Ne 20.
Wald, Dienstag den 15. Februar 1870.
Iter Jahrgang.
Expedition in Solingen bei E. Larsch.
Verantwortlicher Redakteur: F. W. Vossen in Wald. Expedition
Drucker und Verleger: F. W. Vossen in Wald. WPe9ter“
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Wochen=Rundschau.
n Wald, 14. Februar.
Die letzte Woche der parlamentarischen Thätigkeit der preußischen Kammern vor ihrer Vertagung hat überaus interessante Erscheinungen und Beschlüsse hervorgebracht. Die Interpellation betreffend die Degradirung des Friedrichs-Gymnasiums zu Breslau warf zunächst ein eigenthümliches Streiflicht auf die Verwaltung des Unterrichts=Ressorts, die der Chef derselben selbst in einem Bericht an Se. Majestät als recht ersprießlich bezeichnet hatte. Nicht einmal die Schulräthe vermochten es, für Herrn v. Mühlers Verfahren einzustehen, und so dürfen wir uns der Mühe entheben, nachzuweisen, daß es dem Cultusministerium besser angestanden hätte, das genannte Gymnasium zu lassen, wie es ist.— Graf zu Eulenburg hat es erleben müssen, daß man seinen Amtshauptmann unter den Kreisrichter gestellt hat. Der Amtshauptmann sollte nach dem Regierungsentwurf volle Polizeigewalt haben, d. h. für seine etwa ungerechten Handlungen nur bei der vorgesetzten Dienstbehörde verklagt werden können. Was das sagen will, ist sattsam bekannt, und darum gestattete das Haus ihm nur Executivstrafen bis 5 Thaler, die ungerecht verfügt, ihn vor den Richterstuhl bringen, dem er nicht mehr durch die Erhebung des Competenzconflictes entzogen werden darf. Daß das Herrenhaus das so stehen läßt, ist nicht anzunehmen, ebensowenig aber auch, daß die Kreisordnung von der jetzigen zweiten Kammer zu Ende berathen werden wird.— Bemerkenswerth ist die Einheit sämmtlicher liberalen Parteien in den letzten Sitzungen. Selbst die Rechte bekam eine Neigung nach links in dem Antrage ihres Mitgliedes v. Diett, die Ministerialräthe für absetzbar zu erklären. Das klingt sehr constitutionell und es ist es auch, aber nicht in Staaten, wo kein Ministerverantwortlichkeitsgesetz, keine Selbstverwaltung und keine parlamentarische Regierung existiren; in solchen Staaten sind es oft nur die Ministerialräthe, die der Willkür eine Schranke setzen. Das Haus bedankte sich für die nicht zeitgemäße Diestsche Steuerung.— Das Herrenhaus hat die entschiedenste Opposition gemacht, man denke! Die Regierung empfahl die Annahme des Gesetzes betreffend die Aufhebung der Schlacht= und Mahlsteuer in einer Anzahl Städten,— die Herren votirten Ablehnung.
Tag und Nacht.
Ein Bild aus dem Bergwerksleben, von Eduard Hammer.
I.
Ermüdet vom langen Wandern durch die Berge kamen wir gegen Abend in ein Thal, dessen Reize uns auf den ersten Blick fesselten. Ein Bach, der die Hälfte der Thalsohle für sein Bett in Anspruch nahm, murmelte uns uber klaren Kiesgrund entgegen, eine angenehme Kühle verbreitend. Die beiden Hohenzüge, die das Thal einschlossen, waren mit frischer kerniger Waldung bedeckt, aus der hier und dort ein Fels sein kahles Haupt erhob. In sanften Biegungen, die stets ein neues Bild boten, wand sich der Weg neben dem Bache sort. Mein Reisegefährte, ein berühmter Fabrikant und praktischer Mann, hatte seine Freude an den kräftigen Baumstämmen, während ich die poetische Landschaft in ihrer Gesammtheit auffaßte. Eine Mühle, deren kleines Wasserrad munter schnurrte, war der Anfang des Dörschens, daß sich plötzlich unseren Blicken zeigte. Die Häuser, meist elende Hütten, lagen theils an den Ufern des Baches, theils hingen sie wie Schwalbennester an den Bergen, umgeben von kleinen Gärtchen und Feldern. Den Hintergrund dieser pittoresken Landschaft bildete das Kirchlein, das, umgeben von hellen Grabsteinen und schwarzen Kreuzen, auf der Hochebene lag. Bewundernd blieben wir stehen, als die Abendglocke von dem Berge herab ertönte.
— Glück auf! rief eine Stimme, die störend unsere Andacht unterbrach.
Ein alter Bergmann, dessen schwarze Kleider mit grauem Staube bedeckt, schritt an uns vorüber. Ganze Gruppen seiner Kameraden, die aus einer von uns bis dahin nicht bemerkten Schlucht kamen, folgten ihm. Alle grüßten. Man sah es ihnen an, daß sie ein schweres Tagewerk hinter sich hatten; es verrieth dies nicht nur ihr schleppender Gang, sondern auch ihr bleiches Gesicht und ihr matt glänzendes Auge. Einer nach dem Andern trennte sich von dem Hausen; wir sahen die schwarzen Gestalten auf den weißen Fußpfaden, die zu den an den Bergen gelegenen Hütten fuhrten, oder auf dem Hauptwege, von wo sie in den rechts und links liegenden Häuschen verschwanden. Wir durften nicht mehr zweifeln, daß wir ein Bergmannsdorf vor uns hatten.
Das Wirthshaus, das wir aufsuchten, war so einladend, daß wir beschlossen, hier Nachtquartier zu nehmen. Der Wirth, ein ehemaliger Bergmann, wie wir später er
Die Regierung bat um die Genehmigung zur Vertagung der Session vom 14. Februar bis 2. Mai,— die Herren votirten die Versagung dieser Genehmigung, was die Berufung einer außerordentlichen Session zur Folge haben wird.— Endlich hat die Berathung der Budgetkommission über die Uebersicht über die StaatsEinnahmen und Ausgaben des Jahres 1868, über die in der Plenarsitzung vom 10. Febr. Bericht erstattet wurde, einen so tiefen Einblick in die Verwaltung des vorigen Finanzministers thun lassen, daß es Einem nicht schwer wird, den Entschluß desselben zum Rücktritt zu begreifen. Wir werden auf dies interessante Stück aus dem Kapitel der preußischen Verwaltung demnächst zurückkommen und bemerken für heute nur, wie leicht einem Menschen Unrecht gethan werden kann. Als Herr v. d. Heydt sein bekanntes trübes Bild von den preußischen Finanzen entwarf, glaubte man allgemein, das hätte keinen andern Zweck gehabt, als dem Grafen Bismarck zu Gefallen einen Druck zu Gunsten der Petroleumstener auf den Reichstag auszuüben. Nun hat sich ergeben, daß dem durchaus nicht so ist, daß es nur geschahe, um die Realisirung eines Anleihetheils von 14 Millionen zu rechtfertigen, die gar nicht ausgegeben werden durften.
In Baiern kämpft man jetzt im Abgeordnetenhause um die Adresse und Fürst Hohenlohe hat die alten Angriffe zum zweiten Mal zu hören. Er schlägt sie mit Würde und Ruhe zurück.
Die Thätigkeit des neuen österreichischen Ministeriums kann vorläufig begreiflicherweise, nur eine vorbereitende sein. Es muß demselben Alles darum zu thun sein, die Situation zu beherrschen; Aussicht dazu ist vorhanden, wenn es ihm gelingt, den Austritt der Polen und Slovenen aus dem Reichstage zu verhüten. Dann stehen die Tschechen allein da und da Böhmen durch seine Deutschen in demselben vertreten ist, so wird man über die tschechischen Wähler zur Tagesordnung übergehen und sich um ihre lokalen Zänkereien nicht kümmern.
In London ist das Parlament durch einen Kgl. Commissar eröffnet. Unter den angekündigten Vorlagen befinden sich zwei von hervorragender Bedeutung: die irische Landbill und die Volksschulbill. Jene soll den sclavischen irischen Pachtverhältnissen eine mit der heutigen Civilisation übereinstimmendere Form geben und die Iren— wie wir wünschen wollen— zu mehr
fuhren, geleitete uns freundlich in das überaus reinliche Gastzimmer. Vater Reich, wie er genannt wurde, versicherte, daß wir in seinem Kämmerchen, für Fremde eingerichtet, sehr gut schlafen würden. Das bestellte Nachtessen ward uns von einem lieblichen Mädchen servirt, der zwanzigjährigen Wirthstochter. Gretchen war eine wirkliche Landschönheit; frische rosige Wangen, schwarzes Haar und große blaue Augen machten sie zu einer pikanten Erscheinung. Ihre Toilette war einfach, im Geschmacke der dortigen Gegend; aber sie stand dem schmucken Mädchen so wohl an, daß man sie in städtischen Kleidern nicht hätte sehen mögen.
Früh am Morgen stand sie auf, arbeitete den ganzen Tag, bediente die Gäste und ersetzte vollkommen die Hausfrau, die der Tod vor zwei Jahren abberufen hatte. So erzählte Vater Reich, der die Tochter, das einzige Kind, seinen Augapfel nannte. Aber es gab noch einen Menschen in dem Dorse, dem Gretchen lieb sein mußte wie sein Augapfel; wir erfuhren dies, als wir Abends in der Laube saßen und nach eingenommenem Nachtmahle uns an dem frischen Tranke labten, den Gretchen credenzt hatte. Ein junger Bergmann schlich durch die hohen Stachelbeerbecken und Greichen schlüpfte zu ihm, so oft sich Gelegenheit dazu bot. Von dem Geplauder derselben konnten wir freilich nichts verstehen, aber in des Mädchens Zügen prägte sich eine Glückseligkeit aus, welche die Nähe des Geliebten ihr bereitete. Der junge Mann wartete in unerschütterlicher Geduld, er war zufrieden, wenn ex das geschäftige Gretchen sehen und ihm zunicken konnte, späler trafen wir ihn in der Gaststube, wo er sich in Gesellschaft einiger Kameraden an einem Kruglein Bier labte. Die älteren Männer, die für kurze Zeit erschienen, sahen krankhaft bleich aus, sie sprachen wenig, rauchten in apathischer Ruhe ihr Pfeischen und entfernten sich, schüchtern grüßend. Das fröhliche Leben, dem sich sonst die Bevölkerung nach gethaner Arbeit hingidt, schien hier nicht heimisch zu sein. Ich drückte dem Wirthe meine Bewunderung darüber aus. Vater Reich lächete schmerzlich.
— Du lieber Himmel, meinte er, wie kann der Bergmann fröhlich sein! Die mühevolle Arbeit, der er sich unterziehen muß, wird nur kärglich bezahlt und der lange Aufenthalt tief in der Erde untergräbt seine Gesundheit. Bei uns muß jeder Pfennig dreimal umgedreht werden, ehe man ihn ausgibt. Weib und Kind wollen ernährt und bekleidet sein. Kommt der Beigmann von der Arbeit, so ist er todtmüde, er muß ruhen; steigt er in den Schacht hinab, so weiß er nicht, od er wiederkehrt.. Glauben Sie nicht, daß wir gegen die Gefahr abgestumpft werden.?.
als nur Stiefkindern machen. Diese soll den Kindern des dreieinigen Königreichs einen obligatorischen Unterricht verschaffen, was zweifelsohne ein besseres Mittel gegen das englische Elend ist, als die Gewerkvereine und die Auswanderungsbeförderung.
Paris hat wieder einmal einige unruhige Tage gehabt, die direct hervorgerufen zu haben, die Regierung sich das Verdienst erworben hat. Man erinnert sich, daß Rochefort in Folge der Ermordung eines
seiner Mitredacteure durch den Prinzen Peter Bonaparte das kaiserliche Haus in der„Marseillaise" so unglimpflich behandelte, daß er mit Genehmigung der Kammer vor Gericht gestellt und auf Anweisung des Justizministers Ollivier zu 6 Monaten Gefängniß verurtheilt wurde. Auf die Aufforderung sich als Gefangener zu stellen, erwiederte Rochefort, er würde nur der Gewalt weichen. Einige Mitglieder der Linken nahmen sich, obschon der Verurtheilte ihr Mann nicht ist, doch des Deputirten an und verlangten auf Grund der Rechte der Wähler, daß die Strafe erst nach Schluß der Session vollstreckt werde. Aber da das Ministerinm noch mehr den unbequemen Volksvertreter als den dreisten Journalisten sich vom Halse schaffen wollte, mißachtete es das Recht der Wähler und ließ ihn verhaften, jedoch nicht am Schluß der Sitzung— obschon Rochefort vor der Thür nach dem Polizeibeamten, dem er sich überliefern wollte, auslugte, auch nicht in seiner Privatwohnung, sondern Abends, als er sich eben in eine Volksversammlung begeben wollte. Was man beabsichtigte, ist klar. Die Verhaftung vor dem Palais des gesetzgebenden Körpers oder in Rocheforts Wohnung hätte kaum einen Auflauf veranlaßt; angesichts einer Versammlung von vielen Tausenden Arbeitern zu einer Zeit, die für Krawalle äußerst günstig ist, konnte man auf mehr rechnen. Man hatte recht speculirt. Es kam sogar zu dem Bau einiger allerdings wenig mustergültigen Barrikaden und obligatem Spectakel aber zu keinem eigentlichen Kampf. Die Todtschläger haben Wunder gethan, etwas über 200 Personen sind verhaftet und die Sorge des Kaisers für die Ordnung aufs Glänzendste bewahrt. Wäre es nicht besser gewesen, Rochefort— wenn man ihn einmal beseitigen wollte— beim Austritt aus dem gesetzgebenden Körper zu verhaften und den Scandal zu vermeiden?
Ich erinnere mich noch der Zeit, als ich einfuhr: mir standen jedesmal die Thränen in den Augen, wenn ich von Weib und Kind Abschied nahm, und eine Angst preßte mir die Brust zusammen, als od ich meine Familie nie wiedersehen würde. Erfuhren wir nun, daß hier und dort ein Grubenunglück geschehen, so mehrte sich diese Angst... meine lieben Herren, der Bergmann hat keine frohe Stunde. Sehen sie, da ist der Untersteiger Andreas, der mein Mädchen lieb hat... ich habe auch Nichts dagegen, denn er ist ein braver arbeitsamer Bursche... und Gretchen mag ihn leiden, sie hat ihn in ihr Herz geschlossen; aber was ist das für ein Ding, so eine Bergmannsliebe! In anderen Berufsclassen fühlen sich die Liedesleute glücklich, bei uns zutern sie, wenn die Arbeitsstunde schlägt... Nein, es ist zu traurig. Es gibt allerdings Bergleute, die alt und grau werden; mancher aber büßt als junger Mensch sein Leben ein. Könnte ich wie ich wollte, ich hatte den Andreas schon zu mir genommen; aber er hat eine alte Mutter und eine verkrüppelte Schwester zu ernähren, da geht so etwas nicht an. Der liebe Gott wird ja helfen!
Der folgende Tag war ein Sonntag. Tiefe Ruhe lag über dem herrlichen Thale ausgebreitet, daß im hellen Sonnenschein erglänzte. Wir saßen vor dem Hause und tranken den Kaffee. Da riefen die Glocken zur Kirche. Die Thüren der Häuschen, die wir von zunserm erhöhten Platze aus sehen konnten, öffneten sich, und Männer und Frauen erschienen, um nach der Kirche zu wallen. Auch Gretchen, sestlich geschmückt, schlüpfte an uns vorüber; sie fragte freundlich, od wir nicht auch zur Kirche wollten, von deren Thurme sich eine prachtvolle Aussicht böte, so prachtvoll, wie sie nirgends weiter zu finden sei. Ohne zu überlegen, schlossen wir uns dem muntern Kinde an. In dem Thale trafen wir die Bergleute, die uns ehrfurchtsvoll grüßten; schweigend gingen sie den Weg, der sanft bergan zu dem Kirchlein führte, dessen Portal geöffnet war. Wir hörten schon die Orgelklänge, die zum Choral einleiteten. Es war eine erhebende Spanne Zeit, die ich erlebte. Vor mir lag das
kkeine alterthümliche Gotteshaus mit seinen plumpen Strebepfeilern, seinen langen und schmalen Fenstern, deren runde Glasscheiben in Blei gefaßt, welche die Südseite beschattete. Ringsum erhoben sich geschmückte Grabhügel, deren Steine und Kreuze rührende Inschriften trugen. Sorgfältig ge pflegte Blumen prangten überall; nirgends zeigle sich die Pietät für die Verstorbenen prunkloser und neiver als auf dem Frieddoje dieses Bergmannsdorfes. Fand ich doch Gräber, die mit Flittergold geschmückt waren.