Mittwoch, 25. Juli 1917.
Bielefelder General=Anzeiger.
Nr. 172. Seite
Vortrags=Folge gestrichen werden mußten.— Den Karten=Verkauf hat die Kunst= und Musikalienhandlung Otto Fischer, Obernstr. 47 übernommen, den Bach=Konzert=Flügüel stellt die Finna B. Kemp(Maas Nachf.). Wir werden ersucht, darauf hinzuweisen, daß wegen Mangels an Kleingeld das abgezählte Eintrittsgeld an der Abendkasse bereit zu halten ist. Alles Nähere im Anzeigentetl.
* Dörrt Erbsen für den Winter! Die
Erbsenernte ist in diesem Jahre sehr ergiebig Die meisten Familien haben diesmal reichlich Erbsen ausgepflanzt. In dieser Zeit werden nun, namentlich bei anhaltendem warmen Wetter, die Erbsen so schnell reif, daß man sie als Gemüse nicht so rasch verwerten kann. Unsere Hausfrauen müssen da unbedingt sorgen, daß diese Erbsen für den Winter haltbar gemacht werden. Man erreicht das ganz einfach dadurch, daß man die Erbsen in der Sonnenwärme oder im Brattopf usw. trocknet. So bekommt die Hausfrau für den Winter einen Vorrat getrockneter Erbsen; eine gleich gute Winterreserve läßt sich durch Trocknen der jetzt noch grünen Ackerbohnen beschaffen.
Ausländer. Auf die bezüglich Meldung der Ausländer erlassenen Verordnungen wird erneut hingewiesen. Es ist folgendes zu beachten:
a) Ausländer, die nur vorübergehend
hier aufhältlich sind, haben sich unter Vorlage ihrer Ausweispapiere innerhalb 8 Stunden bei der Polizei=Verwaltung anzumelden. Annahmestelle: Nathaus, Zimmer 20, außerhalb der Geschäftszeit und Sonntags: Zimmer 25. Vor der Abreise hat Abmeldung zu erfolgen...., Mchuste. M.
d) Ausländer, die ihren Wohnsitz herher verlegen, müssen sich unter Vorlage ihrer Papiere innerhalb 24 Stunden bei dem zuständigen Polizei=Bezirk anmelden.
c) Gasthofbesitzer und Wohnungsgeber sind verpflichtet, sich davon rechtzeitig zu überzeugen, daß ihre Wohngäste den Bestimmungen zu a und b nachgekommen sind. Unter Umständen sind sie zur Meldung pp. verpflichtet.
d) Arbeitgeber, die Ausländer beschäftigen, sind verpflichtet„innerhalb 24 Stunden nach Antritt der Beschäftigung jeden Ausländer bei der Polizei=Verwaltung mit besonderem Formular anzumelden und beim Ausscheiden auch innerhalb gleicher Frist wieder abzumelden. Sie müssen beim Ausscheiden außerdem in den Arbeiterlegitimationskarten bescheinigen, daß das Arbeitsverhältnis ordnungsmäßig beendet ist. Zuwiederhandlungen werden auf Grund des Gesetzes über den Belagerugszustand bestraft.
— Leere Packungen in Schaufenstern. Viele Lebensmittelgeschäfte haben, um die handelsübliche Ausstattung der Schaufenster auch in der Kriegszeit sortführen zu können, leere Packungen verwandt. Vielfach hat dies aber die Wirkung hervorgerufen, daß die Käufer irregeführt und nach vergeblichen Kaufversuchen enttäuscht wurden. Manche Geschäftsinhaber weisen aus diesem Grunde durch besondere Täselchen ausdrücklich darauf hin, daß die Verpackungen leer sind. Die Volkowirtschaftliche Abteilung des Kriegsernährungsamts bezeichnet es indes trotzdem als sehr wünschenswert, wenn gegen solche, wenn auch oft unbewußte Irreführung der Bevölkerung vorbeugende Bestimmungen getroffen werden. In Elberfeld z. B. hat die Preisprüfungsstelle eine Bekanntmachung auf Grund der Preisprüfungsverordnung erlassen, nach der den Geschäften, die Lebens= und Genußmittel verkaufen, verboten wird, Waren, die verkauft oder für den Verkauf gesperrt sind oder Hüllen, Behälter oder Packungen solcher Waren in den Schaufenstern oder im Laden auszustellen. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark bestraft.
):( Entwendet wurden in der Nacht zum 24. d. Mts. aus einem Laden in der Heeper Straße Herrenanzüge und Wäsche im Werte von ca. 350 Mark.
Reichstagsudg. Bassermand f.
W2B. Maunheim, 24. Juli. Wie die Neue Badische Landeszeitung meldet, ist Reichstagsabgeordneter Erust Bassermann im Alter von 62 Jahren nach läugerem Leiden in Baden=Baden sanft entschlafen.
Am 26. Juli 1914 beging Ernst Bassermann, der Führer der nationalliberalen Partei, seinen 60. Geburtstag. Als wenige Tage nachher der gewaltigste aller Kriege ausbrach und unsere Rüstung, an der er Zeit seines parlamentarischen Lebens wacker mitgearbeitet hatte, ihre ungeheure Probe bestehen sollte, da zog er, der Sechzigjährige, alsbald frohgemut als Ritkmeister der Landwehrkavallerie mit ins Feld. Er wurde zum Major befördert und mit dem Eisernen Kreuz geschmückt. Als Adjutant des Gouvernements in Antwerpen fand er dann auch Gelegenheit zu friedlicher Betätigung, für die ihn seine reichen wirtschaftspolitischen Erfahrungen besonders geeignet erscheinen ließen.
Nun ist Krieg und parlamentarische Tätigkeit für ihn zu Ende. Er ruht von beiden aus, nachdem ihn schon seit Monaten seine Krankheit fern gehalten hatte vom Reichstag, fern von seiner Fraktion die er gerade in kritischer Zeit ohne seinen oft bewährten Rat lassen mußte. Zwar las man, daß er noch während der letzten Zeit der inneren Krise und auch während der Kämpfe im Verfassungsausschuß des Reichstags noch manchmal im Stillen seine Stimme erschallen ließ, allein der Führer fehlte eben doch. Wenige Tage vor seinem 63. Geburtstage ist er nun dahingegangen. Viel verliert in ihm seine Partei, viel auch das Reichsparlament. Die Geschichte seines Lebens in den letztvergangenen zwei Jahrzehnten ist zu einem großen Teile zugleich die Geschichte der nationalliberalen Partei; noch dazu deren Geschichte in einer ganz besonders schwierigen und verantwortungsvollen Aera.
Bassermann hat es in seiner politischen Führerstellung nicht leicht gehabt. Das lag in den Eigenschaften seines Charakters, in der Stellung seiner Partei und in der politischen Gesamtlage. Um von dem erstgenannten Punkte zu reden, muß man hervorheben, daß dem nationalliberalen Führer die robuste Einseitigkeit fehlte, das skrupeklose Draufgängertum, das manchem andern sowohl den Agitationserfolg als die Gewinnung bestimmter Interessentengruppen erleichtert. Wohl war Bassermann einer der feinsten und gedankenreichsten Redner des Reichstages, aber sein Ton war doch häufig auch zu vorsichtig und gemessen, als daß er immer leicht die Fühlung mit einer großen Zuhörerschaft gefunden hätte. Es kam ihm eben wirklich nur auf die Sache, nicht auf die rhetorische Wirkung an, die so oft nur blendet, wo sie beweisen sollte.
Was die Schwierigkeiten der Parteistellung betrifft, so liegt es in der Natur der Sache, daß es die nationalliberale Partei weder den Gegnern links noch denen rechts nach Geschmack machen kann. Sie wird deshalb immer den
Kampf nach zwei Fronten hin zu kämpfen haben, wie sie umgekehrt sich auch nach beiden Seiten hin die Möglichkeit offen halten muß, von Gelegenheit zu Gelegenheit Vereinbarungen zu treffen. Nur so kann sie die Gesetz
gebung in dem Sinne der mittleren
Linie, die sie nun einmal vertritt,
beeinflussen. Bei einer solchen Haltung in jedem Falle das rechte Maaß des Ab= und Zutuns zu treffen, ist natürlich sehr viel schwerer, als sich auf ein paar Parteidogmen ein für allemal festzulegen. Wenn Bassermann von der einen Seite her als verkappter Fortschrittsmann, von der anderen als halber Konservativer verdächtigt worden ist, so konnte das nur aus parteipolitischer Verkennung heraus geschehen. Er hat den Großblock von Baden und den Block von
Bassermann bis Bebel ebenso abgelehnt, wie er auf der andern Seite sich in schicksalsschwerer Stunde nicht gescheut hat, auch den Konservativen entschlossen den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Bassermann hatte durchaus seine eigené Note. Das war eben die nationalliberale, und die muß man nicht nach der fortschrittlichen oder konservativen abstimmen wollen. Sebbst wer Bassermanns Partei ablehnt, muß ihm als Menschen, als konsequenten Politiker gerecht werden.
Getragen war Bassermanns Politik von der aufrichtigen Begeisterung für Deutschlands Macht und Größe. Die Zeit des Bülowblocks war seine hoffnungsvollste Zeit. Er war der geborene Blockpolitiker im Geiste jener konservativ=liberalen Paarung und es war sein größtes Mißgeschick, daß der Bülowblock scheiterte. Vielleicht hat kein Politiker bei jenem Rücktritt Bülows mehr schöne Hoffnungen begraben, als eben der Führer der Nationalliberalen. Man muß es anerkennen, daß er damals gleich Bülow selbst die Charakterfestigkeit und das Verständnis für Ehre und Existenzbedingung des Liberalismus erwies, daß er sich zur sog.„schwarz= blauen“ Finanzreform von 1909 nicht
herüberlocken ließ und vielleicht noch mehr, daß er trotz der Größe der Enttäuschung und trotz der heftigsten Angriffe nicht nur seitens der Gegner, sondern auch aus den Reihen der eigenen Partei alle Anwandlungen von Mandatsmüdigkeit überwand und auf seinen Posten nach wie vor ausharrte.
Wir sind nicht reich genug an Führerpersönlichkeiten im Parlament überhaupt und in der nationalliberalen Partei im besonderen, um die Lücke nicht zu empfinden, die Bassermann hinterläßt. Seit 1893 saß er, mit nur einer Unterbrechung. im Reichstag; an der Spitze der Fraktion stand damals noch Rudolf v. Bennigsen, der ihn schon damals als den Mann bezeichnet haben soll, der ihn einst ersetzen müsse. Bassermanns Namen ist mit vielen großen Gesetzen und politischen Vorgängen eng verknüpft: in dem schweren Kampf um den Zolltarif hat er die Partei vor allen Absplitterungen bewahrt; seine Interpellation über die auswärtige Polktik, die am 14. November 1906 im Reichstag zur Beratung kam, gab Bülow Anlaß zur Aufdeckung der„Kamarilka“, die ja damals, wie wir aus den Eulenburg=Prozessen wissen, geschäftig am Werke war, und der dann bald die Reichstagsauflösung und die sog. Blockwahlen folgten. Wehrvorlagen und Reichsfinanzreform wurden unter Bassermanns Führung von seiner Partei einmütig gebilligt; Wehrbeitrag und Vermögenszuwachssteuer sind in letzter Linie das Ergebnis des Besitzsteuerantrags vom 18. Mai 1912, der die Namen Bassermann und Erzberger trägt,
Wirtschafts= und Sozialpolitik, große auswärtige Fragen wie auch die Ausgestaltung unserer inneren politischen Zustände haben seine Tätigkeit gleicherweise in Anspruch genommen. Gewiß war er kein Kämpfer von starker Leidenschaftlichkeit, gewiß waren seine Reden mehr klug und formenklar als hinreißend, aber dies kam seiner Vermittlertätigkeit nur zu statten, die freilich ihm und seiner Partei gar manchmal den Vorwurf der„Einerseits=andrerseitsPolitik“ eintrug. Aber der gesamte deutsche Liberalismus wird es doch dem nationalliberalen Führer an seiner Bahre Dank wissen, daß er in den Zeiten allgemeinen Interessentenkampfes unablässig bemüht war, diese essen in seiner Partei auszugleichen und ihre Verfechter den politischen Zielen des Liberalismus zu erhalten. Der Erfolg ist ihm nicht ausgeblieben: wenn heute die liberalen Parteien fast geschlossen marschieren und nur noch selten, wie neulich in der Friedenskundgebung des Reichstages, auseinandergehen, aber in rein politischen Fragen, wie in denen des Verfassungsausschusses, um so enger zusammenarbeiten zur Stärkung unserer politischen Freiheit, so hat Ernst Bassermanns Wirken diese Entwickelung redlich und verdienstvoll gefördert. M. H.
Ernst Bassermann wurde am 26. Juli 1854 in Wolfach im Schwarzwald als Sohn
des Landgerichtopräsidenten und Landtagsabgeordneten Anton Bassermann geboren. Er studierte unter anderem in Heidelberg, Leipzig und Berlin die Rechtswissenschaften und ließ sich in Mannheim als Rechtsanwalt nieder, 1880 verheiratete er sich mit der Tochter der Geheimen Kommerzienrats Karl Ladenburg in Mannheim. Aus dieser Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Die älteste Tochter, Elisabeth, erwarb an der Straßburger Universität den Doktorgrad. 1887 wurde er zum Stadtrat in Mannheim gewählt. Seit 1893 gehörte er ununterbrochen dem Reichstag an. 1898 wurde er zum Vorsitzenden der nationalliberalen Reichstagsfraktion und 1905 zum Vorsitzenden des Zentralvorstandes der nationalliberalen Partei gewählt. Er war außerdem Mitglied einer ganzen Neihe von Körperschaften.
Max Dauthendey.
Zu seinem 50. Geburtstag.
)( Max Dauthendey, der bekannte Dichter und Reiseschilderer, wird am 25. d. M. 50 Jahre alt. Er ist zu Würzburg als Sohn eines tüchtigen Photographen(dem 1841 die ersten bis dahin in Deutschland noch unbekannten Daguerreotypbilder gelungen waren) geboren, arbeitete anfangs selbst in der väterlichen Werkstätte, wandte sich aber schon als junger Mann dem Schrifttum zu. Ueber 40 Werke, fast alle von seltener Eigenart und bleibender Bedeutung hat Max Dauthendey seitdem geschaffen. Als seine bekanntesten gelten seine „Aufzeichnungen aus einem begrabenen Jahrhundert".„Der Geist meines Vaters“ und die vor allem literaturgeschichtlich bedeutsamen, zweibändigen Lebenserinnerungen:„Gedankengut aus meinen Wanderjahren". Wurzelt die Kilianstragödie„Die Heidin Geilane“ im historischen Boden Frankens, des Dichters urwüchsiger Heimat, so schildert er in dem Roman „Raubmenschen“, Mexiko und in seinen farbenglühenden Novellensammlungen die Wunder Asiens und Indiens. Mit den beiden Schauspielen„Der Drache Grauli" und„Die Spielereien einer Kaiserin"(Katharina II. von Rußland) hat sich ihr Verfasser auch die Bühne erobert. Als Lyriker zeigt Dauthendey eine besonders erfreuliche Entwicklung. Die Gedichtbücher„Lusangärtlein".„Weltspuk".„Die geflügelte Erde",„Der brennende Kalender— Ewige Hochzeit".„In sich versunkene Lieder im Laub" usw. rücken den Dichter an die Seite unserer besten Lyriker. Dauthendey, der meist in Berlin, München und Würzburg lebte und alle Länder der Erde bereist hat, befindet sich seit Kriegsausbruch auf Java in HolländischIndien. Sein dort entstandenes und veröffentlichtes Kriegsgedichtbuch ist der Besatzung der „Emden“ gewidmet und hat auch bei uns be# geisterte Aufnahme gefunden.
Neues aus aller Welt.
Unglaubliche Niedertracht von Kriegsgesangenen.
( Frankfurt a.., 24.
1. Juli.“
is Regen
Die Frank
Eine neue Art von Sabotage verübten mehrere Kriegsgesangene, die in einem großen Weiher in der Ober=Pfalz zu baden wünschten. Diesem Wunsche wurde Folge gegeben. Die Kriegsgefangenen taten nun Fischgift in das Wasser, so daß sämtliche Nutzfische im See zugrunde gingen.
Großfener.
% Berlin, 24. Juli. Die im Jahre 1798 erbaute Weißbierbrauerei von A. Bolle, Aktiengesellschaft, in der Friedrichstraße 128 am Oranienburger Tor die älteste Berlins, ist heute früh durch ein Großfeuer vollständig vernichtet worden.
Feleger über London.
Eine Londoner Erzählung aus den Spätherbsttagen 1915 von Justus Schoenthal.
Amerikan. Copyright bei Georg Müller=Munchen, Vertag
61)(Nachdruck verboten.)
Er ließ sich zur Erde niedergleiten, mitten in eine nebelnasse Wiese, sprang aus dem Flugzeug und ging der Allee entgegen.
Es war die Landstraße, die von Margate nach Ramsgate führte.
Wieder sah er zur Uhr. Fast ½2 Uhr. Er schätzte, daß sie in längstens einer Viertelstunde hier sein mußte, wenn sie kam.
Bis zwei Uhr wollte er warten.
Er setzte sich an den Straßenrand in den Graben. Es war fast vollkommene Stille. Er glaubte, das Blut seinen Schläfen brausen zu hören... oder war es das Meer, die Nordsee, die auch die Küsten der Heimat bespülte?
Er mochte zwanzig Minuten gesessen haben, als er ein Geräusch in der Ferne vernahm. Er legte das Ohr an die Erde. Es war nicht zu unterscheiden wie viele Personen sich näherten. Zweimal gab er das verabredete Zeichen.
„Rrrrchchb! Rrrrchchb!“
In der Ferne antwortete eine weibliche Stimme„Hallo“. Er vermeinte die Stimme Mariannes zu hören. Aber es konnte auch Täuschung sein. Noch einmal krächzte er wie ein Rabe sein„Rrrrchchb, Rrrrchchd!“. Dann tauschte er angestrengt.
Er hörte die Stimmen der Personen, die sich näherten. Jetzt glaubte er, auch des Hilfsgensors Stimme zu erkennen.
Aber——— war da nicht eine dritte Person?
Er sah eine Taschonlampe aufblitzen und die Straße absuchen. Nasch duckte er lich in den gengraben.
Und jetzt ganz nah... Ja, das war die Stimme Mariannes.
„Hier aus dieser Gegend kam aber ganz bestimmt der Rabenschrei. Hallo!“
Schon wollte er ins Licht treten. Da hörte er die Stimme des Viscounts.
„Capt'n! Capt'!“
Ein fürchterlicher Schreck; jagte ihm vom Wirbel bis zur Sohle. Sie hatten ihn verraten! Und jetzt wollten sie ihn fangen... Aber lebendig sollten sie ihn nicht bekommen. Er riß den Revolver aus der Lederhülle und entsicherte ihn... Es gab ein knackendes Geräusch. Der Oberst trat in den Schatten.
„Atterley“, rief er,„löschen Sie die Lampe. Ich habe eben deutlich das Knacken einer Schußwaffe gehört.“
Da vernahm er Mariannes glockenhelle Stimme.
„Ach Gott, Hauptmann Kersten Sie sind erschrocken, weil mein Schwoger mich begleitet hat. Seien Sie unbesorgt! Er kommt als guter Freund! Treten Sie näher! Glauben Sie denn, Marianne von Roggenhusen würde beim Fang eines deutschen Spähers mithelfen?" Rein, das glaubte der Mann im Straßengraben nicht. Er erhob sich überzeugt.
Marianne ging ihm entgegen.
„Sie sind also der Gefahr wohlbehalten entronnen?“
„Ich bin gerettet. Es ist alles bereitet, gnädigste Baroneß. Ich danke Ihnen für den Beweis Ihres Vertrauens.“
„Auch mein Schwager hat mich begleitet. Es wird Ihnen gewiß erwünscht sein, ihm persönlich die Hand zum Abschied zu drücken.“ Kersten trat auf den Viscount zu:
„Herr Oberst, sobald wir uns heute getrennt haben werden, sind wir wieder Feinde. Aber ich glaube, in unser aller Sinn zu sprechen, wenn ich der Hoffnung Ausdruck verleihe, daß der Tag nicht mehr fern sein möge, an dem nach dem Frieden von der Elbe= zur Themsemündung
aag ine Brüicke gegenseligen Vertändnises und gegenseitiger Achtung hinüber= und herüber
Der Viscount gab ihm die Hand.
„Meine Anerkennung möchte ich Ihnen jedenfalls nicht versagen. Was Sie hier geleistet haben, ist aller Hochachtung wert. Bis zu diesem Tage hätte ich eine solche Leistung überhaupt für unmöglich gehalten.“
Der Hauptmann verbeugte sich, und Atterley flocht mit leisem Spott ein:
„Ja, beim lieben Gott und einem deutschen Hauptmann ist kein Ding unmöglich!“
„Auch Ihnen, Herr Atterley, meinen allerherzlichsten Dank für den liebenswürdigen Beistand zum Gelingen.“
Er schritt über die Wiese zum Flugzeug voran
„Gnädiges Fräulein, darf ich Ihnen behilflich sein?“
Er reichte ihr den Arm.
„Haben Sie ein wenig geschlafen während der Eisenbahnfahrt?"
„Dazu war ich leider viel zu aufgeregt. In mir zittert alles; ich begreife Ihre Sicherheit nicht!“
„Ich habe auf Vorrat geschlafen, Baroneß“, erwiderte er lachend. Bitte, machen Sie es sich so bequem wie möglich!“
Marianne hatte Tränen in den Augen.
„Schwager, behalten Sie mich lieb und verzeihen Sie mir, wenn ich——“
Er unterbrach sie, ihr die Hand schüttelnd. Seine Stimme klang wie geborsten.
„Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Glück auf den Weg, Marianne, alles Glück, das Sie selbst sich erhoffen. Leben Sie wohl!“
Der Hauptmann hatte den Motor nochmals geprüft, auch den Benzinvorrat untersucht. Alle Vorbereitungen zum Abflug waren getroffen. Zitternd setzte sich der Motor wieder in Bewegung.
„Gnädiges Fräulein“, sagte der Offizier heiter,„haben Sie eine Uhr bei sich. Welche Zeit zeigt sie an?“
Verwundert zogen alle die Uhr, und drei Stimmen antworteten zugleich:
„Auf den Punkt zwei Uhr fünfzehn!“
„Bitte, Baronetz, rücken Sie die Zeiger auf drei Uhr zehn. Diese Zeit künden jetzt oie Uhren in Deutschland. Wir werden nach deut
scher Zeit abfahren. Damit scheiden wir auch äußerlich von England!— Leben Sie wohl, meine Herren, und denken Sie unser in Liebe!"
Noch ein Händedruck und noch einer... Der Niesenvogel hob sich mit seiner Last, und wenige Sekunden später hatte ihn die Nacht verschlungen.
Marianne hörte noch das doppelte„Goodbyes“ der beiden Herren. Sie sah im Nebel ein paar Baumkronen. Zu ihren Füßen zischte etwas Weißes auf, vielleicht die Brandung, die ans Gestade rollte; dann sank sie zurück und schloß die Augen.
Als der Hauptmann sich nach ihr umwandte, bemerkte er, daß sie schlief. Die Aufregung der letzten Stunden hatte doch nicht die Rechte der Natur zu beugen vermocht... Er aber sah mit weitoffenen Augen in die Finsternis und steuerte gen Osten, Deutschland entgegen.
XVIII.
Union Jack.
Der Obermatrose hatte lange genug in die Wellen der Nordsee gestiert. Er spuckte den Stummel über die Reeling und meinte geringschätzig:
„Nee, Kinder, det nennt ihr nu Dienst. Det nenn ick Ofenhocken zur See. Ick seh schon: wir fahren heute abend wieder zu Hause und ham nischt erlebt.“
Er hatte die Irrfahrten der„Emden“= Mannschaft unter Kapitänleutnant Mücke mitgemacht und spielte bei jeder Gelegenheit seine Erfahrung in Abenteuern den weniger erfahrenen Kameraden gegenüber den Trumpf aus.
„Nee, ick hab et immer jesagt: Seit wir bei die Arabersch waren, macht mich der janze Krieg keene Freide mehr. Wat tun wir hier? Halten Pulver trocken und Maulaffen seil.“
Er klopfte dem neben ihm stehenden Maat derd auf die Schulter.
„Wat, Kamrad vons Jebirge, ha' sck recht oder nicht?“
Der„Kamerad von's Jebirge“ versetzte in
unverfälschtem Bayerisch:
halt a Preitz, die müaß'n oktmet schtmof'n. Anders gehts net.“