Aus Berlin.
Die seitherigen Wahlnachrichten ergeben ein Uebergewicht zu Gunsten der conservativen Partei. Nicht allein, daß viele der bedeutendsten Vorkämpfer der conservativen Sache, wie Herr v. Vincke, v. Bodelschwingh, Harkort, v. Bismark=Schönhausen, Graf von Arnim u. A. m. gewählt sind— auch das numerische Uebergewicht ist bis jetzt auf dieser Seite. Freilich fehlen noch die Nachrichten aus Preußen, Posen und vom Rhein, so wie aus einem großen Theile Westphalens und Schlesiens. Aber das Verhältniß dürfte doch höchstens sich nur dahin ändern, daß die conservative und die oppositionelle Seite der zweiten Kammer sich der Zahl nach die Waage hielten. Und zeigte sich selbst eine oppositionelle Mehrzahl, so hat diesmal die conservative Seite Vertreter von einer solchen geistigen Bedeutsamkeit, daß das moralische Gewicht einer conservativen Minorität widersinnige und übergreifende Beschlüsse einer radicalen Majorität in den Augen der besonnenen Bevölkerung gänzlich wirkungslos machen würde. Die Zusammensetzung der Kammer zeigt sich schon jetzt so, daß man versichert sein kann, die republikanischen Umtriebe werden keine widerstandslosen Siege mehr erkämpfen.
Als gewählt auf oppositioneuer Seite wurden gemeldet fast aue bekannteren Persönlichkeiten der Linken in der National=Versammlung: Schulze Delitzsch, Kaplan v. Berg, Temme zweimal, v. Kirchmann, Krackrügge, Stein, Elsner, Kyll, Schneider, Par, v. Unruh, Hildenhagen, Rensch. Durchgefallen sind: Uhlich, Schulze Wanzleben, Jung, v. Wangenheim, Gierke, Kaempff, Schramm, Weichsel. Dagegen sind auf conservativer Seite außer den Genannten noch gewählt: Vincke dreimal, Harkort zweimal, Landräthe v. Arnim, v. Schlottheim, v. Wedell, v. Dewitz, v. Kleist, v. Hagen, Prof. Baumstark, Minister Graf v. Schwerin, Minister v. Manteuffel in Luckau, Justizrath Krause, Geh. Rath v. Werdeck, Fürst Hatfeld, Graf Renard, Prof. Keller, Geh. Rath v. Viebahn, Archiv=Rath Ridel u. A. m.
Nach einem von Waldeck entworfenen Plan beabsichtigt die Oppositionspartei sich bereits am 15. d. M. in Berlin einzufinden und hier in einer Art Vorparlament die künftig zu befolgende Taktik festzustellen. Als Punkte, über welche sich die Opposition zu gemeinsamem Auftreten zunächst verständigen will, werden angegeben: 1) die Anklage der Minister, 2) die Aufhebung des Belagerungszustandes, 3) die Revision der seither erlassenen Gesetze, 4) die Abanderung der Steuergesetzgebung, 5) die Beseitigung der ersten Kammer.—
Die bei hiesigen Demokraten eingelaufenen Nachrichten besagen, daß der Losbruch der neuerdings dort zu Tage gekommenen Bewegung in Paris und Lyon eigentlich auf den 8. d. Mts. festgesetzt gewesen, aber durch die Ereignisse beschleunigt und übereilt worden sei.—
Die Berliner Gurnison wird in diesen Tagen noch eine Verstärkung von 5000 Mann Infanterie erhalten. Einige Abtheilungen Kavallerie werden wahrscheinlich wieder aus der Stadt auf die Dörfer verlegt. Von einer baldigen Aufhebung des Belagerungszustandes ist noch gar keine Rede. Vorgestern haben die Stadtverordneten den bereits zum dritten Male wiederholten Antrag, sich für die Aufhebung zu verwenden, endlich angenommen; es steht indessen nicht zu erwarten, daß die Verwendung eine Aenderung in der Lage der Dinge bewirken werde.— Die hiesige demokratische Partei ist nach ihrem ersten Jubel über den Ausfall der Wahlen jetzt bedeutend niedergeschlagen, weil so Viele aus ihren Reihen durchgefallen sind. Sie setzt ihre ganze Hoffnung noch auf Posen und die Rheinprovinz.—
Noch immer sind nicht alle Wahlergebnisse für die II. Kammer bekannt. Es fehlen noch Nachrichten aus den entlegenen Theilen Ostpreußens, aus mehreren posener Wahlkreisen und aus einigen Kreisen der Rheinprovinz. Wie sich aus den eingegangenen Mittheilungen ergiebt, ist das Verhältniß nach den einzelnen Landestheilen folgendes: 1) ganz überwiegend conservativ haben gewählt Brandenburg, Pommern und Westpreußen; 2) zu gleichen Theilen conservativ und radical Schlesien, Posen, Ostpreußen und Westphalen; 3) mehr radical Sachsen und Rheinland. Was das Zahlenverhältniß näher betrifft, so ergab eine gestrige ungefähre Zusammenstellung auf 160 conservative Abgeordnete deren 110 Radicale. Die noch zu erwartenden Berichte dürften dies Verhältniß dahin ändern, daß die conservative Partei noch 35, die radicale noch 45 neue Mitglieder zuzuzählen hätte, so daß die Gesammtsumme sich auf 195 Conservative gegen 155 mehr oder weniger Radicale stellen würde. In dem Comité für volksthümliche Wahlen ist großer Zwist ausgebrochen, indem die Mitglieder es sich gegenseitig Schuld geben, daß Niemand von ihnen gewählt worden. Herr Martins hat erklärt, er wolle mit der ganzen Sache nichts mehr zu thun haben. Herr Dr. Spickermann hatte von Herrn Rodbertus das Versprechen, in Pommern gewählt zu werden; geht nun aber auch leer aus, da es Herrn Rodbertus nicht gelingen wollte, so wenig für sich selbst als für einen Andern Vertrauen bei den pommerschen Wahlern zu erwecken.
Eine möglichst genaue Uebersicht der Wahlen, wobei jeder irgend Zweifelhafte der gewählten Abgeordneten zu den Gegnern gezählt ist, ergiebt 181 für unsere Partei, 151 fur die Partei der Nationalversammlung; also eine Mehrheit von 30 Stimmen für unsere Partei; 18 Wahlen sind noch unbekannt; unser Sieg ist also entschieden. Gott segne das Vaterland!
Seit einigen Tagen passiren hier wieder viele Polen durch, die sich mit Erlaubniß der Regierung nach dem Großherzogthum begeben. Möchte nur der Regierung ihre übergroße Nachsicht nicht schlecht gelohnt werden. Im Posenschen werden schon seit längerer Zeit Vorbereitungen
getroffen, welche fast mit Sicherheit auf den nahen Wiederausbruch einer polnischen Bewegung schließen lassen.
Gestern Mittag wurden die beiden neu erbauten Gebäude für die Kammern gerichtet. Die bedeutenden Bauwerke sind in kaum 5 Wochen hergestellt worden.
Man versucht von Neuem das Gerücht zu verbreiten, daß Graf Brandenburg zurücktreten will.
Die Sitzungslocale der beiden Kammern werden so eingerichtet, daß nöthigenfalls in denselben eine Besatzung untergebracht werden kann. Die Ueberfalle des souverainen Volks und die Umlagerungen der Gebäude mit Stricken und Mordinstrumenten sollen in Zukunft nicht wieder geduldet werden.
In nächster Zeit steht die Reorganisation der hiesigen Bürgerwehr bevor. Unter dem betriebsamen Bürgerstande herrscht die entschiedenste Abneigung gegen dies so vielfach prostituirte Institut. Eine große Anzahl von Bürgern wird den Wiedereintritt verweigern und will sich lieber Straf= und Zwangsmaaßregeln aussetzen, als ferner Mitglieder der Bürgergarde sein. Dagegen drängen sich die Demokraten zum Wiedereintnitt und schmeicheln sich mit der Hoffnung, daß die Bürgerwehr auch fortan wieder die beßte Stütze der Anarchie und der Emeute sein werde.
Unter dem hiesigen Militair herrscht seit mehreren Tagen eine ungewohnte Bewegung. Auf mehreren öffentlichen Plätzen werden täglich Besichtigungen und Uebungen abgehalten, in der Hasenheide finden täglich zahlreiche Schießübungen Statt. Die meisten hier garnisonirenden Bataillone haben jetzt Zündnadelgewehre erhalten, und werden in dem Gebrauch derselben fleißig einexercirt. Die hier noch erwarteten neuen Bataillone werden besonders in Privathäusern einquartirt werden. Bereits sind das 12. und 24. Regiment schon zum größten Theil in leerstehenden Privatwohnungen unter gebracht. Auch Artillerie wird dem Vernehmen nach hier noch einrücken und in der Umgebung des Wilhelmsplatzes stationirt werden.
Im eigensten preußischen Interesse, wenn der Blick nicht höher hinausreicht(!), fragen wir uns doch, wo wir echten Preußen beispielsweise den Freiherrn von Vincke leichter und lieber entbehren möchten, in Frankfurt bei den unsere Existenz tief berührenden Verhandlungen über das Reichsoberhaupt u. s. w., oder in Berlin, wo sich auf neuer Grundlage ein neues Parteiwesen bilden soll und wo ein Mann wie Vincke selbstthätigen Antheil an der Organisation nehmen muß, wenn er nicht vereinzelt und ohne den gebührenden Einfluß bleiden soll. Die Antwort kann keine andere sein, als„weder in Frankfurt, noch in Berlin“. Und was an Herrn von Vincke am deutlichsten vielleicht in's Auge springt, das gilt vom Grafen Schwerin und von den zahlreichen Parlamentsmitgliedern, die doch gewiß noch zur ersten Kammer gewählt sein werden.
Unser Land, mit seiner großen Bestimmung und den ihm obliegenden hohen Verpflichtungen gegen sich und Deutschland, namentlich aber jetzt, da sich die Geschicke des Vaterlandes erfüllen, bedarf einer starken Regierung. Stark ist eine Regierung aber nicht nur, wenn sie sich auf Bajonette stützt und Ordnung herstellt, sondern wenn sie das Nothwendige jedesmal mit voller Freiheit, unbeirrt und furchtlos thut. Wenn die Regierung Preußens eine Maßnahme, wie die Vertagung der Kammern, welche das Interesse von ganz Deutschland fordert, welche von Allen, die es aufrichtig und ehrlich meinen, gebilligt werden muß, auszuführen sich scheut, nur weil demokratischer Seits großer Larm geschlagen werden wird, dann ist sie nicht weniger als eine starke Regierung.
Wir sind dessen gewärtig, ob die jetzigen Minister sich stark genug fühlen, die Kammer=Vertagung auszuführen ohne Gefahr für den innern Frieden des Staats. Wir entscheiden nicht, ob die Regierung dazu stark genug ist; aber die Nothwendigkeit der Vertagung wird durch keine ministerielle Rücksicht berührt.
In Frankfurt ist die österreichische Note eingetroffen. Darin protestirt Oesterreich offenkundig gegen jede Constituirung eines deutschen Staats. Während dessen singen die politischen Knabenseelen:„Das ganze Deutschland soll es sein" und protestiren gegen ein Deutschland ohne Oesterreich. Wollte man uns doch lehren, wie Deutsch=Oesterreich zu zwei Staaten gleichzeitig gehören soll, zum deutschen Bundesstaat und zur österreichischen Monarchie. Ja, wenn es nach den kind lichen Sängern geht, wird es das ganze Deutschland sein, das ganze 37mal getheilte, völkerrechtlich=verknupfte sogenannte Deutschland. Gott im Himmel sieh' darein" oder vielmehr:„schlage d'rein“! Möch
ten wir doch wenn nun die deutsche Einheit zum Gespötte der Wel
wie in der sonst so umsichtigen Schles. Ztg. Hr. R.,
die stiften die gräuliche Katzenmusik, mit der das so schön beginnende
deutsche Conzert enden soll!
Die ehemaligen Abgeordneten Kuhlwetter und Reichensperger sind nicht wieder gewählt. Wie wir hören, war die Absicht, dieselben zur ersten Kammer zu wählen; doch fehlt beiden das erforderliche Alter. Vielleicht bringt noch die eine und die andere Neuwahl diese beiden ausgezeichneten Mitglieder der Rechten in die 2. Kammer.
Turnen.
Es ist eine auffallende Erscheinung, däß da, wo viel für die geistige Fortbildung der Jugend geschieht, nicht auch der Kräftigung des Körpers mehr Sorgfält gewidmet wird, da doch von Alters her bekannt ist, daß ein kräftiger Körper einem starken Geiste zur Stütze dienen muß. Dies ist auch namentlich in unserm dem Fortschritte hul