1. Jahrgang.
Düsseldorfer
Nr. 1(Probenummer)
Zeitung
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(Zweites Blatt.)
Sonntaa, den 24. Januar 1892.
Die geschichtliche Entwickelung der Steusgraphie.
Von Hermann Meinberg.
I. Einleitung.
Der jetzt für die Geschwindschreibekunst allgemein gebräuch che Name„Stenographie“ war, wenn auch der griechischen prache entlehnt, den alten Griechen selbst unbekannt. Zuerst sucht derselbe im Jahr 1602 auf, und zwar rührt er von nem englischen System= Erfinder, dem Geistlichen John Zillis, her. Zusammengesetzt aus„stenós“(eng) und gráphein“(schreiben) bedeutet„Stenographie":„Engschrift“ der die Kunst, in gedrängter Kürze möglichst viel zu beichnen. Zweck der Stenographie war zunächst der, öffentche Reden und Vorträge wortgetreu nachzuschreiben; in zuerer Zeit ist die Stenographie so vervollkommnet worden, iß sie Allen, die viel mit Schreiben beschäftigt sind, unschätzire Dienste zu leisten vermag und leistet; steht doch die tenographie der gewöhnlichen Schrift an Deutlichkeit nicht nach, ährend sie dieselbe an Kürze um das 5—8fache übertrifft.
Es war ein weiter Weg, den die Schrift von ihren Urtfängen bis zur jetzigen, in der Stenographie erreichten Volndung zu durchlaufen hatte. Der Mensch auf der ersten tufe der Bildung konnte wohl kein einfacheres und leichteres littel zur treuen Bewahrung dessen, was er dem Gedächtsse der Mit= und Nachwelt zu erhalten wünschte, finden, als is Zeichnen oder Malen der Begebenheit, der Person oder s Gegenstandes, worum es sich handelte. Diese bildliche arstellungsweise, welche wir auch bei den Völkerschaften der zuen Welt finden(man denke an die Mexikaner, welche bei r Landung Cortez' im Jahre 1519 die spanischen Schiffe ec. malten) versteht man unter dem Namen„Begriffs= oder ilderschrift“. Den nächsten Schritt zur Verbesserung der chrift machten die Egypter durch die Hieroglyphen, d. h. eingrabene Zeichen von heiliger Bedeutung, womit die Priester, elche von Alters her stets die ersten Förderer der Schreibnst waren, alles das, was in das Gebiet der von ihnen pflegten Wissenschaften gehörte, aufzeichneten, und womit t noch in Egypten Pyramiden, Obelisken, Tempelruinen 2c. eckt sind. Ein gewaltiger Fortschritt der Bilderschrift jenüber waren die Hieroglyphen insofern, als die einzelnen ichen auch einzelne Laute oder Buchstaben der egyptischen ndessprache darstellten, während bei der Bilderschrift das ld immer ein Wort oder einen ganzen Satz ausdrückte. So den die Hieroglyphen den Uebergang von der Begriffs= zur chstabenschrift. In der Folgezeit wurden die Hieroglyphen * Erleichterung des Schreibens in der Weise abgekürzt, daß i nur einzelne Theilzüge und Umrisse davon benutzte, sodaß u Art von Cursivschrift entstand, die sogenannte hieratische, riche nur den Priestern bekannt war. Aus der hieratischen chrift entwickelte sich endlich durch weitere Vereinfachung zum ebrauch für das gewöhnliche Leben als Geschäfts= und orrespondenzschrift die demotische oder Volksschrift, welche eist aus phonetischen Zeichen bestand. Aber auch diese chriftart erwies sich gar bald den gesteigerten Anforderungen s praktischen Lebens gegenüber als ungenügend. Man suchte h daher, langsam fortschreitend, durch Abkürzungen zu helfen, id so war der erste Schritt zur Erfindung der Stenographie than. Doch geht man zu weit, wenn man, gestützt auf verziedene Stellen alter Geschichtsschreiber, behaupten wollte,
daß die Egypter, Hebräer, Phönizier und Perser es zu einem wirklichen System der Stenographie gebracht hätten. Denn wo sogenannter Tachygraphen(Schnellschreiber) erwähnt wird, handelt es sich nicht um eine Geschwindschrift in unserem Sinne; vielmehr wurden die schnellen Kurrentschreiber Tachngraphen im Gegensatz zu den Kalligraphen(Schönschreibern) genannt.
II. Die Stenographie bei den Griechen.
Die Griechen scheinen schon frühe stenographische Versuche angestellt zu haben. Wenn aber Justus Lipsius, der
im 16. Jahrhundert n. Chr. lebte, Xenophon für den Erfinder der griechischen Stenographie hielt, so steht jetzt fest, daß diese Ansicht eine irrige war. Lipsius glaubte nämlich aus einer Bemerkung des(in der ersten Hälfte des 3. Jahr hunderts lebenden) griechischen Schriftstellers Diogenes Laertius schließen zu dürfen, Xenophon(446—356 v. Chr.) habe die Gespräche seines Lehrers Socrates stenographisch aufgenommen und danach die„Memorabilien“ veröffentlicht; allein das von Laertius angewandte Wort „hyposemeiusthai“, auf welches Lipsius sich stützt, und das er mit„stenographiren“ übersetzen will, heißt nichts anderes als„aufzeichnen“(nämlich: nach dem Gedächtnisse).
Durfte man nun auch, zumal kein griechischer Schriftsteller einer Stenographie in der vorchristlichen Zeit erwähnte, an dem Vorhandensein einer solchen zweifeln, so haben doch zwei vor einigen Jahren gemachte Funde bewiesen, daß es auch damals nicht an Stenographie=Erfindern gefehlt hatte. So entdeckte Flinders Petrié in den Ruinen von Naukratis, einer Stadt, die im 6. Jahrhundert v. Chr. von griechischen Colonisten im Nildelta gegründet worden war, Bruchstücke von Gefäßen, welche griechische Inschriften sehr hohen Alters ent hielten. Unter diesen Inschriften befanden sich eigenthümliche Kürzungen, bei denen unwesentliche Worttheile, die sich aus dem Satzzusammenhange erganzen ließen, weggelassen waren.
Ferner wurde bei den Aufräumungsarbeiten auf der Akropolis zu Athen das Bruchstück eines Inschriften=Steines ausgegraben, welcher nach dem Urtheile des Professors Ulrich Köhler in Athen, eines der bedeutendsten Kenner altgriechischer Inschriften, aus der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. herrührt. Nach den nöthigen vorgenommenen Ergänzungen scheint diese Tafel eine Anleitung zu einer Schnellschrift zu enthalten, die durch Aufstellung in den Tempeln zur allgemeinen Kenntniß gebracht wurde. Leider sind die uns von dieser Schrift überkommenen Anhaltspunkte zu gering, als daß es möglich wäre, sich ein klares Bild davon zu machen.
Außerdem sind uns nur Reste einer griechischen Kurzschrift erhalten in drei erst aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. stammenden Handschriften, die in Rom, Paris und London aufbewahrt werden. Dies System war muthmaßlich eine Art von Silbenschrift gewesen, d. h. einer Schrift, in welcher man die eine Silbe bildenden Buchstaben möglichst zu einem Zuge zu verschmelzen suchte, wobei jede Silbe getrennt von der andern geschrieben wurde. Die Zeichen waren, wenigstens was die Konsonnanten anlangt, Theilzüge der Majuskeln, der großen gewöhnlichen Buchstaben.
Zum Nachschreiben von Reden dürfte diese Kurzschrift ebensowenig wie die beiden ersteren, weil zu weitschweifig, verwendet worden sein, vielmehr werden sich die Fachstenographen einer kürzeren, uns leider nicht bekannt gewordenen Methode bedient haben. Soviel jedoch steht fest, daß die in den Konzilien der griechischen Kirche gehaltenen Reden von Steno
graphen wörtlich aufgenommen wurden, und daß deren Stenogramme ebensowohl Beweiskraft hatten als die der modernen Stenographen. Forts. folgt.
Deutsches Reich.
Berlitt, 21. Jan. Die„Nordd. Allg. Ztg.“ erklärt die Blättermeldung über die Absicht, neue Briefmarken einzuführen, für unzutreffend.
— Gegen die Wahl von Landräthen zu Abgeordneten polemisiren jetzt die„Hamburger Nachrichten“ aus Anlaß des Falles des Abg. Grafen Limburg=Stirum. Die jetzigen Landräthe seien junge Assessoren oder ähnliche Beamten;„sie bebetrachten den Landrathsposten als eine Stufe ihrer Carriere. Um letztere zu fördern, sind sie in der Versuchung, nach oben hin sich dienstbar, strebend zu erweisen und sich ein Verdienst daraus zu machen, die Intentionen der Regierung mit Energie und Erfolg zu fördern, ohne sich immer klar darüber zu werden, ob das Ergebniß für das Wohlbefinden der Kreis eingesessenen nützlich ist. Zwischen der Bezirksregierung und dem Landrath bestand früher eine Scheidelinie, jenseits derer vom Landrath eine Vertretung der Kreisinteressen bei Prüfung der Regierungsmaßregeln erwartet werden konnte. Gegenwärtig ist der Landrathsposten der staatlichen Bureaukratie vollständig einverleibt, und der Landrath, welcher nicht geneigt ist, in seinem Kreise zu bleiben, bis er emeritirt, wird nur im Falle eines höchst unabhängigen Charakters sich dazu verstehen, im Parlament den ihm vorgesetzten Minister, von dem seine weitere Beförderung zum Ober=Regierungsrath, Präsidenten oder Ministerial=Hülfsarbeiter abhängt, offen und mit der Schärfe entgegen zu treten, welche allein in der parlamentarischen Arena Eindruck macht. Aehnlich wie mit dem Landrath aber verhält es sich mit den meisten Beamten.“
— Die Vorstellungen, welche die Dreibundmächte wegen der Umtriebe der in Serbien lebenden bulgarischen Emigranten bei der Belgrader Regierung erhoben haben, werden von der Petersburger„Nowoje Wremja“ einer scharfen Kritik unterzogen. Das Blatt bezeichnet diesen Schritt der Friedensliga„als eine Ungehörigkeit" und bemüht sich, das Treiben der bulgarischen Emigranten in Serbien zu rechtfertigen. Es sei r Jedermann begreiflich, ruft das russische Blatt aus, daß die politische Thätigkeit der bulgarischen Emigranten in Belgrad gegen eine Regierung gerichtet ist, welche von Niemandem formell anerkannt worden ist, deren Bestand selbst mit dem Berliner Vertrage im Widerspruche und daher illegal ist. Durch ihre Thätigkeit wollen die Emigranten dem Rechte und der Gesetzlichkeit zum Siege verhelfen. Die Cabinette von Wien, Berlin und Rom hätten deshalb entschieden kein Recht, für„die Usurpatoren von Sofia“ Partei zu ergreifen. Wenn die von der Belgrader Regierung auf die Vorstellungen des Dreibundes ertheilte Antwort das Wiener Cabinet, die Urheberin dieses gemeinamen Schrittes, nicht befriedigen sollte, so werde Serbien nicht ohne imponirende Unterstützung von Seiten einiger Regierungen bleiben, welche den Berliner Vertrag mehr und ernster achten, als die Vertheidiger der„Sofiaer Usurpatoren“ welche Oesterreich ermöglichen, auf der Balkan=Halbinsel eine Rolle zu spielen.— Die„N. Fr. Pr.“ bemerkt dazu: Serbien hat bereits geantwortet und seine Antwort hat Oesterreich und eine Verbündeten befriedigt. Die Belgrader Regierung hat es nicht gewagt, die Berechtigung der ihr zugekommenen War
Kommt er, oder kommt er nicht!
In eines Baches Rand unter dem Erlengehölz sitzt ein Mädchen mit einem Strauß Vergißmeinnicht, den sie gepflückt, für ihn gepflückt, den sie schon seit 3 Tagen lich erwartet. Es ist Mittag, die einzige Zeit, in der Liebenden sprechen können, um sich immer von Neuem en, daß sie sich gern haben, gern zum Sterben. enn dem Vater die Pfeife langsam herabsinkt, der Mutter sich nach und nach schließen und die Stricknadeln sich mer bewegen, schleicht sich Carl Groth zu seinem Mädm Bache.— Der Vater träumte von des Nachbars die fast ebenso reich ist als er, als von seiner zukünfSchwiegertochter und sah in diesem, für ihn so glücklichen ume, die beiden nachbarlichen Bauerngüter vereint zu einem ttlichen Herrenhofe heranwachsen.— Derweil hielt sein einzer Sohn Carl sein Mädchen umschlungen, das allerdings chts besaß, als ihre rührende Schönheit.
Anna Clausen war ihr Name; doch sie wurde allgemein
» Vergißmeinnicht genannt ihrer wunderbaren blauen Augen gen, die an Schönheit das bescheidene blaue Blümchen am nde des Baches überstrahlten. Wie glücklich sind die beiden
schenkinder! Da ist keine Rede von dem unseligen Metall, Menschen bindet und Herzen trennt. Sie denken nur an e Liebe und ihr Glück, bis die neidische Zeit den reichen auernsohn daran mahnt, nach den Arbeitern auf dem Felde sehen.
drei Tagen aber sitzt das arme Vergißmeinnicht jeden tittag am bestimmten Platze und schaut vergeblich den Weg tlang, auf dem ihr Carl kommen soll. Bei jedem leisen eräusch schreckt sie freudig zusammen und ihr Herz jubelt: er ist's", doch immer muß sie sich eingestehen, daß sie sich tauscht.
Endlich glaubt sie deutlich Schritte zu vernehmen, ihr rz pocht zum Zerspringen, aus ihren Augen leuchtet es selig—„Carl!“ ruft sie laut. Doch wieder hat sich das Ende Herz getäuscht. Endlich senkt sie traurig den Kopf 10 fragt die Blumen, indem sie die kleinen Blüthen einzeln
3 Gras legt und dabei leise murmelt:„Kommt er, oder tamt er nicht?“ Er kommt nicht, seufzte sie— wieder nicht.
mein Gott, weshalb nur? Traurig ging sie heim, indem zuvor die Blumen dem leise rieselnden Bache geopfert, da
t er sie forttrage, weit, recht weit.
Am andern Tage des Mittags sitzt das Vergißmeinnicht in Kreise ihrer Schwestern am Bache unter'm Erlen
ch, die schönsten Blüthen pflückt sie zu einem Strauße. in fing sie wieder an die Blumen zu fragen:„Kommt er, kommt er nicht?“ Doch diesmal blieb ihr:„Er kommt!“
ncklich lächelnd sagte sie schalkhaft zu den blauen Sternen er Hand:„Ihr müßt aufrichtig sein, Blümchen." Von ein fing sie an zu fragen; die letzte Blüthe in der Hand, ie jübelnd laut:„Er kommt!"„Ja, er kommt!" sagte liefe Stimme hinter ihr, rasch wandte sie sich und die Glücklichen hielten sich umschlungen! Du mußtest mich
am Nachmittage zu ruhen, sich seit Kurzem nur schlafend stellte um mich zu beobachten. Da ich nun fürchtete, er könne unser Glück entdecken, war ich doppelt vorsichtig. Sei unbesorgt, ich bleibe Dir treu, tröstete er, als er sah, daß sich die Augen seines Mädchens mit Thränen füllten. Bald lächelte sie wieder glücklich, als ihr Carl versprach, sobald wie möglich dem Vater rundweg zu erklären, daß er die Käthe nicht nehmen könne, weil er eine Andere liebe, die zwar nichts besitze, aber brav und gut sei und so schön, sagte er ganz leise, daß sich der Vater seiner zukünftigen Schwiegertochter durchaus nicht zu schämen brauche.— Die Mutter ist gut, sie steht auf meiner Seite, setzte er zuversichtlich hinzu.— Von frohen Hoffnungen für die Zukunft bewegt, trennten sie sich.
ist ein halbes Jahr später; Anna Clausen wartet wieder auf den Geliebten, doch so unruhig und ängstlich schaut sie um sich, daß sie ganz ihre Lieblinge am Rande des Baches vergißt. Ihr Carl war seit einiger Zeit stiller, auch nicht mehr so offen; fast scheu wich er ihren ängstlichen Fragen aus, ob er dem Vater schon von seiner Liebe gesprochen. Heute wollte sie ihn auf seine Ehre und Gewissen fragen, ob es wahr sei, was sich die Leute im Dorfe erzählten, daß er einig sei mit der Käthe.
Jetzt nahen eilige Schritte, der Gemeindebote, der sie schon öfter mit seiner Neigung verfolgt hatte.„Guten Tag, Vergißmeinnicht", sagte er hämisch lachend.„Ich weiß, daß Ihr einen Andern viel lieber gesehen hättet. Doch Ihr könnt lange warten, er kommt nicht. Sie haben's eben richtig gemacht!"
„Was haben sie richtig gemacht?“ fragte ängstlich das Mädchen.
„Nun, der alte Bauer Groth und Käthchens Vater haben soeben einen wichtigen Kontrakt unterschrieben. Die Jungen waren schon lange einig."
Weiter kam er nicht mit seiner Neuigkeit, denn schon war Anna, wie von Furien gejagt, ihrem kleinen Häuschen zugestürzt.
Da angekommen, warf sie sich ihrer Mutter laut schluchzend in die Arme.„Es ist wahr", schrie sie herzzerreißend, „die Leute haben Recht!“
Die alte, gramgebeugte Mutter, die das Unglück schon lange vorher prophezeit hatte, stand diesem großen Schmerze gegenüber rathlos da.„Beruhige Dich nur, mein Kind," fing sie schüchtern zu trösten an.„Carl hat gewiß nur gezwungen Ja gesagt, er war doch stets ein so braver Bursche.“
Anna aber fühlte nur das Eine: daß sie ihn verloren habe, für immer verloren.
Auf dem Gehöft des Bauern Groth geht es sehr ernft und still zu. Endlich war es dem starren, festen Charakter des Alten gelungen, seinen Sohn langsam, nach und nach, seinen Plänen geneigter zu machen, als er die Heirath zwischen ihm und Käthchen als einen Lieblingswunsch der Mutter, die sich seit einiger Zeit krank und schwach fühlte, hinstellte.
Carl's schwache, friedliebende Natur fürchtete sich schon vor den Ausbrüchen des Zornes, falls er sich seinem Vater entdecken würde, und da Käthe zwar nicht besonders durch körperliche und geistige Vorzüge ausgestattet, doch ein gutes Mädchen war, so beschloß er, seines Vaters Wunsch zu erfüllen. Anna muß es ebenso wie ich tragen, sagte er sich öfter, doch hatte er den Mutb. es ihr zu gestehen, daß
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unstätes, scheues Wesen dem armen Vergißmeinnicht gegenüber. Es war nun geschehen; Carl hatte die Brücke, die ihn zu Glück und Liebe führen konnte, hinter sich abgebrochen. Still und traurig saß er neben dem Bett der Mutter, die ihm zeitweilig die Wange streichelte. Der alte Bauer Groth bestand nun darauf, daß die Hochzeit sobald wie möglich gefeiert werden sollte, da ihm des Sohnes stilles und ernstes Wesen durchaus nicht gefallen wollte.
Es ist Dienstag, der Tag, an welchem in dortiger Gegend die Trauungen der reichen Grundbesitzer gefeiert wurden, während von der ärmeren Bevölkerung der Sonntag benutzt wurde, an welchem schon an und für sich die Arbeit ruht. Die Glocken läuten; auch zum armen Vergißmeinnicht drang ihr heller Ton. Der gewaltige Schmerz um den Geliebten hatte sie auf's Krankenbett geworfen. Zu öfteren Malen hatte sich der alte Groth, der des Sohnes Neigung zu dem armen Mädchen schon längst erfahren hatte, nach ihr erkundigt und ihr seine Hülfe angedeihen lassen. Wie gern hätte die arme Mutter jede Wohlthat, die von dem reichen Bauernhofe kam, zurückgewiesen, doch an das Krankenbett der Tochter gefesselt, war sie nicht im Stande, ihre Lebensbedürfnisse selbst durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen, und so nahm sie denn die Gaben aus verhaßter Hand, um ihr geliebtes Kind zu pflegen.
Anna Clausen befand sich auf dem Wege der Besserung. Als sie den Ton der Glocken hörte, faltete sie die Hände und sah ihre Mutter fragend an. Diese wollte ihr den Schmerz ersparen und schwieg, doch Anna errieth sofort die Bedeutung; leise rief sie ihre Mutter an's Bett und sagte:„Komm, wir wollen gemeinschaftlich ein Vaterunser für sein Glück beten.“ Die Mutter drückte ihrer Tochter beide Hände und sah sie mit einem Blicke voll Rührung und Zärtlichkeit an, in dem sich Liebe und Stolz mischten. Sie sandten nun vereint ihre Gebete zum Himmel hinauf für ihn, der ihnen so viel Schmerz bereitet, indem er sie verlassen.
Fast ein Jahr ist vergangen, das arme Vergißmeinnicht ist vollständig genesen, doch hatte sich seit einiger Zeit eine Schwäche der Gedanken bemerkbar gemacht, daß die arme Mutter das Schlimmste fürchtete. Die schönen blauen Augen ind stark geröthet von den vielen, vielen Thränen, die sie geweint.
Aus dem Grothe'schen Bauerngut ist ein stattliches Schloß geworden, doch die Glückseligkeit der Bewohner desselben reicht nicht so himmelhoch, wie die herrlichen Thürme des Gebäudes.
Viele, viele Jahre sind verschwunden; auf den großen Wiesen hinter dem Dorfe, die von dem rieselnden Bache und dem schattigen Erlengehölz begrenzt sind, sitzt ein altes Mütterchen bei der zum Bleichen ausgespannten Leinwand, die sie nach uno nach aus dem fließenden Bache begießt. Wenn dies geschehen, dann geht die Alte an des Baches Rand und pflückt Vergißmeinnicht, dann sitzt sie still und ernst unter ihren Lieblingsblumen und zählt und fragt:„Kommt er, oder kommt er nicht?“
Doch plötzlich stürmt ein wilder Bube von ungefähr 9 bis 10 Jahren, der bisher mit seinen jüngeren Geschwistern im Grase gespielt, athemlos heran, schon von weitem rufend: „Tante Vergißmeinnicht, die Leinwand ist trecken“ sofort wirft die Alte die Blumen bei Seite, um u be
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nungen zu bestreiten, und sie hat sich überdies beeilt, Abhülfe zu versprechen, das heißt die bulgarische Emigration in Zukunft wirksamer zu überwachen.
— Zur Regelung der Preßverhältnisse und sonstiger wichtiger Angelegenheiten der sächsischen Sozialdemokratie hat die Landtags=Fraktion einstimmig die Abhaltung einer Landesversammlung der Sozialdemokraten Sachsens beschlossen. Dieselbe soll zu Östern stattfinden.
— In Reuß ä. L. hat der Landtag eine, wenn auch kleine Summe zur Ansammlung eines Fonds zur Entschädigung für unschuldig Verurtheilte bewilligt, sowie den Betrag von 7100 Mark für die im vorigen Monat an Beamte gewährte Theuerungszulage und 4200 Mark zur Gewährung einer Remuneration an Subalternbeamte am 28. März 1892, dem Regierungsjubiläum des Fürsten, welcher ersucht hat, Angesichts der bedrängten Zeit von jeder Ovation abzusehen und das für die Feier bestimmte Geld für gemeinnützige Zwecke zu verwenden.
— Die Berliner Hausbesitzer hatten in einer Versammlung beschlossen, ihre Wünsche bez. der Prostitutionsfrage in Form einer Petition dem Kaiser persönlich zu überreichen. Die zu diesem Zwecke nachgesuchte Audienz wurde jedoch abgelehnt.
Der internationale Eisenbahnkongreß findet am 1. Juli in Petersburg statt. Eine Spezialkommission erledigt die Vorarbeiten.
— Wie die„Köln. Volksztg.“ meldet, bewilligte der Papft fur die von der Influenza heimgesuchten Gegenden die Dispensation vom Fastengebot.
Oesterreich=Ungarn.
Graz, 22. Jan. In dem Kohlenreviere bei Buchberg ist der Strike beendet. Sämmtliche Arbeiter, mit Ausnahme der entlassenen, fuhren heute ein. Der Vertreter der politischen Behörde und das Militär kehrten nach Cilli zurück.
Lemberg, 22. Jan. Spätestens im April sollen die Einladungen zu dem geplanten Slavencongresse verschickt werden. Der Vorschlag, den Slavencongreß in Wien abzuhalten, stößt jedoch auf Widerstand.
Schweiz.
Bern, 21. Jan. Der Ständerath hat das Gesetz, betreffend die Auslieferung politischer Verbrecher, einstimmig angenommen.
Belgien.
Brüssel, 22. Jan. Die Berathung der Handelsverträge mit Deutschland und Oesterreich=Ungarn wird vorausfichtlich am Dinstag beginnen.
Frankreich.
Paris, 22. Jan. Dem„Temps“ wird aus Rom gemeldet, daß der Rücktritt des italienischen Botschafters Menabrea als vollendete Thatsache gelte. Menabrea werde nach Paris nur zurückkehren, um das Eintreffen seines Nachfolgers zu erwarten, welcher wahrscheinlich der zur Zeit in Konstantinopel beglaubigte Botschafter Reßmann sein werde.
— Französische Blätter suchen zu verbreiten, der jüngste Anarchisten=Putsch in Xeres sei von deutschen Sendlingen vorbereitet und angestiftet worden. Dieses Mittel soll dazu dienen, die Spanier gegen die Verlängerung des Handelsvertrages mit Deutschland aufzureizen. Es dürfte aber schwer
Jetzt schreiten zwei Männer der Gruppe zu. Aus der Aehnlichkeit, sowie aus der Verschiedenheit des Alters erkennt man sofort Vater und Sohn. Der Aeltere rief den Knaben, der des Großvaters Namen Carl trug, bei Seite und fragte ihn, ob er mit seinem lauten, raschen Wesen Tante Vergißmeinnicht erschreckt habe. Der Knabe fing an zu weinen und sagte stockend, ich habe ihr nur gesagt, daß die Leinwand trocken sei. Geh nur jetzt, sagte der Alte, aber in Zukunft sei sanft und freundlich mit ihr.
nna Clausen verlor kurze Zeit nach ihrer Genesung ihre gute Mutter. Sie selbst aber konnte den unersetzlichen Verlust, den sie erlitten, nicht begreifen, lebte sie doch in ihrer Phantasie nicht in der Wirklichkeit; sie bildete sich ihre eigene glückliche Welt. Erst beschloß die Gemeinde, das arme Mädchen einer Anstalt zu übergeben, doch diesem widersetzte sich Carl Groth, dessen Vater auch gestorben war, und beschloß, falls seine Frau darein willige, die Kranke in sein Haus aufzunehmen. Käthe, von Natur gutmüthig, willigte sofort darein.
Anna Clausen, der die Person ihres Jugendgeliebten fast fremd geworden, lebte nun schon viele, viele Jahre in seinem Hause. Jetzt spielt sie mit den Enkeln, wie sie ehedem mit seinen Kindern gespielt. In ihren wirren Phantasien erwartet sie noch immer den Geliebten, und die Blumen nicken leise ihr Ja, wenn sie fragt, ob er kommt? Sie wollen das unglückliche Herz nicht betrüben.
Es ist gegen Abend, einer der Knechte, der damit beschäftigt war, den Garten zu pflügen, fand in einer Ecke dicht an der Mauer ein eisernes Kästchen. Neugierig versuchte er es mit dem Spaten zu öffnen, doch es widerstand seinen Bemühungen und so machte er dem alten Grothe, bei dem er in Dienst stand, von dem Funde Mittheilung. Der Alte ließ das Kästchen öffnen und fand statt der verschiedenen alten Münzen, die man in dem Kästchen vermuthet hatte, alte vergilbte Papiere. Behutsam nahm er eins nach dem andern und las Wort für Wort. Doch je weiter er kam, desto starrer wurden seine Züge.„Nein, Nein! es ist unmöglich",„schrie er, so niederträchtig konnte mein Vater nicht handeln!“ Das war ja das verloren gegangene Testament seines Großvaters und hier stand es ganz deutlich:„Der Anna Jenke, verehelichten Clausen 15000 Thaler und 5 Morgen Wiesenland. Sie ist mein Kind und Du mein Sohn, erfülle die Pflichten, die Dein Vater bis jetzt vernachlässigt hat."„Also kalter Egoismus ließ meinen Vater ein Verbrechen begehen und Anna meine Cousine— warum mußten wir so elend werden, mein armer Kopf— oh, es hat seine Richtigkeit, die Sünden der Eltern werden heimgesucht an ihren Kindern.“ Mit diesen Worten brach der kräftige Mann zusammen. Seines Sohnes Bemühungen brachten ihn wieder zu sich. Stumm gab er diesem das verhängnißvolle Papier. Man beschloß sofort, Anna Clausen oder Tante Vergißmeinnicht, wie sie nur genannt wurde, davon in Kenntniß zu setzen, daß sie auf irgend eine Weise zu einem kleinen Vermögen gekommen sei. Die Wahrheit scheute man sich inr zu sagen. Doch diese begriff nicht, um was es sich handelte, dozuweilen wundert sie sich über die schönen neuen Kleider, mit denen man sie schmückt, und eilig läuft sie dann an den Rand Baches und Fragt die Vergißmeinnicht:„Kommte kommt er nicht?"