Nr. 257 Mmwog, 3. Juni. Mittag: c. Ausgabe. Puisburg a. Rhein. 1908.
Palsburg: Fansprech-änschlase Nr. 25 und ür 141(eiserg nur rür Redaktion. 58## Mdlheim a. d. Ruhr: Famprech-Anschlms Nr. 68 und 8
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= Kreisblatt für den ganzen Stadtkreis Duisburg(Duisburg-Ruhrort-Meiderich).
Amtlicher Anzeiger für den Stadtausschutz Duisburg. Offizielles Blatt der Westdeutschen Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft.
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Neueste Brahl-Nüchrichten.
Fürst Bülow.
□ Berlin, 3. Juni. Der Reichskanzler empfing gestern den schwedischen Minister für auswärtige Angelegenheiten,
v. Trolle.
Teuerungszulage für Reichsbeamte.
□ Berlin, 3. Juni. Die Teuerungszulage für die Reichsbeamten ist am 1. ds. zur Auszahlung gelangt. Sie betrug über 23 Millionen, davon entfallen 21 Millionen auf die Reichspostverwaltung. Die mitleren Beamten erhielten 150, die unteren 100 Mark.
Landesverratsprozeß Schiwara.
( Leipzig, 2. Juni. Schiwara wurde wegen Verrats und versuchten Verrats zu 12 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Stellung unter Polizelaussicht verurteilt. In der Begründung wurde ausgeführt, daß Schiwara seit 1905 bis zu seiner Verhaftung am 26. August 1907 seinen Haupterwerb durch Spionage verdient habe, die er auf zwei verschiedene Arten betrieben habe, indem er Kasernen besuchte und Artillerieoffiziere zur Herausgabe von geheim zu haltenden Plänen und Schriften bewog. In Frage kamen hierbei hauptsächlich der Vizewachtmeister Girnstein und die Unteroffiziere Alicke und Spärke, die sich noch in militärischer Untersuchungshaft befinden.
Zur Kongofrage.
( Brüssel, 3. Juni. Der Soir gibt als Ergebnis der Wiesbadener Besprechung zwischen dem König Leopold und den Ministern Schollaert und Renkin folgendes an: Nur die schon begonnenen Arbeiten im Kongolande würden ausgeführt, weitere bereits abgeschlossene Verträge durch Entschädigung an die Unternehmer erledigt; die miisterielle Gegenzeichnung für die Verwendung der geforderten 50 Millionen wird von der Regierung zugestanden.
Wahlen in Luxemburg.
w Luxemburg, 3. Juni. Bei den Stichwahlen in Luxemburg Land wurden die vier Sitze durch drei Liberale und einen Klerikalen(Esch) besetzt. Die ganze Liste des liberalsozialistischen Kartells ist mit großem Vorsprung gesichert. In Mersch ist der liberal=unabhängige Ludovicy gewählt. Die Liberalen verlieren einen Sitz und gewinnen fünf, die Klerikalen verlieren drei Sitze.
Studentenunruhen.
∆ Innsbruck, 3. Juni. Gestern früh versuchten klerikale Studenten die Universität zu besetzen. Sie wurden nicht eingelassen und umfassende Vorkehrungen gegen Ruhestörungen getroffen. Es wurden 70 Gendarmen konsigniert. Das kleridale Akademikerhaus und die Redaktionen der klerikalen
Blätter werden bewacht. Die klerikalen„Tiroler Stimmen“ eranstalteten eine Extraausgabe, worin sie der Regierung segen der von Prof. Wahrmund im Seminar gehaltenen sebungen den Krieg ankündigen.
Durch Verfügung des Unterrichtsministers wurden sämtliche Vorlesungen an der Universität eingestellt. Die Universität selbst ist bis auf weiteres gesperrt. Als Grund dieser Verfügung wird angegeben, daß angesichts der Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit von Prosessor Wahrmund schwere Ruhestörungen zu befürchten sind.
Die klerikalen Studenten überreichten dem Rektor einen scharfen Protest gegen Wahrmunds Vorlesungen. Die freiheitlichen Studenten sind über die Schließung der Universität äußerst erbittert. Sie wollen den Generalstreik für alle österreichischen Universitäten proklamieren, falls Professor Wahrmund nicht sofort ungebndert seten konne.
w Paris, 3. Juni. Ein Telegramm des Admirals Philibert meldet, daß die von einem Bruder des Kaids El Glaui befehligte Mehalla Mulai Hafids von dem Kaid Aballag im Zigoragebiet vernichtet worden sein soll. Die Mehalla dadis sei mit Waffen und Gepäck nach Rabat zurückgekehrt. Ein weiteres Telegramm des französischen Konsuls in Casablanca sagt, daß der geringfügige Zwischenfall, der sich infolge von Streitigkeiten zwischen einem algerischen Soldaten und zwei eingeborenen Soldaten der spanischen Polizeitruppe ereignete, durch die Bemühungen des Kommandeurs dieser Truppen beigelegt sei. Ovilo habe die Freilassung des Algeriers verfügt.
Finanzgesetz.
m London, 2. Juni. Nach zweitägiger Debatte nahm das Unterhaus heute in zweiter Lesung das Finanzgesetz an, nachdem der Oppositionsantrag mit 367 gegen 124 Stimmen abgelehnt worden war.
Aus dem spanischen Senat.
m Madrid, 3. Juni. Im Senat brachte der Justizminister eine Gesetzesvorlage ein, durch welche das Duell abgeschafft und an dessen Stelle ein Zivil= oder ehrengerichtliches Verfahren treten soll.
Serbisches Kabinett.
(2 Belgrad, 2. Juni. Das Kabinett erklärte dem König, es sei ihm unmöglich, weiter zu regieren, es wolle nur den Ausfall der Stichwahlen abwarten. Hiermit seien dem Könige die Hände freigemacht und er dürfe sofort Beratungen mit verschiedenen Parteiführern beginnen, um ein Geschäftsministerium zu berufen, dessen Aufgabe es wäre, ohne die Skupschtina auf ein Jahr die Regierung zu übernehmen, den Handelsvertrag mit Oesterreich=Ungarn zu genehmigen und das Budget in Kraft zu setzen. Die Opposition ist mit dem Wahlergebnis sehr zufrieden weil die Regierung zehn Mandate verloren hat.
Bagdadbahn.
A Konstantinopel, 3. Juni. Die Konvention und der Finanzvertrag über den Weiterbau der Bagdadbahn wurden heute unterzeichnet.
Amerika und Japan.
A Washington, 2. Juni. Der Sekretär des Innern, Garfield, besucht Hawai, wie amtlich erklärt wird, zur Untersuchung der wirtschaftlichen Lage, tatsächlich um die Japanerfrage zu prüfen.
Revolutionäre Bewegung in Panama.
□ Washington, 2. Juni. Infolge Auftretens revolutio
närer Strömungen bei der Präsidentenwahlbewegung in Panama werden 500 von den auf dem Isthmus stationierten amerikanischen Marinesoldaten nach den verschiedenen Wahlorten entsandt werden, um den gesetzmäßigen Vollzug der Wahlen zu sichern.
Staatssekretär Dernburg.
A Kapstadt, 2. Juni. Die Presse bietet Staatssekretär Dernburg ein herzliches Willkommen und lobt seine staatsmännische und liberale Behandlung der Eingeborenenfrage. Auch erörtert sie die öfters besprochene Verbindung der Bahnen aus der deutschen Kolonie in Südwestafrika mit den kapländischen Eisenbahnen, die sie aus ökonomischen wie aus strategischen Gründen vom britischen Standpunkt für unausführbar hält.
Pest.
2 Hongkong, 2. Juni. Hier ist die Pest ausgebrochen,
*
aus die Santcicecge Gae chente i echncter. gemeldet. Die Fälle mit tödlichem Ausgang sind außerordentlich zahlreich.
Deuscher Beich.
Das alte Abgeordnetenhaus
ist durch königliche Verordnung am 1. Juni aufgelöst worden. Was sonst ein Zeichen der Meinungsverschiedenheit zwischen Regierung und Volksvertretung ist, die Auflösung des Parlaments, hat diesmal nur technisch geschäftliche Bedeutung. Der Wortlaut der preußischen Versassung spricht dagegen, daß zwei gewählte Abgeordneunhäuser, ein altes und ein neues, nebeneinander bestehen können. Vom demokratischen Standpunkt könme ja wohl eigentlich nichts dagegen geliend gemacht werden, daß gleich das Ersatzparlament neben das alte gestellt und so der Grundsatz: le rot est mort, vire le roi, der zum Vorteil der Monarchie deren Kontinuierlichkeit festlegt, auf das Leben des Parlaments übertragen wird. Ge würde dann eine parlamentslose Zeit gänzlich vermieden werden. Dramatischer und anschaulicher ist der von der Regierung gewählte Modus, vor der Urwahl des neuen das alte Abgeordnetenhaus aufzulösen. In der Oefsentlichkeit wird nun die Ansicht gtäußert, daß die vorhergehende Auflösung schon deshalb nötig war, weil sonst keiner der alten Abgeordneten hätte wiedergewählt werden können. Das erscheint nicht als begründet. Wenn überhaupt während des Laufs der Legislaturperiode gewählt werden könnte, können auch die bisherigen Abgeordneten gewählt werden. Bleibt die Frage, warum gtrade am 1. Jumi ausgelöst wurde. Run, irgend ein punkt mußte es ja sein. Wir sehen keinen Grund hinter der Wahl diefes Termins, der sich dem Monatsanfang anschließt, ingend welche ausgeklügelten Absichten zu wittern. Da nach Auflösung des Abgeordnetenhauses die Kammern innerhalb 90 Tagen versammelt werden müssen, so wäre der spöteste Termin für die Einberufung jetzt Ende August. Nach Ansicht der Parlamentarier wird aber wahrscheinlich Ende Juni oder Anfang Juli gewählt werden. Taß diese Einherufung nur einen sormalen Zweck haben wird, ist schon früher gemeldet worden. Arbeit findet der neue Landtag im Herbst reichlich vor, wenn die nicht erledigten Sachen sofort eingebracht werden, so ganz vornehmlich die Vorlagen über die Aufbesserung der Gehälter der Beamten, Geistlichen und Lehrer. Man hofft, Liese Vorlagen noch vor Weihnachten erledigen zu können.
: Der Wert des Generalstreiks.
In einem soeben erschienenen Buche„Theorie und Praxis des Generalstreiks“ erörtert Dr. Elsbeih Georgi den Wert des Generalstreiks. Die Versasserin versteht dabei unter Generalstreik den demonstrativen Massenausstand zur Förderung proletarischer Klasseninteressen. Als eine Schülerin Heinrich Herkners sozialpolitisch keineswegs rechtsstehend, gelangt die Verfasserin trotzdem zu dem Ergebnis, den Generalstreik auf Grund der bisherigen praktischen Ersahrungen und aus prinzipiellen Erwägungen zu verwersen. Ihr Gedankengang ist im wesentlichen folgender:
Die Möglichkeit eines Sieges liegt unter den heutigen Verhältnissen so fern, daß dem Generalttreit nur ein sehr geringer Wert beigemessen werden darf. Dieser aber nimmt deshalb noch erheblich ab, weil der Generalstreik den Arbeitern nicht nur besondere materielle Opfer auferlegt, sondern auch die allgemeinen Lasten einer solchen Gesellschaftskatastrophe. In piychologischer Hiusicht gesährdet der Generalstreik die Arbeiter eben so sehr durch die revolutionierende Wirkung eines siegreichen Kampfes, wie durch die Wirkung des Mißerfolges: dort tritt leicht Selbstüberschätzung, hier Eutmutigung ein, Ergäbe sich für den einzelnen Teilnehmer daraus ein subjektivethischer Gewinn, daß jeder Teilnehmer den Streikentschluß als eine Gewissenspflicht betrachtete, so stünde dem doch allzu häufig ein objektiv=ethischer Verlust gegenüber. Denn immer bedeutet der Generalstreik den schwersten Schlag für die Gesamtheit, so daß er als moralisch zulässig nur in den Fällen gelten kann, in denen nicht nur das Ziel wertvoll, sondern auch der Erfolg wahrscheinlich ist.
Im Bergleich mit der direkten Revolution ist der Generalstreik das friedlichere Mittel, kann jedoch leicht in die Revolution umschlagen. Die Reaktion wird selbst einem siegreichen Generalstreik um so empfindlicher folgen, se mehr die Arbeiter sich im Streik verausgabt haben. Nach einem verlorenen Generalstreik aber fallen die Gegenmaßregeln in demselben Verhältnis scharf aus, in dem der Umsang des Streiks sich ausLehnte, seine Ziele revolutionär waren, seine Wiederholung wahrscheinlich ist.
Die Reaktion erscheint teils in besonderen Maßnahmen gegen die Streikteilnehmer(Aussperrungen, Maßregelungen,
es e c sationen der Arbeiter, besonders die Gewerkschaften, getroffen werden. Teils zeigt sich die Reaktion in allgemeinen Maßnahmen gegen den Generalstreik überhaupt, 3 B. in der Verkürzung des Streikrechts oder in einer Umstimmung der essentlichen Meinung. Solche Folgen können dann leicht auch die übrige Bewegungsfreiheit der Arbeiter hemmen.
Der Generalstreik, schließt Dr. Georgi, ist also immer ein zweischneidiges Schwert, ein deiperates Mittel; in der Mehrzahl der Fälle aber ist er ein Messer ohne Klinge, eine Phrafe, Unsinn, Utopie.
Der Besuch
des schwedischen Königspaares am Berliner Hofe ist in der Presse bisher wenig besprochen worden und man würde auch fehlgreifen, wenn man ihn zu einem politischen Ereignis ersten Ranges aufbauschen wollte. Man braucht aus diesem Besuch keineswegs mehr zu mochen, als er bedeutet, und darf ihn deshalb doch nehmen als das, was er ist, als eine Bekundung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Herrscherhäitern und den beiden germanischen Nationen diesseits und senseits der Ostsee und als eine Vertrauenskundgebung zu der aufrichtigen, aber vielsach sonst verdächtigten Friedenspolitik des deutschen Reiches, der nichts ferner liegt als eine Bergewaltigung oder Tienstbarmachung kleinerer Nachbarn. Die zwischen dem Kaiser und seinem Gaste, dem neuen König von Schweden, in Berlin gewechselten Trinksprüche bekunden in ihrer, herzlichen Sprache ebenso diese gegenseitigen freundschaftlichen Beziehungen und das unbeschränkte Vertrauen zu einander als Grundlage dieser Beziehungen, wie dies in den Preßäußerungen, z. B. in dem Begrüßungsartikel der„Nordd. Allgem. Zig.“ zum Ausdruck kommt. Auch zwischen Schweden und Deutschland hat es ja nicht an kriegerischen Zusammenstößen gefehlt, aber es ist darüber zu viel Zeit hinweggegangen, um sich durch Gedanken an lolche Gegensätze die auch aus ihnen erwachsene Frucht der hualturellen Anregungen verbittern zu lassen. Hoffentlich wird ein ähnliches Verhältnis. wie es heute zwischen Schweden und Deutschland besteht, sich allmählich auch zwischen den übrigen nordischen Nationen und uns gewinnen lassen. An Ansähen zu solcher Entwicklung sehlt es nicht. Es wäre das im gemeinsamen Interesse der sämtlichen am Ostseebecken sich eng berührenden germanischen Rotionen zu begrüßen.
Die russische Reise König Eduards.
Bei der Reise des Königs Eduard zum Besuche des Jaren spielt sich in England erwas ab, was in einem konstitutionell verwalteten Lande, wo man namentlich in Dingen der äußeren Politik den Einklang zwischen Regierung und Volk wünscht, nicht vorkommen dürfte. 57 Mitglieder des Unterhauses haben, weil sie den Grundsatz der Freiheit im Zarenreich nicht genügend verwirklicht sehen, dem Plane der russtschen Reise einen regelrechten Einspruch entgegengesetzt und „respektvoll“ die Hofinung ausgebrückt, daß der Besuch noch ausgegeben werde. Auch im Londoner Grafschaftsrate wurde Stimmung dagegen gemacht. Trotzdem sind die englischen Nachthaber nicht nervös geworden. Es ist sa auch keineswegs das erstemal, daß sich die englische Minderbeit in solcher Weise bemerkbar macht. Die Dinge pflegen sich dort von selbst wieder ins gleiche zu rücken. Vorgänge, die, wenn sie in Deutschland passierten, bedenklich stimmen könnten, haben in dem Einheitsstaate England nicht viel zu sagen.
Trotzdem ist es beachtenswert, daß in dem monarchischen England sich ein stärkerer Widerstand gegen die„Anbiederung“ mit Rußland anmeldet als in dem republikanischen Frankreich Frankreich hat eben Rußland nötiger. Eine kleine Beschämung mag aber doch durch das Verhalten der englischen Radikalen in den Gemütern französischer„Demokraten“ geweckt worden sein, die sich allzu eifrig Rußland an den Hals geworsen haben. In unterrichteten diplomatischen Kreisen scheint man im übrigen der Ansicht zuzuneigen, daß die Voraussetzungen für die Uebertragung des russisch=englischen Einvernehmens über Zentralasien auf europäische Kragen, etwa auf Makedonien, nicht vorhanden sind. Jedensalls haben wir Deutsche keinen Grund, angesichts der russischen Reise König Eduards uns lauernde Angst anmerken zu lassen.
Kurze politische Reldungen.
* Mit der Empfehlung einer Kandidatur des bekannten polnischen Agitators und Güteragenten Martin Bieder
Jenseits von Böse.
Humoreske von Ludwig Gröger(Berlin).
(Nachdruck verboten.)
Fritz Rumpler saß an seinem Fensterplatz im Café Monovol hinter seiner halbgeleerten Schale Melange und war in der denkbar menschenfeindlichsten Laune. Draußen lachte die helle Maisonne auf die menschenwimmelnde Friedrichstraße herunter, an allen Ecken wurden Veilchen, Maiglöcchen und Flieder feilgeboten, die kleinen Konfektionsmädchen liesen schon in heller Bluse und runden Strohhüten herum.... kurz, es war ein unverschämt schöner Frühlingstag, und in Fritz Rumplers deutschem Dichtergemüt regte sich mächtiger denn je der Drang in die Ferne, das Reisefieber, das heillose Verlangen, wieder einmal in seinen geliebten bayerischen Bergen herumzutlettern, Höhenluft zu kneipen, ein Mensch zu sein am Busen der Natur...
Ja Kuchen!— Eine Pfingsttour hatte er mit seinen Münchener Freunden machen und sich einmal wieder gründlich auslüften wollen nach dem elend langen Berliner Literatur= und Theaterwinter— fehlte ihm nur leider das„geistige Band“, das heißt das nötige Kleingeld, dieser lächerlichste aller irdischen Bedarfsartikel!— Immer noch war es ihm nicht gelungen, eines seiner Stücke an einer Berliner Bühne gespielt zu sehen— ihrer fünf hatte er im Laufe der letzten Jahre ungezählte Male zurückbekommen, und jetzt quälte er sich seit Monaten mit dem sechsten herum— einem modernen Drama mit dem Titel„Jenseits von Vöse“, aber über den
zweiten Akt war er noch nicht hinausgekommen, denn die verfluchte Feuilleton= und Skizzenschreiberei fraß die meiste Zeit woeg, so weit Fritz Rumpler diese nämlich nicht in seinem Stamm=Café oder abends in der„Klause“ oder auf dem Bummel verbrachte, um„Eindrücke zu sammeln“.
In diesem sogenannten Wonnemond schien sich überhaupt alles gegen ihn verschworen zu haben. Die Einfälle blieben aus, Vorschüsse wollte keine Redaktion mehr geben, jeder reguläre Pump war ausgeschlossen, auf die Zimmermiete für Mai hatte er erst eine Anzahlung geleistet—.—und dabei diese Großstadtmüdigkeit, diese verruchte Zappeligkeit in allen Gliedern, dieser Asphalt=Ekel..... Herr Gott von Biberach,
es war zum Auswachsen!—
Fritz Rumpler kehrte ostentativ dem Fenster und der Straße den umfangreichen Rücken und wollte eben zu dem neuesten„Literarischen Echo“ greifen, das der Zeitungskellner neben ihn gelegt hatte, als sein Blick auf einen ihm schräg gegenüber sitzenden kleinen Herrn mit bläulichglattrasiertem Gesicht fiel, der angelegentlich die„Neue Freie Presse“ studierte.
Sieh da, Max Rautenburg, der vielvermögende Direktor des„Großen Theaters“! Mit dem hatte er früher auch so manche fidele Nacht verkneipt, als er noch ein einfacher Schauspieler und noch kein Kollege von Zolas Bordenave gewesen war... Und trotzdem hatte er ihm bisher alle seine Stücke durch seine Schächer von Dramaturgen kaltlächelnd zurückgeben lassen... Richt zu fassen war der glatte, gewandte kleine Mann gewesen— auf seinem Bureau war er überhaupt nie zu sprechen und traf man ihn, so tat er immer so. gls habe er das eingereichte Stück mindestens schon zweimal
as. n
er natürlich selber fast gar nichts, das kannte man schon.
Filou! dachte Fritz Rumpler, während er den ahnungslesen Bühnenbeherrscher aus düsteren Augen anglühte. Mit seinem neuen Stück„Jenseits von Böse“, das er im Herbst fertig haben wollte, wurde es dieser Rautenburg natürlich wieder ebenso machen... Kein Gedanke, daß er es auch nur ansähe! Er sah schon das unvermeidliche Begleitschreiben irgend eines dramaturgischen Handlangers.....„Mitgroßeri Interesse... bedauern gleichwohl sehr..... Rahmen unseres Instituts... nächste Arbeit.....“ Ekelhaft! Wenn
die Kerle wenigstens—.—
Aber Fritz Rumpler denkt den Gedanken nicht zu Ende, — ihm ist plötzlich wie eine Eingebung des Himmels eine Idee gekommen— eine geniale Idee... Er sinnt noch wenige Minuten nach, dann steht er auf, geht in unbefangenster Haltung die paar Schritte bis zu Rautenburgs Tisch und greift nach einem Stuhl, um ihn zu sich heranzuziehen.
„Mahlzeit, Herr Direktor!“
„Ah, Herr.... Herr Rumpler,— schau, schau! Sieht man Sie auch mal wieder. Ra, wie geht's, wie steht's! Habe lange nichts von Ihnen gehört.“
„Ich danke, Herr Direktor,“ erwiderte Rumpler leichten Tones,„man muß zufrieden sein. Eigentlich dachte ich immer endlich etwas von Ihnen zu hören...“
„Von mir!“ bemerkte der Direktor etwas zerstreut, während er sich eine neue Zigarette ansteckte.„Wieso und worüber?“
„Ja, daß Sie mich das fragen, Herr Direktor, ist eigentlich nicht sehr schmeichelhaft für meine Eitelkeit. Wenigstens gelesen haben müßten Sie mein Stück jetzt doch schon!“
„Welches Stück?... Ach so—.— wir haben ein Stück
von Ihnen liegen... richtig, ich glaube, ich erinnere mich... Wie hieß es doch gleich!“
„Jenseits von Böse,“ erwiderte Fritz Rumpler mit eherner Stirn...„Und liegt seit 8½ Monaten in Ihrer Theaterkanzlei! Sie selbst haben es von mir in Empfang genommen und eine Entscheidung binnen vier Wochen versprochen... Wie finden Sie diese Behandlung!“
„Aber lieber Freund, nicht diese Töne,“ beschwichtigte der Direktor,„sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudenvollere... Also Ihr Stück— natürlich habe ich es gelesen, sogar schon lange,— ein Stück von Ihnen interessiert mich doch eo ipoo— ich habe es mir nur zurückgelegt, um es in den Ferien nochmals vorzunehmen...“
„Demnach hat es Ihnen nicht gefallen,“ folgerte der Dichter und seine Haltung wurde plötzlich merklich steif.
„Wer sagt denn das, seien Sie doch nicht so empfindlich. Ich fand dieles originell, auch schlagkräftig— bis auf... ja, bis auf die eine große Szene da— im Mittelakt, wissen Sie,— die Szene zwischen... na, wie hießen doch die Personen!“ Der Direktor schnippte scheinbar suchend ein paarmal mit Daumen und Mittelfinger.
„Hanna Wiborg meinen Sie wohl— und den Konful Reichsfeld, von dem sie ein Kind erwartet“ half Rumpler louernd ein.
„Ganz recht, ganz recht,“— dem Direktor schien nun alles wieder einzufallen— galso diese Hauptizene, sehen Sie, scheint
es eie ehce ece umgearbeitet werden...“
„Wieso!“ erkundigte sich Rumpler mit gerunzelter Stirn.
„Ja, im einzelnen kann ich Ihnen das jetzt hier nicht auseinandersetzen, mein Lieber, entgegnete Rautenburg und winkte den Zahlkellner heran, ich bin etwas eilig und muß in zehn Minuten zu einer Konferenz im Theater sein, aber Sie hören bald noch näheres. Servus, lieber Rumpler!“
Er schwenkte den Schlapphut und entschwand, indes sich der zurückbleibende Dichter schadenfroh die Hände rieb. Er kannte seine Pappenheimer. Dieser Rautenburg war bekannt dafür, daß er sich aus jeder unbequemen Situation möglichst schuell gerauszuschwindeln und etwaigen Verpflichtungen durch allerhand Versprechungen loszuwerden suchte, weshalb auch sein Bureau in eingeweihten Kreisen den Beinamen „Versprecherkeller“ erhalten hatte. Aber diesmal hatte er sich im eigenen Garn gefangen.——.—.
Am nächsten Morgen fand Direktor Rautenburg auf seinem Schreiktisch unter dem Berg von Korrespondenzen ein Schreiben in Fritz Rumplers zollhoher Frakturschrift:
„Sehr gechrter Herr Direktor, da ich bei unserer heutigen Unterredung doch den Eindruck gewinnen mußte, daß Ihnen mein Drama„Jenseits von Böse“ keinen besonderen Eindruck gemacht hat, beabsichtige ich, es anderwärts zu vergeben und bitte um umgehende Rücksendung meines Manustripts. Ergebenst Rumpler.“
Der Direktor griff nach dem Telephon:„Mainauer!— Lassen Sie mal sofort das Stück von dem Rumpler heraussuchen. Sie wissen schon, es soll„Jenseits von Böse“ heißen. Er will das Manuskript heute noch zurückhaben, hören Sie!“
„Dem Manne kann geholfen werden,“ zitierte Mainauer eine Treppe tiefer im Sekretariat mit etwas willkürlicher Betonung und ging auf die Suche in den überfülten Schränken seines Reviers. Nach einer halben Stunde erschien er oben im Direktionsbureau.
„Herr Direktor, von dem beregten Rumpler hat sich weder jenseits von Gut noch von Böse ein Stück finden lassen. Ist auch nichts dergleichen notiert, vielleicht irrt sich der Herr in der Adresse.“
„Unfinn,“ fuhr Rautenburg auf.„Er hat's mir selbst vor dreiviertel Jahren gegeben, und Sie wissen, daß ich alles an Sie weitergebe.“
„Vielleicht haben es der Herr Direktor verlegt... Dann könnte der Rumpler doch endlich einmal sagen, daß jemand ein Stück von ihm verlegt hat.
##.„Nachen Sie keine faulen Witze, Mainauer, und sorgen Sie lieber dafür, daß in Ihren Katakomben mehr Ordnung gehalten wird. Diese ewige Schlamperei co.“
„Herr Direktor, ich muß sehr bitten...“
„Also Schluß, ich habe setzt keine Zeit, mich um Makulatur zu bekümmern. Schreiben Sie diesem Rumpler, wir wünschten das Stück noch zu behalten und würden ihm demnächst Bescheid geben.“—
Am folgenden Voxmittag ging im Theater ein Rohrpostbrief folgenden Inhalts ein:„An die Direktion des Großen Theaters, Berlin SW. Ich bedauere lebhaft, mich nun auch nicht einen Tag mehr länger hinhalten lassen zu können, da ich das Manustript dringend gebrauche, um eine Abschrift davon anfertigen zu lassen. Künstlerische und matertelle Interessen stehen für mich auf dem Spiela. Ergebenst Rumpler.“
Pese e ee ee e ece phon:„Mainauerl! Wollen Sie, bitte, mal raufkommen.“
Der Gerufene erschien.„Mainauer, was machen wir mit diesem Unglücks=Rumpler! Der Mann besteht also darauf. sein Manuskript a tempo zurückzubekommen. Er muß es abschreiben lassen, behauptet er.“
„Noch mal abschreiben?“ wunderte sich Mainauer.„Dem Rumpler seine Stücke find doch so wie so alle schon abgeschrieben!“
„Sie sollen Ihre schlechten Witze sein lassen.“ knurrte der Direktor ärgerlich,„damit werden wir den Mann nicht los. Schicken Sie ihm doch meinetwegen irgend eim anderes Manuskript zurück, wir haben doch gerade genug herumliegen..“
„Er ist imstande und merkt's,“ erwiderte Mainauer zweifelnd und kratzte sich hinterm Ohr.
Rautenburg zappelte nervös mit beiden Beinen.„Also, dann schreiben Sie ihm meinetwegen, wir hätten jetzt ArchivInventur und das Manuskript sei augenblicklich nicht zu ermitteln. Sobald wir in Ordnung seien, könne er's bekommen.“——
Am Donnerstag darauf brachte ein Bote folgendes dringende Schreiben in die Direktion des Theaters:„Im höchsten Grade befremdet über die beispiellos lässige Art, mit der in Ihrer Kanzlei die Ihnen anvertrauten Werke ernster dichterischer Arbeit behandelt zu werden scheinen, ersuche ich Sie nochmals unverzüglich um das Manuskript meines Stückes, das ich gerade augenblicklich bei einer ersten Bühne anzubringen große Chance habe. Andernkalls würde ich noch heute durch meinen Rechtsvertreter die Schadenersatzklage in die Wege leiten. Eine Mitteilung an die Presse behalte ich mir vor. Ergebenst Rumpler.“
Roch am selben Abend bezahlte Fritz Rumpler den rückständigen Rest seiner Zimmermiete, packte seinen Rucksack und dampfte mit dem Nachtschnellzug nach München ab. Er hatte mittags einen Brief aus der Kanzlei des Großen Theaters erhalten, darin stand:
„Sehr geehrter Herr! Da wir augenblicklich zu unserem lekhaften Bedauern außerstande sind, Ihrem Wunsche zu entsprechen und Ihnen das Mannskript Ihres Schauspiels„Jenseits von Böse zuräckzugeben, das sich momentan nicht finden läßt, erlauben wir uns, Ihnen anbei 500 Mark als Vorschuß auf diese oder Ihre nächste dramatische Arbeit gu übersenden, womit wir den uns sehr peinlichen Zwischenfall wohl als erdigt betrachten dürfen. Wir empfehlen uns Ihnen hochachtungsvoll Dtrektion des Großen Theaters. J..: Mainauer.“
Die Quittung erhielt Direktor Rautercurg acht Tagstäter auf einer Ansichtskarte, dattert aus Partenkirchen,
Pfingstmontag 1907. Sie war von Fritz Idmspler unterschrieben; von seinen Freunden, den Alade#beschälern Obermayer und Windelmann gegengezeichnet und in einer Ecke hingekritzelt stand:„Vile Grüse und vileicht angaschterens mich im nächsten Jar für die Tihtelrolle von den neuen Siük! Ihre Gusti Wiedenhofer, Kanalstr. 77, 3. Stock.“
Der Direktor soll seitdem im Umgang mit umansgeführten Autoren vorsichtiger geworden sein.
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