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Düsseldorf 1871.

Nr. 84.

Dieustag, 12. Dezember.

Düsseldorfer Volksblatt.

Verantwortlicher Redakteur: F. N. Palm.

Expedition: Bilkerstraße 24.

Druck und Verlag von F. N. Palm& Cie.

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Vom deutschen Reichstag.

(Eigene Correspondenz.)

XII.(Fortsetzung.)

Berlin, 8. Dezember.

Es sei eine große civilisatorische Aufgabe des deutschen die Stellung desselben gegenüber der Kirche klar zu machen und den römischen Einfluß aus dem Reiche zu ver­bannen, der namentlich in Bayern nachtheilig auf die Kul­turentwickelung gewirkt habe. Redner führt als Beispiel von dortigem Aberglauben(?) an, daß der geistliche Vorsteher einer Erziehungsanstalt gegen Harthörigkeit außer den leib­lichen Mitteln auch Gelübde und besondere Andachtsübungen empfohlen habe und beruft sich, um das Einverständniß des römischen Stuhles mit der dem deutschen Reiche feindseligen Presse darzuthun, auf die Thatsache, daß dem Nedakteur des bayerischenVaterland" am 6. Juli 1871 ein päpstliches Breve zugegangen sei, worin die Haltung dieses Blattes ge­billigt(?) werde: Benedicat te Deus et dirigat labores tuos et sociorum, ut sint semper pro gloria ejusdem Dei et bono fidelium(Gott segne Dich und lenke Deine wie der Ge­nossen Arbeiten so, daß sie stets zu seiner Ehre und zum Heil der Gläubigen gereichen). Die Kanzel müsse jedenfalls frei bleiben von politischen Agitationen, wozu der bayerische Klerus und Episkopat dieselbe bisher in der Weise benutzt habe, daß die ganze Gesetzgebung in den Staub gezogen und so­gar von der Steuerlast gepredigt worden sei; hier liege eine klerikale Demagogie(Volksverführung) vor, die aufs innigste mit der Unfehlbarkeit zusammenhänge(?). Der Satz:man muß Gott mehr gehorchen, als den Menschen habe gegenüber dem Staate und dessen Gesetzen keine Gel­tung(!); vom römischen Stuhl werde aber in verschiedenen Bullen und dem Syllabus gelehrt, daß man diejenigen Staatsgesetze nicht zu befolgen brauche, welche den kirchlichen Beschlüssen widersprechen. Das Gebiet des Glaubens und der Sitte, worauf die Unfehlbarkeit sich erstreckt, umfasse gemäß der Moraltheologie von Gury auch das ganze Rechts­gebiet und die weltlichen Gesetze, so daß die päpstliche Au­torität über den Fürsten stehe und Alle, die anderer Mei­nung seien, zu verfolgen das Recht wie die Pflicht habe(?). Man wolle von Rom aus die Zeiten der spanischen Inquisition wieder herbeiführen, wo der Großinquisitor bei Verbrennung der Ketzer auf einem höhern Throne, als der König gesessen habe.*)

DieCiviltå cattolica", ein Organ der römischen Curie(?) und der Jesuiten, enthalte sogar den Ausspruch:die Kirche hat das Recht, mit körperlichen Strafen die Christen zu be legen, welche ihre Gesetze übertreten, namentlich die Schis­matiker und Haeretiker(Abtrünnige und Ketzer)" Die ge­fährliche Tendenz der klerikalen Bestrebungen ergebe sich auch aus den Conferenzen, die zu Anfang des jüngsten Krieges im Hotel Metropole zu Genf stattgefunden, und aus dem gedruckten Programm der Katholiken in Elsaß=Lothrin­gen, welches letztere mit den Worten schließe:Wisset Ihr, Frankreich nicht gezüchtigt ist, damit es desto kräftiger auflebe? Gott ordnet stets die zeitigen Interessen den ewigen unter." Dies sei eine Ermunterung zum Widerstande gegen Deutschland, welche das Reich nicht dulden dürfe.

Gegen diese Ausführungen und verschiedene frühere Reden wandte sich der Abg. Windthorst(Centrum), indem er zu­nächst betonte, daß seine Partei den Streit nicht angefangen habe und nur defensiv sich verhalte. Daß man eine so wich­tige Gesetzesvorlage im Bundesrath wie im Reichstag ohne ruhige Ueberlegung und mit unbegreiflicher Hast behandle, sei ein trauriger Gewaltakt und der Antrag Lutz bilde die vortrefflichste Illustration des Satzes:Durch Einheit zur Freiheit." Die nationalliberalen Parteien und die von ihnen getragenen Regierungen sollten fortan statt jenes stolzen Wortes den richtigen Wahlspruch annehmen:durch Einheit nach Karlsbad und von Karlsbad in die Käsematten. Wenn der Abg. v. Treitschke diesen Gesetzentwurf als einen Akt der Freiheit hinstelle, so könne ihm nur derjenige Recht geben, welcher das Niederschmettern jeder Ansicht, die gegen die Staatsomnipotenz spreche, fürFreiheit" er­klären wolle.

Die betreffende Lücke im Strafgesetzbuch sei mit wohl­überlegter Absicht entstanden, als man dasselbe anfertigte; keines der fremden Gesetze, auf welche man Bezug nehme, enthalte einen so weit gehenden Tendenzparagraphen, wie die Vorlage. Was werde England und Amerika dazu sagen, die als Länder der Freiheit nichts dergleichen kennen; wie werden sie über das deutsche Reich und die Tüchtigkeit unseres Volkes in der Gesetzgebung denken?

*) vergl. Nr. 81 dieses Blattes.

**) Bekanntlich war die Inquisition in Spanien eine Staats­einrichtung, die König Philipp gegen den Protest des

Papstes geschaffen hat.

Herr v. Lutz habe nicht die Sprache eines Ministers, sondern die Sprache einer Partei geredet. Sein Geschrei: es brennt in Bayern" und sein Ruf nach Feuer(nicht nach Wasser), um diesen Brand zu löschen, erinnere an eine unglückliche Frauensperson, die überall Feuer zu sehen glaubte, dann Feuer anlegte und nachher wegen Pyromanie(Brand­

stiftungstrieb) freigesprochen wurde; das Dorf blieb indessen eingeaschert, siat applicatio(Macht die Anwendung auf den vorliegenden Fall.) Wenn es in Bayern brennt, so lösche man dort und lasse das Reich in Ruhe; denn nach dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch sei es möglich, die Sache in Bayern selbst zu ordnen. Desungeachtet flüchte sich jetzt der stolze bayerische Löwe in Furcht vor selbst­

gemalten Gespenstern unter die Fittiche des Adlers! Bei dem ersten blinden Feuerlärm setze man schon den gan­zen Apparat der Feuerwehr in Bewegung und der leitende Minister Bayerns suche, auf die eigene Kraft ver­zichtend, hier im Reich, was er in seiner Heimat selbst machen müßte!

Der Reichstag sei übrigens keine theologische Fakultät, um die in München ausgebrochenen Streitigkeiten der Ge­lehrten zu entscheiden, und der angebliche Brand beziehe sich eigentlich nur auf gewisse Ministerstühle. Von einer Gemeinsamkeit der behaupteten Gefahr könne nicht die Rede sein, da keine andere Regierung den Nothschrei erhoben uno z. B. Würtemberg den allein richtigen Grundsatz aufgestellt habe: erst dann einzuschreiten, wenn aus den Be­schlüssen des Konzils praktische Folgerungen gemacht werden, die den Staat berühren.

Die katholische Kirche erstrebe keine Herrschaft über den Staat und auch nicht die Herrschaft im Staate über Dinge von weltlicher Natur, sie wolle vielmehr nur Herrin sein in ihrem Hause und innerhalb der Grenzen ihres Hauses. Eine gütliche Verständigung an den Stellen, wo Staat und Kirche sich mit ihren Gebieten berühren, sei bisher als das wünschenswerthe Ziel betrachtet und in Preußen unter drich Wilhelm IV., dem größten Kirchenpolitiker unseres Jahrhunderts, auch erreicht worden. Wolle man diese glück­lich bestandene Ehe zwischen Kirche und Staat ferner nicht gelten lassen, dann müsse sie freilich aufgelöst werden, aber auf der Basis des amerikanischen Rechtszustandes und mit Auseinandersetzung des Vermögens. Statt dessen lege der vorgeschlagene Paragraph die Entscheidung über die Frage, wo das Grenzgebiet zwischen Staat und Kirche sei, von den dazu berufenen Autoritäten weg, in das Urtheil des einzel­nen Kreisrichters!

Der neuere Aufschwung der wissenschaftlichen Theologie sowohl in der protestantischen als der katholischen Kirche spreche gegen die angebliche Verschlimmerung des im Klerus herrschenden Geistes und der Streit um das Unfehlbarkeits­Dogma selbst gehöre nicht in den Reichstag. Die von allen Seiten behauptete Staatsgefährlichkeit der Infallibilität sei, abgesehen davon, daß man die Widerlegungen z. B. das Werk des Bischofs Feßler in St. Pölten zu lesen unterlasse, nichts Anderes, als der willkommene Vorwand, die katho­lische Kirche als solche zu bekämpfen. Wirklich freie Staaten, wie Amerika, England, Holland kümmerten sich ja nicht um diese innere Angelegenheit der Katholiken, blos in Deutsch­land und zumal in München, wo jetzt die Minister sich zu Kirchenvätern machen wollen, werde so thöricht verfahren. Die allgemeinen Anführungen von einem Genfer Comite und von Verbindung mit den Massen entbehrten durchaus des Beweises. Mit Feuer und Schwert, wie Lutz den Antrag bezeichne, könne allerdings versucht werden, die kath. Kirche auszurotten, aber selbst ein solcher Versuch werde nicht gelingen. Ich sage Ihnen, rief hier der Redner in heiligem Zorn und mit der ganzen Zuversicht eines glaubensstarken Helden aus werfen Sie die katholische Kirche zurück in die Ka­takomben, werfen Sie dieselbe zurück in die Amphitheater und sie wird aus den Katakomben und aus dem Amphi­theater siegreich über Sie dahin gehen."(Bravo! im Centrum).

Die neue Strafbestimmung sei ferner als Angriff auf die Geistlichkeit aller Kirchen höchst bedenklich, insofern dadurch den festesten Stützen der staatlichen Autorität ein starker Stoß versetzt werde. Ohne Beistand der Kirchen und mit Bayonetten allein werde der Staat nicht im Stande sein, die aus den sozialen Zuständen der Völker heraufziehenden schweren Gewitter zu beschwören und wer die Hülfe der Kirche begehre, müsse ihre Diener ehren, sie nicht mit Aus­nahmegesetzen verfolgen. Das Gefühl der protestantischen Gläubigen, wie nicht minder der katholischen, würde durch Annahme des Antrages tief verletzt und diese Kränkung leicht dazu benutzt werden, politisches Kapital gegen die Freunde desselben zu machen.

Der Hinweis auf Ausschreitungen der bayerischen Presse habe mit der Geistlichkeit nichts zu schaffen und bezeuge nur, daß die Abg. Fischer und v. Schauß es liebten, ihre schmutzige

Wäsche in Berlin zu waschen, da ihnen das Wasser der Isar nicht waschfähig genug vorkomme.

Wenn nach schweren Verwickelungen in Deutschland die Gemüther nicht überall gleich zur Ruhe gelangten und in Folge dessen bisweilen maßlose Ausdrücke laut geworden, so solle man dasjenige, was nachher bei gemeinsamen Schlachten in Vergessenheit gerathen, nicht Tag für Tag er­neuern, nachdem wir vereint auf demselben nationalen Boden stehen und die vielgeschmähten Ultramontanen, nicht etwa die Herren Fischer und Consorten, zu den Siegen von Weißen­burg, Sedan und an der Loire wacker beigetragen haben.

Der Abg. v. Schauß sei keineswegs befugt, über Konzil, Syllabus und dergleichen zu urtheilen, da er nicht einmal Latein verstehe. Das von ihm verlesene Breve besage ja nur, daß der Adressat fortfahren möge, zur Ehre Gottes und zum wahren Wohl der Menschen zu schreiben; es hätte ebenso gut jedem andern Schriftsteller zugesandt werden kön­nen. Wer an den gegnerischen Aeußerungen über Dogma und Syllabus Geschmack finde, der solle zuvörderst die be­treffenden Schriften der Bischöfe Dupanloup und v. Ketteler lesen, sonst begriffen die Herren nicht einmal das ABC von diesen Dingen.

Redner geht nun über auf seine eventuellen Verbesserungs­vorschläge zu dem Unsinn des Lutz'schen Antrags(der Vizepräsident Fürst Hohenlohe ruft ihn zur Ordnung, weil es nicht statthaft sei, eine Vorlage des Bundesrathes als Unsinn zu bezeichnen) und verlangt Folgendes:

1. Streichung des unbestimmten Ausdrucksoder in Ver­anlassung der Ausübung",

2. Ersatz der WorteAngelegenheiten des Staates durch die FassungStaatseinrichtungen oder Anord­nungen der Obrigkeit", weil diese letztere Bezeichnung sich schon anderweitig im Strafgesetzbuch vorfindet und der erstere Begriff offenbar zuviel umfaßt,

3. statt der Worteen einer Weise, welche den öffentlichen Frieden zu stören geeignet er­scheint", zu setzen:in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise", was ebenfalls mit dem sonstigen Sprachgebrauch des Strafgesetzbuchs übereinstimmt.

4. Die Beifügung vonGeldstrafe bis zu 200 Thalern neben demGefängniß bis zu zwei Jahren, weil es eine ungerechtfertigte Härte ist, daß hier sofort Freiheitsstrafe eintreten soll, während die allgemeinen Strafparagraphen über Friedensstörung immer die Wahl zwischen Gefängniß und Geldbuße zulassen,

5. einen Zusatz, wonach die Beurtheilung des neuen Ver­gehens an Geschworene übertragen wird in den Län­dern, welche diese Einrichtung besitzen.

(Wir wollen zur bessern Uebersicht hier vorweg bemerken, daß von allen diesen Verbesserungsanträgen nur die Nr. 3 vom Reichstage angenommen worden ist und daß der Ge­setzentwurf auf den Vorschlag des Abg. Kastner(München) noch die Abänderung erfahren hat, daß es in den Schluß­worten nunmehr heißt: mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft).

Auf den Abg. Windthorst, dessen geistreiche und erschöpfende Rede einen tiefen Eindruck auf die Versammlung zu machen schien, folgte der bekannte Katholikenfeind v. Kardorff (Freiconservativ), welcher im alten Tone gegen die römische Kirche loszog und dadurch seiner Partei, zu der leider auch Katholiken gehören(im Landtag z. B. v. Heister, der keines­wegs ausgetreten ist, wie die Köln. Volkszeitung am 7. Dezember irrthümlich berichtet), abermals einen schlechten Dienst erzeigte. Zunächst meinte er, daß die neuere Dog­menentwickelung Roms auch in der evangelischen Kirche mit Trauer aufgenommen worden, weil sie den Riß zwischen ihr und dem Katholizismus vertiefe. Ein großer(?) Theil der katholischen Bevölkerung Deutschlands beklage die Vor­gänge auf dem letzten Konzil; daß dort die Majorität durch fremde Bischöfe gebildet worden, die an Frömmigkeit und Bildung weit hinter den deutschen Kirchenfürsten gestanden(??), habe unser gesammtes deutsches Volk als eine nationale Kränkung(???) empfunden und das Gefühl dieser Krän­kung werde es behalten.

Die zweite bedenkliche Erscheinung sei das unglaublich rasche Anschwellen der geistlichen Congregationen in Deutsch­land, der Mönchs= und Nonnenklöster(Aha! im Centrum), die zum großen Theil unter der Leitung des Jesuitenordens und seiner Affiliirten ständen.(Ganz unrich­tig! im Centrum). Die dritte gefährliche Thatsache sei die Bildung der Centrumsfraktion(Qho! im Centrum). Für das große Maß von Freiheiten, welche der katholischen Kirche in Preußen eingeräumt waren(sind! im Centrum), habe man vor wenigen Jahren mit dem Alarmruf gedankt, daß dir Kirche in Gefahr sei. Der Berliner Klostersturm könne nicht als Veranlassung gelten, da das Abgeordneten­haus in seiner Mehrheit das Vereinsrecht auf die Klöster anwenden wollte; im Nothfall würde die Regierung und das