48. Jahraang.
täglich mit Ausnahme der Sonn= und Feiertage.— Preis für das Bierteljahr der Expedition 1 M 75 9), auf allen Kaiserl. Postanstalten 2#4— Einrückungsgebähr #r eine einspaltige Petizeite voer deren Raum 10 L— Druck und Verlag von
an Kfeiffer in Solingen. Für die Redaktion verantwortlich: Rudolf Pfeisfer in Soliagen.
Früher unter dem Titel:
Bergisches
Donnerstag, den 23. April 1896
Die Expedition defindet sich in Sokingen, Kaiserstraße 140,(Fernsprech=Anschluß Nr. 90); ferner nehmen Bestellungen auf die„Solinger Zeitung“ sowie Anzeigen an: i Gräfrath Ernst Reiber; in Höhscheid Rovert Gödderz, Neuenhof; in Ohligs Hermann Schönenberg, Düsseldorferstr. 42; in Wald Haus Strieder, Kaiserstraße 49.
Berlin, 22. April.
Abg. v. Buchka(deutsch=kons.) begründet die Inter„slation Manteuffel betr die Verordnung des Bundes
über die Arbeit szeit im Bäckergewerde.
Staatssekretär v. Bötticher. Die Befugniß des Hundesrathes zum Erlaß solcher Gesetze könne nicht be
weiselt werden. Die Beschlüsse des Bundesrathes in ziecser Materie beruhen auf einem preußischen Antrag. Gerade weil es sich um den ersten Versuch handelte, die Marimalarbeitszeit Erwachsener festzusetzen, habe man einen Gesetzentwurf eingebracht, sondern eine Bundes
ubs=Verordnung erlassen, die leichter korrigirt werden tinne, falls in einzelnen Fällen fehlgegriffen worden sei. Ee könne aber keinem Zweifel unterliegen, daß in den Betrieben der Bäckerei eine übermäßig lange Arbeitsgit bestehe und daß das auch auf die Gesundheit der Anzestellten schädlich wirke. In einzelnen Bäckereien berägt die Arbeitszeit bis über 18 Stunden. Die Zustände sind theilweise geradezu haarsträubend. Namentlich die Lehrlinge haben eine nicht genügende Rubezeit. Wenn uin auch der Gesundheitszustand der Bäcker=Gesellen und=Lehrlinge nach der Statistik ziemlich gut ist, so muß doch vor allem berücksichtigt werden, daß 87 pCt. aller Bicker unter 30 Jahren alt sind und viele zu anderen Berufen übertreten; ferner daß die Angestellten, da sie meist bei den Meistern wohnen, schnell im Falle von Krankheit Hülfe finden.
Die Dauer der Arbeitszeit beeinflußt auch sehr die Zeinlichkeit, die für die Konsumenten von Bedeutung ist. Die Presse aller Parteien, auch die Kreuzzeitung, habe die Bundesrath=Verordnung gut geheißen.
Auf Antrag des Abg. v. Manteuffel(deutsch=kons.) nitt das Haus in die Besprechung der Interpellation ein.
In der Besprechung der Interpellation spricht sich Abg. Sigl(fraktionslos) mit Rücksicht auf die vielen kleinen Betriebe im Bäckerei=Gewerbe gegen die Bundesraths=Verordnung aus. Redner befürwortet eine schärfere Anwendung der Bestimmungen der Gewerbeordnung gezen die Ueberanstrengungen der Lehrlinge.
Abg. Hitze(Zentr.) erklärt namens seiner Partei den Ausbäu des Arbeiterschutzes auf dem Wege von Verordnungen für wünschenswerth. Diejenigen Bäckermeister, die jetzt über Bevormundung klagen, seien gerade diejenigen, die den Befähigungs=Nachweis forderten. Die Bäckermeister sollten sich orzanisiern und die Nachtarbeit abschaffen, diese sei ebenso wenig nothwendig wie Sonntagsarbeit
Abg. Merbach(Reichsp.). Dann müsse das Publikum Morgens altbackene Semmeln essen, es sei nicht einzusehen, weshalb mit Verordnungen im Bäckerei=Betriebe angefangen werde. Bei den Schustern und Schneidern sei die Arbeit ebenso groß. Die Reichspartei werde immer bereit sein, für Kinder, Jugendliche und Frauen einzutreten, aber sie erachte einen Schutz für männliche Personen nur dann für erforderlich, wenn durch eine längere Arbeitszeit ihre Gesundheit Schaden leide, das sei beim Bäckereigewerbe nicht der Fall. Die Bundesraths=Verordnung berücksichtige nicht die Verschiedenheit der Verhältnisse in Stadt und Land, in Nord und Süd, sie sei Schablone und habe die Folge, daß alle unzufrieden wären. Die Uebelstände im Handwerk seien nur durch die geplante Organisation des Handwerks zu beseitigen.
Abg. Pachnicke(Freis. Ver.) bezeichnet eine zwölfstündige Arbeitszeit als das Marimum, und spricht sich gezen die Verordnung aus, denn das Bäckereigewerbe widerstrebe der Schablonisirung. Der Kleinbetrieb überwiege. Er empfiehlt die Festsetzung einer wöchentlichen Normal=Arbeitszeit. Besser wäre überhaupt eine gesetzer Seisen enden.
Handelsminister v. Berlepsch betont, daß die Voraussetzungen des§ 120; der Gewerbe=Ordnung hier zutreffen, weil eine gesundheitsgefährdende lange Arbeitszeit im Bäckereigewerbe festgestellt werden muß. Es sei also Pflicht des Bundesraths gewesen, hier einzugreifen. Der Minister hebt besonders das Gesundheitsschädliche der Nachtarbeit hervor und betont, es handele sich nicht um den Anfang zur Einführung des Marimal=Arbeitstages. Er bestreite auch, daß die Verordnung schablonenmäßi sei und dem Kleinbetrieb schade. Gerade der größte Theil der Kleinbetriebe habe nur zwölfstündige Arbeitszeit oder noch weniger.
Abg. Graf Inn= und Knyphausen(konserv.) bringt verschiedene Bedenken gegen die Verordnungen vor.
Abz. Molkenbuhr(Soz.=Dem.). Sobald der wirklich praktische Schutz der Arbeiter in Frage komme, sebe man alle vom Freisinn bis zu den Konservativen, Arm in Arm marschiren. Uebermäßige Arbeitszeit komme in allen Theilen Deutschlands vor. Die Meister wollen eben nicht so viel Gesellen anstellen, wie die vorliegende Arbeit erfordert. Redner weist auf die Bestimmungen in andern Kulturstaaten hin, die bereits größtentheils ein Bäckerschutzgesetz haben. Es sei erfreulich, daß durch die Bundesraths=Verordnung nunmehr alle Gewerbe=Inspektoren die Bäckereien werden besuchen müssen. Es sei zu empfehlen, daß noch andere Mißstände zur Abstellung kommen.
Darauf vertagt das Haus die Weiterberathung der Interpellation auf morgen.
Auf die Tagesordnung werden auf Antrag Singer's noch die Wahlprüfungen gesetzt.
Abg. Singer(Soz.=Dem.) betont, es müßten, da so viele wichtige Gesetz=Vorlagen in nächster Zeit berathen werden sollen, vorher die Wahlprüfungen erledigt werden.
Das Börsengesetz, welches der Präsident zuerst vorgeschlagen hatte, wird von der morzigen Tazesordnung abgesetzt.
Schluß 5°: Uhr. Morgen Weiterberathung der Interpellation und Wahlprüfungen.
Landtag.
Abgeordnetenhaus.
Berlin, 22. April.
Der Gesetz=Entwurf betr. die Ergänzung der StädteOrdnung für Westfalen und die Rheinprovinz, wird in 1. und 2. Lesung ohne Debatte angenommen.
In der Hauptdebatte des Lehrerbesoldungsgesetzes bemerkt Abg. Rintelen(Zentr.) das Gesetz widerspreche dem Art. 25 der Verfassung und auch Art. 26, da es nicht das ganze Unterrichtswesen regeln wolle, sondern nur eine einzelne Materie herausnimmt. Er beantrage, daß, nachdem das Gesetz in 3. Lesung zu Stande gekommen, auf Grund des Art. 107 nach 21 Tagen eine 4. Lesung stattfinde.
Der Kultusminister. Weder die Regierung noch die Kommission sei der Ansicht gewesen, das Gesetz sei keine Verfassungs=Aenderung.
Abg. v. Hevdebrand(kons.) stimmt dem Minister zu. Die großen Städte würden nicht übermäßig belastet. Es sei ein wichtiger wirthschaftlicher Grundsatz, die großen Städte nicht noch mehr zu bevorzugen.
Abg. Sack(kons) Er könne für das Gesetz nur stimmen, wenn der Antrag Rintelen angenommen würde. Auch er habe verfassungsmäßige Bedenken.
Abg. v. Zedlitz=Neukirch(frei=kons.) spricht namens seiner Partei für das Gesetz.
Abg. v. Pappenheim(kons.) erklärt sich gegen das Gesetz aus verfassungsrechtlichen Bedenken.
Abg. Pleß(Zentr.) spricht gegen das Gesetz, weil es eine große Belastung enthalte. Außerdem biete es den Lehrern nicht ein Mal ein auskömmliches Grundgehalt.
Abg. v. Eynern(nat.=lib.): Das uns jetzt vorliegende Gesetz hat so viele Vorzüge für das Volksschulwesen und die
Stellung der Lehrerschaft, daß es einem großen Theil meiner politischen Freunde schwer fallen würde, gegen dasselbe zu stimmen. Die Abstimmung würde uns erleichtert werden, wenn es gelänge, den§ 25 im Gesetz in der Fassung, wie er jetzt vorliegt, zu beseitigen und ihn zu gestalten nach den Vorschlägen des Abg. Dr. Sattler.(Vergl. Montags Nr.) Wenn es möglich wäre, würde der Erfolg sein, daß eine so hochwichtige Gesetzesmaterie fast unter der einmütbigen Zustimmung des ganzen Hauses angenommen würde. Das Gesetz ist so zustande gekommen, aber ausschließlich aus finanziellen Rücksichten. Es ist damals ausdrück ich betont worden, daß Recht und Gerechtigkeit nothwendig dahin drängen würden, auch die größern Gemeinden mit über 10000 Einwobnern durch diese Staatszuschüsse zu erleichtern. Das Gefühl, daß mit diesem Gesetz ein Unrecht ausgesprochen sei, war damals im ganzen Lande lebendig. Der Kultusminister hat in der Vertheidigung des Grundsatzes der Vorlage ausgesprochen, daß alle Gemeinden bis zu 25 Lebrerstellen nicht leistungsfähig seien und daß die größern Städte mit über 25 Lehrerstellen bisher die Zuschüsse zu Unrecht bekommen haben. Der Kultusminister, der sich in seiner ersten Rede als den eigentlichen Vater auf der finanziellen Seite des Gesetzes dingestellt hat, hat damals auf die Steuerreform verwiesen. Man mag über die Steuerreform denken, wie man will, das eine kann ich versichern, daß es keine einzige Stadtgemeinde im ganzen Lande gibt, wo ein einziger Bürger weiß, daß er seit dieser Steuerreform weniger an Steuern zahlt.(Heiterkeit und Beifall.) Wenn man glaubt, den Städten das abnehmen zu können, was sie durch die Steuerreform mehr bekommen haben, dann muß erst der Beweis geführt werden, daß sie durch dieselbe in eine solche Finanzlage gesetzt worden sind, daß dem einzelnen Steuerzadler die Aufbringung deute leichter fällt. Der Kultusminister und der Finanzminister haben sich dann damit einverstanden erklärt, daß die Summe von 1¼ Million zur einmaligen Vertheilung an die großen Stadtgemeinden gelangt. Nach welchem Prinzip soll nun dieser Dispositionsfonds den einzelnen Stadtgemeinden überwiesen werden? Ich habe die Ueberzeugung, daß sowohl der Kulusminister als der Finanzminister die Vertheilung vornehmen werden nach den Bedürfnissen der einzelnen Stadtgemeinden, aber nach den Bedürfnissen, wie sie sich herausstellen. Dabei kann es nun nicht ausbleiben— auch Minister sino Menschen,— daß diejenigen, die es hauptsächlich verstehen, ihre Bedürftigkeit hinzustellen oder ihre Beziebungen zu den Ministern und einzelnen Räthen im Ministerium zu pflegen, Berücksichtigung erfahren werden, und daß ein allgemeines Gefühl des Unrechts und der ungerechten Behandlung in allen denjenigen Städten Platz greifen wird, die bei der Vertheilung zu kurz gekommen zu sein glauben. Der Kultu!minister hat es so hingestellt, als ob die 68 Stadtkreise sämmtlich wohlhabend wären gegenüber den Landgemeinden. Nichts kann unrichtiger sein. Ich habe in der gestrigen Debatte über die Sekundärbahnen über die Belastung der kleinern Gemeinden gesprochen, wenn sie Zuschüsse zu den Sekundärbahnen geben sollen. Da sollte ich meinen, daß diese Gemeinden, die so große Opfer für diesen Zweck haben bringen müssen, nun doch wenigstens nich: neue Opfer bei diesem Volksschulgesetz bringen mussen. Die Bestimmung ist eine so mechanische, daß zwei Städte meines Wahlkreises, Solingen und Remscheid, weil sie zufällig die Größe haben, daß sie mehr als 25 Lehrerstellen haben, an 20000 Mark durch dieses Gesetz an Staatszuschüssen verlieren. In der ganzen Sache ist kein System, keine Ordnung. Wie kann man konstruiren, daß die größern Städte alle leistungsfähig sind, die kleinen nicht? Remscheid, das einen hohen Prozentsatz an Kommunalsteuerzuschlägen hat, hat eine so große Einwohnerzahl, daß sie in die Staatskasse für diesen Fonds Zuschuß zu bezahlen hat. Daneben haben Sie die kleine Stadt Lennep mit 6000 Einwodnern, die mit Kommunalsteuerzuschlägen bei weitem geringer belastet ist, und diese soll weiter den ganzen Staatszuschuß bekommen. Glauben Sie nicht, daß das Gefühl der Empfindlichkeit nur bei einer Stadt mit der Einwohnerzahl von Remscheid herbeigeführt werden wird; nein, auch die kleine Gemeinde, die den Vortheil davon hat, wird einsehen, das ist keine gerechte Regelung, das ist
ein Unrecht, das uns zugefügt wird. Die Industrie= städte des Westens, die sich schnell entwickelt haben, werden durch dieses Gesetz große Summen verlieren, Dortmund 60000 Mk., Aachen 50.000, Elberfeld 90000, Solingen 20000 Mk. Das sind alles Städte, die mit kommunalen Zuschlägen bei weitem mehr belastet sind, als der größte Theil der Landgemeinden und der kleinern Gemeinden.(Sehr richtig! links.) Wenn sie wirklich eine größere Einwohnerzahl haben, weil die Industriebevölkerung sich in diese Zentren hineinwirft, soll das nun die Strafe sein, daß ihnen das, was ihnen gesetzlich zugestanden ist, wieder genommen wird? Das ist keine Regelung, die befriedigt; diese wird fortgesetzt als Unrecht gefühlt werden, wird fortgesetzt die Empfindung hervorrufen, daß eine gerechtfertigte gleichmäßige Behandlung seitens der gesetzgebenden Faktoren im Lande nicht mehr stattfindet.(Sehr richtig! links.) Es muß doch auch für eine Regierung, die die allgemeinen Landesinteressen im Auge hat, peinlich sein, wenn eine derartige Unzufriedenheit dauernd in den großen Städten bleibt. Denn darauf verlassen Sie sich: evensowenig wi. Sie das Unrecht in dem Empfinden der Leute haben auslöschen können in Bezug auf die Lehrerbesoldungszulagen, ebensowenig werden Sie in den großen Städten den Stachel beseitigen, den dieses Gesetz zurücklassen wird. Durch den Antrag Sattler würden Sie den Städten 1½ Million mehr geben.
Der Kultusminister. Wenn der Antrag Sattler in der zweiten Lesung so sachlich behandelt worden wäre, wäre eine Verständigung möglich gewesen. Jetzt müsse die Regierung sich auf den grundsätzlichen Standpunkt stellen und an den Beschlüssen der zweiten Lesung festhalten.
Präsident v. Köller bemerkt, da Verfassungsbedenken geäußert worden, werde er nach Schluß der dritten Lesung abstimmen lassen, ob das Haus glaube, daß das Gesetz eine Verfassungsänderung sei. Auf eine bejahende Antwort werde er nach einundzwanzig Tagen nochmals über das Gesetz abstimmen lassen.
Die§§ 1 bis 6 werden in der Sonderberatbung unverändert angenommen.§ 7 wird angenommen mit dem Zusatz hinter Bezirksregierung:„in Berlin das ProvinzialSchulkollegium.“§ 8 wird mit kleinen Adänderungen angenammen, die§§ 9 bis 23 mit unwesentlichen Aenderungen.§ 23a wird abgelehnt. Die§§ 24 dis 26 werden ohne Erörterung angenommen,§ 27 mit einem Antrag Porsch, der besagt: Wenn innerhalb mehrerer Gemeinden die Grenzen verändert werden, wird der Betrag, um welchen nach den vorstehenden Bestimmungen der fur sämmtliche betheiligten Gemeinden gewährte Staatszuschug verringert würde, auch fernerhin fortgezahlt werden. Im Auseinandersetzungs=Verfahren, das sich an die Abänderung der Gemeindegrenzen anknüpft, wird auch darüber verfügt, an wen im Sinne der nachstehenden Bestimmungen diese Fortzahlung zu leisten sei. Ebenso wird das ganze Gesetz angenommen.
Es folgt Abstimmung darüber, ob das Gesetz eine Verfassungsänderung sei. Das Haus verneint die Frage. Es folgt die Berathung der Resolution der Kommission, die Regierung zu ersuchen, dem Landtage baldmöglichst ein auf christlich=konfessioneller Grundlage beruhendes Volksschulgesetz vorzulegen.
Die Abgg. Arendt und Genossen beantragen, den Zusatz: Unter Abstandnahme von den zur Erreichung des Zieles nicht erforderlichen, mit der Staatshoheit unvereinbaren Vorschlägen des Gesetzes von 1892.
Der Kultusminister. Er habe seine persönliche Stellung zum Volksschulgesetz nicht geändert. Wenn man die Resolution annähme, wurde an dem bestehenden Zustande nichts geändert. Daß ein allgemeines Volksschulgesetz ein Mal erlassen werden müsse, sei nach der Verfassung unzweifelhaft, Zweifel beständen nur über die Art. Die Rezierung sei der Ansicht, daß aus Erwägungen politischer Natur ein Volksschulgesetz noch nicht eingebracht werden könne. Sobald der Zeitpunkt gekommen sei, werde das Gesetz eingebracht werden.
Nach längerer Debatte wird der Antrag Arendt abgelehnt und die Resolution angenommen. Vor der Abstimmung verlassen die National=Liberalen und Freisinnigen geschlossen den Saal.
Nächste Sitzung morgen. Kredit=Vorlage.
Aus Liebe gefehlt.
Nacherzählt von Cora von Schönburg.
(Fortsetzung.)(8
Aber diese wohlmeinenden Versuche scheiterten an dem alle anderen Gefühlsregungen unterdrückenden Egeismus ihres Verwandten.„Warum soll ich mich für das interessiren, was mir keinen Nutzen bringen kann?“ war seine stete Entgegnung.
„Aber ich möchte so gern etwas finden, um Sie aufzuheitern,“ erwiderte Elisabeth.„Es thut mir leid, Sie mie mit einem Gedanken beschäftigt zu wissen, der Ihnen Freude macht.“
„Mir Freude macht?“ entgegnete er mit höhnischem Auflachen.„Darüber brauchen Sie sich keine Sorge zu machen. Ich habe oft die allerangenehmsten Gedanken, skoße Gedanken— Träume— Entwürfe!"
Elisabeth wußte, worauf sich diese Entwürfe bezogen, und schwieg um ein anderes Mal von Neuem den Versuch zu wagen. Die Nachmittage standen meist zu ihrer eizenen Verfügung, und nachdem der Haushalt in ebenere Bühnen geleitet war, suchte sie die müßige Zeit zum Lesen der theilweise recht interessanten Bücher in ihres Onkels Lidliothek zu benutzen. Allein es gelang ihr nur selten, hhre Gedanken bei dieser Beschäftigung zu konzentriren. Immer und immer wieder trat lebhaft vor ihren Geist de edle Gestalt des jungen Helden aus dem Thiergarten. Wer mochte er sein? Wie mochte er heißen? Od sie hu wohl nechmals sehen würde, und ob er sich auch hrer hie und da einmal erinnerte? Wie sehr sie auch sehzen den Gedanken ankämpfte, sie fühlte, daß ihr Herz Kzenüber dem Unbekannten nicht mehr frei war. Was der konnte es bei ihren gedrückten Verhältnissen nützen,
wenn er ihr auch näher treten wollte?——— Eines
Nachmittags wieder in diesen Gedanken versunken, hörte Ellsabeth zu ihrem Erstaunen plötzlich den Klang der Dausschelle.— Wer konnte es sein, der sich gegen alle Gewohnheit in diese verwunschenen Mauern wagte? Eliübeth sollte nicht lange im Zweifel darüber bleiben, denn von drang eine ihr sehr wohlbekannte Stimme an ihr L#r. Sie eilte die Treppe hinunter und öffnete Thür des Wohnzimmers, in welcher sich die Stimme eerloren hatte. Aber welcher Anblick bot sich hier ihrem enaunten Auge? Mit dem Rücken gegen die Thür gewendet, standen da, in malerischer Gruppirung und aufs Schönste herausgeputzt, ihre junge Schwägerin und deren eeide Knaben. Ihnen gegenüber hatte sich Herr v. Argast en einem fast drohend feindlichen Blicke in seinem Lehn
sessel aufgerichtet. Frau von Argast sprach soehen: Lieber
Onkel, da Sie mich nie dazu aufgefordert haben, so kam ich aus eigenem Antriebe, um Ihre angenehme Bekanntschaft zu machen und Ihnen meine lieben Söhne vorzustellen. Vielleicht haben Sie mir= schon einmal eine Einladung durch Elisabeth zugeschickt, jedenfalls wurde mir dieselbe aber nicht ausgerichtet... So weit war die hübsche kleine Wittwe gekommen, als die beiden Kinder ihrer Tante ansichtig wurden und mit Jubel auf sie zu
„Wer— wer ist das?“ stieß Herr von Arzast mit verhaltener Wuth hervor.
„Die Wittwe meines Bruders Paul Argast,“ erwiderte Elisabeth, indem sie sich zärtlich zu ihren Neffen
b e Sie dieselbe aufgeferdert, hierher zu kbommen?“ Ran Sad.
„So, dann erklären Sie ihr, duß ich überhaupt Niemand empfange, aber am allerwenigsten Verwandte, die mich nichts angehen, und daß mir Kinder ein Greuel sind!“
„Ich werde meine Schwägerin mit in mein Zimmer nehmen, damit sie sich etwas ausruht,“ entgegnete Elisabeth, etwas gereizt über die Unfreundlichkeit des Onkels, obwohl Ada's Vorgehen durchaus nicht ihren Beifall hatte. „Nehmen Sie sie mit, wohin Sie wollen:
Allein Frau Paul Argast ließ sich nicht so leicht aus dem Felde schlagen.
„Aber, lieber Onkel," bat sie,„es ist Ihnen doch gewiß nicht ernst gemeint mit dieser Zurückweisung meiner verwandtschaftlichen Gefühle. Schicken Sie Elisabeth mit den Kindern nur fort, es gibt viele Menschen, welchen Kinder lästig sind,— aber, nicht wahr, mir werden Sie doch ein Viertelstündchen Ihrer Unterhaltung gönnen?
Herr von Argast's einzige Antwort bestand darin, aufzustehen und mit einem letzten, wüthenden Blick auf die Eindringlinge, der Thür zuzuhumpeln. Dort angelangt, wendete er sich noch einmal um:„Benachrichtigen Sie mich, wenn die Gesellschaft fort ist, sagte er, dann verschwand er. 68
Der kleine Otto brach in Thranen aus, wayrend Ernst empört ausrief:„Sie unartiger, häßlicher, alter Mann!“
Frau von Argast war sehr roth geworden:„Hat man je einen solchen Grobian gesehen!“ stieß sie, vor Erregung zitternd, hervor.„Ein Straßenkehrer hat mehr Anstandsgefühl!— Es ist unbegreiflich, wie Du mit einem solchen Geschöpf umgehen kannst, Elisabeth, aber freilich, für Geld sind manche Menschen zu Allem bereit „Dein Mißgeschick thut mir außerordentlich leid,
suchte Elisabeth sie zu beruhigen.„Komm' jetzt ein wenig
auf mein Zimmer, und erhole Dich. Hättest Du mir etwas von Deiner Absicht verrathen, so würde ich Dich gleich vor diesem Schritte gewarnt haben.
„Es wird mir wirklich schwer, mich noch länger in dem Hause aufzuhalten, wo ich so schlecht behandelt worden bin,“ stöhnte die kleine Wittwe, indem sie ihrer Schwägerin die Treppe hinauf folgte.„
„Aber, Mama, wir möchten so gern das Haus sehen, riefen die Kinder dazwischen.
„Warum hast Du mich nicht auf einen solchen Wütherich vorbereitet, Elisabeth? Ich wäre ihm gewiß nicht in den Weg gelaufen, um mir Grobheiten machen zu lassen.“
„Ich glaube nicht, ihn Dir allzu anziehend beschrieben zu haben; aber Du hattest es Dir nun einmal in den Kopf gesetzt, Dich selbst überzeugen zu wollen.“
„Ja, ich weiß selbst nicht, warum, aber Major Ormann meinte, es sei meine Pflicht, dem Alten die Kinder vorzustellen. Mir selbst lag gar nicht so viel daran.“
„Ich wollte, Major Ormann kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten, erwiderte Elisabeth gereizt. „Seine Aeußerungen scheinen mir manchmal recht kopflos.“
„Wie kannst Du nur über ihn urtheilen, erwiderte Ada im Tone der Entrüstung.„Er ist ein vollendeter Weltmann, und ich kann mich nur über die Bevorzugung freuen, die er für mich an den Tag legt.“
„Du magst Recht haben,“ sagte Elisabeth, indem sie sich den Knaben zuwendete, welche sie mit Fragen bestürmten.
„Ist dies wirklich Dein Zimmer? Deines ganz allein?“ fragte Ernst.„Und kommt der böse, alte Mann nie hierher? Und gehören die Bücher auch Dir und all' die Bilder? O, bitte Tante, laß uns doch bei Dir bleiben, wir wollen auch ganz still sein.“
„Schwatzt keinen solchen Unsinn,“ fuhr ihre Mutter peremptorisch dazwischen.„Ich würde vor Angst umkommen, wenn ich Euch bei dem alten Wehrwolf zurücklassen müßte. Ich könnte mich nicht entschließen, meine Kinder für schnödes Gold so hinzuopfern.“
„Sprich nicht so sinnlos," warf Elisabeth ungeduldig ein.„Ich wiederhole noch einmal, daß mir der ganze Hergang sehr leid thut, aber Du wußtest, daß er ein Sonderling ist, und wenn Du bei mir angefragt hättest „Er ist eben so gut der Onkel meiner Söhne, als der Deinige, unterbrach sie Ada in hellem Zorne. „Warum sollten sie nicht das Recht haben, ihn zu sehen? Wie konnte ich annehmen, daß er ein solches Ungeheuer
ist? Ich würde mich schämen, Sclavendienste bei einem
alten Geizhalse zu thun, der mir wahrscheinlich nicht einmal einen Pfennig hinterläßt.“
Es wurde Elisabeth schwer, ihre Ruhe zu bewahren; dennoch entgegnete sie gelassen:„Jedenfalls wäre es thöricht von mir, mich durch unsichere Aussichten hier festhalten zu lassen. Gott sei Dank sind die Motive, welche mich fesseln, durch keine Enttäuschungen bedroht.“
Ihre kleine Schwägerin hörte ihr mit einem Ausdrucke zu, welcher wenig Verständniß für ihre Worte verrieth, dann sagte sie, in einen freundlicheren Ton umschlagend:„Wie kommt es nur, daß Du so schlecht aussiehst? Du verdienst zwar eigentlich kein Mitleid...“
Elisabeth wich der Antwort aus, indem sie eine Erfrischung anbot, aber ihr Vorschlag wurde mit Entrüstung zurückgewiesen, und die ganze Familie trat nach kurzer Rast den Rückweg an. Elisabeth gab das Geleit bis zur nächsten Haltestelle der Stadtbahn, dann ging sie noch eine Weile, erholungsbedürftig, in den nahegelegenen Anlagen umher. Bei ihrer Heimkehr, eine halbe Stunde später, empfing sie Frau Knapp, die neue Köchin, mit verstörtem Gesichtsausdruck, und als sie sich erkundigte, ob etwas vorgefallen, erfuhr sie zu ihrem Schrecken, daß ihr Onkel eben in einem ohnmächtigen Zustande in seinem Zimmer gefunden worden sei. Elisabeth eilte besorgt in das Wohnzimmer, aber ihr Onkel schien sich gar nicht mehr seiner Ohnmacht zu erinnern, und ihre Bitte, einen Arzt holen zu dürfen, wurde mit Heftigkeit abgeschlagen. Er sei weder krank, noch ein kleines Kind, um sich bevormunden zu lassen, sagte er. Endlich fand sie einen Börsenbericht in der Zeitung, welcher einen beruhigenden Einfluß auf ihn zu üben schien. Bei einbrechender Dunkelheit wankte er unsicheren Schrittes, aber doch jede Hülfe von sich weisend, seinem Schlafzimmer zu. Elisabeth wagte nicht, ein Nachtlicht oder gar eine Wache an seinem Bette vorzuschlagen, aber sie setzte sich noch an demselben Abend hin und schrieb einen Bericht an Herrn Walter, in welchem sie ihn um seine Intervention in ihrer schwierigen Lage ersuchte.
7.
Die Ereignisse bereiten sich vor.
Elisabeth Argast hatte seit der letzten Krankheit ihrer Mutter keine so unruhige Nacht mehr verbracht. Alle ihre Nerven waren angespannt, ihr Ohr lauschte auf jeden Ton. Wie, wenn der alte Mann allein und ohne geistliche und irdische Hülfe zum Jenseits schiede! Das Gefühl ihrer Verantwortlichkeit überwältigte sie vollständig.
(Fortsetzung folgt.)