Der Auchener Courier.

Kro. 11.

Aachen, Samstag den 12. März 1836.

Mustkalische Leiden und Freuden in Dialien.

(Schluß.)

Tag, an weichem die erste Vorstellung Stattfinden sollte, brach endlich an. Das Theater San Carlo hat bei fest­lichen Gelegenheiten wirklich ein zauberisches Anseben. Der un­gebeure und finstere Soal, ein trauriger Aublick für ein Franz. Auge bei gewöhnlichen Vorstellungen, erhält an Tagen der Feier durch die Meuge Kerzen vor jeder Loge ein prächtiges Ansehen. Dadurch werden auch die Damen sichtbar, was sonst wegen der schlech­ten Beleuchtung unmöglich ist. Das Schauspielhaus war ge­füllt: ein Italiänisches Publikum dietet ausländischer Musik nie von vorn derein Trotz. Besonders in Neapel, wo harm: loser Genuß für die größte Glückseligkeit gilt, bemüht man sich, Alles zu entfernen, was diesen Genuß stören könnte. In Frankreich besucht man das Theater, um sich zu zeigen; in Iralien, um zu genießen.

Als die siebente Stunde geschlagen hatte, erschienen Hofbe­diente in den für die Königliche Familie bestimmten Logen. Zu demselben Augenblick hob sich der Vorhang, und die Qu­vertüre ließ ihren ersten Bogenstrich hören. Sie ging also für das Publikum verloren, die schöne Ouvertüre. Ich selbst war trotz des warmen Antheils, den das Stück und sein Kompo­nist wir einstößte, mehr mit dem eintretenden Hofe beschäf­tigt, den ich noch nicht kannte, als mit der anfangenden Oper. Die Akjutanten nahmen in der der Bühne zunächst gelegenen Loge Platz. Die junge Königin, die Königin Mutter und der Priaz von Salerno nahmen die folgende Loge ein; der König und Prinz Karl die dritte; und der, wie es heißt, in Un­guade gefallene Graf von Syrakus die vierte.

Die Ouvertüre schien dem Publikum zu gefallen, obgleich es nur geringe Notiz davon genommen hatte. Eine Ouvertüre ist gleichsam die Vorrede eines Buches: der Vers. erflärt in derselben seine Absichten, verweist auf seine Hauptpersonen und giebt gleichsam einen Prospektus seines Talentes. Man erkangte in der Ouvertüre zu Lara eine fräftige und gedal­tene, eder Deutsche als Italiänische Instruwentirung: origi­nebe und liebliche Motive, die man im Fortgang des Stuk­kes wiederzufinden teffte; und endlich auch tiefe Kenntniß von dem Material des Orchesters.

Gleich zu Anfang der Oper merkte ich den Unterschied, der

zwischen dem Orchester von San Carlo und dem des Pariser Operndauses Stattfindet. Das Erstere will den Sänger nur begleiten und läßt die Stimme gleichsam oben auf dem In­strumente schwimmen; es unterstützt sie, erhebt und senkt sich mit ihr, überfluthet sie jedoch niemals. In Frankreich aber verlangt das geringste Triangel seinen Antheil an dem Beifall, der Herrn Nourrit oder Mademoiselle Falcon zu Theil wicd, und die Stimme des Künstlers schwimmt zwischen zwei Was­sern. Wer da nicht das reine Metall der Madame Doris oder die außerordentliche Kraft eines Dérivis besitzt, der bringt es nur selten dahin, daß nur einige Worte seines Gesanges aus den Fluthen von Harmonie, die ihn überdecken, emper­tauchen. Der Sänger an der Pariser Oper gleicht einem flie­genden Fische, der nur so lange über dem Wasser sich erhal­ten kann, als seine Flügel naß sind. Sobald er zu Mitteltö­nen herabsteigt, hört man nichts mehr, als den Lärm der In­strumente.

Das Finale des ersten Aktes war originell, voll Leben und reicher Abwechselung; auch wurde es von dem Orchester und Sängern mit seltener Meisterschaft ausgeführt. Der König, der sich sonst in den Zwischenakten nach einem anstoßenden Saale zu begeben pflegt, blieb diesmal in seiner Loge; das Publikum hatte daher keine Gelegenheit, sein Urtheil über den Werth des ersten Aktes laut abzugeben. Im zweiten Akte ent­wickelte sich das Stück immer herrlicher; die Fluthen der menie wogten durch den Saal; das Publikum war fost atbem­los. Es ist wirklich interessant, zu sehen, wie Tausende unter dem Gewichte des Genius ringen und von demselben erdrückt werden.

Eine Stickluft, heiß und schwül, wie diejenige, die einem Gewitter vorangeht, beklemmte jede Brust; nur von Zeit zu Zeit leuchtete Duprez's schöne Stimme wie ein Bliß dazwi­schen. Endlich kam die merkwürdigste Partie der Oper; es ist eine Cavatine, von Lara gesungen, und zwar in dem Augenblick, wo er, von dem Tribunale verfolgt und von sei­nen Freunden verlassen, an ihre Freundespflicht appellirt und ihre Undankbarkeit verslucht. Der Sänger fühlte wohl, daß diese Cavatine den Ausschlag geben müsse; auch glaude ich in der That, daß die menschliche Stimme Gefühle der Niederge­schlagenheit, des Schmerzes und der Verachtung niemals mit mehr Wahrheit ausgedrückt hat. Jeder Atdem stockte; alle Hände waren zum Klatschen bereit; alle Ohren nach der Büdne und alle Augen auf den König gerichtet. Endlich, als Du­prez seine letzte zerreißende Note wie einen letzten Seufzer von sich stieß, legten Se. Mojestät beide Häude in einander, und in demselden Augenblicke erfolgte eine sturmische Fansare des Beifalls.