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1 (12.2.1923) 3
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Ruhrpost

Organ für den rheinisch=westfälischen Industrie=Bezirk.

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Nr. 3.

Montag, den 12. Februar 1923.

1. Jahrgang.

Die beliebte Rettungsplanke

hat Polncaré wieder ergrissen, um sich über Wasser zu dalten In Arankreich sind die Minister dazu da, daß ste gestürzt werden. Jede schwierige volltische Stiu­ation läßt die zappelnde Advokatenzahl, welche die Wan­delgänge der Pariser Kammer bevölkert, in all ihren Gruppen lebhaft erörtern, inwiesern man diese Situation benugen könne, um dem Ministerium Schwierigkeiten zu machen. Denn je kürzer die Amtsdauer, umsomehr hat jeder Aussicht heranzukommen. Und so empfehlen sich zugleich in jeder Krise diegeeigneten Nachfolger.

Diesmal empfahlen sich aus der Rechten Tardien, Mande! und Maginot, auf der Linken Loucheur und Leogues, vielleicht auch Briand. Orland hat die seiner Zeit nicht besetzt, obwohl er dazu gedrängt wurde. Er schätzt ebenso wie Levaues die französisch­englische Entente zu doch, als daß er sie auf diese Weise gesäbrdete Loucheur har immer abgeraten und scheint setzt der einzige zu sein, der bereit wäre, ein miß­glücktes Ruhrunternehmen zu Uguidieren. Auf der rech­ten Seite stellt man, ebenso wie auf der Unken, den fran­zösischen Mißersolg an der Ruhr fest, aber man sagt nicht: es hätte unterbleiben sollen, sondern: man selbst hätte es besser gemacht und würde es setzt noch besser machen Tardteu ist noch nicht Minister gewesen: schon das ist ein Grund, daß er Poincars stürzt und Herrn Mandel zu seinem Staatssekretär macht. Der Kriegsmtnister Maginot aber Ist der Kandidat der­enigen, welche immer noch glauben, mit Basonetten Kodlen züge nach Frankreich schieben zu können So hatte denn das Kesseltrelden gegen Poincars eingesetzt, alle versuchten ihre Kräfte.

Dei neue Napoleon hatte sich zwar zuerst geweigert. vor dem Kammerausschuß für Auswärtige Angelegenheiten zu erscheinen und Auskunft über die auswärtige Lage zu geden Obwohl die Kammerkommission, die aus Vertretern aller Parteien zusammengesetzt=ist. einstim­mig den Wunsch geäußert hatte, den Ministerpräsiden­ten anzuhören, muß sie sich leicht zufrieden geben. weil die festeste Sistge Potncarés. dieAction frangaise". durch ein geschicktes Manöver den etwaigen Wi­derspruch der Abgeordneten zu ersticken wußte, indem sie schried, daß die Kammer im gegenwärtigen Augenblick. da Krankreichs Schicksal aus dem Spiele stebe, einem so bewährten Patrioten wie Poincars kein Leid antun dürse, zumal der Beschluß des Kammeraus­schusses nur auf Betreiben zweier Ebrgeiziger, die selbst Ministerpräsident werden wollten, zurückzu­füldren sei. nämlich Tardieus und Briands. Das ist twai unwadt. de gerade Briand durch seinen Antrag. Porncaré, kalls er nicht vor die Kommission treten wolle, einen Kragebogen zuzusenden. ihm ein beqnemes Aus­hinstsmittel geboten dat Aber da der Name Briand aus die Mitglieder des Bloc national wie ein Schreck­mittel wirn so durste der Ausschut aus der Weigerung des Ministerpräsldanten von vornherein keine Folgerun­gen jieden

Nachdem so der Boden vorderettet war, erklärte Porncaré am Freitag abend beim Empfang der fran­#öslschen Zeitungsvertretet, daß er dem Wunsche des Kammerausschusses für auswärtige Angelegenbeiten Rechnung tragen werde und demnächst sich vor Ihn degeben werde, um Aufklärung über seine auswärtige Politik zu erteilen. Als Ursache seiner Sinnesänderung führte er an, daß deutsche Zeitungen aus einer Weigerung, vor der Kammer­kommission zu erscheinen, den Schluß gezogen hätten. dat zwischen ihm und der Kommission Meinungs= verschtedenbeiten bestünden. Er werde der Kammerkommission soweit Mitteilung machen, wie ihm dies notwendig und kunlich erscheine. Poincaré wird sich also in seinen Ausführungen sehr kurz sassen und nur diejenigen Fragen beantworten, von denen er nicht desürchten muß, daß sie irgendwelche Minetlungen über die Durchführung seiner Absichten im Ruhrgebtei enthalten können. Wie er auch auf den von der dreigliedrigen Unterkommission des genannten Kammerausschusses ausgearbeiteten Fragebogen nur in­sosern antworten will, als ihm dies nützlich erscheint. Die nächste Sitzung des Kammerausschusses, vor der Votncars erscheinen wird, soll demMatin zufolge am 21. Fedruar stattsinden. Er wird dann die kurz­gesatzten Erflärungen abgeben und sodann eine Be­schlußsassung über ein Vertrauensvotum fordern.

Der Herr Ministerpräsident griff also wieder nach demselben Anker, der ihn schon so oft gerettet hat. Er wird vor dem Kammerausschuß erscheinen nicht etwa, weil die Kammermitglieder das verlangten, sondern weil die deutsche Presse aus seiner Weigerung, Aus­kunn über das Ruhrunternehmen zu erteilen, Schlüsse gean habe, die den Tatsachen nicht entsprächen. Nun. oa können sa die hauptsächlichsten Midalieder des Kam­merausschusses, die die Aufllärung verlangt haben. we Brtand und Tardteu, der deutschen Presse in einer Ta­gesordnung den Dank zum Ausdruck bringen, daß sie es gewesen sei. die mehr erreichie als der ehemalige Min sterpräsiden: Georges Leygues, als er den ein­stimmig ausgesprochenen Wunsch des wichtigsten Aus­schusses des französtschen Parlaments dem jetzigen fran­östschen Ministerpräsidenten überbracht hat! Wir glau­den aber nicht daran. Es ist nur der alte Ablenkungs­versuch, der jetzt auf der ganzen Linie erneuert wird. An allem, was in der Welt vorgeht, trägt setzt wieder einmal Teutschland die Schuld. Ob in Smyrna, in Me­mel, in französischen Kohlengruben oder sonstwo, überall

sind die verwünschten Deutschen die treibende Kraft. Und es ist doch so bequem, die Schuld auf andere ab­zuwälzen!

Mag Poincaré bleiben, oder von rechts oder links gestürzt werden gewiß ist, daß es unmöglich ist, auf lange Zeit eine ersolglose Ruhraktion durchzufüh­ren. Sie belastet Frankreich moralisch und materiell sowohl vor der Welt als vor der eigenen össentlichen Meinung zu stark. Der Erfolg aber ist die Kohle. Auf diese hat sich deshalb sowohl die französisch= Ge­waltpolitik als auch die deutsche passive Abwehr konzen­triert. Gelingt es uns nicht, Frankreich die Kohle zu verweigern so ist es um uns als Volk und ols Wirt­

schaft geschehen. Gelingt es uns aber, und der starke

Wille des Ruhrgebiets läßt keinen Zweisel daran, so

haben wir unsere Zukunst aus dem Chaos der Gegen­wart gerettet.

Kardinal Schulte über den Wider­stand im Ruhrrevier.

X Köln, 11. Febr. Der Sonderberichterstatter mehrerer großer Organe der italienischen Volkspartei Traglia, hatte nach derKölnischen Volkszeitung vor einigen Tagen eine Unterredung mit Kardinal Schulte. Der Kardinal erklärte:

Das deutsche Volk wird Widerstand leisten. Sein Opsermut und sein Heroismus sind wirklich be­wundernswert. Wir wollen keine Zwischen­fälle hervorrusen, aber wir wollen uns auch einer un­gerechten Bedrückung nicht beugen. Bei meinem üngsten Besuch in Essen habe ich feststellen können, daß der Geist des Widerstandes unter den Arbeitern täglichstörker wird.

Aus die Frage, ob dieser Geist die Gesinnung nur einer Klasse oder des ganzen deutschen Volkes dar­stelle, antwortete der Kardinal, er stelle die Gesinnung des geeinigten deutschen Volkes dar. Das deutsche Volk hat keine Kriegsgedanken. Deutschland ist heute friedlich. und keinerlei Entsaltung militärischer Kraft kann heute Eindruck auf uns machen. Im Bewußtsein seines guten Rechts ist Deutschland bereit, in seinem pas­siven Widerstande zu bebarren. Die französische Be­hauptung, daß die Arbeiter auf ihrer Seite und die Vergarbeiter gegen die Eisenbahner seien, ist nicht wahr. Unsere Arbeiter, welcher Kategorie sie auch immer angehören mögen, sind vor allem Deutsche. Sollte durch die Eisenbahnkalamität in den Rheinlanden eine Knappheit an Lebensmitteln hervorge­ruisen werden, so werden die Veraarbeiter den Streik fort­führen. Die Eisenbahnen müssen und werden dann die Arbeit wieder aufnehmen, um der Bevölkerung die Le­bensmittelbelieserung zu sichern.

Frage: Welches, alauben Sie, wird die Taktik der Franzosen sein? Werden sie einerheinische Revublik prok'amieren?

Antwor:: Sicherlich wird irgend ein Versuch in dieser Richtung gemacht werden, aber er wird nichtae­lingen, weil hier niemals ein Gedanke des Separatis= mus bestanden hat und alle Klassen deutsch fühlen. Die Ausrufnna einer rheinischen Revublik würde auf den Widerstand aller Parteien stoten. Die Massen sehen auf die Separatisten mit ungeheurer Verachtung herab und erkennen ihnen keinerlei Autoritat zu. Wir empfehlen unserem Volke, schloß der Kardinal. die Verwerfung jedes Gedanken an Rache und jedes kriege­rischen Widerstandes.

Ein neues französisches Flugblatt.

Von einem französischen Flieger ist am 9. Februar das folgende Flugblatt abgeworfen worden:

Vorsicht!

Hetzer sind am Werke!

Die Behauptung, daß die alliierten Behörden die Ab­sicht haben, das Ruhrbecken vom unbesetzten Gebiete ab­zutrennen, um den von deutscher Seite ihnen entgegen­gesetzten Widerstand durch eine Hungerblockade zu bre­chen. entspricht in keiner Weise den Tatsachen. Straf­maknahmen können wohl gegen die Schwerindustrie oder die Reichsregierung getrafsen werden, es kann aber nicht die Rede davon sein, die Bevölkerung auszuhungern. Sollte die Bevölkerung des Ruhraebietes Anlaß finden. inbezug auf ihre Ernährung oder allgemeine Lebensweise zu klagen, so darf sie die Schuld nicht den Franzosen in di Schuhe schieben, sondern den Hetzaposteln und Ruhe­störern.

Sind wirklich die Franzosen infriedlichster Absicht in das Ruhrgebiet eingerückt? Sollen die Zehn­tausende, die bis an die Zähne bewaffnet erschienen, Ma­schinengewehre, Tanks. schwere Geschütze mitgeführt ha­ben, dem Ganzen nur einen Aufputz geben? Geschieht es auch nur in friedlicher Mission, daß gelegentlich ein D=Zug angehalten, die Passagiere zum Aussteigen ge­zwungen, daß Beamte mit ihren Familien deportiert, die Reitpeitsche benutzt und gelegentlich auch Menschen tot­geschossen werden? Ist das Publikum versehentlich ge­troffen worden, während die Schwerindustrie und die Reichsregierung gemeint gewesen ist? Diese Art von Propaganda wird im Ruhrbezirk nicht ziehen.

Jaspar in Paris.

X Paris, 10. Febr. Ueber die Reise des belgischen Außenministers Jaspor nach Paris schreibtEcho de Paris: Zu den Unterredungen der französischen Minister mit Jaspar wird auch von der Errichtung des Oberkommissars im Rubrgebiet die Rede sein, dessen Vorzüge wir bereits auseinandergesetzt Caben. Die Einwände der Brüsseler Regierung sind doppelter Art Diese ist in erster Linie der An­sicht, man hätte in Düsseldors und Essen kraft­voller und rascher vorgehen müssen in Erinnerung an Maßnahmen, die die Deutschen nicht gescheut hätten, als sie Gebiete besetzten.(Dieser Vergleich beweist wie­der, daß man dasfriedliche Ruhrunternehmen selbst als eine militärische Aktion ansteht.) Warum lasse man derartige Präzedenzien so weit außer Achts Auf diese Frage laute die französische Antwort: Gut wir haben Langmut und Langsamkeit be­wiesen, aber wir haben ein sehr großes Ergeb­nis(7) erzielt. Wir haben trotz einiger oberflachlicher Proteste der englischen und amerikauischen

össentlichen Meinung unser Unternehmen im Prinzip verständlich gemacht.(7) Da ist nicht zu verach­ten. Jetzt können wir mit um so größerer Freiheit vorgehen. Der zweite belgische Einwand betresse die Organisation des Kommissariats selbst. Die Belgier verlangen die Ernennung eines zweiten belgischen Kommissars Wenn sie einmal in Duis­bura und Ruhrort säßen, beabsichtigten diese Vor­huten von Antwerpen(!!) dort zu bleiben. (Also glatte Annektion!) Das seten Punkte, in denen eine Verständigung nicht unmoglich sein dürste. Es handele sich darum, die berechtigten Forde­rungen des belgischen Alliierten zu berücksichtigen, ohne daß sowohl die unerläßliche Einheit des Komman­dos als die Einheit des vereinbarten Planes bezweiselt würden. In anderem Sinne läßt sichEre Nou­velle über die Gründe der Reise des Minisiers Jas= par nach Paris aus. Das Blatt schreibt, man habe der belgischen Regierung mehr kriegerische Absichten untergeschoben. Man habe sogar ihre Haltung derjeni­aen der französischen Regierung entgegen gehalten. In diesen Nachrichten sei aber ein wenig Phantasie enthalten. Die Wirklichkeit laute anders. Die Be­setzung des Ruhrgebietes begegne in Belgien einer ak­tiven und kräftigen Opposition. Jaspar wünsche eine rasche Lösung, da er nicht das Mittel habe, um darauf zu warten mit der Sicher­heit, daß er die anfängliche Stellungnahme aufrecht erhalten könne.

Ist das Ruhrrevier noch deutsches Land?

+ Paris, 10. Febr. Poincaré hatte heute morgen von 10 bis 12 Uhr mit dem belgischen Außenminister eine Besprechung. Dieser Besprechung wohnten außerdem bei der belgische Gesandte, der Kriegsminister, der Ar­beitsminister, der Finanzminister und der Minister für die befreiten Gebiete. Nach Schluß dieser Sitzung wurde solgende Note verössentlicht, welche der deutschen Re­gierung überwiesen werden soll:

Die belgische und die franzosische Regierung haben sestgestellt, daß der Besuch des Reichskanzlers Cuno im Ruhrgebiet und seine dort ausgeübte Aktion einzig und allein den Zweck gehabt haben, ge­sährliche Erregungen, besonders unter den Groß­industriellen. Angestellten und Staatsbeamten hervorzu­rusen. Unter diesen Verhältnissen sehen sich die fran­zösische und belgische Regierung, welche im Interesse der Bevölkerung stets bestrebt sind. Wirren zu vermeiden, die einen blutigen Verlauf haben könnten, genötigt, der Reichsregierung und den Regierungen der Länder mit­zuteilen, daß die Reichsminister und die Minister der Länder nicht mehr ermächtigt werden, das Ruhrgebiet zu betreten.

Also dürsen deutsche Minister sich auf deutschem Boden nicht mehr frei bewegen! Man betrachtet offenbar in Frankreich das Ruhrgebiet nicht mehr als deutsches Gebiet. Wenn sich die französische Regierung tatsächlich zu einer so ungeheuerlichen Maßnahme entschließen sollte, würde sie damit auch den wenigen, die noch an friedliche und nur wirtschaftliche Ziele der fran­zpüschen Politik glauben, die Augen öffnen. Der Hin­weis auf die Interessen der Bevölkerung stellt den Gipsel der Heuchelei dar.

Neue Drangsalierungs-Pläne.

X Paris, 11. Febr. Die Ergebnisse der gestrigen Ver­handlungen des gestrigen Kabinetts mit dem belgischen Außenminister Jaspar werden vomPetit Parisien wie folgt zusammengesaßt: Es ist vereinbart worden, die Bemübungen auf eine Anzahl der wichtigsten Eisen­babnlinien zu konzentrieren und neben dem fran­zösischen und belgischen Personal diesenigen deutschen Eisenbahner und leitenden Beamten heranzuziehen, die zur Wiederausnahme der Arbeit gewillt seien. Hierzu kommt ein System von Ausfuhrbe­willigungen für die sämtliche Industrie des Ruhrgebietes. Durch die Verweigerung der Ausfuhrbe­willigungen könnte die Beförderung der Fabrikate nach de munbesetzten Deutschland einfach unterbunden werden. Diese Kontrolle werde eine Waffe gegen den Widerstand der Großindustrie sein. Nach demPetit Pa­risien ist in der viel erörterten Frage des Einheits­kommandos anscheinend General Degoutte der­enige gewesen, der zuerst Mitarbeiter, wenigstens für die wirtschaftlichen und finanziellen Fragen verlangt habe. Eine Entscheidung in dieser Frage scheine nach dem Petit Parisien noch nicht erfolgt zu sein.(In der wich­tigsten Frage konnte man sich also nicht einigen.)

Die Rückwirkung.

Paris, 11. Febr. Der Minister für öffentliche Ar­beiten. Le Trocquer, hatte gestern abend mit den Ver trevern des Kohlenbergbaues und der Metallindustrie Be­sprechungen über die Rückwirkungen, die die Vor­gänge im Ruhrgebiet auf ihre Betriebe ausüben.

7 Die Massenverhaftungen.

Wie groß die Zahl der verhafteten Beamten augen­blicklich ist, kann niemand sagen, denn sie steigt von Stunde zu Stunde. Am Freitag abend waren nach einer von derFrks. Ztg. verössentlichten Liste 202 Be­amte ausgewiesen und ihres Amtes entsetzt. Am Sams­tag abend nahm dieKöln. Ztg. die Zahl derer, die ein Opser ihrer Ueberzeugungstreue wurden, schon mit 350 an. Besser ist es damit für die Franzosen selbst­verständlich nicht geworden. Legen sie die Betriebe still, dann benutzen sie den entstandenen Wirrwarr zu nenen Sanktionen und dann ist das ja auch einErsolg für sie. Aber für den Kohlentransvort, der angeblich für sie die Hauptsache ist. steht es nach wie vor mau aus. Daß es im Ruhrgebiet nicht nach den Wünschen der Fran­zosen geht, beweist am besten die Tatsache, daß Poincaré setzt schon zum drittenmale den Minister für öfsentliche Arbeiten, Le Trocquer, und den General Weygand nach Düsseldorf geschickt hat, um dort mit dem General De­goutte und dem Generalbergwerksinspektor Coste Mittel und Wege zu beraten, wie man aus der Sackgasse, in die blinde Polink geführt, herauskommen könne. Den ein­zigen Ausweg erblicken die franzosischen Organisatoren immer wieder in neuen Sanktionen. Statt auf zubanen, wird weiter eingerissen.Mau braucht 30 Stunden. um

von Düsseldorf nach Mainz zu kommen, während früher fünf Stunden genügten! ruft verzweiselt dasPetit Journal. Untersingen sich die Franzosen, das ge­samte deutsche Eisenbahnpersonal auszuweisen, dann gäbe es in der ganzen Welt hörbaren Krach. Rund 70000 Eisenbahner oder noch mehr, vielleicht gar mit ihren Familien auszuweisen, bedeutet die Deportation von rund 400000 Menschen aus ihrer Heimat. Wollen Frankreich und Belgien vielleicht ihre Eisenbahnen zu Hause stillegen und das gesamte Eisenbahnpersonal nach dem Ruhrgebiet senden? Aber selbst in diesem Fall wäre mit der Maßnahme nichts erreicht, da das französisch­belgische Personal das technisch komplizierte Uhrwerk doch nicht beherrscht. Heute schon sind, wie die Fran­zosen selbst zugeben, 200 Kilometer Eisenbahn­linien vollkommen verstopft. Die Franzosen schreien nach mehr Lokomotiven und mehr Wagen. Der­weil haben sie durch die Errichtung ihrer Kontrollstellen selbst unmöglich gemacht, daß ein frisch pulsierender Wa­genausgleich geschafsen wird. Verstopfte Bahnhöse hat man noch niemals durch mehr Wagen entblockiert, son­dern durch weniger Wagen. Wohin man sieht, überall Ratlosigkeit, nur in einem Konsequenz: Verhaftungen über Verhaftungen! Jetzt sucht man anscheinend die Opfer wieder einmal hauptsächlich bei der Post, im Beng­bau und im Sicherheitsdienst. Also wenigstens eiwas Abwechselung in den Objekten. Es ist unmöglich, sämt­liche Fälle von neuen Eingriffen zu reeistrieren. Wir nehmen für heute nur von den nachfolgenden Notiz:

Brambauer, 10. Febr. Heute vormittag 10 Uhr wurde der Polize'=Inspektor Schübbe von den Fran­zosen verhaftet, und mittels Automobils in der Richtung nach Castrop gebracht. Nachher hat man sein Zimmer durchsucht. Der Beamtenausschuß saßte folgende Entschließung:Soeben wurde der Polizei=Inspeltor des Amtes Brambauer, Herr Schübbe, gewaltsam ver­hastet und entführt. Die gesamte Beamten=, Lehrerschaft und Geistlichkeit erhebt gegen diese Mafnahme auf das schärsste Einspruch. Herr Pollzei=Inspektor Schübbe ist uns als ein pflichttreuer Beamter bekannt und hat sich bei allen seinen Anordnungen von den Dienst­anweisungen seiner vorgesetzten deutschen Dienstbehörde leiten lassen. Auch die gesamte Einwohnerschaft des Amtes Brambauer ist durch die Verhaftung des Leiters der Polizeiverwaltung aufs tiefste erregt. Sie verlangt mit der gesamten Beamtenschaft die sofortige Rückgäneig­machung des Verhaftungsbefehls. Gestern abend gogen 11 Uhr wurden zwei Revolverschüsse abgegeben. Die Franzosen behaupten, daß die Schüsse von einer deutschen Frau abgegeben seien, was füglich bezweiselt werden kann.

= Herne, 11. Febr. Hier sind gestern abend erneut drei Polizeibeamte wegen Grußverweigerung sestgenommen worden. Infolge desVerhaltens der Schutzpol'zei, der städtischen Beamten usw. ist in Herne seit gestern abend 9 Uhr der verschärfte Belage­rungszustand verhängt toorden.

Hattingen, 10. Febr. DieHattinger Volksztg. schreibt: Gestern morgen kurz nach 10 Uhr erschien in unserer Zeitung ein französischer Feldgendarm in Be­

gleitung von 5 französischen Soldaten, um Redakteur Naumann zum Herrn Obersten zu rufen. Von die­sem Gang kehrte Herr Nanmann nicht zurück, wurde vielmehr kurze Zeit darauf in einem Militärwagen zum Divisions=Kommandeur nach Weitmar gebracht.

Buer, 10. Febr. Die im Bereich der Stadt Buer liegenden Schachtanlagen der GewerkschaftBismarck in Erle undEwald in Resse wurden erstwalig von den Franzosen aufgesucht. Ein französischer Offizier in der üblichen Begleitung von 115 bis an die Zähne bewaffneter Soldaten betrat den Zechenplatz und ver­langte die Herausgabe von 300 Zentnern Kohlen, an­geblich für die Besatzungstruppen. Der Betriebsrat der ZecheVismarck gab ihm unzweidentig zu verstehen, daß er keinen Schessel Kohlen bekäme und daß die ganze Beleaschaft bei Anwendung von Gewalt sofort ausfahren und den Betrieb stilligen würde. Nach lan­gem Hin und Her. wobei der französische Offizier den Arbeitern alle möglichen Versprechungen machte, zog er mit seinen Leuten unverrichteter Dinge ab. Auf der ZecheEwald wurde dasselbe Manöver versucht, das aber den gleichen Mißerfolg hatte.

= Recklinghausen, 10. Febr. Oberbergrat Russel, der Leiter der Berginspektion 2 vonGladbeck, wurde von den belgischen Militärbebörden ausgewie­sen, weil er den französischen Ingenieuren den Zutritt zur Grube verbot und ihnen Auskunft über die För­derung verweigerte. Russel ist ins unbesetzte Gebiet ge­bracht worden. Heute nachmittag wurde der Redakteur Rudolf Fischer von derRecklingbauser Allg. Ztg. vom Kriegsgericht der 47. französischen Insanterie­division zu 6 Monaten Gesängnis verurteilt. Die Verurteilung erfolgte auf Grund eines Artikels, be­titeltDer deutsche Abwehrkampf in der Nummer vom 2. Februar. Die Besatzunghörden erblicken in dem Artikel eine Aufhetzung und Gefährdung der Sicherheit der Besatzungsarmee sowie Beleidigung der Ehre der sranzösischen Armee. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Richter, hat Berusung gegen das Urteil eingelegt. Heute nachmittag wurden Bürgermeister Niemever (gebürtig aus Dortmund) u. Stadtverordnetenvorsteher Rechtsanwalt Niehaus von der Besatzungsbehörde verhafte:. Ueber die Gründe der Festnahme ist noch nichts bekannt. Bürgermeister Niemever wurde be­rets am selben Abend gegen Stellung einer Kaution von 300 00 aus freien Fuß gesetzt.

(essen, 11. Febr. Eine Aenderung in der Verkehrslage in bisber nicht eingetreten. Gestern mittag wurde Beraassessor Reckmann in Arenberg ohne Angabe von Gründen in seiner Wohnung ver­haftet. Eine etwaige Aussorderung zu Koblenliese­ruingen oder irgend eine Vorladung ist an ihn zuvor nicht ergangen. Reckmann wurde in einem geschlosse­nen Auto nach unbekanntem Ziel weggeschleppt. Die am letzten Mittwoch in Recklinahausen verhaf­leten Kaufleute sind gestern nach längeren Ver­handlungen mit dem General der 47. Division wieder freigelassen worden. Auch die drei festgesetzten Arbeitervertreter wurden aus der Hast entlassen. Sie sollen an kommenden Sonnabend vor eine Polizeigericht gestellt werden. Heute morgen wurde der Direktor Laitau von der GewerkschaftZollverein aus unbe­kannten Gründen verhasten. Oberpostdirektor Jünger wurde von den Besatzungsbehörden ausge­wiesen. Er wurde im Auto fortgebracht. Wodin, i#