Zweites Blatr.

21.000 Abonnenten.

39. Jahrgang

Gelsenkirchener Zeitung.

Rotationsdruck und Verlag von Chr. Münstermann in Gelsenkirchen.

Verantwortlicher Redacteur: L. H. Kleinstreuer in Gelsenkirchen.

Ne 9.

Dinstag. den 13. Januar

1903.

Reformsocialistische Heuchelei.

Mehrere katholische Blätter hatten vor Kurzem in einem Artikel mit der UeberschriftJe nachdem!" festgestellt, daß der zu Agitationszwecken überall in Stadt und Land verbreitete socialdemokratischeRheinische Volkskalender" für 1903 folgendeharmlose" Erklärung des Wortesso­cialdemokratisch liefere:Die Socialdemokraten wollen die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch das gesammte Volk. Sie erstreben dies nicht auf gewaltsamem Wege, sondern durch Reformen, deren Endziel die Be­freiung der Arbeit vom Capitalismus ist." Dieser Er­klärung gegenüber wurde darauf hingewiesen, daß dieselbe im völligen Gegensatz stehe zur ganzen Vergangenheit der Socialdemokratie, da doch die Reformsocialisten(Bern­stein, Schippel, David) inder Partei stets bekämpft worden sind, und gerade die sociale Revolution als das sich nothwendig ergebende Resultat der Entwickelung noch immer von den bedeutendsten Führern der Socialdemokratie hingestellt wird. Nunmehr hat die socialdemokratische Rhein. Ztg., in deren Verlag der genannte Agitations­kalender erschienen ist, jene heuchlerische Verleugnung des revolutionären Parteicharakters zu vertheidigen versucht, indem sie u. A. folgende Stelle aus Kautskus SchriftDie sociale Revolution citirt:Seit Lassalle bemüht sich die Socialdemoratie, den Unterschied zwischen der Revolution mit Heugabel und Dreschflegel und der socialen Revolution klar zu machen, daß sie principiell bloß letztere erstrebt...

Hierzu schreibt die katholischeWestd. Arbeiterztg.": Ganz gewiß! An eine Revolution mit Heugabel und Dreschflegel glaubt heute Niemand mehr. Abgesehen davon. daß es moderne Mittel giebt, um Revolution zu machen, ist die deutsche Arbeiterschaft geistig zu reif und praktisch zu klug, um revolutionäre Putschs zu machen. Darauf kommt es aber nicht an. In unserem Artikel wird fest­gestellt, daß derRhein. Volkskalender schreibt,die So­cialdemokratie erstrebe die Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände resp. ihr Endziel nicht auf gewaltsamem Wege, sondern durch Reformen, im Gegensatz zu der herrschenden Parteiauffassung, daß das Endziel durch die sociale Re­volution erreicht werden müsse. Wir hatten dabei aus­drücklich Kautsky citirt, der sagt, daß jeder Socialist die sociale Revolution anstrebt und ausdrücklich die Unter­scheidung zwischen Socialreformer und Socialvevolutionär macht. Da dieRhein. Ztg. Kautsky beweisführend citirt, so folgern wir daraus, daß auch sie sich nicht auf den Boden der Reform, vielmehr der socialen Revolution stellt, und da stellen wir fest: der nämliche Parteiverlag und ver­muthlich der nämliche Artikelschreiber, der in dem für die Agitation bestimmte Kalender das Endziel der Social= demokratic als Reformbewegung darstellt, die nicht auf ge­waltsamem Wege ihr Ziel zu erreichen suche, bekennt sich, vor die Flinte gelockt in der Parteizeitung, zur socialen Revolution. Je nachdem!"

Bemerkenswerth ist auch noch folgende Vertheidigungs­phrase derselben socialdemokratischenRhein. Ztg., der man so recht anmerkt, wie schwer es dem socialdemokrati­schen Blatte geworden ist, sich um jenen offenbaren heuch­lerischen Widerspruch herumzureden:

Zugegeben, daß durch die Revolutionsepoche die Alt­meister der deutschen Socialdemokratie eine Zeit lang an­genommen haben, der Sieg der Arbeiterklasse könne durch eine erfolgreiche revolutionäre Erhebung beschleunigt wer­den, zugegeben, daß sie sich in dem Zeitmaß der Ent­wickelung getäuscht haben, was übrigens sehr begreiflich ist: die heutige Socialdemokratie muß nach ihren heutigen Kundgebungen beurtheilt werden, nicht danach, was der gährende Most ihrer Kinderjahre zu Tage gefördert hat.

Also die revolutionären Aussprüche der Marx. Engels, Liebknecht, Bebel 2c. gelten nichts mehr, sindgährender Most aus den Kinderjahren der Socialdemokvatie"! Immerhin werden die Socialdemokraten vorläufig doch noch wohl gestatten müssen, daß man sich an ihr officielles Erfurter Programm hält, wo es heißt:

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die capitalistische Ausbeutung ist nothwendiger Weise ein politischer Kampf.

... Sie(die Arbeiterklasse) kann den Uebergang der Pro­ductionsmittel in den Besitz der Gesammtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gelangt zu sein.

... Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und iyn sein naturnoth­wendiges Ziel zu weisen das ist Aufgabe der social­demokratischen Partei.

Im Widerspruch mit diesem Parteiprogramm, das der Arbeiterklasse den politischen Kampf als naturnothwendiges Ziel weisen will, spricht man heute nur noch von derso­cialen" Revolution. Und um die Sache möglichst un­verfänglich darzustellen, erklärt Kantsky die sociale Revo­lution als einenhistorischen Proceß", dessen Kommen unvermeidlich, dessen Formen und Schnelligkeit nicht vorauszusehen seien.

Ueber diese Verschleierungspolitik die Arbeiter aufzu­

klären, schreibt dieWestd. Arbeiterztg.",halten wir für unsere Pflicht. Wir exemplificiren nicht auf dieDresch­flegel= und Heugabel"=Revolution. Wenn aber die So­cialdemokratie in katholischen Gegenden unter der Flagge einer harmlosen Reformpartei auf den Arbeiterfang geht und ihre socialrevolutionären Ziele verleugnet, während gleicher Zeit ihr oberner geistiger Führer ausspricht,daß jeder Socialist die soiale Revolution anstrebe", wenn eine solu; widerspruchsvolle Haltung in den Preßerzeug­nissen ein und derselben Quelle festgestellt wird, so ist es wohl kein Unrecht, wenn wir angesichts der Kraftausdrücke, die man uns gegenüber beliebt, das alsreformsocialisti­sche Heuchelei" bezeichnen.

* Zum Kücktritt Hollebens.

Der LondonerDaily Telegraph" läßt sich aus Washington über den angeblich bevorstehenden Rück­tritt Dr. v. Hollebens von seinem Botschafterposten die verschiedenen Ursachen mittheilen, die dem Vertreter der deutschen Regierung die Rückkehr nach den Ver­einigten Staaten unmöglich machen sollen. Zunächst sagt der Correspondent ist die Regelung der venezolanischen Affaire seitens des deutschen Bot­schafters nicht in der Weise bewirkt worden, wie sie die Berliner Regierung erwartet hatte. Auch das Com­plott zur Discreditirung Lord Pauncefotes habe nicht die gewünschte Wirkung gehabt. Endlich wären zwischen dem Prinzen Heinrich und Herrn v. Holleben gelegentlich der Anwesenheit des ersteren in den Ver­einigten Staaten ernste Reibungen entstanden und der Bruder des deutschen Kaisers begab sich heimwärts mit der Ueberzeugung, daß die deutsche Regierung in Was inton nicht richtig vertreten sei. Die Natur der Differenzen sei nicht bekannt geworden, aber daß solche bestanden, werde von authentischer Seite be­stätigt. Dabei werden gegen den deutschen Botschaf­ter schwere Anklagen erhoben, darunter, daß er wäh­rend der letzten Präsidentschaftswahlen den Deme kraten sympathische Beweise gegeben habe. In offi­ciellen Kreisen sei' man stets der Ueberzeugung ge­wesen, daß Dr. v. Holleben mit Mr. Lentz in Ohio und anderen führenden deutschen Demokraten in Amerika conferirt habe, um die Stimmen der in den Vereini­ten Staaten lebenden Deutschen für die demokratisa Wahlsache zu gewinnen. Der Botschafter ließ sich dabei von der Ueberzeugung leiten, daß ein demokrati­scher Erfolg auch die deutschen Absichten und Pläne fördern würde.

Welcher Art diese Absichten und Pläne waren, weiß der Berichkerstatter nicht anzugeben, aber es ist wohl unschwer zu errathen, worauf er hinzielt. Nichtsdesto weniger sind seine scharfen Anklagen gegen die Person des deutschon Vertreters in Washington recht milder Natur gegen die erneuten Ausfälle des Newyorker Times"=Correspondenten, der wieder einmal in einer ganz perfiden Weise gegen die Person des deutscher Kaisers zu Felde zieht. Wir lassen die vom 9. ds datirte Depesche wörtlich folgen:

Dr. v. Hollebens Rücktritt berührt die öffentliche Mein. ung in Amerika nur wenig, ausgenommen vielleicht, daß man sich darüber klar wird, was der deutsche Kaiser von seinem Botschafter in Washington verlangt. Er erwartet augenscheinlich, was weder Dr. v. Holleben noch irgend ein Anderer zu erfüllen vermag. Nicht Dr. von Holleben, son­dern der Kaiser selbst ist verantwortlich für den Stand der Gefühle der Amerikaner, die die Ursache zur Rückberufung Dr. von Hollebens sein sollen. Des Kaisers Henntniß von Amerika und seine Annahme, was oder was nicht hier ge­than werden kann, ist bestimmt falsch. Die öffentliche Meinung in Amerika ist durch gewisse diplomatische Ein­flüsse oder Insinuationen einer Reptilienpresse nicht will­fährig zu machen. Mit geringen Ausnahmen besteht hier keine Reptilienpresse. Eia Zeitung, die käuflich ist, ist des Kaufes nicht werth. Es ist wahr, daß ein auderer Bot­schafter in Washington in dem Verdachte steht, gewisse Me­thoden anzuwenden, um auf die amerikanische Ueberzeugung einzuwirken. Methoden, die sich an den Ufern der Newa oder der Spree als nützlich erweisen. Doch er erreicht wenig und nichts von dauerndem Werthe. Niemand kennt die Nutzlosigkeit des Planes, den der deutsche Kaiser zu ver­folgen scheint, besser als Baron Speck von Sternburg, der angeblich Dr. von Holleben im Amte folgen soll. Die Hin­dernisse, die den Erfolg der Politik des Kaisers beeinträch­tigen, müssen nicht in Washington, sondern in Berlin ge­sucht werden. Laßt den Kaiser einen Wechsel dort machen, wenn er einen solchen hier wünscht. Der kaiserliche Palast,

nicht die Washingtoner Botschaft ist die Wurzel der Zwie­tracht. Es ist wahrscheinlich, daß Dr. v. Hollevens Fehler in der falschen Auslegung der hiesigen Verhältnisse lag. Er führte ohne sein Verschulden den Kaiser in verschiedenen Punkten auf eine falsche Bahn. Doch es ist durchaus sicher, daß die gegenwärtigen kaiserlichen Methoden niemals Er­folge zeitigen werden. Zum mindesten bis zurück zum Jahre 1898 scheint der Kaiser die Hoffnung genährt zu haben, England und die Vereinigten Staaten zu entzweien. Es war wahrscheinlich schon früher geschehen, doch von diesem Zeitpunkte an gewannen die Pläne festere Form. Es ist schwer, einzusehen, wie Dr. von Holleben sich zur Ueber­mittelung der Handlungsweise Lord Pauncefotes mit Bezug auf den spanischen Krieg an den Kaiser entschließen konnte, da er doch wissen mußte, daß der Kaiser Facten wünschte, die er gegen England verwerthen konnte. In Bezug auf diese Angelegenheit habe ich stets vorgezogen, Dr. von Holleben als das Instrument, nicht als den Autor anzu­sehen. Sie richtete etwas Unheil an und gab anglophoben Blättern Gelegenheit zu gegen England gerichteten An­griffen, sie beschleunigte auch den Tod Pauncefotes. Doch wenn der deutsche Kaiser diesen Gewinn für den erzeugten Mißcredit in Zahlung nimmt, sollte er sich zurückrufen, was inzwischen geschehen ist. Die Reaction gegen diese Perfidien gon Berlin war die Ursache des amerikanischen Mißtrauens gegen Deutschland und den Kaiser. Berliner Blätter er­klären nun den Rücktritt Dr. v. Hollebens mit der Un­zufriedenheit, die die Leitung der venczolanischen Affaire geweckt hat. Sie geschah seitens des deutschen Botschafters weder auf gute noch auf schlechte Weise, und erfolgte in Berlin. Die begründete Anklage gegen Dr. von Holleben ist, daß er darin fehlte, den deutschen Kaiser mit dem in den Vereinigten Staaten obwaltenden Gefühlen vertraut zu machen. Er berichtete nur das, was seiner Meinung nach in Deutschland freudig begrüßt werden würde. Die älteren Beschwerden datiren zurück bis zur Zeit des Besuches des Prinzen Heinrich, wo Dr. von Holleben verschiedener Ver­geben sich schuldig gemacht haben soll. Er erlaubte dem Kaiser(1), den Vereinigten Staaten eine Statue Friedrichs des Großen anzubieten, ohne ihn zu warnen, daß das Ge­schenk mit kalten Gefühlen aufgenommen werden würde. Er verstand weder das Volk noch die Regierung, bei der er accredirt war. Es fehlte ihm auch an Tactgefühl. Man sagt, daß er Washington verlassen habe, ohne sich von dem Präsidenten oder dem Staatssecretär zu verabschieden. Er versuchte die deutsche Botschaft in Washington zu einem ge­sellschaftlichen Hauptquartier zu machen und scheiterte mit diesem Unternehmen. Obgleich er sich persönlich großer Be­liebtheit erfreute, besaß er nicht den Charakter, die Gaben und die Auszeichnungen, die der Botschafter einer großen Macht besitzen muß.(Hier folgen einige amerikanische Preßstimmen.) Alles dieses Unheil konnte nicht verwischt werden durch einen prinzlichen Besuch, Höflichkeiten der Tochter des Präsidenten gegenüber, honigsüßen Tele­grammen an den Präsidenten selbst oder Schmeicheleien an das amerikanische Volk. Dr. von Holleben ist nur ein gelegener Sündenbock. Das ist die Ansicht der Amerikaner." Diese Anmaßung des NewyorkerTimes­Correspondenten, seine Ansicht als die des ganzen amerikanischen Volkes hinzustellen, geht denn doch wohl etwas zu weit.

Drovinziellee.

Erklärung.

DieGelsenkirchener Volks zeitung" antwortet heute auf unsereErklärung in der Samstags=Nummer und meint, wir hätten uns durch ihre Briefkasten=Notiz betr. angeblicherAbtreibung von Abonnenten seitens der Boten derGelsenkirchener Zeitung getroffen gefühlt und hielten uns unterder gewissen Seite" für angezapft! Aber naturlich! DieGelsenkirchener Volks zeitung hat doch dieGelsenkirchener Zeitung" unter ausdrück­licher Nennung des Namens der Botenbeein­flussung beschuldigt!

Daß wir derVolkszeitung mit der Offenbarung des von ihr betriebenen Auflagenschwindels sehr un­angenehm geworden sind, könnte uns angesichts der hülflosen Lage, in der sie sich befindet, leid thun, aber wir sind nicht das Karnickel gewesen, welches angefangen hat und haben auch nicht nöthig,die Sache für abgethau zu erklären und ausparteitactischen Gründen" aufrichtig und lebhaft die Nothwendigkeit der Abwehr zu bedauern". Auf uns hat dieVolkszeitung" bisher absolut keine Rücksicht genom­men, sie braucht es auch in Zukunft nicht zu thun. Andererseits werden auch wir für die Folge die bisher beobachtete Reserve auf­geven. Wir erklären also hiermit nochmals: Es ist Schwindel und grobe Lüge, wenn dieGelsenkirchener Volkszeitung in einem uns vorliegenden Offertschreiben an einen Inserenten ihre Auflage auf 7500 angiebt, es ist

eine noch gröbere Lüge und Schwindelei, wenn ihr Vertreter bei der Acquisition von Anzeigen diese Auflage auf 9000 angiebt. Wir wiederholen nochmals unsere Behauptung. daß die Auflage derGelsenkirchener Volks zeitung" kaum den zehnten Theil beträgt.

Das Tollste, was sich dieGelsenkirchener Volk-= zeitung in ihren vagen Behauptungen leistet, ist folgender

Im Uebrigen erklären wir die Auslassungen des Verlages derGelsenkirchener Zeitung" bezüglich der Auflage derGelsenkirchener Zeitung öffentlich als eine Unwahrh=it.

Angesichts einer solchen bodenlosen Frechheit derGel­senkirchener Volkszeitung" wiederholen wir hier einen Theil unsererErklärung vom 7. December vor. Is. und setzen eine Prämie von 10,000 Mark zu Gunsten der Volkszeitung aus, wenn unsere Angaben nicht erweislich wahr sind.

Gegenwärtig wird die Zahl der Abon­nenten auf dem Titel mit 21,000 ange­geben, indeß wird diese Zahl wegen etwa eintretender Schwankung von uns steto niedriger venzeichnet wie die wirkliche Auflage. Zur Zeit ist die Auflage 22.326, während effectiv 22,700 Exemplare ge­druckt werden.

Wenn dieGelsenkirchener Volks zeitung es wagen sollte, diese unsere Angaben nochmals als Unwahrheit zu bezeichnen, werden wir die Angelegenheit gerichtlich zum Austrag bringen.

Gelsenkirchen, 12. Januar 1903.

Chr. Münstermann,

Verlag derGelsenkirchener Zeitung.

+ Gelsenkirchen, 18. Jan. Eine Regelung der Straßennamen in der demnächstigen neuen Stadt Gelsenkirchen ist schon dadurch nothwendig geworden, daß in den verschiedenen Gemeinden mehrere Straßen gleich­lautend sind. Eine Commission wird sich mit der Vor­berathung dieser ungelegenheit beschaftigen. Die Post­verhältnisle erfahren insofern eine Umgestaltung, als in Zukunft Alles von der Centrale in Gelsenkirchen ge­regelt wird. Die Postämter in den verschiedenen Bezirken werden Filialen des Hauptpostamts.

* Gelsenkirchen, 12. Jan. Die am gestrigen Sonntag vom Aloisianum im katholischen Gesellenhause ver­anstaltete Weibnachtsfeier nahm einen schönen Ver­lauf. Herr Rector Spieker begrüßte zum Beginn der Feier die zahlreich erschienenen Gäste. Concertstücke des Blas­orchesters und Liederspenden des gemischten Chores, unter Leitung des Herrn Musiklehrers Knipper, boten den Anwesenden eine angenehme Unterhaltung. Den Cardinal= punkt des Festes bildete die Aufführung des fünfactigen SchauspielsJohannes der Täufer", das von den Schülern der Anstalt wacker gespielt wurde. Die Darstellung von zwei Scenen aus der Geburt Christi mit lebenden Bildern verfehlte ebenfalls nicht ihre Wirkung. Mit sichtlichem In­teresse folgten die Gäste den verschiedenen Darbietungen und gaben ihre Anerkennung durch lebhafte Beifallsbezeug­ungen zu erkennen. Am nächsten Sonntag findet eine Wiederholung des Weihnachtsspiels statt.

Geisenkirchen, 13. Jan. Gestern Abend fand im Saale des Herrn Ingenhaag eine Sitzung des Kreis­Krieger=Verbandes Gelsenkirchen statt, die um Uhr vom ersten Vorsitzenden, Herrn Landrath Dr. Hammerschmidt, eröffnet wurde. Das zur Ver­lesung gelangende Protocoll der letzten Sitzung wurde ge­nehmigt. Von 38 Vereinen, welche dem Verbande ange­hörten, hatten 30 Vereine Delegirte entsandt. Nach dem Bericht des Kassirers, Herrn Hannesen, betrug das Vermögen am 1. Januar 1902 1142,67 Mk., die Einnahme im vergangenen Jahre betrug 2366,36 Mk., in Summa 3508,03 Mk.; Die Ausgabe betrug 2218,29 Mk., somit verbleibt ein Kassenbestand am 31. December 1902 von 1289,74 Mk., welcher Betrag in den Sparkassen von Gel­senkirchen und Wattenscheid zinsbar eingelegt ist. Das ab­gelaufene Jahr hat also einen Ueberschuß von 148.47 Mk. zu verzeichnen. In den 33 Vereinen seien 7687 Mitglieder vorhanden. Als Revisoren wurden die Herren Buch und Schäfer ernannt, welche die Prüfung sofort vornahmen. Die Revision ergab zu Erörterungen keinen Anlaß und wurde dem Kassirer für die exacte Kassenführung Entlastung ertheilt. Bei dem Punkt Vorstandswahl bat der Vor­sitzende, da er mit dem 31. März aus der jetzigen Stellung ausscheide, um eine Aussprache, ob es angebracht sei, den großen Kreisverband in seiner jetzigen Stärke belassen, oder ob eine Theilung vorgenommen werden solle und zwar so, daß der Stadt= sowie Landkreis je einen eigenen Verband bilden sollten. Von den 33 Vereinen ge­hörten 14 Vereine mit 3914 Mitgliedern der künftigen Großstadt und 19 Vereine mit 3773 Mitgliedern dem Rest­

* Am Stockfeuerbivouak.

Ein Winterreisebild aus Norrbotten.

Von Hugo Samzelius.

Nachdruck verboten.

Es war zu Beginn des Winters. Im Waldland der oberen Norrbotten hatten Espe und Birke ihr Laub ver­loren. Draußen auf den Flächen der Moore stand das Riedgras welk und es raschelte in den Zwergbirken. Die Kälte hatte die munteren Fluthen des Elvs gefesselt, und still und sanft war der Schnee gefallen als Hülle für die frierende Erde und die entschlafenen Wälder. Das Ast­werk der Tannen bog sich unter der Last und die ver­zweigten Kronen der Föhren waren kaum noch zu erkennen unter dem Schnee.

Eines Morgens hatte ich Dienst im Walde: ein Renn­thier zog unser Gepäck= auf einem Waldschlitten. Ich und meine Begleiter, sechs Finnen und ein Kronjäger, gingen bald zu Fuß, bald auf Schneeschuhen. Das Wetter war herrlich, so herrlich wie es nur an einem Wintertag in Norrbotten sein kann! Die Sonne war von hellen Dunst­kreisen umgeben und halb hinter einem Birkengehölz ver­borgen, die Temperatur war nicht unter zehn Grad, das Wetter ganz ruhig, die Luft klar und rein just ein Tag, wie man ihn gern in der Erinnerung behält. Das Rennthier lief geschmeidig und leicht wie immer, wenn es kalt ist, und die skiförmig gebogenen Kufen des Schlittens glitten rasch über das Terrain, das an manchen Stellen mit abgebrochenen Bäumen und Aesten bedeckt war. Bald fuhren wir über ausgedehnte Moore, bald über Hügel und Abhänge, wo der Schlitten unaufhörlich zwischen den frost­überzogenen Steinen knirschte.

Unsere Thätigkeit konnte unmöglich an einem Tage er­ledigt werden, weshalb wir genöthigt waren, die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Als die Dämmerung um drei Uhr so dicht wurde, daß wir die Arbeit nicht mehr fortsetzen konnten, hörten wir auf und bereiteten das Lagerfeuer. Ein paar vom Wind gefällte Föhren wurden zurecht gehauen, der Schnee auf einem Platz unter breit­ästigen Tannen weggeräumt, ein Kiefernblock gespalten und wegen seines Harzgehaltes gleichsam als Zünder benutzt, und in kurzer Zeit flammte das Feuer lustig nach den schneebedeckten Aesten emvor. Die Bäume weinten strom­weise Thränen über die trügerische Wärme, die sie der

kleidsanren Wintertracht beraubte. Weit umher im Waldesdunkel verbreitete das Stockfeuer seinen zitternden Schein, der die Schneewehen roth beleuchtete und seine farbenreichen Reflexe weit hinein in das Weidengebüsch und das Tannendickicht sandte.

Das Centrum, unserfester Punkt", wurde durch dies Stockfeuer gebildet, um das wir uns nach und nach nieder­ließen, nachdem wir das Rennthier ausgespannt und ange­bunden, den Proviant ausgepackt und die Pelzröcke ange­zogen hatten denn bloße Waldläufertracht genügt nicht, wenn man in einer Winternacht 30 Meilen von der Küste

bivouakiren muß. Ich habe es manchmal gethan, es

aber nachher bitter bereuen müssen. Rings um den Lager­platz hatte die Mannschaft kleine gefällte Tannen zaun­artig aufeinander gelegt und das Ganze mit Tannen­zweigen verdichtet, sodaß der Schutzwall fast undurchdring­lich wurde für den Fall, daß ein Schneesturm kommen sollte.

Nun begannen die Zurüstungen für das Nachtessen, ein ebenso wichtiges wie interessantes Beginnen draußen in Wald und Feld. Ein mitgeführter Kochtopf wurde an einer prächtigen Quelle am Moorrand mit Wasser gefüllt und zum Kochen über einen Gluthaufen gestellt, nachdem das Wasser mit Salz. Butter, Roggenbrod und luftgetrocknetem Rennthierfleisch versetzt war. Diese Dinge geben eine nahrhafte Suppe, die auf FinnischKüsseli" benannt wird und hier oben allgemein beliebt ist, nicht am wenig­sten bei Flößern und Holzhauern. Sie ist schnell bereitet und man wird eben so schnell warm und satt davon.

Während dieses Gericht kochte, hatten die Finnen aus ihren Provianttaschen Butterdosen, ungesäuertes Brod, irgend einen gebratenen Vogel und etwas amerikanischen Speck hervorgeholt. Nun tranken sie die unvermeidliche Sauermilch aus flachbäuchigen hölzernen Flaschen, kauten gewaltig und mit jenem tüchtigen Appetit, den die Stra­pazen im Walde verleihen. Ich für meinen Theil trank Cacao und briet mir in meiner kleinen, emailhirten Pfanne ein saftiges Rennthierbeefsteak. Die Suppe war fertig und nun gab es ein Schlürfen aus Kaffeetassen und Blech­näpfen, daß das angebundene Rennthier einen Moment vergaß, Flechten von den Tannenästen zu schälen. Jeder von der Gesellschaft war bestrebt, seinen gebührenden An­

finnische

blätter" hervorgeholt, auf den Pelzschäften der Stiefel klein geschnitten und in die Pfeifenköpfe gefüllt, wo sie mit ihrem charakteristischen, etwas salzigen und sehr herben Geruch verkohlten.

Einer nach dem andern streckte sich nun auf dem ge­frorenen Moosbett des Bodens aus, die Beine dem Feuer zugekehrt, und in dem Halbdunkel des Tannengewölbes, wo man auf allerhand Art sich passende Kopfkissen eingerichtet hatte, glimmte bald die Pfeifengluth. Welch ein herrliches Gefühl, wenn diese Mattigkeit und zufriedene Ruhe über Einen kommt, nachdem man sich einen ganzen Tag durch Feld und Wald gearbeitet, sein Mahl mit Appetit verzehrt hat und sich dann der Länge nach auf einem Tannreisig= haufen vor dem Lagerfeuer ausstrecken kann! Dies Gefühl kennt eben nur der, der selbst ein Waidmannsleben ge­führt hat.

Und wie interessant es ist, Abends beim Bivouak im tiefen Walde das Thun und Treiben der Finnen zu beob­achten! Da herrscht gemächliche Arbeit zum Zeitvertreib, ein summendes Geplander, Gelächter und Possenreißen. Manche schneiden Birkenruthen, schaben mit dem Gürtel­messer die Rinde ab, drehen und trocknen sie am Feuer, in dessen Nähe sie dann in den Boden gesteckt werden, um von Denjenigen, die es wünschen, bei dem intensiven Rauchen als Anzünder benutzt zu werden. Andere ziehen die Pelzschuhe aus, breiten das benutzte Schuhhen in ge­höriger Entfernung vom Feuer auf dem Boden aus und hängen die Schuhe und Strümpfe zum Trocknen auf, wenn dieselben auf dem Tagesmarsch zu sehr durchnäßt worden sind. Andere schnitzen Trinktassen aus Birkenholz, wieder andere liegen mülde in gemächlicher Ruhe da mit der Pfeife zwischen den Zähnen.

Heikki Leftipalo Isokangas ist einer der prächtigsten Waldarbeiter, die ich je kennen lernte. Er wandert ganze Tage, oft durch unbekannte Gebiete, gleich ausdauernd und sicher wie der Jüngste, und verliert er einmal den rechten Weg. so findet er ihn leicht wieder nach Beobachtung des Sonnenstandes und der Flechtenbekleidung an Steinen und Bäumen ein vollständiger Indianer.

Und er erzählt prächtig. BeimBackvarden"(Stock­feuer) habe ich ihn oft geheimnißvolle Dinge schildern hören, die im Reich der Wälder geschehen, habe ihn nachdenklich von den mächtigen Wichtelmännchen berichten hören, die dort haufen, wo im dunklen Walde Föhren und Tannen zu undurchdringlichem Dickicht verwachsen,

An diesem Abend erzählte er Ereignisse aus seiner Jugend, als er während der Auerhahnjagdzeit ein glück­licher Wildschütz gewesen war. Das war in jenen Tagen gewesen, in denen ein armer Teufel einige Auer­hähne schießen konnte, ohnne daß der Oberförster ihn des­halb beim Kragen genommen hätte. An einem einzigen Tage, einem schönen Frühlingsmorgen, tödtete er fünf Auerhähne. Seit dies Wildern nun leider verboten wurde. fing er Waldvögel in Schlingen und Fallen und schoß vermuthlich noch immer seinen Auerhahn auf der Balze, denn alte Liebe rostet nicht.

Die Zeit verstreicht. Gegen acht Uhr fühlt man das Herannahen des mohnbekränzten Schlafgotts mit seiner herrlichen Anziehungskraft. Und gleich jenem bekannten Thier zieht man sich soviel als möglich zusammen, steigt in die Pelzhülle des wärmenden Lappenmuffs hinein und schickt sich an, zu träumen von dem, was der Tag brachte und der Wald lehrte. Aber ehe man sich zur Rube legt, überblickt man noch einmal das Stockfeuer und die um dasselbe lagernde Gruppe­

Auf der andern Seite der flammenden Gluth sieht man die Augen der Mannschaft unter dem zottigen dunklen Haar glänzen, während die Lichtreflexe über schmutzige, scharf geschnittene Gesichter gleiten. An einer Birke, die ab­gehauen wurde, um eine der Wände des Lagers zu bilden, hängen die bunten Rennthiersielen, deren gelbe und rothe Farben mit den großen Troddeln im Feuerschein leuchten. An eine Tanne gebunden steht das Rennthier, wie ein Kaninchen kauend, indem as mit der Schnauze den Schner zur Seite stößt, um die zarten Flechtenspitzen abzurupfen. Uebrigens sieht das Thier jetzt etwas struppig aus, denn die behaarte Haut des Geweihes ist noch nicht vollständig abgefegt, sondern hängt von der an mehreren Stellen blutigen Hornmasse in langen Fetzen herab. Dann und wann zieht das Thier die Halfter heftig an, und dann zittert der Baum und wirft eine ganze Wolke von Schnee auf sein weißgraues Fell. Aber es schüttelt den Schnee ab und schmaust weiter.

Jetzt beginnt es, leicht zu scheien. Leise kommen kleine, ganz kleine frostschimmernde Flocken hembgeschwirrt, leuchtend wie Diamanten im Feuerschein. Vielleicht tritt Schneefall ein in der Nacht oder Schneesturm! Bah, Winterkälte und Schneefall sind erträglicher als die blut­dürstigen Mückenschwärme im S. nmerbivoual und der Regen zur Herbstzeit.