Nr. 53.
Paderborn, Donnerstag, den 4. Mai 1871.
23. Jahrg.
Westsälisches
Volksblatt.
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Ueber Döllinger
werden selbst protestantische Stimmen laut, die ihn vom Standpunkt der Logik und des Rechtes verurtheilen. So schreibt Schuselka(Protestant in Wien) in seiner„Reform“, Nr. 16:
„Es lag in der Natur der Dinge, daß(schon früher) in schwierigen Glaubensstreitsachen schließlich an den Papst appellirt und dessen Urtheil als entscheidend anerkannt worden ist. Es war gebieterisch nothwendig, um die Einheit des katholischen Glaubens zu erhalten. Nachdem aber die höchste, legale, kanonisch berechtigte Vertretung der römisch=katholischen Kirche mit entscheidender Majorität das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit beschlossen hatte, muß ich auf meinem unparteiischen Standpunkt auch hier die allgemeine constitutionelle Regel gelten lassen. Die Minorität muß sich der Majorität unterwerfen, oder sie muß aus der Gemeinschaft mit der Majorität austreten... Wenn nun Stiftspropst v. Döllinger sich dem Beschluß des Concils widersetzt, wenn er verlangt, daß die katholische Kirche durchaus auf dem Standpunkt bleiben soll, den er mit seiner„Gelehrsamkeit“ einnimmt und als einen für ewige Leiten fixirten zu betrachten scheint, so muß ich als Unbefangener dem Erzbischof von München Recht geben, daß er erklärte, Döllinger sage sich durch den Widerstand gegen das Dogma von der katholischen Kirche los... Der Austritt aus der Kirche steht Jedermann frei; doch in der katholischen Kirche bleiben zu wollen, aber zu verlangen, daß diese Kirche sich nach den Ansichten jedes einzelnen Individuums richten solle, das geht um so weniger an, da es selbst in einem prosanen Vereine nicht zulässig ist... Der Gehorsam ist das Gebot des Katbolicismus. Das sollen alle, welche wahre Katholiken sein und bleiben wollen, wissen und sich darnach richten. Wer den Geboten und den Beschlüssen der katholischen Kirche nicht gehorchen will, der kann und soll aus derselben austreten. Das kann auch von Döllinger mit seinem Anhange thun; sie können ein Schisma machen. Rom aber wird jetzt, wie zu Luthers Zeiten, sagen:„Es ist besser, einen Theil zu verlieren, als die Grundsätze und das Wesen des Ganzen preiszugeben“... Ich halte alle Demonstrationen der„Liberalen“ für den Münchener Stiftspropst für eitel, überflüssig und nichtig.“
Auf falscher Fährte.
(Fortsetzung).
„Gerade das bestärkt mich in meiner Ansicht, daß der Mann noch lebt— und Ihnen heute Nacht den Besuch abgestattet hat, den Sie mir zur Last legen. Hören Sie mich an! Derjenige, den ich William Schmidt nenne, weil er sich selbst so nannte, konnte in seiner Laufbahn gerade nur fünf Jahre, von jetzt aus gerechnet, zurück verfolgt werden. Er hatte in einem Fieberspital in Wilmington gelegen. Er und der Willem Grote waren Deutsche, Landsleute, man legte sie nebeneinander. Der eine von ihnen starb. William Schmidt war bis dahin ein ehrlicher Kerl gewesen, Willem Grote ein Spitzbube. Willem Grote ließ sich also begraben und nannte sich fortan William Schmidt nach den Papieren des wirklich Gestorbenen: Sie erhielten den Todtenschein des lebendigen Willem Grote!“
„Bei Ihnen könnte man verrückt werden“ ,rief der Schulze unwillig aufspringend.„Sie kneten aus drei Worten immer drei Geschichten zusammen, auf deren Wahrheit man schwören könnte! Hören Sie mich an, Osten. Ich bedauere Sie und Ihre Familie. Möglicherweise ist nur der Schein gegen Sie und wirklich ein Anderer der Thäter. Ich werde Sie also nicht verhaften lassen, wie ich vorhatte, kein Wort wird über meine Lippen dringen. Bis jetzt weiß überhaupt nur meine Tochter über den Diebstahl und auch sie nichts über meinen Verdacht. Ich werde, mit Ihnen vereint, Alles aufbieten, um den wahren Thäter zu ermitteln; ich werde Ihnen so lange, bis ich vollkommen von Ihrer Schuld überzeugt bin, Arbeit und Vertrauen zuwenden, so viel ich kann. Aber Alles nur unter der Bedingung: Sie ersetzen mir einstweilen den Werth des Gestohlenen.“
„Herr Schulze, das geht nicht, das kann ich nicht— damit würde ich wider Ehre und Vernunft handeln und mich selbst als den Dieb hinstellen“.
„Im Gegentheil, Osten! Gerade Ihre Ehre und Ihre Eristenz will ich dadurch retten nach meiner Kraft, durch mein Stillschweigen, durch meine Nachforschungen. Aber Sie sollen einen Einsatz thun, der meines Vertrauens werth ist, der mich entschädigt, auch wenn sich mein ursprünglicher Verdacht gegen Sie bestätigen sollte. Ich ruore die Ersatzsumme nicht an, und bin zu ihrer gerichtlichen Hinterlegung bereit. Aber nur so darf ich schweigen. Denn Sie wissen, freiwillig geleisteter Ersatz des Gestohlenen macht, bevor sich der Dieb entdeckt weiß, den Diebstahl straflos. Wer will jemals behaupten, daß Sie nicht freiwillig Ersatz leisteten? Im anderen Falle müßte ich, schon als Schulze des Ortes, die That und meinen Verdacht zur Anzeige bringen. Ich würde auch dann alle Gründe zu Iorer Vertheidigung anführen. Aber auf der einen Seite Thatsachen, Herr Osten, welche Sie nicht bestreiten können, auf der anderen Vermuthungen, welche Sie nicht zu beweisen vermögen. Das Urtheil würde wahrscheinlich gegen Sie ausfallen. Und wenn Sie frei gesprochen würden nach langer Untersuchungshaft, glauben Sie, es sei dann hier Ihres Bleibens noch länger? Man wird lieber zwei Stunden weiter die Rosse beschlagen lassen und die Schlüssel und Schlösser kaufen, als bei Ihnen nur einen Nagel. Ihre Schmiede wird werthlos, Mann; wenn Sie dann von hier fortfahren wollen, weil Sie hier nicht existiren können, sind Sie zu Grunde gerichtet, denn Sie finden keinen Käufer.“
Osten saß tief gebeugt, vernichtet auf seinem Stuhle. Er sah ein, das war wirklich der einzige Ausweg, wenn er nicht mit seiner und der Seinen Zukunft und Ehre ein leichtes Spiel treiben wollte.„Wie viel ist Ihnen gestohlen?“ fragte er mit trübem Blick.
„Vierhundert Thaler in Gold und meine besten alten Gold= und Silbermünzen dazu. Ich will auch bei diesen nur den Metallwerth rechnen, Osten. Zahlen Sie mir sechshundert Thaler in Gold, Osten, so will ich schweigen.“
„Sechshundert Thaler!" rief Osten mit tiefem Seufzer.„Das übersteigt alle meine Kräfte bei Weitem. Da gehen Sie hin und zeigen mich an, Herr Schulze. Das kann ich nicht schaffen!“
„Osten, ich muß bei der Forderung stehen bleiben. In drei Tagen sehen wir uns wieder. Bis dahin entscheiden Sie sich, und bringen mir das Geld dann bis Ende der Woche. Andernfalls— Sie wissen." Damit geleitete er den Schlosser zur Thür.
Gegen Mittag war Osten nach Hause gekommen, ein anderer Mann. Seine Frau hätte laut aufschreien mögen, als sie ihn wieder sah; er schien um zehn Jahre gealtert. Er bemerkte ihr Erschrecken. „Sei ruhig, heut' Abend sollst Du Alles erfahren“, hatte er ihr auf Englisch zugerufen, als sie ihm vor der Schmiede entgegenkam. Er hatte dann nach Tisch den Rest des Tagewerkes unablässig in der Schmiede geschafft mit Brame, der seinerseits an seinem Meister gar nichts Auffallendes zu bemerken schien. Nach Feierabend war Brame auf sein Zimmer gegangen; er sagte, er sei sehr schläfrig. Er war die Nacht erst um zwei Uhr nach Hause gekommen und hatte vor Sonnenaufgang schon die Arbeit wieder aufgenommen. Osten fand ihn fest schlafend, als er eine Viertelstunde später an seinem Zimmer vorbeikam. Er schloß das einzige Fenster, das aus Brame's Stübchen nach der Westseite hinausging, wo Osten mit seiner Frau Abends zu sitzen pflegte, und das Brame gewiß nur in seiner Müdigkeit zu schließen vergessen hatte. Dann hatte er sich mit seiner Frau, die den Knaben zu Bett gebracht hatte, auf die Bank der Westseite seines Hauses gesetzt und lange und lebhaft mit ihr auf Englisch gesprochen. Was sie redeten, konnte sonst Niemand hören und verstehen, so meinten sie wenigstens. Erst als die Nachtkühle eintrat, waren sie in's Haus gegangen.