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Nr. 214.

Geheimnis von Marokko.

Die Franzosen greifen gewiß gern zu den Waffen und sind in der Regel für einen kolonialen leicht zu gewinnen. Die Vorgänge in Marokko erre­gen diesmal aber nicht ihren Enthusiasmus, und die schönsten Schilderungen der ministeriellen Blätter über die angeblich heroischen Taten der Soldaten vor und um Casablanca können sie nicht für die marokkanisch Angelegenheit erwärmen. Es mag vielleicht sein, daß man die vielen Blut= und Geldopfer nicht vergessen hat, welche die durch drei Jahrzehnte währende Er­oberung von Algerien erheischte, sicher ist das eine, daß die Marokkoaffäre, die Herstellung der Ordnung in dem Sultanreiche durch Frankreich und Spanien, in Frankreich nicht im mindesten populär ist. Mit diesem Umstande muß auch die Regierung rechnen, und des­halb gibt sie über den Stand der Dinge in Marokko nur spärliche Nachrichten. Was ihre Absichten bezüg­lich der Nachsendung weiterer Verstärkungen und de­ren Zweck anbelangt, so hält sie damit vollständig hin­ter dem Berge.

Wie wir schon vor zwei Wochen gemeldet hatten, ist beschlossen worden, daß Frankreich, nachdem es durch ein großes Treffen gegen die Mauren in Casa­blanca die Hände frei bekommen hat, an die Organi­sierung der Polizei in den Hafenstädten schreitet und zu deren Unterstützung in die Städte eine Garnison von je 1000 Mann legt. Außer Casablanca kommen hier die Häfen von Mogador, Mazagan und Saffi in Betracht. Die 1000 Mann werden hauptsächlich aus Negertruppen bestehen, die gegenwärtig zu dem Zweck aus dem Sudan und dem Senegalgebiete in Oran kon­zentriet werden, um noch vor dem 20. September in ihren neuen Garnisonen von Marokko einzutreffen. Diese wie gesagt beschlossene Maßregel wird derzeit den Franzosen noch geheim gehalten. Einige Blätter lassen nur deren Möglichkeit durchblicken, um die öf­fentliche Meinung darauf vorzubereiten. Der Oeffent­lichkeit wollte man nicht einmal die Absendung von zwei Fesselballons nach Marokko mitteilen. Nachrich­ten hierüber erfuhren ein offiziöses Dementi, was aber nicht hindert, daß die beiden Ballons schon unter­wegs sind. Auch was in den Ministersitzungen vorgeht, bleibt für die Oeffentlichkeit ein Geheimnis. So fand z. B. am Montag, den 2. September, ein außerordent­licher Ministerrat statt. Er begann um 8 Uhr abends und endete erst spät nachts. Jedenfalls hatten die Mi­nister wichtige Dinge zu besprechen. Ueber den Zweck der Sitzung befragt, gab Herr Clemenceau in seiner lakonischen Weise den Berichterstattern bekannt,daß er sich mit seinen Kollegen über die allgemeine Lage in Marokko beraten hätte, daß man sich über die Ab­sendung neuer Verstärkungen geeinigt habe, und daß General Drude und Admiral Philibert fortdauernd das Vertrauen der Regierung besäßen.

Was Herr Clemenceau über die Vorgänge in dem wichtigen Ministerrat nicht an die große Glirke hängen wollte, war folgendes:Die Minister berieten über einen ausführlichen und vertraulichen Bericht des Genevals Drude. Der Kommandant der französischen Truppen in Casablanca hatte nämlich von dem neuen Prätendenten Mulay Hafid eine Botschaft empfangen, in der dieser mitteilte, daß, falls Frankreich und die anderen Signaturmächte ihn als den legitimen Sultan anerkennen, er sich erbötig mache, sofort die Ordnung im Sultanat herzustellen. Mulay Hafid behauptete des weiteren in seiner Botschaft, daß er von der Mehr­heit der marokkanischen Stämme schon als Sultan an­erkannt worden sei und sich auch mit Raisuli ins Ein­vernehmen gesetzt habe. Als ersten Akt der Anerkenn­

forderte er die Herausgabe der

gens hatte Mulay Hafid mit der Entfachung des heili­gen Krieges gegen alle Europäer gedroht. Mit diesem Berichte des Generals Drude befaßte sich nun der Ministerrat, und es wurde beschlossen, die europäischen Regierungen von der Haltung Mulay Hafids in Kenntnis zu setzen. Diese teilten die Anschauung Frankreichs, das Mulay Hafid vorläufig ignorieren will. Aber auf seine Drohung mit dem heiligen Kriege

Montag, den 9. September 1907.

hat man mit der Order für neue Verstärkung nach Casablanca geantwortet.

In den Berichten der hiesigen Regierungsorgane liest man aber weiter,daß von den Absichten des Mu­lay Hafid gegenüber Frankreich und Europa im all­gemeinen nichts bekannt sei. In den Regierungs­kreisen scheint die Absicht vorzuherrschen, daß das zum geheimnisvollen Orient gehörende Marokko auch von Europa geheimnisvoll zu behandeln sei.

Politische Uebersicht.

Der Kaiser wird in allen drei Manövertagen von Wilhelmshöhe mittels Extrazuges abfahren und in dem Städtchen Brakel oder in seiner Nähe zu Pferd steigen oder mittels Automobil nebst Gefolge sich ins Manövergelände begeben. Die Haupttreffen des drei­tägigen Manövers werden sich dort in der Nähe ab­spielen, wie man annimmt.

Als Zeitpunkt für den Besuch des deutschen Kai­serpaares in England ist nach den bisherigen Disposi­tionen die Woche vom 11. bis 18. November d. Is. in Aussicht genommen. Wie derStandard erfährt, werden der Kaiser und die Kaiserin bei ihrem für November in Aussicht genommenen Besuch in England auch die Londoner City besuchen. Der Gemeinderat hat die Absicht, das Kaiserpaar zu einem großen Emp­fang und Frühstück in der Guildhall einzuladen.

Die Versöhnung zwischen Schaumburg=Lippe und Lippe=Detmold ist nun besiegelt. Wie wir erfahren, hat der Gegenbesuch, den das Fürstenpaar von Schaumburg= Lippe dem regierenden Fürsten zur Lippe schuldig war, soeben stattgefunden. Fürst Leo­pold zu Lippe weilt augenblicklich mit seiner Familie auf seinem Sommerschloß Schieder, diese Sommerresi­denz war demgemäß auch der Ort der Zusammenkunft. Damit ist nun diese Feindschaft, die seinerzeit durch die Anteilnahme Kaiser Wilhelms eniges Aufsehen erregte, endgültig aus der Welt geschafft. Der Kaiser soll sich über diese neuen freundschaftlichen Beziehun­gen zwischen diesen beiden verwandten Fürstenhäu­sern höchst befriedigt ausgesprochen haben.

Aus Schleswig=Holstein. Der letzte Parteitag der dänischgesinnten Nordschleswiger beschloß eine neue Organisation des Dänischen Wählervereins, des Trä­gers der politischen Agitation. In diesen Tagen fin­den Wahlen in allen 25 Wahlbezirken statt. Unter recht schwacher Beteiligung sind bisher Anhänger der durch die Reichs= und Landtagsabgeordneten Haussen und Nielsen vertretenen Richtung gewählt worden.

Pensionsaufbesserungswünsche der Postbeamten. Eine in Halle abgehaltene Versammlung von pensio­nierten Postbeamten beschloß die Gründung einer Or­ganisation über das ganze Reich, um durch Eingaben an den Reichstag bei der Erhöhung der Beamtengehäl­ter eine Aufbesserung der Ruhegehälter durchzusetzen.

Wie aus Kaiserslautern gemeldet wird, sind zu dem 9. Vertretertage des Reichsverbandes der natio­nalliberalen Jugend bereits über 100 Delegierte in Kaiserslautern eingetroffen. Am Freitag fand eine mehrstündige Vorstandssitzung statt, in der die Tages­ordnung besprochen wurde. Hieran schloß sich eine Versammlung der preußischen jungliberalen Vereine, in der die Gründung eines Landesverbandes der preu­ßischen Jungliberalen Vereine beschlossen wurde.

In dem demnächst in neuer Auflage erscheinenden nationalliberalen Handbuch wird der Gedanke erör­vert, die sogenannteLiebesgabe für die Branntwein­brenner abzuschaffen, womit dem Reiche ungefähr 40 bis 45 Millionen Mark Mehreinnahmen zufließen würden.

Dänemark.

Der König von Griechenland ist Samstag vormit­tag 10 Uhr auf dem hiesigen Bahnhofe eingetroffen, wo er von der dänischen Königsfamilie und der Koni­gin von England, sowie der Kaiserin=Witwe von Ruß­land empfangen wurde. Sämtliche Herrschaften bega­ben sich sofort nach Roeskilde, um das Grab des Kö­nigs Christian aufzusuchen.

Frankreich.

Der Unterpräfkt von Saint=Girons, Labat, ist des Alkoholschmuggels überführt und deshalb von dem Minister des Innern, Clemenceau, seines Amtes ent­

39. Jahrg.

setzt worden. Labat und sein Schwiegervater, ein Notar, wurden bei der Steuerverwaltung angezeigt, und daraufhin ließ diese die beiden überwachen. Sie wurden dabei ertappt, wie sie eigenhändig Flaschen mit Kognak in den Kasten ihres Wagens verpackten. Die Affäre macht beträchtliches Aufsehen. Wegen des über­führten Schmuggels wurde nur der Begleiter des Un­terpräfekten, der Notar, zur Anzeige gebracht. Dieser Notar ist aber der eigne Schwiegervater des Re­gierungsvertreters und beide waren die Eigentümer der Kalesche, die für den Schmuggel eine besondere Einrichtung besaß. Als Minister des Innern hatte Clemenceau dem Präfekten des Departements, Ariege, Befehl gegeben, ihm über die Sache zu berichten. Die erhaltenen Auskünfte über den Vorfall waren nun derart, daß sich der Ministerpräsident noch weitere Ein­zelheiten erbat, und der Unterpräfekt seiner strafwei­sen Entlassung entgegensieht. Doch das Schönste in dieser Angelegenheit kommt noch: Auch der Finanz­minister Cailloux hatte von dem Steuerdirektor des Departements einen Rappord erhalten, worin die Schuld des Unterpräfekten als Schmuggler zweifellos erschien. Der eifrige Steuerdirektor hatte aber gleich­zeitig dem Finanzminister ein Mittel angedeutet, wie man den Skandal vertuschen und den Unterpräfékten aus der Schlinge ziehen könne. Cailloux hat diesen Ratschlag seines Subalternen so übel ausgenommen, daß er auch gegen diesen eine Disziplinar=Untersuch­ung anbefahl.

Rußland.

Aus allen Teilen Rußlands treffen Berichte ein, daß vomVerbande des russischen Volkes und dessen roten Gönnern während der Wahlkampagne alleror­ten Progrome in großem Umfange geplant werden. Die schrecklichen Ereignisse in Odessa bilden nur ein Vorspiel für die Grausamkeiten, die noch bevorstehen. Der Zweck der Progrome ist, die jüdische Bevölkerung zu terrorisieren und sie an der Beteiligung bei der Wahl zu hindern. In dem hochkonservativen Blatte Grashdanin teilt der über die Absicht der Hofkreise sehr gut unterrichtete Fürst Meschtischerski mit, daß es eine große Anzahl geheimer Organisationen in Ruß­land gebe, deren Zweck es sei, überall Progrome zu veranstalten.

Amerika.

Zum Kampf gegen die Trusts. Die Standard Oil Company of New Jersey, deren Auflösung wegen Ausübung gesetzwidrigen Monopols von der Regier­ung bei Gericht beantragt ist, hat sich jetzt nach länge­rem Sträuben einem von der Regierung gestellten Verlangen gefügt. Sie hat zugesagt, bis spätestens den 17. September eine schriftliche Darstellung ihrer in­neren Betriebsverhältnisse einzureichen, aus welcher erkennbar sein muß, ob diese in New Fersey inkorpo­rierte Gesellschaft tatsächlich die Muttergesellschaft des gesetzwidrigen Oeltrustes ist oder nicht.

Japan.

Die Folgen der Ueberschwemmung stellen sich jetzt wie folgt dar: Die Eisenbahn ist auf allen Linien wie­der in Betrieb. Die Zeitungen schätzen den Schaden in landwirtschaftlichen Produkten auf 10 bis 15 Mill. Yen, den Schaden an Brücken, Straßen, Telegraphen und Eisenbahnen auf 10 Mill. Yen. Der Schaden an der Reisernte kann noch nicht geschätzt werden, doch ist auch nach der Ueberschwemmung eine durchschnittliche Ernte sicher, wenn nicht in den nächsten 14 Tagen sehr ungünstiges Wetter eintritt.

Marokko.

Paris, 7. Sept. Deutschlands Antwort auf das in Berlin überreichte Memorandum enthält, dem Temps zufolge, im wesentlichen folgendes: In der Erwartung, daß sich Ereignisse wie das Bombardement von Casablanca nicht wiederholen, und daß Frankreich und Spanien nach wie vor bestrebt sein werden, ihr Verhalten den Beschlüssen von Algeciras anzupassen, erklärt Deutschland, daß es die Polizeiorganisation, wie sie Frankreich und Spanien, der Lage Rechnung tragend, ins Werk setzen, nicht stören wolle.

Buchta Ben Bagdadi wird in Fes erwartet, um den Oberbefehl über die Armee des Sultang zu übernehmen. Seine bisherige Mehalla hat das Gebiet der El Kmes verlassen und die Besatzung der Umge­gend von Tanger verstärkt. Die Gesamtstärke dieser Truppe beträgt jetzt 4000 Mann. Da die Soldzahlung