob Rosa diese Kennzeichnung ruhig entgegennehmen wird, bleibt abzuwarten.

Ein Sozialdemokrat über die landesverräterische Haltung seiner Partei,

aber nicht bei uns in Deutschland, sondern in Frank­reich ereignete sich dieser Zwischenfall. Der französische Arbeitsminister Augagneur, selbst Sozialdemokrat, bat in Lyon eine bemerkenswerte Rede gehalten; dabei führte er über den Streik aus, daß man zwar mit dieser Tatsache rechnen müsse, daß aber der Ausstand kein Recht der Arbeiterschaft bedeute, sondern er sei vielmehr als ein Unglück zu betrachten, das von ihnlichen Folgen begleitet werde wie ein Krieg oder eine Wetterkata­strophe.Wenn man aber schon, fuhr der Minister wörtlich fort,es den Arbeitern nicht verbieten kann, daß sie in Massen faulenzen, so darf doch nie und nimmer den Angestellten des Staates sowie allen an­deren der Allgemeinheit dienenden Betriebe das mora­

lische Recht zugestanden werden, in den Ausstand zu treten! Weiter beleuchtete der Minister die Stellung der Staatsbeamten, hob deren Vorteile hervor, aber auch nichtminder scharf deren Pflichten, um dann auf die Sabotage zu sprechen zu kommen, wobei er ausrief: Die Regierung muß gegen die Saboteure mit den schärfsten Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, vor­gehen! Hier darf kein Erbarmen gekannt werden! Jum Schlusse äußert sich der Minister nicht minder scharf gegen die militärfeindlichen Umtriebe der Sozialdemo­krätie und der mit ihnen eng verbündeten Anarchisten und hob die Notwendigkeit hervor, daß sich der Staat auf eine starke Armee und Flotte stützen könne, denn ohne diese Macht hinter sich zu haben, werde keine Regierung imstande sein, die Lösung ernster an sie heran­tretender Fragen wagen zu können!" Trotz der fried­lichen Strömung, die durch die Welt geht, schloß der Minister, müsse man für den Krieg ausreichend ge­rüstet bleiben. In Preuzen aber versuchen die Ge nossen, Landesverrat einzuleiten und hierfür Propaganda zu machen. Nur die deutsche Sozialdemokratie nimmt eine solche landesverräterische Haltung ein.

Demokratische Selbsterniedrigung.

In einer sozialdemokratischen Wahlversammlung in Düsseldorf erklärte der Parteisekretär der Demokratischen Vereinigung, daß diese nur deswegen einen eigenen Kandidaten aufgestellt habe, um die demokratischen Stimmen in der Stichwahl um so sicherer den Sozial­demokraten zuführen zu können. Weiter kann man die Speichelleckerei vor der Sozialdemokratie nicht treiben.

Eine Friedensrede des französischen Kolonialministers.

In einer Sitzung des Generalrats zu Nancn hielt Kolonialminister Lebrun eine Rede, in der er die Marokkoangelegenheit berührte und bemerkte, Frankreich warte in aller Ruhe den Verlauf der in Gang befindlichen Unterhandlungen ab. Es hieße an der Menschlichkeit, an dem Glanze des Jahrhunderts, an der Zivilisation, am Fortschritt verzweifeln, wenn zwei große Nationen. die auf gleichem Fuße, in der gleichen Sorge um den Weltfrieden und ihre Würde verhandeln, nicht zu einer billigen Ver­ständigung gelangen wurden. in der beide gleiche Sicherung finden würden.

Die spanischen Ferrerianer

regen sich wieder. Eine große, von Radikalen veranstaltete Demonstration fand am Sonntag gegen das KlosterZur ewigen Anbetung" in Barcelona statt. Unter den RufenEs lebeFerrer! wurden 100 Schüsse gegen alle Fenster des Gebäudes abgegeben. Die Polizei schritt ein, wurde aber mit Steinen beworfen. Die radikalen Republikoner erklärten in der Presse, es habe sich um eine Demonstration zur Abschaffung der Todesstrafe(!!) ge handelt. Man befürchtet, daß sich die Angriffe gegen das Kloster erneuern werden. Das Blatt Radical veröffent­lichte vor einigen Tagen einen Leitartikel, in dem es den Nachweis zu führen sucht, daß Spanien zu viel Klöster habe und daß man ihnen indirekt zu viel gebe.

Die Anerkennung der portugiesischen Republik

wird, wie das Berliner Tageblatt hört, durch die euro­päischen Monarchien im Laufe der nächsten acht Tage erfolgen Deutschland wird das neue Regime in Por­tugal entweder gleichzeitig mit England oder unmittelbar nach England, keinesfalls aber vor England anerkennen.

Die gefährdete russische Staatskirche.

Der Stadthauptmann(Oberpolizeimeister) von Moskau hat kürzlich an seine Beamten einen Ukas versandt, worin diesen vorgeschrieben wird, auf die Scktierer mehr als bisher zu achten und ihre Aufmerksamkeit namentlich auf die propagandistische Tätigkeit der Sektierer zu lenken. Diese sollen in öffent­lichen Reden und Schriften für ihre Lehre agitiert und dadurch die Angehörigen der orthodoren Staats­kirche zum Uebertritt zu ihrer Gemeinschaft veranlaßt haben. Diejenigen Sektierer, welche sich solcher Hand­lungen schuldig machen, sollen zur gerichtlichen Ver­antwortung gezogen werden. Dieser Befehl des Stadt­hauptmanns ist dadurch veranlaßt worden, daß Sektierer während einer Prozession, die zu Anfang des Juli bei dem Ssretenski=Kloster stattfand, zahlreiche Orthodore um sich versammelt, ihnen ihre Lehre reklärt und unter ihnen Broschüren verteilt haben sollen. Der orthodore Klerus ist hierüber in nicht geringe Erregung geraten und hat beschlossen, um den Sendboten der Sektierer entgegenzutreten, seinerseits Missionare zu den Pro­zessionen zu entsenden, die die Lehren der Orthodorie verkünden und die Reden der Sektierer widerlegen sollen. Den Polizeibeamten wird vorgeschrieben, diesen Missionaren der Staatskirche jede nur mögliche Hilfe zu leisten und sie auf alle Weise bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Aus diesem Vorgehen der Polizei kann entnommen werden, daß der russische Klerus den Ein­fluß der Sektierer auf seine Gemeindeglieder sehr fürchtet, was nach anderen Nachrichten in der Tat nicht ganz unbegründet erscheint. Jedenfalls bilden die Sekten für die Staatskirche eine größere Gefahr als die anderen christlichen Bekenntnisse.

Der japanische Freund.

Aus Anlaß des freundschaftlichen Telegrammwechsels zwischen dem Kaiser von Rußland und dem Kaiser von Javan führt die offiziöse Rossija aus: Alle durch den Krieg bedingten gegenseitigen Ansprüche sind endgültig ausgeglichen und ohne Hilfe des Schieds­gerichts erledigt worden. Besondere Schwierigkeiten waren mit der Regelung der Frage der Hosp#hal­

schiffe verknüpft, die für die russische Regierung prinzipielle Bedeutung hatte und zwar infolge der Stellung, die das Rote Kreuz zu Kriegszeiten einnimmt. Für die japanische Regierung war die Regelung dieser Frage schwierig, weil die Prisengerichte die beiden HospitalschiffeAngara undOrel als gesetzliche Prise anerkannt hatten. Bei dieser Frage ist insbesundere der Wunsch der beiden Regierungen hervorgetreten, einen entgegenkommenden Ausgleich zu finden.Angara wird an Rußland ausgeliefert undOrel für 150000 Den von Japan erworben werden. Nunmehr sind, schließt Rossija, die letzten Streitfragen aus dem Wege geräumt und zwar unter Bedingungen, die nicht nur beide Teile befriedigen, sondern auch das Zeugnis gegenseitiger Freundschaft geben.

Kurze politische Nachrichten.

Der Kaiser hat nach Mitteilungen des B. T. vom fürkischen Hose dem Sultan den Schwarzen Adler= Orden verliehen. Demnächst kommt der türkische Thronfolaer nach Berlin, auch dieser soll dann den Schwarzen Adler=Orden erhalten, deshalb mußte schon die Etikette halber die Verleihung dieses Ordens an den regie­renden Sultan voraufgehen.

Anscheinend offiziös wird berichtet:Der Entwurf über die gewerblichen Pflichtfortbildungs­schulen und die Novelle zur rheinischen Land­gemeindeordnung, die bekanntlich im Landtage im Juni scheiterten, werden dem Landtage in der nächsten Session nicht wieder zugehen.

DasBerliner Tageblatt

für die Prügelstrafe.

Das rätselhafte Verschwinden eines der wertvollsten Gemälde, der Gioconda, aus dem Louvremuseum hat das Berliner Tageblatt zu einem gründlichen Wechsel seiner Anschauungen über die Prügelstrafe bekehrt, die es bisher als einen Rückfall in Barbarei unter allen Umständen verwarf. Nun ist es plötzlich offenbar ganz anderer Ansicht geworden, ja es schiebt unseres Er­achtens jetzt sogar über das Ziel hinaus. Anschließend an die schwache, bisher leider nicht erfüllte Hoffnung der Pariser, daß es sich bei dem rätselhaften Vorgang überhaupt nicht um einen Diebstahl, sondern um einen recht schlechten Scherz, um denverwegenen Trick einer Zeitung handele, durch den die Museumsverwaltung öffentlich bloßgestellt werden sollte, schreibt es wörtlich:

Die Franzosen taten gut, wenn sie einen solchen schalthaften Witzbold wegen groben Unfugs oder so auf ein Vierteljahr hinter Schloß und Riegel steckten. Ja, wenn man dem humorvollen Mann, der einer Zei­tungsreklame zul ebe solchen Frevel tat, wenn man ihm langsam und leidenschaftslos fünf­undzwanzig überzöge, so würde das gewiß einen allgemeinen und internationalen Beifall finden.

Dazu bemerkt die Dtsch. Tagesztg.: Es mag un­erörtert bleiben, ob gerade im vorliegenden Falle und untei der gegebenen Voraussetzung eine gehörige Tracht Prügel, die dem Rechtsgefühl am besten entsprechende Sühne für den groben Unfug bilden, ob nicht vielmehr eine recht hobe, nach dem Werte des gefährdeten Kunst­werkes bemessene Geldstrafe angemessener sein würde. Darauf kommt es hier nicht an. Wir stellen nur mit Befriedigung fest, daß das Berl. Tagebl. doch unter Umständen die Prügelstrafe als zulässig, nützlich und be­sonders als dem allgemeinen Rechtsgefühle entsprechend anerkennt. Ganz sicher wird es nicht den Vertretern der Presse gerade in dieser Beziehung eine gefährliche Ausnahmestellung anweisen und die körperliche Züchti­gung ausschließlich auf die Helden der Feder angewendet setzen wollen. Ebensowenig ist anzunehmen, daß das Berliner Tageblatt den Ausschreitungen viehischer Roheit, für die allein bisher an dieser Stelle die Prügelstrafe gesordert wurde, einen Anspruch auf mildere Beurteilung zugesteht, als einer Handlung, die gewiß schärfste Mißbilligung und strenge Bestrafung verdienen würde, durch die aber doch, immer vorausgesetzt, daß kein Diebstahl in Frage kommt, niemand dauernd geschädigt werden sollte, niemand einen rechtswidrigen Vermögensvorteil erstrebt hätte, einer Handlung also, die jedenfalls keiner ehrlosen Gesinnung entsprang, sondern deren Urheber höchstens nach dem Grundsatze handelten, daß der Zweck das Mittel heilige. Wenn das Berliner Tageblatt der Ansicht ist, daß schon eine solche Handlung, ein solcher, freilich recht grober Unfug die Prügelstrafe rechtfertigt, so wird es gewiß keinen Widerstand mehr dagegen erheben, daß Vergehen von zweifellos viel schlimmerer und gemeingefährlicher Art gleicher Strafe unterworfen werden. Wenn also bei der in Aussicht stehenden Neubearbeitung des Straf­gesetzbuches auch die dringende Frage erörtert wird, ob man nicht gut daran tue, berufsmäßige Raufbolde, Messerstecher, Wüstlinge, die sich an Kindern vergehen, und sonstige Unmenschen, die Leben und Gesundheit anderer, oft ohne jede Veranlassung, bloß ihren tierischen Trieben folgend, in rohester Weise gefährden und ver­letzen, ihre Untaten recht empfindlich am eigenen Leibe büßen zu lassen, so dürfen wir nunmehr wohl bestimmt darauf rechnen, daß auch das Berliner Tageblatt unseren Standpunkt teilt und für eine gesetzliche Bestimmung eintritt, die die Möglichkeit schafft, Frevlern solcher Art langsam und leidenschaftslos fünfundzwanzig über­zuziehen. Diese Maßregel nach dem Wunsche des Berliner Tageblattes aber auch auf Vertreter der Presse auszudehnen, würden wir uns, selbst wenn sie sich der verwegensten Reklametricks schuldig machen sollten, kaum entschließen können.