Nr. 435. Mntwoch, 16. Jeptember.

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K

Neueste Draht-Nachrichten.

Der Kaiser.

w. Potsdam, 16. Sept. Der Kaiser hörte gestern vor­mittag die Vorträge der Chefs des Militärkabinetts, des Ad­miro lstabs und des Marinekabinetts und nahm darauf die Meldungen des Generals der Kavallerie Prinzen Salm=Horst­mar, des abberufenen türkischen Militärattachés Obersten Nazis=Bei und des zum Garde=Jäger=Bataillon kommandiert gewesenen schweizerischen Hauptmanns Hug entgegen.

Der Kaiser sandte an die Familie des verstorbenen Schlumberger in Gebweiler ein herzliches Beileids­telegramm.

Der Reichskanzler.

Berlin, 16. Sept. Der Reichskanzler trifft heute zur Eröffnung des Interparlamentarischen Kongresses ein. Für Sonntag ist er vom Kronprinzen nach Potsdam in das Marmorpalais geladen.

Eulenburg.

Berlin, 16. Sept. Eulenburg verbleibt nur bis zum 1. Oktober in den ihm während der Untersuchungshaft in der Charité zugewiesenen Räumen, da die Räume ander­weitig gebraucht werden. Ueber die anderweitige Unter­bringung des Fürsten finden Erwägungen statt.

Kaiser Franz Joseph.

* Wesprim(Ungarn), 16. Sept. Kaiser Franz Joseph ist gestern nachmittag zu den Manövern hier ein­getroffen. Der Kaiser erfreut sich der besten Gesundheit und wurde von der Bevölkerung stürmisch begrüßt. Den Manövern wohnen auch ausländische Militärattachés bei.

König Eduard und der Sultan.

2 Konstantinopel, 16. Sept. Der König von Eng­land hat an den Sultan folgende Depesche gerichtet:Ich bitte Ew. Majestät meine aufrichtigen Glückwünsche gelegent­lich der ersten Geburtstagsfeier seit der Wiederher­stellung der Versassung zu genehmigen. Es ist aller Grund zur Hoffnung vorhanden, daß mit einem so aufge­klärten und hervorragenden Großwesir das Ottomanische Reich nur vorwärtsschreiten kann, während der Name Ew. Majestät von nun ab in der Welt berühmt 'ein wird.

Schiedsgerichtshof für Arbeiterstreitigkeiten.

m London, 16. Sept. Das Lokalverwaltungsamt kündigt die bevorstehende Errichtung eines ständigen Schieds­gerichtshofes zur Schlichtung von Arbeits­streitigkeiten an. Zu Vorsitzenden sollen einer besonde­ren Liste angesehene unparteische Persönlichkeiten entnommen werden. Ein oder zwei Schiedsrichter sollen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im gleichen Verhältnis ernannt werden. Marokkanisches.

X Colomb Béchar, 16. Sept. Die militärischen Operationen gelten als beendet. Die Truppen werden vom 23. bis 26. abteilungsweise nach Colomb Bechar zurück­kehren.

Sven Hedin.

O Kalkutta, 16. Sept. Sven Hedin ist in der Tracht eines tibetischen Lamas in Simla angekommen. Er eist in zehn Tagen nach London.

Die Wirren in Persien.

O Teheran, 16. Sept. In den letzten Tagen kursierte in den Städten Nord=Persiens der Text eines angeblich von Ulemas an den Schah abgesandten Telegramms, in dem tarauf hingewiesen wird, daß die Erhaltung des Islams und des Staates auf der Versassung beruhe. In dieser Ein­icht hätte die Türkei eine Verfassung eingeführt. In Iran edoch hätten die verfassungsmäßigen Grundlagen, trotzdem sie on dem verstorbenen Schah gebilligt worden seien, einen angünstigen Boden gefunden. Der Grund dafür liege in den Handlungen eigennütziger Personen, die Verräter des Glau­bens und des Staates seien. Die gegenwärtige Regierung tresse der Vorwurf, den gesetzmäßigen Forderungen des Volkes nicht die erwartete Unterstützung gewährt zu haben. Das habe Lirren hervorgerufen, bei denen viele Muselmänner Leben und Besitztum verloren hätten. Zum Schluß richten die Ule­mans die Bitte an den Schah, sobald als möglich zur Zu­sammenberufung des Parlaments zu schreiten, das den ein­zigen Hort der Ordnung und Gesetzmäßigkeit bilde.

Die Cholera in Rußland.

+ Petersburg, 16. Sept. Die soeben veröffentlichten noch unvollständigen Meldungen ergaben ein schuelles Wachs­tum der Cholergepidemie. Von Montag mittag bis gestern mittag sind 240 Personen erkrankt und 60 gestorben. Die Gesamtzahl der Cholerakranken beträgt 514.

Räuberischer Ueberfall.

w. Tiflis, 16. Sept. Auf dem Wege Vorshom=Achaleich überfiel eine Räuberbande eine von 7 Kosaken und 2 Polizeisoldaten begleitete Geldpost. Durch 3 geschleuderte Bomben wurden 3 Kosaken getötet und 1 verwundet, doch gelang es, von den Räubern 2 zu erschießen und die übrigen in die Flucht zu schlagen, und dadurch die Post zu retten. Zur Verfolgung der Räuber ist eine Kosakensotnie aufgeboten.

Der holländisch=venezolanische Streitfall.

* Neuyork, 16. Sept. Wie ein Telegramm aus Willem­stadt meldet, berichtet ein Privatbrief aus Venezuela, daß die dortige Regierung das Verbot der Einschiffung für die nach Curacao reisenden Passagiere zurückzog.(Diese Nachricht erweckt den Anschein, als ob Holland in seinem Vor­gehen gegen Venezuela erfolgreich sei, doch fehlt ihr bis jetzt die amtliche Bestätigung.)

Republikanischer Staatskonvent.

Neuyork, 16. Sept. Auf dem republi Staatskonvent von Neuyork wird von der gegen die Wiederaufstellung von Hughes ein leidenschaftlicher Kampf geführt.

Deutsches Reich.

Worte und Taten.

Auf dem Katholikentage in Düsseldorf konnte das Zentrum nicht Worte genug finden, seine Liebe zum Vaterlande, seine Treue zu Kaiser und Reich, seine Bereitwilligkeit, für das angestammte Herrscherhaus gegen alle Feinde der staatlichen Ordnung und Wohlfahrt einzutreten, aufs eindringlichste zu beteuern. Gestern hat man in Speyer die Gelegenheit, iese schönen Worte in Taten umzumünzen, nicht nur ungenutzt grübergehen lassen, sondern sie noch höchst eigenartig #äustriert. Man meldet uns aus:

Kaiserslautern, 16. Sept. Bei der Ersatzwahl im Wahl­kreise Speyer=Frankenthal=Ludwigshafen erhielten Buhl (lib) 12 607 und Binder(Soz.) 21 837 Stimmen.

Um diese Zahlen recht zu würdigen, muß man sich das Ergebnis früherer Wahlen ins Gedächtnis zurückrufen. Im Jahre 1907 erhielt der Nationalliberale 13 708, der Zentrumsmann 8169, der Sozialist 18539 Stimmen. In der Stichwahl siegte der Sozialist mit 21 826 gegen 15 794 Stimmen.

Gegen die Wahl des Vorjahres ist das Bild also völlig ver­schoben. Das Zentrum hat die sattsam bekanntestrikte Wahlenthaltung wir wissen im Industriebezirk, was das bedeutet nur dem nationalen Kandidaten gegen­über geübt. Buhl hat nicht einmal die Ziffer des Vor­jahres erreicht. Dagegen hat derGenosse, ein erklärter Feind der staatlichen Ordnung, ein ausgesprochener Gegner der Monarchie und des Christentums, diesmal im ersten An­lauf mehr Stimmen erhalten, als im Jahre 1907 in der Stich­wahl. Die 3300 Zentrumsstimmen, die damals in der Stich­wahl ins sozialistische Lager einschwenkten, haben also dem Genossen die Treue gehalten, trotzdem sie sich garnicht zu echauffieren brauchten, denn der Sieg des Sozialisten war von vornherein gesichert, nachdem das Zentrum eine Einigung auf die Kandidatur Posadowsky abgelehnt hatte.:

So hat sich das Zentrum wieder einmal als der Schritt­macher der Sozialdemokratie gezeigt, hat bewie­sen, daß ihm sein Parteiinteresse höher steht als das nationale Interesse und gezeigt, daß es recht eigenartige Vorstellungen hat von der Verteidigung der christlichen Grundlagen, von denen in Düsselborf der Vorsitzende, Graf Praschma, so viele schöne Worte machte. Entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten hat es das Zentrum in Speyer nicht einmal für nötig gehalten, seine Unzuverlässigkeit in nationalen Fragen zu bemänteln und seine Begünstigung der Sozialdemokratie durch Aufstellung eines eigenen Kandidaten wenigstens einigermaßen zu ver­bergen. Es hat sich sofort mit voller Wucht dafür eingesetzt, der Sozialdemokratie den Wahlkreis im ersten Wahlgange zu sichern.

Wir bedauern nur, daß die Nationalliberalen in Speyer sich nicht entschließen konnten, trotz der Zentrumsabsage an der Kandidatur des Grafen Posadowsky festzuhalten. Das Resultat wäre ja dasselbe geblieben, aber dem Zentrum wäre dann jeder Vorwand genommen worden, sich heute hinter die Ehre und das Ansehen seiner Partei zu verschanzen, die es verbieten, für einen Nationalliberalen einzutreten. Es hätte dann ganz offen Farbe bekennen und sich in hüllenloser Nackt­heit zeigen müssen. Es ist ja zweifellos, daß von vielen An­hängern des Zentrums die Ablehnung der Kandidatur Posa­dowstys nicht gebilligt worden ist; allein damit kann die Tat­sache nicht beschönigt werden, daß das Zentrum gestern den Sozialdemokraten einem anerkannten Verteidiger der staat­lichen Ordnung, einen Glaubensgenossen Buhl ist katho­lisch vorgezogen hat.

Auf der Düsseldorfer Tagung erklärte der Oberlandes­gerichtsrat Marx:

Wenn alle sich gegen die staatliche Ordnung verschworen haben sollten, wenn alle die staatliche Autorität mißachten und zu vernichten suchen sollten, dann werden wir in unver­brüchlicher Treue für den Bestand des angestammten Herrscherhauses eintreten und unsere Brust allen Angriffen auf die staatliche Wohlfahrt entgegensetzen.

Angesichts des Ausfalls der Speyerer Wahl fällt es auch dem Wohlmeinenden schwer, ganz ernsthaft an die Ehrlichkeit der Düsseldorfer Beteuerungen zu glauben.

ihnen zurückgewiesen worden; die Deutschen sinnen doch offen­bar auf andere Dinge als auf Abrüstung und Frieden.

In diesen Zeitpunkt und in diese Stimmung hinein fallen die Unterredungen, die der Reichskanzler Fürst Bülow mit Sydney Whitman in Norderney gepflogen hat. Ob nun zwischen beiden der Abrüstungsplan besonders ausführlich besprochen worden ist oder nicht, jedenfalls dienen die Er­klärungen des Fürsten Bülow dazu, einerseits etwa entstande­nen Argwohn und Verstimmung zu beseitigen, anderseits den Plan selbst auf längere Dauer verschwinden zu machen. Deutschland muß seine Rüstung selbst bestimmen; es kann sehr leicht der Fall eintreten, daß es den Versuch, ihm da binein­zureden, als einenationale Demütigung betrachtet. Daß es sich eine solche nicht gefallen lassen will, hat Fürst Bülow in klaren Worten ausgedrückt. Ebenso klar hat er daneben gestellt, daß Deutschland weder gegenüber England noch Frank­reich Haß und Kampfgelüste empfinde. Das sind die beiden Leitmotive, die für unsere Haltung noch lange maßgebend sein werden: wir hegen keinen Haß und keine Angriffsstim­mung, aber wir werden eine nationale Demütigung nicht auf uns nehmen, daran werden alle wohlwollenden oder übel­wollenden Deutungen der englischen Presse nichts ändern.

Die holländischen Kammern sind gestern im Haag mit einer Thronrede eröffnet worden, die im Auftrage der Kö­nigin vom Minister des Innern Heemskerk verlesen wurde. Die Thronrede führt aus, daß die freundschaftlichen Beziehun­gen zu Venezuelg eine Unterbrechung erfahren haben, die die Regierung in friedlicher Weise zu beseitigen suche. Die Be­ziehungen zu den anderen Mächten seien die freundschaft­lichsten. Die Regierung bedauere lebhaft die Unruhen auf Sumatra. Die Kolonie Curagao leide unter den schäd­lichen Wirkungen der Unterbrechung der Handelsbeziehungen

1

zu Venezuela. Der Stand der Finanzen erfordere eine

Einnahmen,

Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Die in der Thronrede

dauernde Vermehrung der Einnahn

um das finanzielle

likanischen Organisation Gouverneur Roosevelt

und die gesamte Presse sind entschieden für Hughes; seine Geg­ner erwägen unter anderen Kandidaten die Aufstellung des Botschafters Hill.

Heer und Marine.

O Berlin, 16 Sept. Es verlautet, Prinz Eitel Friebrich werde schon in nächsten Jahre zum Maser befördert werden. Es ist des Kaisers Wille, daß sein zweiter Sohn, dessen militärische Eigenschaft er äußerst hoch einschätzt, eine besondere militärische Ausbildung erhält.

Deutsch=Englisches.

Aus England liegen über die freimütigen Aeußerungen des Reichskanzlers Fürsten Bülow dem Mitarbeiter des Lon­donerStandard gegenüber weitere Auslassungen vor. Sie gehen nach wie vor von der völlig irrigen Annahme aus, daß Deutschland nach der Vorherrschaft zur See strebe und des­halb mit fieberhafter Eile Kriegsschiffe baue. Den Eng­ländern scheint also nicht zu helfen zu sein; sie bleiben trot aller aufrichtigen Versicherungen des Gegenteils bei ihrem gänzlich der tatsächlichen Unterlage entbehrenden Wahn.

Wenn man nach den Umständen fragt, die in dem Reichs­kanzler den Wunsch erregten, die Beziehungen Deutschlands zu England noch einmal vor aller Welt klarzulegen, so besteht nun einmal die Notwendigkeit, diese Dinge immer von neuem zu sagen. Als spezieller Beweggrund zu der Verlautbarung laßt sich dann die ungünstige Aufnahme anführen, die das neuerliche entschiedene Auftreten Deutschlands in der Ma­rokkofrage jenseits des Kanals gefunden hat. Daneben steht endlich ein noch bedeutsamerer Vorgang, der nicht genügend beachtet worden ist. Wir denken an den Plan der Ver­minderung der Seerüstungen, der, obwohl er dem Streite der englischen Parteien noch nicht entrückt, doch an hoher englischer Regierungsstelle verfolgt worden ist. Der englische Minister Lloyd George hatte nach allem, was durch sein eigenes Zutun in die Leffentlichkeit gedrungen ist, die

Absicht, den Abrüstungsplan bei seinem Aufenthalt in Berlin gegenuber deutschen Reichsstellen zur Sprache zu bringen, und außerdem soll in Kronberg zwischen dem Kaiser Wilhelm und dem König Eduard darüber gesprochen worden sein. Die Be­deutung dieses Planes und seines Schicksals wird allmählich in der Oefsentlichkeit mehr empfunden, so daß jetzt der Wunsch laut wird, es möchte eine offizielle Klarstellung über die Rolle, die die Abrüstungsfrage in Kronberg gespielt hat, deutscher­oder englischerseits erfolgen.

Von deutscher Seite gesehen liegt die Sache ungefähr so: Der Abrüstungsplan als englischer Vorschlag war für deutsche Politiker etwas noch nicht Dagewesenes. Eine Sache, die früher nur innerhalb der deutschen Militär= und Flottenver­

waltung und außerdem mit der deutschen Volksvertretung er­örtert worden ist, sollte nun maßgebend beeinflußt werden durch die Verabredung mit einem fremden Staate! Deutsch­land mochte es nicht auf sich nehmen, sich in das Gewirr von Auslegungen und Ränken zu stürzen, das an diesen Plan geknüpft werden konnte, und hat ihn daher rund abgelehnt. Wenn aber das Wort von der friedlichen und freundlichen Ge­sinnung der Deutschen gegen England nicht eine Phrase sein soll, ist es nötig, auch umgekehrt den englischen Standpunkt unbefangen zu würdigen. An sich brauchten wir den englischen Wunsch nach Einschränkung der Seerüstungen nicht übel zu nehmen. Er lag sozusagen in der Luft, seit der Zar seinen Vorstoß in Richtung der Friedensbestrebungen gemacht hatte. Der Gedanke konnte an sich nicht als unfreundlicher Akt Eng­lands aufgefaßt werden. Es konnte gerade für diejenige eng­lische Partei große Bedeutung gewinnen, die uns verhältnis­mäßig günstig ist, die liberale. Durch die Ablehnung des Planes konnten andererseits dieser Partei Schwierigkeiten erwachsen, die wir weder herbeizuwünschen noch zu vergrößern Ursache hatten. Wenn wir nun noch einmal, unter Anwen­dung der von deutscher Seite so oft betonten freundlichen Ge­sinnung, betrachten wollen, wie sich nach Ablehnung des

Planes die Situation den Engländern darstellen mochte, so kann man zugeben, daß sich vielleicht in einigen Köpfen die autgläubige Anschauung festsetzen konnte:Wir haben den Deutschen die Hand zur Verständigung geboten, aber sie ist von

angekündigten Gesetzentwürfe betreffen eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und eine allgemeine Einkom­mensteuer mit einer Ergänzungssteuer auf Kapi­tal; zur Beseitigung des Defizits des Rechnungsjahres wer­den die Erhebung eines Zuschlages auf die Einkommensteuer und eine Erhöhung der Verbrauchssteuer auf Alkohol ange­kündigt.

Sozialdemokratischer Parteitag.

II.

(2 Nürnberg, 15. Sept.

Zu Beginn der heutigen zweiten Sitzung des Purteitages brachte Reichstagsabgeordneter Geyer(Leipzig) eine lang­atmige Resolution zur Reichsfinanzreform ein. Es heißt darin u..:Die den materieuen Interessen der besitzenden und herrschenden Klassen dienende, die urbeiterklassen schwer schädt­gende und den Weltfrieden bedrohende Militär=, Marine= und Kolonialpolitik des Deutschen Reiches führt zu ununterbrochen steigenden Ausgaben, deren Deckung bei dem jetzt gelienden Sieuersystem nicht zu erlangen ist. Trotzdem seit dem Jahre 1888, dem Regierungsantritt des jetzigen Kai­jers, die eigenen Einnahmen des Reiches von 821 Millionen Mark auf 1732 Millionen im Jahre 1907 gestiegen sind, ist in dem gleichen Zeitraum die Schuldenlast des Reiches von 720 Millionen Mark auf 4300 Millionen Mark angewachsen. Die Steuern des Reiches sind angerecht und unwirtschaftlich. Ge­sunde Finanzverhältnisse können nur geschaffen werden, wenn die Ausgaben für Militär=, Marine und Kolonien herabgesetzt und die Steuern der Zahlungsjähigkeit der Steuerzahler an­gepaßt werden. Der Parzeitag protestiert gegen die Erhöhung bereits bestehender, sowie die Einführung neuer Steuern auf Massenverbrauchsartikel. Insbesondere protestiert der Par­teitag gegen die dem russischen Steuersystem entlehnte Bande­rolenfieuer auf Zigarren und Tabak, sowie gegen die Er­höhung der Biersteuer. Ferner protestiert der Parteitag gegen Steuern auf Licht und Kraft(Petroleum, Gas und Elektrizität usw.). Der Parteitag fordert die Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen steuerpolitischen Maßnahmen, welche die Interessen der Allgemeinheit einer bevorzugten Minderheit opfern. Er fordert die Einführung einer stusen­weise steigenden Reichseinkommens= und Vermögenssteuer, die Reform der Erbschaftssteuer durch Heranzietzung aller größe­ren Erbschaften und Erhöhung der Steuersätze nuch dem Um­sange des Erbgmes und nach dem Grade der Verwandtschaft, insbesondere die erbschaftssteuerliche Heranziehung des Erb­gutes für Ehegatten und Kinder.

Der Vorsitzende Singer teilte nach Eröffnung der Sitzung zunächst mit, daß Dr. Maurenbrecher bedaure, nicht per­söglich in die Debatte eingreisen zu können. Sein Artikel in derHilse über die Parteischule sei rein wissenschaftlichen Charakters und falle nicht unter diejenigen Arbeiten, die den Parteigenossen für die bürgerliche Presse verboten seien.

Darauf wandte sich der Parteitag der Beratung der Frauenorganisation

zu. Reichstagsabgeordneter Lipinsk Leipzig wendet sich dagegen, daß den Frauen ein Amt im Vorstande gegeben wer­den soll, nicht weil sie nicht tüchtig sind, sondern weil sie Frauen sind. Frau Zietz=Hamburg verteidigt die An­sprüche der Frauen auf Vertretung im Parteivorstande. Die Rednerin polemisiert dann besonders gegen v. Elm. Den Männern empfiehlt sie, nicht nur Agitatoren draußen zu sein, sondern auch in der eigenen Familie. v. Elm=Hamburg erklärt noch, es scheine ihm, als ob man den ganzen Parteitag

" unter den Pantoffel der Frau bringen wolle. Das müsse verhindert werden.

Nachdem die verschiedenen Referenten sich im Schlußwort noch kurz geäußert hatten, wurde zur Abstimmung geschritten. Zunächst wurde dem Vorstande Entlastung erteilt. Dann wurde bezüglich der Parteischule folgender Antrog Bre­men angenommen: Der Parteitag nimmt mit Befriedigung Lenntnis von dem Bericht des Vorstandes über die Tätig­keit der Parteischule. Er ersucht den Vorstand, die Tätig­keit der Parteischule in der bisherigen Richtung weiter aus­zubauen.

Zum Thema: Partei und Gewerkschaften wurde folgende Resolution des Parteivorstandes und der Kontroll­kommission angenommen: Der Parteivorstand begrüßt den infolge der Einigungs verhandlungen erfolgten Uebertritt der lokalistischen Vereine in die Zentralverbände. Die Vereine, die trotz der geführten Verhandlungen bei der Freien Ver­einigung der Gewerkschaften geblieben sind, haben durch ihr Verhalten bekundet, daß sie entgegen den Beschlüssen der Parteitage und des Internationalen Sozialistenkongresses in Stuttgart die dringend gebotene einheitliche Organisation des wirtschaftlichen Kampfes der Arbeiterklasse nicht wollen. Der Parteitag erklärt: Jede Mitarbeit von Parteigenossen in den mit der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften verbundenen Vereinen, sowie in dem Allgemeinen deutschen Metallarbeiterverband ist unvereinbar mit den Grundsätzen und Interessen der Sozialdemokratie.

Zur Frauenfrage wurde die Vereinbarung des Parteivorstandes mit den Genossinnen angenommen, die lautet: 1. Jede Genossin ist verpflichtet, der sozialdemokra­tischen Parieiorganisation ihres Ortes beizutreten. 2. Un­abhängig von den Vereinsabenden der Männer sind für die weiblichen Mitglieder Zusammenkünfte einzurichten, welche ihrer theoretischen und praktischen Schulung dienon. 3. Die Festsetzung der Beiträge für die weiblichen Mitglieder bieibt den einzelnen Organisationen überlassen. 4. Die weiblichen Mitglieder sind im Verhältnis zu ihrer Zahl im Vorstand vertreten. Doch muß diesem mindestens eine Genosfin an­gehören. 5. Den weiblichen Mitgliedern des Vorstandes liegt es ob, die notwendige Agitation unter dem weiblichen Prole­tariat im Einvernehmen mit dem Gesamtvorstand und unter Mitwirkung der tätigon Genossinnen zu betreiben

Man gelangte dann zum nächsten Punkte der Tagesord­

nung, dem

parlamentarischen Bericht, den Reichstagsabgeordneter Eichhorn erstatrete. Dieser stellte fest, daß sich seit dem vorigen Jahre in der politischen sehr wenig geändert habe. Im Reichstage sei immer

der Block Trumpf.

Man glaubte eigentlich an ein baldiges Ende des Blocks; er bestehe aber noch. Man habe die politische Per­kommenheit des bürgerlichen Liberalifmus zu gering eingeschätzt. Positive Arbeit habe der Block nicht geleistet. Der Freisinn habe sich dabei von einer Seite gezeigt, die geradezu physischen Ekel erwecken muß. (Lebhafter Beifall.) Diese Leute würden aber noch weiter­gehen, denn die Verlotterung des Liberalismus sei nicht auf­zuhalten. Der Reiner besprach dann die Kämpfe um das Vereins= und das Börsengesetz. Trotz aller Bemühungen sei es nicht gelungen, der Reaktion etwas abzutrotzen.

Genosse Kurt Rosenfeld=Berlin führte Beschwerde über den Abg. Wolfgang Heine, weil er in den Sozia­listischen Monatsheften erklärt habe, daß es nicht gut sei, die Jugend vor dem 18. Ledensjahre mit Politik zu beschäftigen. Dadurch habe Heine die Blockpolitik gutgeheißen.

Im Schlußwort stellte Reichstagsabgeordneter Eichhorn fest, daß die Partei stets gegen die unsinnige Durchpenschung und Galopparbeit im Neichstage protestiert habe; aber der Block habe ein Interesse daran, möglichst schnell wieder aus dem Reichstagsgedäude zu verschwinden, um Konflikte zu ver­meiden.

Um 1 Uhr trat die Mittagspause ein.

Die Nachmittagssitzung.

In der heutigen Nachmittagssitzung beschäftigte sich der sozialdemokratische Parteitag mit der Frage der Malfeler.

Dazu lagen eine große Anzahl von Anträgen vor, von denen die meisten auf das entschiedenste dieBrems= und Abwiegelungsversuche aus Gewerkschafts= und Parteikreisen verurteilen und fordern, daß der auf jedem Parteitag beschlosse­nen Propagierung der Arbeitsruhe am 1. Mai Rechnung ge­tragen werde.

Der Reserent über dieses Thema, Reichstagsabg. Richard Fischer=Berlin, wies darauf hin, daß die Frage der Mai­seier schon so ergiebig behandelt worden sei, daß wenig mehr zu sagen wäre. Es handele sich nur um den Wunsch des Stutt­garter Internationalen Kongresses, die Unterstützungsfrage zu regeln. Nun werde gefordert, daß die Unterstützungsfrage nicht lolal erledigt werde, sondern durch die Zentralkasse. Der Parteivorstand sehe aber nicht die Möglichkeit, das bis­herige System zu ändern. Einzelne Anträge wollten ja über­haupt die Unterstützung beseitigen. Das gehe aber nicht an, denn man dürfe die opferwilligsten und zu Opfern bereitesten Arbeiter nicht im Stiche lassen. Die Zentralkasse könne jedoch nicht die Kosten der Maiseier tragen. Wir sind, erklärte Richard Fischer, eine politische Partei und keine Kasse zur Unterstützung gewerblicher Arbeiterkämpfe. Auch die gewerk­schaftlichen Zentralverbände haben erklärt, daß sie die finan­zielle Verantwortung für die einzelnen Kämpfe, über die sie nicht zu entscheiden haben, nicht übernehmen können. General­kommission und Parteivorstand wollen eine würdige Feier für den 1. Mai haben. Die Mittel dazu müssen aber von der Parteiorganisation und den Gewerkschaften am Orte auf­gebracht werden. Wir bitten, alle Anträge abzulehnen, die den Parteivorstand auffordern, die Sache nochmals mit der Generalkomnission zu beraten. Der Parteivorstand kann nichts anderes vorschlagen angesichts der brutalen Tatsache, daß es an Geld fehlt.

Darauf wurde in die Aussprache eingetreten. Stubbe­Hamburg empfiehlt Ansammlung eines Fonds für die Mai­feier. Die 2 Millionen organisierter Arbeiter könnten durch einen 50=Pfg.=Beitrag eine Million Mark aufbringen. Rosa Luxemburg führt aus: Von dem dualistischen Zusammen­wirken der beiden organisatorischen Spitzen, der Partei und der Gewerkschaft, habe ich mir nie viel versprochen. Meine Befürchtungen sind eingetroffen.

Die Unterstützungsfrage ist eine Schlinge geworden, mit der die Maiseler erdrossel werden kann.

Wenn wir uns lau zeigen, so bekommen die Unternehmer erst Mut zu Maßregelungen. Wir gehen schweren Kämpfen entgegen, darum müssen wir geschlossen vorgehen. Adler­Kiel: Wir können die Maiseier nicht aufgeben, nachdem wir jahrelang dafür gekämpft haben. Das Klagelied des Maiseier­Spezialisten Richard Fischer muß uns tief betrüben. Wer die Kassenverhältnisse kennt, wundert sich darüber, daß die Gewerk­schaften so wenig nachgiebig sind. Die Vereinbarung ist mit Absicht so beschaffen, um der Maifeier ein Ende zu machen. (Oho-Ruse.) Wir Schleswig=Holsteiner sehen in der Verein­barung keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt.(Zuruf: Wir können doch nicht für die Dummheit der Schles­wig=Holsteiner. Große Heiterkeit.) Klueß=Magde­burg erklärt: Die bestehende Wirrnis wird noch dazu führen, daß die Maifeier ganz versandet. Man weiß nicht mehr ein noch aus. Als die Begeisterung noch allgemein war, waren die Unternehmer bereit, sich zu fügen. Als der Parteitag dann aber bremste, lehnten sie jedes Entgegenkommen ab. Seeger­Leipzig führt aus: Man raubt uns den Mut zu den ferneren Kämpfen, wenn immer auf die leeren Taschen geklopft wird Engler=Freiburg: Wenn die Maiseier eine Unterstüpungs­frage wird, dann ist sie bald erwürgt. Reichstagsabgeord­neter Zubeil=Berlin: Was soll denn aus der Maiseier werden, wenn fortwährend eine Pferdekur an ihr aus­geübt wird? Jetzt will man die Parteigenossen gebunden in die Hände der Gewerkschaften geben. Der Generalsekretär der Gererkschaften. Reichstagabg. Robert Schmidt=Berlin, meint, daß Rosa Luxemburg mehr zum Skandal als zum Vertragen neige. Sie verkenne die Verhältnisse vollständig. Mit russischen Beispielen solle man nicht komrmen. Die ganze russische Gewerkschaftsbewegung sei sa zertrümmert. Die revolutionäre russische Bewegung, so er­klärt der Redner, kann mit unserer ruhigen, stetigen Arbeit nicht verglichen werden. Man soll uns nicht immer mit Reden kommen, sondern wir wollen auch Taten sehen.

Zu Kürmischen Stenen kames, als dann wieder der frühere Parteischüler Pieck­Bremen, der schon gestern gerade keinen günstigen Eindruck auf die Partei gemacht hat, das Wort ergrifs. Er leitete seine Ausführung damit ein, daß er sagte, es müsse eine Unver­schämtheit genannt werden, wenn ein Genosse, der an erster Stelle der Bewegung stehe der Genossin Rosa Luxem­burg den Vorwurf mache, daß sie zum Skandal geneigt sei (Großer Lärm.) Er wolle damit den Ton dieser, Leute kennzeichnen.(Erneuter Lärm. Lante Zurufe: Schluß! Her­unter von der Tribüne! Raus!) Es gebe Leute, vor denen er nicht die geringste Achtung haben könne.(Erneuter großer Lärm. Zurufe: Herunter! Schluß! Ein Delegierter ruft: Da sieht man den Segen der Parteischulel) Der Leiter der Versammlung, Landtagsabg. Dorn=Rürnberg, ruft den Redner unter lebhaftem Beifall der Versammlung zur Ordnung. Piec fährt darauf fort: Ich habe diese Art

der Ausführungen nicht auf der Parteischule gelernt.(Stür­mische Heiterkeit.) Ich habe schon immer so polemisiert, (Schlußrufe.) Redner verlangt, daß die Gewerkschaften die finanzielle Verantwortung für die Maifeier übernehmen.

Reichstagsabgeordneter Lipinski(Leipzig): Wenn wir die Vereinbarung glatt annehmen und alles gut heißen, was der Parteitag tut, dann haben wir anstelle der Parteitage die Kabinettspolitik.(Sehr richtig. Darauf wird die Debatte geschlossen.

Im Schlußwort führt Reichstagsabgeordneter Fische: and: Der Gedanke der Rasseier 2 7/19