Nr. 170. 37. Jahrgang.

Sonnabend, den 22. Juli 19os.

Amtliches Kreisblatt

für den kreis börde.

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Insertionsgebühr für lokale Anzeigen, die sechsgespaltene Petit­zeile oder deren Raum 10 Pfg., außerhalb 15, Reklame=Zeile 40 Pfg.. Druck und Verlag von Carl Braus in Schwerte. Fernsprech=Anschluß Nr. 62. Amt Schwerte.

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Erstes und ältestes Tages-Organ des Kreises Hörde.

Haupt-Annoncenblatt.

Heute 10 Seiten.

Das Sechzig Millionen=Reich.

Ganz unbemerkt ist in den letzten 2 Monaten ein gewaltiges Ereignis für das Deutsche Reich eingetre­ten. Der 60 Millionste Deutsche hat das Licht der Welt erblickt. Wann, wo und wie, das meldet leider kein Heldenbuch. Wir wissen nur, daß, wie ein Tropfen schließlich den Becher bis zum Rande anfüllt, irgendwo ein kleiner Ankömmling die 60. Million erfüllt hat und daß damit ein gewaltiges nationales Ereignis ein­getreten ist. Deutschland ist ein nationaler Staat von 60 Millionen Einwohner geworden. Das zeigte jetzt mit wenig Worten das kaiserliche statistische Amt an. Es hat die mittlere Bevölkerung des Jahres 1905 auf 60 164 000 Köpfe berechnet; hieran mag einiges unrich­tig sein, jedenfalls haben wir mit dem 1. Juli die 60. Million überschritten.

Das Aufsteigen der deutschen Bevölkerung ist be­wundernswert. Auf dem heutigen Reichsgebiet hatten wir 1816 24 833000, 1850 35 397000 Einwohner. Der Geschichtsschreiber, welcher etwas tiefer sieht, weiß sehr wohl, daß der tiefste Grund der gewaltigen Expansion Frankreichs unter Napoleon dem Umstande zu ver­danken ist, daß Frankreich damals der bevölkerungs­reichste Staat Europas war. 1870 stand das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland gleich. Beide hat­ten(wir verwenden hier und in Zukunft nur runde Zahlen) 38½ Millionen. Indem wir Elsaß=Lothringen eroberten, stiegen wir auf 40 Millionen, Frankreich fiel auf 37 Millionen. Seitdem hat sich Frankreich langsam auf 39 Millionen Einwohner entwickelt. Deutschland stieg jedoch von 40 Millionen auf 60 Mill. Die 20 Millionen unserer Bevölkerungszunahme wür­den genügen, 10 neue Armeekorps aufzustellen. Und diese körperliche und damit auch geistige wirtschaftliche

die

Volk das Uebergewicht in Europa.

Und dieses Deutsche Reich ist durch die ungeheure

Die Löhne und Einkommen sind seit 1870 nicht gesun­ken, sondern gewaltig gestiegen und selbst die Sozial­demokratie kann die Theorie von der steigendenVer­elendung der Massen nicht aufrecht erhalten. Es man­gelt uns an Raum, hier das zu belegen. Die Ziffern über steigende Produkte und Ausfuhr, Einkommen und Löhne sind ja oft gegeben. Nicht nur militärisch, son­dern auch wirtschaftlich erzwingt unser Volk mit der Wucht seiner Schwerkraft seinen Anteil an der Erde. Deutschland hat 540000 Quadrat=Kilometer Flächen­gebiet; Großbritannien und Irland 314000. Deutsch­land hat 60 Millionen Einwohner, Großbritannien 42 Millionen. Was ist da Wunder, daß Deutschland be­ginnt, mit seiner Industrie machtvoll aufwärts zu stre­ben und daß es überall als industrieller Nebenbuhler Englands erscheint.

Es gibt nur noch zwei Reiche, die Deutschlands Be­völkerung überragen. Zunächst Rußland mit etwa 85 Millionen in Europa. Aber man darf nicht vergessen, daß dies Rußland kein nationaler Staat ist, wie Deutschland. Nur 5 Millionen, also ein Zwölftel un­

Großstädtischer Bodenwucher.

In zahlreichen Blättern wurde kürzlich von dem Verkauf eines Berliner Baugrundstücks Notiz genom­men, weil der dabei erzielte Preis selbst für Berliner Verhältnisse ungemein hoch war. Es mußten in die­sem Falle für die Quadratrute 60000 Mark bezahlt werden. Um unsern Lesern ein anschauliches Bild davon zu geben, um eine wie üppig entwickelte Blüte des großstädtischen Bodenwuchers es sich hier handelt, bemerken wir noch, daß nach dem hier ausbedungenen Preise ein Morgen Bauland auf fast 11 Millionen Mk. ein Hektar auf über 43 Millionen oder jeder Quadrat­meter auf 4300 Mark zu stehen kommt. Wenn man weiter berücksichtigt, daß zu diesem Baugrundpreise doch die bedeutenden Ausgaben für Beseitigung der darauf stehenden Gebäude und die noch viel bedeuten­deren für den zu errichtenden Neubau kommen, dann wird man sich ungefähr vorstellen können, welche enorm hohe Miete die künftigen Bewohner oder Benutzer des Gebäudes zu zahlen haben werden, um die doch wohl

serer Bevölterung sind nicht deutsch. In Rußland erwartete, mindestens 10prozentige Verzinsung zu si­

Ueberlegenheit sichert für dieses Jahrhundert unserem

zählt man etwa 45 Millionen Groß=Russen; fast die Hälfte Rußlands bilden Völker, welche nur gewaltsam unter russischer Herrschaft gehalten werden: Polen­Ukraino=Ruthenen, Esthen, Livländer, Tartaren und andere. Der zweitgrößte Erdenstaat sind die Vereinig­ten Staaten; indeß auch diese sind so sehr Völkerge­misch, daß man die Vereinigten Staaten auch heute als nationalen Staat nicht bezeichnen kann. Unter de rund 80 Millionen Einwohnern der Vereinigten Staa­ten sind so viele Deutsche(10 Millionen), Romanen, Slaven, Neger usw., daß es der herrschenden angel­sächsischen, übrigens auch schon stark gemischte Rasse, kaum möglich ist, auch nur nach außen hin das natio­nale Gepräge zu bewahren.

Aus den kleinen preußischen Anfängen heraus hat sich das Deutsche Reich mächtig entwickelt. Wir dürfen stolz auf unser Vaterland sein Wir wollen aber auch heute nicht vergessen, daß, wer stille steht, rückwärts schreitet, daß Fürst Bismarck, wie sein dritter Nach­folger richtig sagte, uns nur aus dem Gröbsten heraus­

der

chern. Wie hohe Aufschläge auf die Warenpreise wer­den die in solchem Gebäude etablierten Geschäftsleute zu nehmen gezwungen sein, nur um ihre ausgelegte Miete wieder herein zu bekommen. Sollten sich darun­ter Bäcker, Fleischer oder Restaurateure befinden, so wird die Kundschaft derselben natürlich wieder Gele­genheit haben, über ungemein hohe Lebensmittelpreise (Brot, Fleisch, Bier etc.) zu klagen. Die Schuld an denselben wird man dann kurzsichtigerweise wieder auf den Brot= und Fleischwucher, auf die Getreide=, Vieh=, Hopfenzölle usw. schieben, während in Wahrheit doch bei weitem überwiegend der großstädtische Bodenwu­cher Veranlassung jener hohen Lebensmittelpreise ist.

Vermehrung der Einwohnerzahl nicht wirtschaftlich gehauen hat, und daß Deutschland auf der gegebenen und gesellschaftlich herunter gedrückt worden, wie z. B. kräftigen Grundlage weiter arbeiten muß, seine Rolle China, dessen Bevölkerung verarmt. Im Gegenteil, als Vorkämpferin des Deutschtums auf Erden zu be­das Mehr von 20 Millionen Köpfen ist bereitwilligst haupten und sich kriegerisch und wirtschaftlich zu von der Industrie ausgenommen und versorgt worden. festigen.

Vom Regen in die Trause!

In einem sozialdemokratischen Schweizer Blätt schreibt Herr Bebel in einem Artikel über die Hirsch­Dunkerschen Gewerkvereine im Hinblick auf den be­kannten Revers, der jede sozialistische Agitation inner­halb der Hirsch=Dunkerschen Gewerkvereine verbietet und dieselbe mit dem Ausschluß und dem Verlust sämt­licher Beiträge und Unterstützungen bestraft:

Dieser Terrorismus in einem liberal sich nen­nenden Verband hat seinerzeit viel Staub aufge­

Erbschleicher.

Roman von Ewald August König. 1

(Nachdruck nicht gestattet.)

Der Sturm fegte heulend über die Dächer und durch die Straßen, er peitschte den Regen in schweren Güssen gegen die Mauern und Fenster und hatte sein besonderes Vergnügen da­ran, die Personen zu belästigen, die er an diesem stockfinsteren Herbstabend auf den Straßen antraf.

Er fuhr auch in das Haus des Rechtsanwalts Scharff hin­ein, und nicht zufrieden damit, die verschleierte Dame, die er draußen genugsam belästigt hatte, bis hierher begleitet zu ha­ben, folgte er ihr auch noch in das Kabinett des Rechtsanwalts.

Der alte Herr, der vor dem mit Akten bedeckten Schreibtische saß, erhob sich und richtete die Augen fragend auf das bleiche, schöne Gesicht der noch jugendlichen Dame.

Ich bin die Gräfin von Hohenberg, sagte die Dame mit leiser Stimme, der man die innere Erregung anhörte,ich komme zu Ihnen, um Sie um Rat und Beistand zu bitten.

Der alte Herr nickte und lud sie durch eine Handbewegung ein, in dem Sessel Platz zu nehmen.

Sie sind doch nicht in diesem entsetzlichen Wetter zu Fuß gekommen?" fragte er im Tone herzlichen Bedauerns

Doch, Herr Doktor!

Dann erkenne ich schon daraus, daß es eine wichtige und dringende Angelegenheit ist, der ich die Ehre dieses Besuches verdanke. Seien Sie überzeugt, gnädige Frau, daß ich mich be­streben werde, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen, auf welches ich stolz sein darf.

Man hat mir den Herrn Rechtsanwalt Scharff als den küchtigsten und berühmtesten Juristen in unserer Stadt und zu­gleich als einen durch und durch ehrlichen Mann empfohlen, sagte die Gräfin;diese Empfehlung genügt mir... Und nun zur Sache, fuhr die Gräfin, tief aufatmend, fort.Ich werde etwas weit ausholen müssen, damit Sie einen klaren Einblick gewinnen.

Das ist nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig, gnädige Frau.

Also muß ich um Geduld bitten. Graf Eduard von Hohen­berg hatte nur einen Sohn, Biktor; seine großen und reichen Gesitzungen waren Majoratsgüter, die stets auf den ältesten Sohn

übergingen, während die anderen Kinder mit kleinen Summen abgefunden wurden.

Aber hier war nur ein Sohn, warf der Rechtsanwalt ein.

Ganz recht, Herr Doktor. Nur ein Sohn, aber neben diesem Sohne ein Neffe, der Baron Bertram von Hohenberg. Schon der Urgroßvater des Grafen Eduard hatte die Bestimmung ge­troffen, daß das Majorat beim Aussterben der Hauptlinie auf eine Seitenlinie übergehen solle; von dieser Bestimmung war bisher noch nicht Gebrauch gemacht worden. Als der Bruder des Grafen Eduard starb, übernahm der letztere die Sorge für den hinterbliebenen Sohn desselben, er nahm ihn in sein Schloß auf und erzog ihn zugleich mit seinem eigenen Sohne.

Die beiden Knaben waren in demselben Alter?

Baron Bertram war vielleicht zwei oder drei Jahre jün­ger. Und nun, Herr Doktor, muß ich, nachdem ich bis zu diesem Punkte gekommen bin, ganz offen mit Ihnen reden; ich ver­traue dabei fest auf Ihre Verschwiegenheit.

Der alte Herr nickte und nahm eine Prise.Mein Stand und mein Amt gebieten mir Verschwiegenheit, sagte er;es ist ja ganz natürlich, daß mir manches Geheimnis anvertraut werden muß, wenn ich in Familienangelegenheiten raten soll.

Gewiß. Nun denn, Baron Bertram von Hohenberg war schon von früher Kindheit ein vollendeter Heuchler, ein Mensch, dem alle Mittel recht waren, wenn es galt, einen bestimmten Zweck zu erreichen. Ihm gegenüber hatte Graf Viktor, der Ma­joratserbe, einen schweren Stand; er war offen, ehrlich, gut­mütig und sehr weichherzig, während Bertram listig, verschmitzt, herzlos und selbstsüchtig sich zeigte. Es gelang dem letzteren, sich in die Gunst und das Vertrauen des Grafen Eduard einzu­schleichen, und er benutzte dies, um Viktor zu verleumden und ihn um die Liebe seines Vaters zu betrügen.

Wie das so häufig vorkommt, sagte der Rechtsanwalt, leicht das Haupt wiegend.

Graf Viktor liebte seinen Vater, aber die Strenge und das kalte, unfreundliche Wesen des alten Herrn gestatteten ihm nicht, diese Liebe zu zeigen. Wenn er dem Vater nähertrat, wurde er oft rauh und barsch zurückgewiesen; der alte Herr war mit den Menschen zerfallen, er hatte bittere Erfahrungen gemacht. So kam es, daß Bertram immer größeren Einfluß auf seinen Onkel gewann, je mehr Viktor sich in sich selbst zurückzog. Bik­

tor verließ das väterliche Haus, um zur Universität zu gehen. Bertram fühlte keine Neigung zum Studieren, er wollte sich der Landwirtschaft widmen. Er hatte nun volle Gewalt über den alten Grafen, und er benutzte sie, um seinen Wohltäter unglück­lich zu machen. Es sind Briefe aus jener Zeit in die Hände Viktors gefallen, die ihm den schlagenden Beweis liefern, daß er in der boshaftesten Weise verleumdet wurde, es sind ihm da­mals schon Mitteilungen gemacht worden, aus denen hervor­ging, daß es darauf abgesehen war, einen unheilbaren Bruch zwischen ihm und seinem Vater herbeizuführen. Und was die­ser Mensch sich vornahm, das führte er auch aus, und es ge­lang ihm um so leichter, weil die Verhältnisse ihn begünstigten. Viktor hatte in der Nähe der Universitätsstadt eine junge Dame kennen gelernt und ihr sein Herz geschenkt, und seine Ehre for­derte, daß er das ihr gegebene Versprechen einlöste. Aber die Dame war aus bürgerlicher Familie; sie hatte keinen Namen, keine Ahnen aufzuweisen, sie hatte keine Reichtümer, nichts als ihre Jugend, ihre Schönheit und eine gediegene Erziehung. Graf Eduard von Hohenberg erfuhr die Kunde von der Verlobung seines Sohnes zuerst durch seinen Neffen. Bertram mußte außer­ordentlich gute Spione haben, und Sie können sich denken, daß er diese willkommene Kunde benutzte, um das Maß seiner Bos­heit voll zu machen.

Gewiß, unter solchen Verhältnissen hatte erleichtes Spiel, sagte der Rechtsanwalt.Ich vermute bereits, daß es sich hier um eine Erbschleicherei handelt.

Nicht doch, unterbrach ihn die Gräfin,es wäre unge­recht, wenn ich dies jetzt schon behaupten wollte. Der Graf Eduard von Hohenberg war über diese Verlobung seines Soh­nes empört, er drohte ihm mit seinem Fluch und mit Enterbung; aber Viktor war ein Ehrenmann, er löste sein Versprechen ein.

Er heiratete die junge Dame?

Ja, und diese Dame bin ich.

Ich habe es mir gedacht, sagte der Rechtsanwalt ruhig. Natürlich wurden Sie von Ihrem Schwiegervater nicht mit offenen Armen aufgenommen.

Ich habe ihn nur einmal gesehen. Viktor hoffte, ihn ver­sohnen zu können, aber es war eine vergebliche Hoffnung. Der alte, stolze Herr versties seinen Sohn und drohte, ihn enterben

zu wollen. m