Nr. 7. Rhein Westphälischer Anzeiger. Sonnabend den 25. Januar 1830. W ahr heit— Gerechtigkeit— Gemeinwohl. dem Leben. =Wer kennte nicht Menschen, die ihre Bedeutung zu vermehren, von ihrer innern Tiefe zu überzeugen glauben, wenn sie mit ganz äußerlicher Ziererei traurige Gesichter schneiden? Andere gehen bei ihrem Unglücklichsein zwar ehrlicher zu Werke, sind aber an sich auf gleich verkehrtem Wege. Sie nehmen das Kleine groß, und natürlich dann auch das Große klein. Gute Altern, liebliche Kinder, ein trefflicher Mann, eine liebenswürdige Frau, herzliche Freunde, genägendes Auskommen, ein selbstgewählter Beruf, alle diese Dinge verschwinden ohne Bedeutung, sobald irgend ein Maulwurfshaufen mit Hülfe der so zarten Empfindlichkeit und beweglichen Einbildungskraft in die höchsten Alpen hinaufwächst. Wenn das Essen einmal nicht zur bestimmten Zeit auf dem Tische steht, oder zur unrechten Zeit eine Stube gescheuert wird, oder die Köchin zu lange ausbleibt, oder das Kind in die Stube hofirt, oder wenn ähnliche Weltbegebenheiten eintreten, so heißt es gleich: ich Unglückseliger, oder ich Unglückselige, welch hartes Loos ward mir vom Schicksale zugeworsen, warum bin ich keiner der auserwählten Glücklichen!— deren Stuben, so müßten jene fortfahren, deren Stuben nicht schmutzig werden, deren Kinder sich nie übel aufführen u. s. w.er „Bei einer andern Klasse von angeblich Unglücklichen scheint der Grund bedeutender; aber in gleichem Maaße ist auch der Irrthum, wenn ein solcher dabei obwaltet, gefährlicher. Kein Mensch erreicht auf Erden so viel, als er wünscht, ja nicht einmal so viel, als kann; und aus der Idee des Zurückbleibens hinter dem Ideal äußerer Verhältnisse und innerer Ausbildung entsteht ein ehrenwerther, das Höhere erkennender und dazu antreibender Schmerz. Ja, ich behaupte, das tiefste, großartigste Dasein ist denen nie zu Theil geworden, durch deren Leben sich kein dunkler Strich hindurchzieht, welche sich nicht durch eine erhabene Melancholie von den mit ihrem reinen Wesen scheinbar untrennlich verbundenen Schlacken befreien, und dann für ihre edle Trauer über den Mangel alles Irdischen, einer höhern, freudigen Offenbarung gewürdigt werden. So große Ehrfurcht nun jener zu Gott führende Tiessinn in mir erweckt, so erbärmlich und verwerflich erscheint mir die Milzsucht, welche sich gar zu gern für jenen ausgibt, während sie nicht einmal einen ergötzlichen Bajazzo des Rh. W. Anz. 53. Bd. 123 124 Größern abgibt. Entsteht diese Sinnesart aus körperlichen Gründen, so mag der Arzt sie zu heilen suchen; entsteht sie aus geistiger Schwäche und Mißkennen des ächt Idealischen, so muß sie zurecht gewiesen werden. Wie viele Männer hörte ich über den verlornen Glanz ihrer Jugend klagen, und doch war die falsche Sonne, um die sich Alles drehte, nichts weiter als der Punschnapf. Wie viele Frauen blieben mißvergnügt in würdigen Ehen, weil das Ideal ihrer Jugendhoffnung nicht erreicht ward, und dieses Ideal war so oft ein ausgemachter Windbeutel, vor dem sie der gütige Himmel bewahrte, und dessen Besitz sie selbst in ein schlechtes Besitzthum verwandelt hätte. Diese Unglücklichen zerquälen sich, die Farben eines von Anfang an matten und verzeichneten Bildes aufzufrischen und sestzuhalten, die Töne einer ursprünglich leeren Musik unaushörlich zu wiederholen, und dieser Götzendienst, dieser Aberglaube entzieht ihnen alle Kräfte, ihr eigenes Leben zu begreifen und zu gestalten.e Wer stimmt nicht ein in den Preis der Jugend, aber wahrlich, deren Jugendkraft war nur gering, die da behaupten, nach den Studentenund Lieutnantsjahren sei das verdrießliche Alter gleich eingebrochen. Nur ursprünglich taube Blüthen können sophistisch über das Unglück klagen, daß sie Früchte ansetzen sollen, und ein wahrhaft tüchtiger Mensch trägt, wie der Orangenbaum, sogar gleichzeitig Blüthen und Früchte.# „Wenn ein schweres Unglück, das Jemanden betrifft, oder ein arger Frevel, der an ihm begangen wird, dessen Lebensansicht und Handlungsweise ändert, so ist dies nicht selten Beweis eines tiefen. Gefühls und einer großen Kraft, zu der sich religiöse Überzeugung mit ihren untrüglichen Heilkräften gesellen möge; weit öfter aber ist die Weltverachtung, und die nach Außen sich wendende allgemeine. Gleichgültigkeit, das Zeichen eines in Lastern ausgebrannten, oder ursprunglich leeren, oder in kleinlichen Hoffnungen und Bestrebungen vernüchterten Gemüths.e Gerichtsverfassung. Die Organisation der Land= und Stadtgerichte in der Provinz Westphalen. (Schluß.) „ Fast könnte man, mit Bezug auf das alte Sprüchwort: ssummum jus summa injuria,e behaupten, daß hier oberflächliches, etwa bloß billiges, aber rasches Recht besser, als streng geprüftes, aber langsames Recht sei; denn hier liegen die eigentlichen Plusadern des Staats. Wenn der tägliche Verkehr des Lebens und Markts durch eine in zehn Terminen jahrelang sich hinschleppende Langsamkeit gehemmt wird und in Stocken geräth, so leidet die Gesellschaft in ihrem innersten Getriebe. Nur in dem raschen Gange des Rechts, keineswegs in den Rechtsprinzipien und der Vortrefflichkeit der Gesetzgebung, liegt ein unverkennbarer Vortheil der wesiphälischen Gerichtsverfassung*). Besonders war die Einrichtung der Friedensgerichte zweckmäßig und dem Verkehr überaus günstig.c „Wenn, wie jetzt, der gewerbetreibende Bürger jahrelang hinter seinen Schuldnern herlaufen muß, so stockt sein Gewerbe, das Umtriebskapital roulirt nicht und die Zeit wird ohne Arbeit verzettelt. Wenn der Verpächter jahrelang keine Pacht erhält, und der Pächter während des Prozesses Zeit hat, das Gut auszusaugen, das Inventar auf die Seite zu bringen und mit dem *) Wer den discours preliminaire gelesen, wird wohl kaum wagen dürfen, die Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Verfasser des code Napoleon in Schutz zu nehmen. Welcher Leichtsinn und welche Beschränktheit und Unwissenheit im Ganzen, und doch dabei wie geistreich und pikant in der Fassung und im Einzelnen! Reste vor Endigung des Prozesses in ein anderes Land zu ziehen, so ist der Gutsbesitzer ruinirt. Wenn der Bauer erst unzählige Mal an die Gerichte laufen muß, um seine kleinen Schuldposten von seinen Nachbaren beizutreiben, so wird er physisch und moralisch verdorben, und der innerste Nerv des Staats ist afficirt. Statt daß aber der gemeine Mann, wie man denken sollte, durch diese Langsamkeit des Prozeßganges von Prozessen abgeschreckt würde, hat vielmehr die Prozeßwuth in einer wahrhaft geometrischen Progression zugenommen. Von den Eingesessenen des Dorfs Bellersen, welches 86 Häuser und Familien enthält, sind allein beim Gerichte Brakel in den 6 Jahren von 1319 bis 1825 648 Prozesse anhängig gewesen. Hierunter sind etwa 50 gegen den Gutsherrn, die übrigen aber alle unter einander geführt, und außerdem haben diese Leute noch viele Prozesse gegen Benachbarte in anderen Gerichtsbezirken und gegen Eximirte bei dem Oberlandesgerichte zu führen. Ich glaube, daß in dieser Provinz die Kosten der Prozesse, die Deserviten der Advokaten und die Versäumniß mitgerechnet, alle direkten Abgaben um mehr als das Doppelte übersteigen; bei einzelnen, besonders streitsüchtigen Dörfern, wie das obengenannte Bellersen, ist vielleicht das Fünffache nachzuweisen. Ueberbevölkerung. Eine Londoner Akademie der Wissenschaften zerarbeitete sich, eine Hypothese festzustellen, woraus sich's erklären ließe, warum ein Fisch im Wasser nichts woge. Jedes Mitglied stellte eine andere auf, und jedes vertheidigte die seinige als die beste. Natürlich zankte man sich weidlich und ging unvereinigt auseinander. Da fiel es dem Thürsteher ein, doch einmal das angenommene Faktum zu untersuchen, und siehe da: er fand es ganz falsch; sein Fisch wog im wie außer dem Wasser gleich schwer. So mahnt es mich jetzt mit dem häufigen Geschrei über Überbevölkerung. Man zermattert und zankt sich über die Mittel gegen dieses Übel, stellt eins noch abentheuerlicher als das andere dagegen auf, während es doch nur eine Chimäre ist. Ich wenigstens kann mir von Überbevölkerung keinen Begriff machen, so lange noch— wie ich irgendwo einmal gelesen, ein Plätzchen übrig ist, wohin ein Fruchtbaum gepflanzt werden kann,— so lange, setze ich hinzu, wie wir unsere Felder noch nicht mit dem Fleiße, wie unsere Gärten, bearbeiten, und so lange noch überall so große, öde Flecken urbar zu machen sind. Man stimmt ein empfindsames Gewinsel a la Werther an über das dürftige Leben, wozu ein großer Theil der geringsten Bürger und Landleute verdammt ist, und daß sie mannichmal auf Kartoffeln aus Wasser und Salz beschränkt seien 2c. Aber machen denn sinnliche Genüsse das höchste Glück des Menschen aus? und hat uns Gott hier auf diesen Planeten hingestellt, um uns wie das liebe Rindvieh, dem Leichnam zu Dienste, auf die Fettweide zu treiben? Oder sind wir zu höheren geistigen Zwecken da? Ist nicht eben die Noth der beste Sporn zu Ausbildung und Übung der geistigen Kräfte? Zudem ist auch die Dürftigkeit ohne eigene Schuld selten so groß und nie so allgemein, wie das empfindsame Gewinsel sie darstellen will. Der wirklich Fleißige und zu rechter Zeit Sparsame gerath nie in solche große Dürftigkeit, außer etwa in Krankheiten, und dann fehlt es auch nirgends an wohlthätiger, öffentlicher und Privathülfe. Indeß, wie's der Mensch treibt, so geht's. Hier ein ganz frisches Beispiel. Einer meiner Nachbaren, ein kräftiger, lebendiger und äußerst 127 128 thätiger Mann, schon Vater von vier Kindern, ein tüchtiger Glaser, Anstreicher, Tapezierer und Lackirer, fand, daß er im Winter mit seiner Prosession nichts, oder doch nicht zureichend verdienen könne. Schnell entschließt er sich, geht auf einige Wochen nach M., lernt dort das Kammmachen, bringt sich einen tüchtigen Gesellen mit, arbeitet nun mit diesem frisch darauf los, findet guten Absatz und angemessenen Verdienst. Ein Anderer, ein tüchtiger Maurer und Steinhauer, klagte mir noch gestern, daß er nun während der strengen Kälte seit 6 Wochen keine Arbeit, also keinen Verdienst habe. Ich frug ihn, ob er denn nicht weben könne, wie sonst hier die Maurer allgemein. Aber nein, das konnte ee nicht, und es war ihm, obschon ein sonst verständiger und fleißiger junger Mann, auch noch nicht eingefallen, auf ein solches Wintergeschäft zu denken. Vielleicht zwingt ihn jetzt die Noth dazu, und ist dann das nicht Gewinn? Überdem findet man, dem gütigen Gott sei's gedankt! in vielen Hütten bei Wasser und Brod mehr wahre Zufriedenheit, als in Palästen. Und gewohnte Entbehrung ist bei Weitem nicht so quälend, als sie uns Ungewohnten aus weiter Ferne erscheint. Ubrigens würde ich die unter den geringsten Klassen allerdings häufig herrschende Dürftigkeit lieber aus jeder andern Quelle herleiten, als aus Überbevölkerung. Sicher sind sie in verschiedenen Ländern auch sehr verschieden. Im Allgemeinen aber scheinen sie mir zu entstehen aus der allgemeinen Zurücksetzung des Ackerbaues gegen die Industrie. In England wenigstens scheint mir die dort herrschende Noth unter der dürstigen Klasse der Einwohner allein dadurch entstanden, daß man Ackerbau und Industrie ganz und gar aus ihrem gegenseitigen Gleichgewichte herausgetrieben hat, wobei ein Staat auf die Dauer nie bestehen kann. Ist doch allgemein anerkannt vGrund und Bodene die Hauptquelle des Reichthums jedes Landes, und liegen nicht in England noch so viele urbar zu machende Strecken, daß noch Millionen Menschen mehr darauf leben könnten, als es Einwohner hat? Man hat also gar keinen Grund, von Überbevölkerung zu sprechen, viel weniger darüber zu klagen. Dies ist meine Ansicht; doch lasse ich mich gern eines Bessern belehren. Dortmund, im Jan. 1830. Wilhelm Feldmann. Die Straßenerleuchtung, nach einer uralten, einfachen und wohlfeilen, aber jetzt erst ganz nagelneu entdeckten Einrichtung. Das Nützliche einer Erleuchtung der Straßen ist allgemein anerkannt. Daß aber eine Straßenerleuchtung mit Lampen= oder Gaslicht manche Unkosten verursacht, dies wird auch nicht leicht Jemand bezweifeln. Sogar bei dem dürftigen Glanzschimmer, wo das Licht in den Straßenlaternen sich nur so lange erblicken läßt, als alle Menschen in der Stadt noch wach sind, erfordert eine solche Lichterscheinung schon bedeutende Ausgaben. Aber wie sehr dürften sich diese vermehren, wenn in einer Acker= oder Landstadt eine allgemein genügende Erleuchtung eingerichtet werden sollte! Eine bloße Erleuchtung der Hauptstraßen würde hier eine eben so unnütze und zwecklose Verschwendung sein, als eine, die nur wenige Stunden dauert. Indessen kann ich nicht läugnen, daß mir die Erleuchtung der Straßen eine sehr wünschenswerthe Sache zu sein scheint. Besonders hat mich dieser Gegenstand zuweilen sehr interessirt, seitdem mir ein schlichter Bürgersmann die Entdeckung mittheilte, man könne überall, sogar in 129 136 dem unbedeutendsten Orte, durch ein einfaches und wohlfeiles Mittel größtentheils alle künstliche und kostbare Straßenerleuchtung entbehrlich machen. Auch fei durch dieses nämliche Mittel zugleich zu bewirken, daß zu allen Zeiten, sogar mitten im Winter und in den engsten Straßen, die Tage länger und die Nächte kürzer würden. Diese Mittheilung überraschte mich in dem ersten Augenblicke außerordentlich, und spannte meine ganze Aufmerksamkeit. Da sie aber von einem gewöhnlichen Menschen herrührte, der von der Theorie des Lichts so wenig wußte, wie Berthold Schwarz von der Theorie der Explosionen, als er das Puloer erfunden hatte, so verhielt ich mich ganz ruhig und kalt, nahm eine vornehme Miene an, und fertigte den Entdecker kurz ab. Auch trat seine Hinweisung auf gemeine Erscheinungen, ohne irgend eine wissenschaftliche oder kunstgerechte Einkleidung zum Vorworte zu haben, gar zu armselig hervor, um Aufsehen erregen zu können. Die Mittheilung derselben wurde deßhalb bloß oberflächlich angehört, und gleich so manchen, den Luxus und den Industriesinn wenig interessirenden Gegenständen bald wieder vergessen. Erst lange Zeit nachher, als mir jene Entdeckung mitgetheilt worden war, hätte der Zufall, dieser erste Meister in dem Reiche der Erfindungen und Entdeckungen, mich veranlassen können, aus gewöhnlichen Erscheinungen allgemein nützliche Folgerungen zu abstrahiren, wenn ich Empfänglichkeit dafür gehabt hätte. Aber wie wäre dies möglich gewesen? Fortwährend beschäftigt mit dem Lesen der berühmtesten Werke über die Erleuchtungskunst der Welt, und folglich auch der Straßen, hatte ich mich eines Tags bis zum späten Abend in solche Betrachtungen vertieft. Durch die mancherlei Theorien und Systeme zur Verbreitung des Lichts war es mir zuletzt so düster in meinem Kopfe geworden, daß ich die Bücher weglegen mußte. Meiner Gewohnheit zufolge— oder wie andere solide Geschäftsmänner zu sagen pflegen— um mich von meinen Arbeiten zu erholen, machte ich mich fertig, eine Abendgesellschaft außer dem Hause zu besuchen. Da es nun Tags vorher so dunkel auf der Straße war, daß man Gefahr lief, Hals und Beine zu brechen, ließ ich mir jetzt meine Handlaterne anzünden. Aber wie wundervoll ergriff es mich, und wie erstaunte ich, als ich die Hausthüre öffnete, und mich selbst als einen Nachäffer des Diogenes erblickte. Es war so hell auf der Straße, daß man jeden Gegenstand deutlich wahrnehmen konnte. Ich löschte deßhalb meine Laterne wieder aus, und sah nun klar, daß das Anzünden derselben ganz unnöthig gewesen. Und woher kam diese Straßenerleuchtung? Zwischen Tag und Dunkel hatte sich, ohne daß ich solches bemerkt, ein frischer Schnee eingesunden, zwar nicht viel und tief, bloß den Boden bedeckend. Aber verschwunden war die Finsterniß. Nichts konnte sich dem Auge mehr verbergen. Ein hinter ein Straßenmonument sich zurückziehendes Menschenpaar sowohl, als einzelne im Wege stehende Transportfuhrwerke sammt mancherlei Baumaterialien gaben sich nach allen ihren Formen deutlich zu erkennen. Nun hätte freilich, schon damals mein eifriges Studium der Erleuchtungskunst etwas Licht bekommen müssen. Allein in Allem, was ich bisber darüber gelesen und gehört, weiß ich mich nicht zu erinnern, je auf solch' ein natürliches Erleuchtungsmittel aufmerksam gemacht worden zu sein. Dabei war diese aus dem Schnee hervorkommende Erscheinung doch ein wenig zu unstät, als daß mein Kunstsinn große Hoffnungen hätte darauf bauen und wichtige Resultate davon erwarten können. Zwar erfreute sich mein ehedem offener Kopf jetzt einer seltenen Fülle von gründlichem Wissen und Nichtwissen; allein eine 131 132 eigenthümliche Idee wollte sich nicht erzeugen, und an einen eigenen praktischen Blick war gar nicht zu denken. Ich mußte sogar bei den gewöhnlichsten Vorfällen und Handleistungen im menschlichen Leben fremde Hülfe herbeirufen. Ja, wäre mir das Schicksal zu Theil geworden, gleich dem Robinson Crusoe auf eine wüste Insel im Weltmeere hingeworfen zu werden, ich würde mein Leben nicht haben retten können. Ich hätte aus Mangel an Selbsthülfe vor Hunger und Kummer umkommen müssen. Indeß hatte ich doch die Mittheilung von dem Stellvertreter der Straßenerleuchtung nicht ganz vergessen. Denn als ich einige Zeit nachher, nach Mitternacht, wo alles Licht schon eingeschlafen war, durch eine Hauptstraße wanderte, wurde es mir ganz sonderbar zu Muthe. Die pracht= und geschmackvollen, mit schwarzen Schiefern bekleideten oder mit dunkelen Modefarben schön dekorirten Paläste, welche hier bei Tage den Glanz ihrer Bewohner verkündeten, trugen jetzt nicht wenig zur Vermehrung der Dunkelheit bei. Als ich nun, um zu meiner Wohnung zu gelangen, durch eine schmale Nebengasse passiren mußte, wurde es plötzlich heller. Keine Finsterniß war mehr vorhanden; Alles um mich her war sichtbar. Und jetzt erst fielen mir die Schuppen von den Augen. Es ging mir ein Licht auf, woran ich in meinem ganzen Leben nie gedacht hatte, und was mir, außer von jenem unberühmten Naturfreunde, auch nie vor meine Ohren gekommen war. Zufällig hatten in dieser Nebengasse drei rechts und drei links gegen einander überwohnende Nachbaren den Einfall gehabt, kurz vor Anfang des Winters die Fronten ihrer Wohnungen sammt Fenster und Thüren von oben bis unten ganz weiß tünchen zu lassen. Ich war wie aus den Wolken gefallen, so fehr bezauberte mich diese Entdeckung. Auch zweifelte ich jetzt nicht mehr, daß hier die Tage an Länge gewinnen und die Nächte an Dauer verlieren müßten. Innigst ergriffen über diesen köstlichen Fund eilte ich in der Freude meines Herzens schon des folgenden Tags in aller Frühe zu einem berühmten Naturforscher, um meine Wonne mit ihm zu theilen. Ich glaubte, den rechten Mann gewählt zu haben. Ich sah schon im prophetischen Geiste voraus, wie solcher Augen, Nase und Mund aussperren würde, um meine allgemein nützliche Entdeckung in Empfang zu nehmen und solche möglichst schnell verbreiten zu helfen. Ich überlegte schon, wie alljährlich vor Anfang des Winters alle Gebäude von oben bis unten zur Erde auf die einfachste und wohlfeilste Art ganz schneeweiß angestrichen werden könnten.— Aber ich kam schön an!„Also aus den armseligen Hütten der Taglöhner, aus der erbärmlichen Geschmacklosigkeit der niederen Klassen, aus dem Mangel an Sinn und Kraft zum Emporstreben zum Höherne — hieß es— asoll die Aufklärung über uns kommen! Das Thranlampenlicht der Unkultur soll die Welt erleuchten! Wo denken Sie hin! Sind Sie ganz und gar verrückt! Was sollte dann aus den von Ewigkeit her anerkannten Wahrheiten, aus den Grundsätzen der Baukunst, aus den Regeln des feinen und gebildeten Geschmacks, aus der Beförderung der Künste und Wissenschaften, aus dem Fortschreiten der Alles belebenden Industrie, aus den allenthalben wohl eingerichteten Erleuchtungsanstalten, aus den— kurz, aus allen den seit Adams Zeiten zum Heil und zur Zierde der Menschheit fortwährend verbesserten und vervollkommneten Erziebungs= und Bildungsinstituten, in geistiger, ästhetischer und philosophischer Hinsicht werden— wenn wir alle unsere Prachtgebäude, unsere Opernhäuser und Theater, unsere Tempel, Kirchen, Paläste 2c. sollten weiß tünchen lassen, wie die gemeinsten Baracken und Spelunken?— Gehen Sie weg 133 134 mit Ihrer einfältigen Entdeckung. Ich mag nichts damit zu thun haben! Ich will nichts davon sehen noch hören!a— Genug! ich bekam eine solche Lektion, daß mir auch hören und sehen verging, und ich alle Welt= und Straßenerleuchtungskunst zum Tartarus verwünschte. Parterre. Ich. (Schluß folgt.) Erbauungs=Literatur. Biblische Feierstunden für gebildete Gottesverehrer aller christlichen Bekenntnisse. Ein Erbauungs= buch für das Haus. Erster Band. Darmstadt, bei Leske; 1829. Auch unter dem Titel: Stunden der Andacht zur Beförderung des wahren Christenthums und häuslicher Gottesverehrung. Neunter Band. Biblische Feierstunden. S. XVI. und 324 in Oktav. Der Hr. Hosprediger Dr. Ernst Zimmermann zu Darmstadt sagt in der Vorrede zu diesem von einem Ungenannten herausgegebenen biblischen Erbauungsbuche:„Ich gebe den Lesern die Versicherung, daß diese Erbauungsschrift das Werk eines geachteten und in gar vieler Beziehung eorwürdigen Schriftstellers ist, dessen übrige literarische Arbeiten, namentlich im Fache der Ascetik, meines Wissens überall mit großem Beifalle ausgenommen und vielfach mit Segen gebraucht worden. Über den innern Gehalt dieser biblischen Feierstunden mag ich dem Urtheile der Leser nicht vorgreisen. Aber ich zweifle nicht, daß die fromme Gemüthlichkeit des Verfassers manche Saiten christlicher Herzen wohlthuend berühren und zur Förderung einer Licht und Wärme vereinigenden Frömmigkeit in christlichen Familien beitragen werde. Gebe Gott dazu seinen Segen, damit auch diese Arbeit eines ehrwürdigen Greises zum Aufbaue des Reichs Gottes dienen moge. Daß der Verleger dieselbe auch als eine Fortsetzung der trefflichen Stunden der Andachte betrachtet wünscht, wird sich besonders bei denjenigen Freunden christlicher Erbauung rechtfertigen, welche ihre Andacht am liebsten an den Faden der heiligen Schrift selbst knüpfen. Möchte sich damit auch der große Segen fortsetzen, welchen jenes berühmte Werk in so reichem Maaße gestiftet hat und gewiß ferner stiften wird.e Den Markanern werden diese biblischen Feierstunden um so willkommener sein, da sie beim Lesen derselben mit dem Einsender dieser Anzeige ahnen werden, daß der undenannte ehrwürdige und verdiente Greis, der sie aus seinem hellen Geiste und aus seinem warmen Herzen hervorgehen ließ, ihnen als Landsmann angehöre. Markanus. Vaterländische Kunst. „Dem Verdienste seine Kronele dachte der Einsender beifällig, als er erfuhr, daß unserm bescheidenen Künstler, dem Jorn. Prosessor Kolbe an der Malerakademie zu Düsseldorf, auch im Auslande eine wohlverdiente Anerkennung neulich wieder zu Theil geworden*). Hr. Kolbe hat bekanntlich ein lebensgroßes Standbild Göthe's gemalt, welches Se. königl. Hoheit der Großherzog von Weimar angekauft urd zur Aufstellung in der von Göthe gestifteten Bibliothek in Jena bestimmt hatte. Kürzlich verweilte unser Kolbe auf einer Durchreise einen Tag in Weimar, als ihm der edle Großherzog durch Göthe's eigne Hand die große goldne Verdienstmedaille einhändigen ließ. Auf einer Seite derselben steht das Bildniß des den Künsten huldigenden Fürsten, des letzt verewigten Großher= *) Von Kolbe's Arbeiten zieren einige Stücke auch unsers Königs Wohnung, und schon früher war K. unter vielen konkurrirenden Künstlern mannichmal der Preisgekrönte. 135 136 zogs, und auf der andern die mit einem Lorbeerkranze umwundene Inschrift: Doctrarum frontium praemia. Das war ein ehrenwerthes Weibnachtsgeschenk, dargereicht am 25. Dezember 1829; und wir wollen unserm lieben Landsmanne dabei, freilich post festum, aber doch treu und ehrlich gemeint, zum neuen Jahre ein langes und heiteres Leben wünschen mit ähnlichen Erfahrungen auch im spätern Alter!— Referent. Zur vergleichenden Völker= und Länderkunde. „Die hiesigen Dörfer,“ sagt der durch Sibirien reisende Dr. Ermann, sind alle noch neu, das Gepräge von Kolonien tragend, nur eine Straße, nicht nach Auswahl der Bewohner, sondern auf Befehl schnurgerade gebaut. Hier ist die jetzige Generation eine verschickte, und man kann sicher sein, daß jede Familie einige Diebe zu den Ihrigen zählt, und doch gehören Exzesse irgend welcher Art zu den größten Seltenheiten; Straßenraub ist unerbört. Man erklärt dieses merkwürdige, für ganz Sibirien gültige Phänomen gewiß sehr richtig durch die Unmöglichkeit für einen Verbrecher, verborgen zu bleiben; in jedem größern Dorfe an der Straße ist eine Anzahl Truppen, die zur Begleitung der Transporte von Gefangenen nöthig ist, in jedem Dorfe ein sogenannter Ostrog, ein Gefängniß zur Übernachtung der durchziehenden Transporte, mit den dazu gehörigen Aufsehern, und außerdem die gewöhnlichen Mitglieder der Dorfpolizei, die unter der Aufsicht des Kreishauptmanns stehen und für Auffindung der etwajgen Flüchtlinge sorgen müssen. So bleibt einem Fliehenden also nichts Anderes übrig, als beständig durch menschenleere Wüsten zu ziehen, welches unmöglich ist. Oft haben sich mehrere verbunden, um gemeinschaftlich zu entkommen, aber das gelingt gar nicht, denn die Bauern selbst fürchten die natürlich verzweifelten Flüchtlinge, und tödten sie eigenmächtig, wo sie sich sehen lassen.— So also sind die Verschickten zur Tugend gezwungen und— es gelingt meistentheils.“ In der in einer sibirischen Zeitschrift entbaltenen Reisebeschreibung eines sibirischen. Dichters sagt dieser: „Obgleich die Dörfer, welche längs der Heerstraße durch Ostsibirien liegen, ziemlich groß sind, durch Reinlichkeit ausgezeichnet und sogar so nahe bei einander liegen, daß man oft zwei oder drei auf einer Poststation erreicht; obgleich man große Schaaren von ausgetriebenen Pferden und von Hornvieh auf den Weideplätzen sieht; obgleich die Bewohner vortreffliche Zimmer haben, die immer frisch geweißt, dell und rein sind; obgleich ihre Vorrathskammern auch genug Getreide enthalten: so erinnert doch Alles auf eine fast unbegreifliche Art an eine Wüste.— Fast nicht ein Weg geht zur Seite ab, man fühlt, daß zur Rechten und Linken, wo eine entfernte Bergkette sich erhebt, oder blaue unermeßliche Wälder sich zeigen, nicht eine menschliche Seele sich findet. Man weiß, daß in der Entfernung von einigen tausend Wersten Niemand zu finden ist, dem man sich mittheilen könne. Man begegnet Trupp's von Zwangsarbeitern und Verschickten, viele in Fesseln; dies sind die Arbeiter für die Hütten und Fabriken; wie soll man sich die Arbeiten solcher Leute vorstellen? Wenn mon auch zugibt, daß diese Einrichtung für das allgemeine Beste zuträglich ist, so opfert man doch dem Nutzen ein angenehmes Äußere, und muß sich gestehen, das Schönheit und Annehmlichkeit nicht für Sibirien sind. Plötzlich, als ich Ikruzk bis auf 56 Werste mich genähert hatte, zeigte sich in der Ferne, am Rande eines Waldes, am Ufer der Telma, eine prächtige Dorfschaft mit steinerner Kirche und großen steinernen Gebäuden— es ist eine Fabrik.“ Anekdoten. Der General Bec gerietb einst mit einem spanischen Großen in einen Wortwechsel.„Wie können Sie wagen“— redete ihn der stolze Kastilianer an— ggegen einen Mann, wie ich, zu streiten, der Sie früher nur ein Kutscher in Luxemburg waren?"—„Sie haben Recht“— erwiderte der General—„zwischen uns beiden ist ein großer Unterschied; denn wenn Sie früher Kutscher gewesen wären, so würden Sie es gewiß heute. noch sein.“ In einem Kriegsrathe vertheidigte er eine Meinung hizig und beharrlich gegen eine andere des Herzogs von Lothringen. Der Herzog füblte sich dadurch beleidigt und zog den Degen, um den General beim Herausgehen zu schlagen. Bec, der dies merkte, trat einige Schritte zurück, legte ebenfalls die Hand on den Degen, damit man nicht sagen könne, der Prinz habe ihn gemißhandelt und sprach zu diesem:„Ihre Hoheit wollten wirklich die Gnade haben, einem armen, gewöhnlichen Offizier eine solche Ehre anzuthun?“ Hiebei Nro. 4. des Rhein.=Westph. Korr.=Bl. Gedruckt und verlegt von der Schulzischen Buch= und Musikalienhandlung in Hamm.