Nr. 7.

Rhein

Westphälischer Anzeiger.

Sonnabend den 25. Januar 1830.

W ahr heit Gerechtigkeit Gemeinwohl.

dem Leben.

=Wer kennte nicht Menschen, die ihre Bedeu­tung zu vermehren, von ihrer innern Tiefe zu überzeugen glauben, wenn sie mit ganz äußerli­cher Ziererei traurige Gesichter schneiden? An­dere gehen bei ihrem Unglücklichsein zwar ehrli­cher zu Werke, sind aber an sich auf gleich ver­kehrtem Wege. Sie nehmen das Kleine groß, und natürlich dann auch das Große klein. Gute Altern, liebliche Kinder, ein trefflicher Mann, eine liebenswürdige Frau, herzliche Freunde, ge­nägendes Auskommen, ein selbstgewählter Beruf, alle diese Dinge verschwinden ohne Bedeutung, sobald irgend ein Maulwurfshaufen mit Hülfe der so zarten Empfindlichkeit und beweglichen Einbildungskraft in die höchsten Alpen hinauf­wächst. Wenn das Essen einmal nicht zur bestimmten Zeit auf dem Tische steht, oder zur unrechten Zeit eine Stube gescheuert wird, oder die Köchin zu lange ausbleibt, oder das Kind in die Stube hofirt, oder wenn ähnliche Weltbegebenheiten eintreten, so heißt es gleich: ich Unglückseliger, oder ich Unglückselige, welch hartes Loos ward mir vom Schicksale zugewor­sen, warum bin ich keiner der auserwählten

Glücklichen! deren Stuben, so müßten jene fortfahren, deren Stuben nicht schmutzig werden, deren Kinder sich nie übel aufführen u. s. w.er

Bei einer andern Klasse von angeblich Un­glücklichen scheint der Grund bedeutender; aber in gleichem Maaße ist auch der Irrthum, wenn ein solcher dabei obwaltet, gefährlicher. Kein Mensch erreicht auf Erden so viel, als er wünscht, ja nicht einmal so viel, als kann; und aus der Idee des Zurückbleibens hinter dem Ideal äuße­rer Verhältnisse und innerer Ausbildung ent­steht ein ehrenwerther, das Höhere erkennender und dazu antreibender Schmerz. Ja, ich be­haupte, das tiefste, großartigste Dasein ist denen nie zu Theil geworden, durch deren Leben sich kein dunkler Strich hindurchzieht, welche sich nicht durch eine erhabene Melancholie von den mit ihrem reinen Wesen scheinbar untrennlich ver­bundenen Schlacken befreien, und dann für ihre edle Trauer über den Mangel alles Irdischen, einer höhern, freudigen Offenbarung gewürdigt werden. So große Ehrfurcht nun jener zu Gott führende Tiessinn in mir erweckt, so erbärmlich und verwerflich erscheint mir die Milzsucht, wel­che sich gar zu gern für jenen ausgibt, während sie nicht einmal einen ergötzlichen Bajazzo des

Rh. W. Anz. 53. Bd.