Hattinger Zeitung
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den 30. Juni
Kreisblatt für den Kreis Hattingen
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bei tödlichem Unfall.
1928/ Nr. 152
Krylenko fordert 22 Todesurteile.
Das neue Roichskabinett.
Reichskanzler Hermann Müller.
Reichskanzler Hermann Müller, nach seinem Wahlkreis zum Unterschied von dem Abgeordneten Müller=Meiningen„MüllerFranken“ genannt, ein Name, der ihm in seiner politischen Tätigkeit nun dauernd bleiben wird, ist am 18. Mai 1876 in Mannheim geboren. Er war erst Kaufmann, 1899 bis 1906 Redakteur in Görlitz, seit 1906 Mitglied des Sozialdemokratischen Parteivorstandes in Berlin und seit 1916 Reichstagsabgeordneter. Nach der Revolution war er Mitglied des Vollzugsrates und des Zentralrats u. war Ende März bis 21. Juni 1920 Reichskanzler.— Es gehört zu den Zufallserscheinungen des politischen Lebens, daß Hermann Müller vor neun Jahren im Spiegelsaal von Versailles gemeinsam mit dem Zentrumsminister Bell das Friedensdiktat unterzeichnen mußte, und daß nun gerade jetzt nach neun Jahren zum zweiten Male seine Berufung als Reichskanzler erfolgte.— Die Ernennungsurkunde für einen Reichskanzler wird vom Reichspräsidenten unterzeichnet, muß aber, weil jede Verfügung des Reichspräsidenten der Gegenzeichnung durch eine parlamentarisch verantwortliche Persönlichkeit bedarf, stets auch von dem vorangegangenen Reichskanzler unterzeichnet werden, so daß also ein zurückgetretener Kanzler an der Ernennung seines Nachfolgers Anteil nimmt und die parlamentarische Verantwortung für diesen Ernennungsakt mitzutragen berufen sein dürfte.
Die Mitglieder des neuen Kabinetts.
Von links nach rechts, oben beginnend:
Reichsaußenminister Gustav Stresemann.(Geb. am 10. Mai 1878 in Berlin, 1902—1918 Syndikus des Verbandes sächsischer Industrieller, 1907 Reichstagsabgeordneter, wurde nach Bassermanns Tod Führer der Nationalliberalen und der späteren Deutschen Volkspartei, August bis November 1923 Reichskanzler, seither Minister des Aeußeren.)
Reichsinnenminister Wilhelm Karl Severing. Geb. 1. Juni 1875 in Herford in Westfalen, lernte Schlosser, wurde 1902 Geschäftsführer des Deutschen Metallarbeiter=Verbandes, 1907 Mitglied des Reichstages, 1919 Reichskommissar für Rheinland und Westfalen, März 1920 bis April 1921 und November 1921 bis Oktober 1926 Preußischer Minister des Innern.)
Reichsfinanzminister Rudolf Hilferding.(Geb. 10. August 1877 in Wien, Arzt und Schriftsteller, seit 1906 als Redakteur in Berlin, August bis Oktober 1923 Reichsfinanzminister.)
Reichswirtschaftsminister Julius Curtius.(Geb. 7. Februar 1877 in Duisburg, Rechtsanwalt in Heidelberg, seit 1921 in Berlin, seit 1920 Mitglied des Reichstages, 1926 Reichswirtschaftsminist.)
Reichsernährungsminister Dietrich, Baden.
Reichsverkehrsminister von Guerard, Geheimer Oberregierungsrat, Vorsitzender der Reichstagsfraktion des Zentrums, gleichzeitig Minister für die besetzten Gebiete.
Reichspostminister Dr. Schätzel.
Reichsarbeitsminister Rudolf Wissel.(Geb.18. März 1869 in Göttingen, Metallarbeiter, seit 1908 im Zentralarbeiter=Sekretariat, Februar bis Juli 1919 Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes, seither Schlichter für Groß=Berlin.)
Reichswehrminister Wilhelm Gröner.(Geb.22. November 1867 in Ludwigsburg, 1912 Chef der Eisenbahnabteilung im Großen Generalstab, bei der Mobilmachung Chef des Eisenbahnwesens, 1916 bis 1917 Chef des Kriegsamtes, 1917 Kommandierender General, 1918 Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Linsingen, später der Gruppe Eichhorn, 1918 erster Generalquartiermeister, Juni 1920 bis August 1923 Reichsverkehrsminister.)
Reichsjustizminister Erich Koch.(Geb. 26. Februar 1875 in Bremerhaven, 1909 Stadtdirektor daselbst, 1913 Oberbürgermeister in Kassel, Oktober 1919 bis Mai 1921 Reichsminister des Innern.)
Das Neueste vom Tage.
Die demokratische Reichstagsfraktion hat einen Antrag eingebracht, wonach die Pflichtversicherungsgrenze bei der Angestelltenversicherung auf 8400 Mark festgesetzt werden soll.
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Der Tibetforscher Wilhelm Filchner wurde gestern vom Reichspräsidenten empfangen.
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Das Schwurgericht verurteilte gestern den wegen Meineids im Falle Schlageter angeklagten Götze zu 1 Jahr 3 Monaten Zuchthaus.
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Im Donez=Prozeß beantragte Staatsanwalt Krylenko gegen den deutschen Ingenieur Otto 6 Monate bis 1 Jahr Gefängnis, gegen Badstieber bedingte Verurteilung, die Anklage gegen Meyer ließ er fallen.
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Die französische Kammer sprach Poincaré mit 455 gegen 126 Stimmen ihr Vertrauen aus.
Dank des Reichspräsidenten an die scheidenden Minister.
Der Reichspräsident hat dem Reichskanzler Dr. Marx und den gleichzeitig aus dem Amte scheidenden Reichsministern in herzlichen Schreiben seinen Dank für ihre Dienste ausgesprochen. In dem Schreiben an Dr. Marx
heißt es:
„Stets und in allen Stellen, die Sie innehatten, als Richter, als Abgeordneter, als Reichsminister und als Reichskanzler verschiedener Kabinette, haben Sie sich bei Ihrer Amtsführung nur leiten lassen von dem einen Gesichtspunkt der Arbeit am Wohle des ganzen Volkes. Was Sie insbesondere als verantwortlicher Leiter der deutschen Politik in schweren Zeiten voll ernster wirtschaftlicher und politischer Krisen für Deutschlands Wohl und Wiederaufstieg in unermüdlicher, pflichttreuer Arbeit geleistet haben, wird Ihnen unvergeßlich bleiben.“
An den gleichfalls ausscheidenden Vizekanzler und Reichsminister der Justiz, Hergt, schrieb der Reichspräsident u. a.:
„Mit Umsicht und Tatkraft haben Sie stets Ihr verantwortungsvolles Amt als Chef der Justizverwaltung und Vertreter des Reichskanzlers geführt und dabei Ihre reichen, in früherer bewährter Ministertätigkeit und langjähriger parlamentarischer Arbeit erworbenen Erfahrungen zum Wohle des Reiches nutzbar gemacht.“
Der bisherige Ernährungsminister Schiele erhielt ein Schreiben ,in dem gesagt wird:
„In einer Zeit schwerer wirtschaftlicher Krisis der Landwirtschaft haben Sie Ihr Ministerium mit tatkräftiger Hand geführt und es verstanden, die Notlage der deutschen Landwirtschaft im Rahmen des Möglichen zu erleichtern und die Wege zu ihrer hoffentlich dauernden Besserung zu finden. Das soll Ihnen unvergeßlich bleiben."
In dem Schreiben an den
Reichsarbeitsminister Dr. Branns heißt es:
„Gerade vor acht Jahren haben Sie dieses verantwortungsvolle Ministerium übernommen und es seither durch einen Zeitabschnitt schwerer wirtschaftlicher und sozialer Erschütterungen hindurch geführt. Daß es trotz aller Krisen gelungen ist, den wirtschaftlichen Frieden zuerhalten und zu festigen, daß es möglich gemacht wurde, die Lage der arbeitenden Klassen, der Sozialrentner und Kriegsbeschädigten zu bessern, ist in erster Linie Ihr Werk, für das Ihnen im Namen des Reiches wie eigenem Namen zu danken mir in dieser Stunde aufrichtiges Bedürfnis ist. Meine besten Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen begleiten Sie in den Ruhestand, der, wie ich hoffe, kein dauernder sein wird.“
Ebenso hat der Reichspräsident auch den scheidenden
Reichsministern Dr. h. c. Koch, Dr. Köhler und Dr. von Kendell
in persönlichen Schreiben seinen herzlichen Dank für die geleisteten Dienste ausgesprochen.
Ein Glückwunsch der ReichsRegierung.
Reichskanzler Müller richtete an den Reichspräsidenten ein Glückwunschschreiben, in dem es heißt:
„Soeben erhalte ich die Nachricht, daß Sie, hochgeehrter Herr Reichspräsident, heute durch die Geburt eines Enkelsohnes beglückt worden sind. Ich bin überzeugt, daß bei der tiefen Verehrung, die Sie, hochgeehrter Herr Reichspräsident, in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes genießen, diese Nachricht den freudigsten Widerhall finden wird. Im Namen der soeben zu ihrer ersten Sitzung zusammengetretenen Reichsregierung darf ich mir gestatten, die verehrungsvollsten und aufrichtigsten Glückwünsche auszusprechen.
Mit verehrungsvollsten Empfehlungen verbleibe ich, hochgeehrter Herr Reichspräsident, Ihr stets ergebener gez.: Müller.“
Allerlei aus dem Reiche.
Abschied des alten, Antritt des neuen
Kabinetks.
Donnerstag nachmittag trat unter Vorsitz des Reichskanzlers Dr. Marx das alte Reichskabinett zu seiner letzten Sitzung zusammen. Reichskanzler Marx sprach den Mitgliedern des Reichskabinetts, insbesondere auch dem infolge Krankheit abwesenden Reichsminister Dr. Stresemann, für ihre Mitarbeit seinen wärmsten Dank aus, der vom Reichsminister Hergt. dem Stellvertreter des Reichskanzlers, zugleich im Namen der übrigen Reichsminister herzlich erwidert wurde.
Freitag vormittag übernahm Reichskanzler Müller=Franken die Dienstgeschäfte im Reichskanzlerhause, wo ihn der Staatssekretär in der Reichskanzlei Dr. Puender begrüßte und ihm die Beamten, Angestellten und Hausarbeiter der Reichskanzlei vorstellte.
Um 11 Uhr vormittags fand sodann im Reichskanzlerhause die erste Sitzung des neuen Reichskabinetts statt. Nach der Vereidigung der neu hinzutretenden Mitglieder des Reichskabinetts durch den Reichskanzler trat das Kabinett in die erste Beratung der Regierungserklärung ein.
An den abwesenden Reichsminister Dr. Stresemann wurde seitens der Reichskanzlei mit Zustimmung des Reichskabinetts ein Begrüßungstelegramm gerichtet.
Die Flaggennotverordnung vor dem Landtagsausschuß.
Der Verfassungsausschuß des preußischen Landtags beriet gestern über den Antrag der Regierungsparteien auf Annahme eines Gesetzentwurfes über das Flaggen öffentlich=rechtlicher Körverschaften. Durch Annahme dieses Gesetzentwurfes soll die Möglichkeit gegeben werden, die Notverordnung entbehrlich zu machen.
Nach diesem Antrag soll die Beflaggung der Dienstgebaude, zum öffentlichen Gebrauch bestimmte Gebäude und sonstigen Einrichtungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie der öffentlichen Straßen und Plätze als Angelegenheit der Landeshoheit zu den örtlichen Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung gehören. Das gleiche soll gelten für die nicht vom Staat allein unterhaltenen öffentlichen Schulen. Auch das Flaggen durch die übrigen Körverschaften des öffentlichen Rechtes soll der Bestimmung durch das Staatsministerium unterliegen. Dazu wurde ein Antrag der Deutschen Volkspartei angenommen, wonach besagt werden soll,„der öffentlichen Straßen und Plätze als solche“, um festzulegen, daß das Flaggen aus dem Fenster heraus unberührt bleibt.
Des weiteren wird durch den Gesetzentwurf bestimmt, daß für Religionsgesellschaften keine Verpflichtung zur Beflaggung besteht. Es soll jedoch ihr Recht unberührt bleiben, selbständig darüber zu bestimmen, ob und wann eigene Kirchenflaggen entweder allein oder neben anderen vom Staatsministerium zugelassenen Flaggen zu zeigen sind.
Ein Antrag der Deutschen Volkspartei, diese Bestimmungen zu streichen und einfach festzulegen, daß die grundlegenden Vorschriften auf die Religionsgesellschaften keine Anwendung finden sollen, wurde abgelehnt, nachdem sich auch das Zentrum dagegen ausgesprochen hatte.
Für die Bezeichnung„Kirchenflaggen“ soll auf Antrag des Zentrums die weitergehende Bezeichnung „Eigenflaggen“ der Religionsgesellschaften gewählt werden.
Die Vorlage fand schließlich gleichfalls Annahme mit den Stimmen der Regierungsparteien.
Die„Tägliche Rundschau" stellt ihr Erscheinen ein.
Die Tägliche Rundschau veröffentlicht eine Mitteilung an ihre Leser, in der es heißt: Zu unserem schmerzlichen Bedauern müssen wir unseren Lesern die Mitteilung machen, daß der deutsche Volksdienstverlag mit dem 30. Juni 1928 in Liquidation tritt und die Tägliche Rundschau mit diesem Tage ihr Erscheinen einstweilen einstellt. Die Inhaber des Volksdienstverlages glauben, nachdem Verhandlungen mit einem großen Berliner Verlag zwecks Uebernahme der Täglichen Rundschau im letzten Augenblick sich zerschlagen haben, den derzeitigen ungünstigen Verhältnissen dadurch Rechnung tragen zu müssen, daß sie von einer Weiterführung der Zeitung vorerst Abstand nehmen. Sie sind aber fest entschlossen, das Blatt binnen kurzer Frist in neuer Zusammensetzung der Gesellschafter und unter Schaffung einer gesicherten finanziellen Grundlage wieder aufleben zu lassen.