Nr. 129. Tutsbarg a.

Tonnerstag, 4. Juni.

49. Jahrgang.

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Tiederrdenn.=Wbekisl, Fernddrach=Anschlutz Nr. 36.

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9 für den Stadt=Ausschuß Duisdur und für den Kreis=Ausschuß Mülheim a. d. Nuhr. Offizielles Organ der Westdeutschen Binnensch

Pros:

Reden jederget tehmta u

Pudlikations=Orgen für den Stadt=Ausschuß Duisdurg und für den Kreis=Ausschuß Mülhei

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Mittags=Ausgabe.

Gescht

* Berlin, 3. Juni.[Vom Hofe und aus der Gesellschaft.] Heute nachmittag fand in An­wesenheit der Kaiserin das Wettrennen des Berlin­Potsdamer Reitervereins auf Sperlingslust bei Neubabels­berg statt. Ihre Majestät überreichte dem Sieger im Rennen um den Kaiserpreis, Major v. Kramsta, persön­lich den Preis, bestehend in einer von dem Kaiser ge­stifteten silbernen Jardiniere. Den Ehrenpreis der Kaiserin, eine grün emaillierte Zigarrettendose errang Freiherr v. Dengern. Gegen 6 Uhr begab sich Ihre Majestät zum Souper nach der Pfaueninsel. Der Kaiser hatte im Laufe des Nachmittags mit mehreren Marine­offizieren eine Segelpartie auf der JachtRoyal Louise" unternommen und sich sodann ebenfalls nach der Pfauen­insel begeben. Der König und die Königin von Sachsen, welche Ende dieses Monats England besuchen wollten, haben, wie dasB.. meldet, die Reise auf­gegeben. Der König von Dänemark wird auf seiner Reise nach Wiesbaden demnächst die Berliner Ge­werbe=Ausstellung besuchen. Der Herrenmeister des Johanniter=Ordens, Prinz Albrecht, wird am 23 Juni im Johanniterschlosse zu Sonnenburg ein Kapitel des Johanniter=Ordens abhalten und am Johannistage, den 24. d. Mts. in der Johanniter­kirche daselbst eine Anzahl Ehrenritter durch Ritter­schlag und Investitur als Rechtsritter aufnehmen.

Der japanische Gesandte Vikomte Aoki geht nächstens auf mehrere Wochen nach Belgien, um die Handelsver­tragsverhandlungen mit Belgien zu führen. Fregatten­kapitän Uyhara ist zum Marineattaché bei der japani­schen Gesandtschaft ernannt. Vor kurzem ging bekannt­lich eine Meldung durch die Blätter, daß der frühere deutsche Gesandte in China, von Brandt, zum Ge­heimen Rat der chinesischen Regierung in Peking ernannt sei. Nunmehr behaupten Pariser und Londoner Blätter, diese Ernennung sei auf eine unüberwindliche Opposition seitens der französischen und russischen Diplomaten ge­stoßen und werde deshalb seitens des chinesischen Mini­steriums des Aeußern rückgängig gemacht werden. Alle diese Behauptungen sind vorläufig nicht kontrollierbar. Bezeichnend würde es aber sein, wenn gerade unsere Verbündeten in der ostasiatischen Frage der Ernennung des deutschen Staatsmannes Opposition machen sollten.

60 Berlin, 3. Juni.[Der Reichstag) hat heute über den Kommissionsentwurf eines Vereins­gesetzes, der aus der Beratung mehrerer Initiativ= anträge hervorgegangen ist, verhandelt. Der Fehler, den Regierungen ein ganzes Gesetz zu präsentieren, anstatt sich auf die dringende Forderung nach Beseitigung des Verbots der Verbindung politischer Vereine untereinander, dieser am härtesten empfundenen vereinsgesetzlichen Be­stimmung der größten Einzelstaaten, zu beschränken, wurde insofern wieder gut gemacht, als die meisten Redner vorerst mit der gedachten Verbesserung vorlieb nehmen zu wollen erklärten. Die Regierungen können jedenfalls aus der mit großer Mehrheit erfolgten nahme des Entwurfs nicht die Berechtigung für sich ab­leiten, deshalb, weil ihnen das Ganze unannehmbar er­scheint, zu gar nichts die Hand zu bieten. Der Abg. v. Bennigsen erklärte ausdrücklich, daß seine national­liberalen Freunde dem Entwurf zustimmen würden, ob­wohl sie in demselben Mängel fänden und seine Zurück­weisung durch die Regierungen befürchteten. Es handelt sich hier vor allen Dingen um eine energische Willens­kundgebung in Bezug auf die Beseitigung des Verbots der Verbindung der Vereine untereinander, und die Regierungen können nach dem Ausgang des Prozesses gegen die sozialdemokratische Organisation kein praktisches Bedürfnis zu der Beibehaltung der chikanösen, aber gerade gegen die Sozialdemokratie untauglichen Vor­schrift empfinden. Heute verhielt sich der Staatssekretär v. Bötticher allerdings auch in diesem Punkte sehr reserviert. Hoffentlich erfolgt aber bei der dritten Lesung eine befriedigende Zusage. Morgen gelangt das Börsen­gesetz zur Verhandlung.

* Posen, 2. Juni.[Erzbischof Dr. von Stablewski] soll, wie man aus Schrimm dem Posener Tageblatt schreibt, bei seiner jüngsten An­wesenheit daselbst auf dem in der Propstei ihm zu Ehren veranstalteten Festmahl, zu welchem auch die Vertreter der staatlichen Behörden, der Bezirkskommandeur, der

Landrat 2c. geladen waren, eine Tischrede gehalten haben, die viel besprochen wird. Nicht weil der Erz­bischof sich dabei der deutschen Sprache bedient hat das hat er selbst als einen durch die Anwesenheit der deutschen Beamten gebotenen Höflichkeitsakt bezeichnet: sondern weil Herr von Stablewski mit unverkenn­barer Absichtlichkeit dem Zusammengehen von Staat und katholischer Kirche das Wort redete und gegenseitige Rücksichtnahme befürwortete Der Erzbischof schlug die allerversöhnlichsten Töne an und zeigte nur eine leise Verstimmung über das starke Auf­gebot von Gendarmen, welches der Landrat in Rücksicht auf die bekannte berittene Eskorte des Kirchenfürsten für notwendig erachtet hatte. Der in W. im Kreise Jarotschin jungst vorgekommene Exzeß des Propstes., so bemerkt dazu dasPos. Tagebl., bietet gerade gegenwärtig dem Herrn Erzbischof Gelegenheit, seinerseits die Rücksicht­nahme auf das Staatsinteresse praktisch durch eine exem­plarische Bestrafung des Propstes zu bethätigen.

* München, 2. Juni.[Die Konversions­vorlage,s die der Finanzminister in der Kammer der Abgeordneten eingebracht hat, kann man nur dann richtig würdigen, wenn man bedenkt, daß infolge der zweijährigen Legislaturperioden in Bayern der Landtag in der Regel nur ein über das andere Jahr versammelt wird. Die gegenwärtige Session hat Ende September 1895 begonnen und wird Mitte Juni 1896 schließen. Wenn nicht un­vorhergesehene Fälle eintreten, beginnt die nächste Session erst wieder Ende September 1897. Es entsteht also für Bayern eine etwa jährige parlamentslose Zeit. Die Konversion ist an die Zustimmung der Kammern gebunden, und so ist es eine Vorsichtsmaßregel, wenn der Finanz­minister sich jetzt, nachdem der Landtag schon vor Monaten grundsätzlich die Konversion befürwortet hat, die gesetzliche Genehmigung erteilen läßt, diese wichtige Finanzmaßregel in einem Zeitpunkt vorzunehmen, den er dazu für geeignet hält. Der Anleihebetrag, der für eine Konversion in Frage kommen würde, beläuft sich auf mehr als eine Milliarde Schuldtitel, zum weitaus größten Teil Eisenbahn­Anleihen. Der Entwurf des Finanzministers sieht eine Konversion in% vor. Es ist mit dieser Vorlage nun keineswegs gesagt, daß die Konvertierung bis zum 1. Oktober 1897, also vor Beginn der nächsten Kammer­session, erfolgen müßte. Der Finanzminister will eben nur freie Hand für alle Eventualitäten haben. Man wird sich erinnern, daß bei der letzten Juterpellation im Reichs­

schloß, über diese Verhältnisse eine Spezialerhebung ein­zuleiten und die Angelegenheit ernsthaft zu verfolgen.

Resechech

X Paris, 3. Juni.[Marquis Dufferin] hielt gestern bei einem Bankett der britischen Handelskammer eine Rede, in welcher er erklärte, er verlasse mit Bedauern Paris, das er nach jeder Rich­tung rühmen müsse; den französischen Staatsmännern, mit denen er in Verbindung gestanden habe, bewahre er Dankbarkeit. Bei Erörterung der politischen Fragen führte Dufferin aus, ganz Europa sei gegenwärtig nur ein ständiges Feldlager von mehreren Millionen Bewaff­neter und die Häfen seien angefüllt mit Panzerschiffen. England, welches sich in einem Falle rechtmäßiger Verteidigung befinde, habe seine Flotte seinerseits in bescheidener Weise vermehren müssen. Selbst in dem äußersten Osten habe sich die Leidenschaft für die Aus­dehnung der Militärmacht in unerwarteter Weise ent­wickelt. Der Erdball gleiche nur noch einem Nerven­bündel: der geringste Zwischenfall könne einen allgemeinen Krieg herbeiführen. Die Aufgabe der Diplomaten sei, dies zu verhindern. Dufferin schloß mit Ausdrücken der Hoffnung, daß noch auf lange Zeit hinaus weiter gute Beziehungen zwischen Frankreich und England herrschen werden.

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illkür

tage über die Konvertierungsfrage der Reichsschatzsekretär die Erklärung abgab, diese Maßnahme werde im Reiche nicht in Angriff genommen werden, ohne daß die Einzel­staaten sich darüber verständigt hätten. Im preußischen Abgeordnetenhause hatte kurz vorher der Finanzminister sich außer Stande erklärt, einen Zeitpunkt für die Konversion anzugeben, da außer den finanziellen auch die wichtigsten sozialen Momente hier mitsprächen. Man weiß, daß namentlich der Reichskanzler den letzteren ein großes Gewicht beimißt.

Oesterreich=Ungarn.

* Wien, 3. Juni.[Das Abgeordneten­haus] nahm das ganze Patentgesetz mit einigen unwesentlichen Abänderungen in zweiter Lesung an. Ministerpräsident Graf Badeni beantwortete sodann eine Interpeklation der Abgeordneten Exner und Ge­nossen wegen der Wahlen im Wiener Ge­meinderat und hob hervor, die Regierung wahre die Stautsgrundsätze und sei entschlossen, deren Beachtung und Einhaltung zu überwachen. Was jedoch den in der Interpellation berührten Fall betreffe, so liege für die Regierung, so sehr auch der Vorgang zu bedauern sei, kein Anlaß zu einer Ingerenz vor, da es sich um eine freie Ausübung des Stimmrechts innerhalb einer auto­nomen Körperschaft handle. Der Ministerpräsident be­antwortete ferner eine Interpellation betreffend die In­validitäts= und Altersversorgung der Privatbeamten sowie ihrer Witwen= und Waisen. Die Regierung, sagte der Ministerpräsident, widme dieser Frage ihre Aufmerksamkeit und sei zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine Zwangsversicherung unter Beitragsleistung des Dienstgebers und der Bedien­steten jedoch mit Ausschluß eines staatlichen Zuschusses oder einer Garantieleistung von weitgehendstem sozial­politischem Nutzen wäre. An die gesetzgeberischen Ar­beiten könnte jedoch eist geschritten werden, wenn die einschlägigen Verhältnisse klargelegt und die zweckdien­lichen Daten herbeigeschafft seien. Die Regierung be­

W

Verhandlungen des deutschen Reichstags.

: 96. Sitzung.

* Berlin, 3. Juni.

Der Tisch des Bundesrats ist ansangs leer, später von Bötticher.

Präsident Freiherr von Buol eröffnet die Sitzung um Uhr 20 Min.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des von den Abg. Auer(Sozialdem.) und Genossen eingebrachten Ge­setzentwurfs über das Recht der Versammlung und Ver­einigung und das Recht der Koalition, verbunden mit der zweiten Beratung eines von den Abg. Aucker(freis. Vp.) und Genossen eingebrachten gleichnamigen Gesetzentwurfs.

Abg. Rickert(freis. Bg.): Es handelt sich hier um ein Gesetz, um Zuständen abzuhelfen, die in Wahrheit unerträglich sind. Leider ist der Bundesratstisch heute noch leerer, als bei der ersten Lesung der Anträge Auer und Ancker. Denn heute ist niemand am Bundesratstisch, während damals wenigstens Herr v. Bötticher zugegen war und uns versicherte, wenn wir etwas Gutes schüfen, würden die Regierungen nicht Nein sagen. Eine direktere Aufforderung, ein Vereins= und Versammlungs­richt zu schaffen, war gar nicht möglich; wir haben es deshalb auch in der Kommission abgelehnt, nur ein Notgesetz Ihnen vorzulegen. Schon vor weit über 20 Jahren lehnte der Reichs­tag ein ihm von seiner Kommission vorgeschlagenes Gesetz nur deshalb ab, weil die Vertreter der verbündeten Regierungen erklärten, schon in der nächsten Session würden sie mit einer eigenen Vorlage kommen. Und heute, wo ein solches Gesetz noch viel dringender ist als vor 20 Jahren, müssen wir noch immer darauf warten. Denken Sie an den Prozeß gegen die sozialdemokratische Parteiorganisation! Auf alle Einsichtigen hat derselbe einen geradezu niederschlagenden Eindruck gemacht. Wir werden ja jetzt abwarten, od der Herr Staatsanwalt nun auch gegen alle anderen Parteiorganisationen vorgehen wird und auch gegen sonstige Vereine, welche dem bestehenden Gesetze zuwidermiteinander in Verbindung getreten sind zu poli­tischen Zwecken. Auf jeden Foll aber müssen wir hier jetzt vorgehen und wir können es der Kommission nur Dank wissen, daß sie nicht einsach die Anträge Auer und Ancker abgelehnt, sondern uns einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Jedes Mittel, das zum Ziele führt, muß uns jetzt recht sein.(Staatsminister v. Bötticher erscheint und verbeugt sich gegen den Redner. Große Heiterkeit) Redner konstatiert, daß der Prozeß gegen die Sozialdemokratie der Regierung nichts genützt habe und daß derselben nichts übrig bleiben werde, als alle anderen Parteien jetzt ebenso anzufassen. An die Regierung müsse auf jeden Fall, wenn sie den vorliegenden Gesetzentwurf nicht an­nehme, der Appell gerichtet werden, endlich ihre Zusage von vor über 20 Jahren einzulösen.

Staatssekretär v. Bötticher: Herr Rickert weiß, daß die verbündeten Regierungen zu Initiativanträgen immer erst dann Stellung nehmen, wenn Beschlüsse dieses Hauses in zweiter Lesung vorliegen. Hiervon in diesem Falle abzuweichen, liegt kein Anlaß vor. Ich hin daher auch nicht in der Lage, zu sagen, ob die verbündeten Regierungen einen Gesetzentwurf, wie er hier vorliegt, wenigstens insoweit zu acceptieren geneigt wären, als er den§ 8 des preußischen Vereinsgesetzes, das Verbot der in Verbindung tretenden politischen Vereine, auf­hebt. Ich bin um so weniger in der Lage, darüber Auskunft zu geben, als sich die verbündeten Regierungen seit 1894 nicht mit dem Vereinsrecht befaßt haben. Damals waren sämtliche deutsche Regierungen der Meinung, daß es sich nicht empfehle, diesen Weg zu betreten. Sie hielten ihre eigenen gesetzlichen Bestimmungen für vollständig ausreichend und wünschten nicht, daran zu rütteln. Wenn der Reichstag irgend welche Beschlüsse

in dieser Frage gethan haben wird, dann werden selbstver­ständlich die Regierungen dazu Stellung nehmen und ich werde dann auch in der Lage sein, dem Abgeordneten Rickert zu sagen, wie sie darüber denken. Bei dem Prozeß gegen die sozial­demokratischen Wahlvereine handelt es sich um eine Maßregel der preußischen Regierung; als Staatssekretär des Innern habe ich sie nicht zu rechtfertigen. Außerdem schwedt ja dieser Prozeß noch; warten wir doch zunächst die Entscheidung der letzten Instanz ab: endlich beklagte sich Herr Rickert darüber, daß die Kommission ohne Vertretung der verbündeten Regie­rungen verhandelt habe. Wenn Sie die Güte gehabt dätte, uns einzuladen, so hätte ich selbstverständlich auch einen Kom­missarius entsandt. Da dies nicht geschehen ist, so habe ich angenommen, daß die Herren unter sich sein wollten, und darin wollte ich sie nicht stören.(Große Heiterkeit.)

Abg. Lenzmann(freis. Volksp.): Die Regierungen sind wohl ausgefordert, sich an den Kommissionsberatungen zu be­teiligen, aber sie haben es, ebenso wie die Konservativen, vor­gezogen, nicht zu erscheinen. Daß die Regierungen mit dem bestehenden Zustande zufrieden sind, glauben wir wohl. Aber das Volk ist nicht zufrieden! Die Regierungen haben eben nicht den guten Willen, es handelt sich hier um eine böswillige Nichterfüllung der Verfassung.(Bewegung.) Wenn ich auch den Antrag Ancker für das Bessere halte, so billige ich doch auch den Standpunkt Rickerts, der nöthigensalls mit Beseitigung des§ 8 des preußischen Vereinsgesetzes vorlieb nehmen will. Es ist ja richtig, daß der Prozeß noch schwebt, aber vollzogen ist bereits der gewaltsame Eingriff Köllers in die Organisation der sozialdemokratischen Partei. Wir haben das verfassungs mäßige Recht, uns gegen die Brutalitäten und Polizeiwillkü in den Einzelstaaten zu schützen, in Preußen, Bayern und wie die Völkerschaften sonst heißen, die Reichsregierung muß uns hier darüber Rede und Antwort stehen. Wir sind hier das Gewissen der verbündeten Regierungen.

Präsident von Buol erklärt die Wendung des Vorred­ners: böswillige Nichterfüllung der Verfassung seitens der Re­gierungen für parlamentarisch unzulässig.

Staatssekretär v. Bötticher: Es ist mir niemals ein­gefallen, die Legitimation des Reichstags zu bestreiten, sich mit der vorliegenden Materie zu beschäftigen. Eine solche Be­hauptung wäre, wenn ich sie aufgestellt hätte, geradezu sinulos gegenüber der Vorschrift der Versassung, wonach das Vereins­und Versammlungsrecht zu denjenigen Gegenständen gehört, deren sich die Reichsgesetzgebung annehmen kann. Ich habe auch nicht gesagt, daß der in Preußen gegen die sozialdemo­kratischen Vereine eingeleitete Prozeß die Reichsverwaltung ab­solut nichts angehe, sondern habe nur gesagt, daß dieser Prozeßz in Preußen schwebe, daß er noch schwebe und daß die Regie­rungen keine Veranlassung gehabt hätten, bisher an der Hand dieses Prozesses sich mit der Materie zu beschäftigen; sollten etwa preußische Behörden Reichsgesetze verletzt haben, so wird die Reichsverwaltung dafür sorgen, daß den Reichsgesetzen Achtung verschafft wird. Herr Lenzmann meint, daß alle im Artikel 4 aufgeführten Materien von seiten des Bundesrats der Reichsgesetzgebung unterworsen werden müsse, während wir den Artikel so auslegen, daß die in demselben ausgeführten Materien der gesetzlichen Regelung unterworsen werden können. Diese Auffassung wird von den Rechtslehrern Laband, Schul; und auch von dem Herrn Lenzmann politisch nahestehenden Herrn Gebeimrat Haenel geteilt. Es hänge von dem freien Ermessen der Reichsgewalt ab, ob und wann sie von der Ge­setzgebungsbefugnis Gebrauch machen wolle. Wendeten wir uns mit einem Gesetzentwurf an die einzelnen Regierungen und diese blieben bei ihrer früher vertretenen Meinung, so kämen wir keinen Schritt vorwärts. Stellen Sie einen Gesetz­entwurf her, der den verbündeten Regierungen brauchbar er­scheint, so werden sie ihn annehmen, wenn er aber diese Desi­derien nicht erfüllt, so muß es der freien Entschließung des Bundesrats überlassen bleiben, ob er einem solchen Entwurf seine Zustimmung erteilt. Die freie Entschließung des Reichs­tages wollen die verbündeten Regierunger nicht einschränken.

Abg. Auer(Soziald.): Der Prozeß gegen die sozial­demokratische Parteiorganisation hat lediglich die Angst vor der Sozialdemokratie zur Ursache gehabt. Die Konservativen haben nicht einmal an den Beratungen der Kommission teil­genommen, natürlich, denn ihnen ist dasjenige Vereinsrecht das liebste, in dem es einfach heißt: Jeder Deutsche aus guter Familie, der ein Einkommen von wenigstens 10.000 Mark hat, hat das Recht, sich zu versammeln und zu vereinigen.(Heiter­keit.) Redner erklärt, seine Freunde acceptierten den Entwurf der Kommission, der jedenfalls einen Fortschritt gegenüber dem bestehenden Rechtszustande bedeute. Unleidlich sei vor allem § 8 des preußischen Vereinsgesetzes. Habe derselbe doch sogar in Hildesheim, unter Zustimmung des hannoverschen Ober­präsidenten, Anwendung auf einen wissenschaftlichen Verein ge­funden.

Abg. von Benniasen(nationallib.): Auch ich halte es mit dem Vorredner für wünschenswert, daß wir ein Vereins­und Versammlungsgesetz für ganz Deutschland bekommen. Es ist ein politisch berechtigter Wunsch und die Versassung gibt dazu auch die Möglichkeit. Die Herren wissen aber selbst, daß auf diesem Gebiete die größten Schwierigkeiten vorhanden sind wegen der weit auseinander gehenden Forderungen und An­sprüche der verschiedenen politischen Parteien. Vorläufig möchte ich nicht annehmen, daß die verbündeten Regierungen den 86 3 und 8 der Kommissionsvorschläge zustimmen werden, und ohne

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40)

8 In der Brandung.

Roman von Emmy von Borgstede. Weinen konnte Adrienne nicht. aber schwerer und schwerer sank der Gedanke auf ihr Herz, daß sie kämpfen müsse um den geliebten Mann mit der eigenen Mutter.

Sie hörte nicht, daß Frau Rätin Allweiler in das Gemach trat und sie eine geraume Weile schon beobachtete; ordentlich erschreckt fuhr sie zusammen, als die Dame den Arm um ihre Schulter legte und liebreich frug:

Schon wieder so ernst, mein liebes Kind? Wenn das Fromm sähe?

Gewiß es ist unrecht von mir. stammelte das Mädchen, sah aber aus, als wollte es sagen: Du weißt ja nicht, was mir geschah! Mein Herz thut mir weh!

Wollen Sie mir nachher ein wenig Gesellschaft leisten? fuhr die Rätin liebenswürdig fortich fühle mich heute

recht allein. 1 24-4 8.

Adrienne küßte stumm ihre Hand und erhob sich.

Ich werde kommen, meine teure gnädige Frau, damit ging sie schnell hinaus.

Im traulichen Wohnzimmer der Rätin Allweiler saß Doktor Winnefeis hehaglich im altmodischen Lehnstuhl, das Haupt an die Polster gelehnt und lauschte auf die leisen Worte

der Dame 1. uu 14.a berarst:

Wenn sie geweint hätte, würde ich weniger beunruhigt sein, sagte sie edenaber stumm und gedrochen saß sie da und ihr liebes Gesichtchen sah unbeschreiblich kummervoll aus: da meine ich, lieber Doktor, Sie sollten der Sache einmal auf den Grund gehen.

Und Sie haben die Dame nicht gesehen? Leider nein, und Minna kannte sie nicht. Uebrigens war die Unterhaltung sehr laut und dann hörte ich deutlich das Klirren von Goldstücken.

Herbert versank in Sinnen und blickte erst empor, als Adriennes Stimme ihm einenGuten Abend bot.

Ah, guten Adend, Adrienne er nickte ihr freundlich zu, mit einem schnellen Blick in ihr blasses Gesichtchenzu Ihnen komme ich heute abend. Ich habe nämlich eine Bitte an Sie, wollen Sie mir dieselbe erfüllen!

O, gern wenn ich kann!

Gewiß können Sie es, Adrienne er legte seine seinen schmalen Hände zusammen und betrachtete seine Nägel

denken Sie nur, ich bin in augenblicklicher Verlegenheit um einige hundert Mark, und da möchte ich Sie um das Leihen dieser Summe bitten

Mich o Gott, und Fräulein von Hagenow stieß einen zitternden Seufzer aus.

Sie werden mir diesen Dienst erweisen, nicht wahr? In Verlegenheiten sollen Sie nicht kommen, es ist nur auf ganz kurze Zeit. Sie haben sich ja stets beklagt, daß ich immer der gebende Teil sei.

Ja, das habe ich Adrienne warf einen hilfeflehenden Blick auf Frau Allweilers freundliches Antlitz.und doch kann ich Ihren gerechten Wunsch heute nicht erfüllen.

Das heißt, Sie wollen nicht, sagte er mit gemachter Heftigkeitweshalb bekennen Sie es nicht gleich, anstatt mich täuschen zu wollen! Irgend ein kleinliches Bedenken hält Sie ab, mir das Geld zu leihen.

Sie verkennen mich ihre Stimme zitterte vor verhal­tenen Thränenes ist mir unsäglich schmerzlich.

Weshalb denn fuhr er in demselben herben Ton fort können Sie meine erste Bitte nicht erfüllen?

Ich habe das Geld nicht! es klang ganz leise. Unmöglich, Adrienne! Ich weiß ganz genau, welchen Kaufpreis Sie erhielten, welche Summe Sie Anna übersandten, folglich müssen Sie bei Ihrem einfachen Leben noch im Besitz von Geldmitteln sein.

Ich o, haben Sie Mitleid, glauben Sie mir, flehte Adrienne, ihn schüchtern anblickend,nur dies eine Mal, Herr Doktor. Ich habe es verdient, daß Sie an kindischen Eigensinn denken, aber heute, heute zwingt mich die Notwendigkeit zu

einem Zein. 8

Und wo ließen Sie das Geld! fragte da Herbert Winne­fels unendlich milde, seine klaren blauen Augen voll auf das geängstigte Mädchen heftendsagen Sie mir die Wahrheit, Adrienne!

Noch einen Augenblick zögerte Fräulein von Hagenow,

dann antwortete sie leise:

Lügen will ich nicht! Ich gab das Geld meiner Mutter!

Und wie kam das! Doktor Winnesels richtete sich in heftiger Bewegung empor. Sie haben sich doch nicht ver­leiten lassen, diese Frau aufzusuchen!

Sie kam zu mir.

So hätten Sie ihren Wünschen ein ganz entschiedenes Nein entgegensetzen müssen, Adrienne, dieses Geld erhalten

wenn die Welt die Tänzerin Berg richtig be­

es e onre urteilt

Ich weiß!

Wie namenlos unvorsichtig also das kommt, weil Sie jeden wohlgemeinten Rat verschmähen. Frau Allweiler würde Ihnen denselben gern erteilt haben.

Für mich war kein Ausweg. keine Ueberlegung möglich, Herr Doktor, mir blieb keine Wahl. Ich mußte meiner Mutter das Geld geben.

über warumd

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Adrienne! er neigte sich ihr entgegen, seine Augen ruhten sorschend auf ihrem müden Antlitzich bitte Sie, sagen Sie mir den Grund!:

Nein, nein Ihnen nicht! O. ich kann, ich kann nicht! Die Schmach würde mich töten, stieß das Mädchen heftig in schmerzvollster Erregung hervor o, warum ist Onkel Bern­hard gegangen und hat mich verlassen!

Setzen Sie getrost hinzu, hat mich ohne Freund zurück­gelassen, fügte er schnell hinzu,denn das meinen Sie doch.

Sie sind hart und gerecht, und Adrienne senkte das Haupt wie schuldbewußt, da sogte Frau Rätin Allweiler plötz­lich freundlich:

Lassen Sie mich einmal plauderhaft sein, Herr Doktor, ich habe in der Nebenstube einen Teil der Unterredung Fräulein von Hagenows mit ihrer Besucherin gehört. Frau Berg sprach die Absicht aus, Sie um die ihr fehlende Summe

zu bitten.. 8##, Mcest

Mich! Ach so und da gaben Sie Ihre ganze Barschaft hin! Und dann setzte er plötlich sehr ernst, fast traurig hinzu:Dann kennen Sie die ganze Geschichte des Schiffbruchs und Ihrer Rettung, Adrienne, dann hat Bras Hilgers ge­plaudert trotz meinem Verbot?

Ja, als ich undankbar und grausam gegen Ihre Worte murrte, damals in Süderland, saate er mir alles, alles, mir zu beweisen, wie schlecht und kleindenkend ich war.

Er hätte es nicht thun dürfen, trotzdem. und Herbert kützte, in trübe Erinnerungen verloren, das Haupt in die Hand.Aber Sie hätten diese Frau kommen lassen sollen,

Machen Sie Fräulein von Hagenow keine Vorwürfe, Sie sieht ohnehin traurig geuug aus, lieber Doktor, geben Sie ihr die Hand zum Zeichen, daß Sie nicht nachtragen

Mit großen, flehenden Augen sah Adrienne in das ernste,

milde Gesicht vor ihr, und plötzlich streckte Herbert Winnesels seine Rechte aus und bot sie ihr dar.

Eine rosige Glut stieg dem Mädchen ins Angesicht, dann umsing sie mit ihren beiden Händen die seine und plötzlich brannten ihre weichen Lippen in heißem Kuß auf derselben.

Vergebung o Vergebung! sagte sie leise. Er zog seine Finger schnell zurück.

Nicht doch, kam es dann von seinen Lippen ich habe nichts mehr zu verzeihen, Adrienne. Eins ader versprechen Sie mir fest, dieser Frau unter keiner Bedingung jemals wieder einen Dienst zu leisten.

Ich verspreche es!

Uterrichten Sie, bitte, Ihre Leute, liebe Frau Rätin, daß Fräulein von Hagenow für Frau Berg nicht wieder zu sprechen ist. Die näheren Umstände erzählt Adrienne oder ich Ihnen ein anderes Mal.

Kommerzienrat Gerstberg gab sein letztes Fest, die Jahres­zeit war schon ziemlich weit vorgerückt, aber trotdem war die ganze vornehme Gesellschaft vollzählig erschienen.

Valerie lief Adrienne freudestrahlend entgegen und sogte

stüsternd:. T unt C. Sa#nn ars 9

Denken Sie doch nur, wir werden die schöne Berg bei uns sehen, noch in letzter Stunde hat sie zugesagt. Ich bin ganz entzückt darüber. Ah, da kommt sie schon, und das

Mädchen eilte der Eintretenden entgegen und empfing sie mit Zuvorkommenheit.

Adrienne war unter dem Vorhang stehen geblieben, ihre Blicke hefteten sich auf das schöne Weib, welches in ihrer kost­baren Kleidung mit den herrlichen Perlenschnüren um den blendenden, tief enthüllten Nacken berückend, unwiderstehlich war, dessen silberhelles Lachen deutlich zu ihr herübertönte.

Einen Augenblick dachte Adrienne an Flucht. Würde sie die Qual ertragen, bei jedem Wort dieser Frau zittern zu müssen, würde sie es auf sich zu nehmen vermögen, wenn Herbert Winnefels ihr Auge in Auge gegenüber stand

Gegen Selma Bergs Zauber war Valerie völlig ungefähr­lich, das reiche, anmutige, kluge Mädchen war im Bergleich mit dieser Tänzerin ein Aschenbrödel. Trotzdem diese Frau die Blüte der Jugend überschritten hatte, schmückte ihre Wangen noch die santne milchweiße Haut der eben erwachsenen Jungfrau. Freilich ahnte Adrienne nicht, daß ein großer Teil dieser Reize mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit erborgt; 4 war, sie nahm alles für Natur, was doch vollendete Kunst war.k 0 15 Ueberall begegnete sie Ausrusen der Bewunderung über