Nro. 55.— Duisburg.
Freitag, den 6. März 1874.
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Der zweite elsässische Antrag im Reichstag.
Am 3. März stand im Reichstage der zweite Antrag der Elsässer Abgeordneten zur Verhandlung, der in Form eines Gesetzentwurfs die Aufhebung des§ 10 des Gesetzes vom 30. Dez. 1871, welches die Verwaltung Elsaß=Lothringens regelt, anstrebte. Die Diskussion hat in ihrem Verlauf manche erhedliche und durchaus nicht unwillkommene Seiten dargeboten. Erstens thun die Beschwerden, welche die Elsasser Abgeordneten vorbrachten, dar, in wie vorsichtiger und milder Weise die Verwaltung des Reichslandes geführt wird. Alles zusammengenommen sind auf Grund jenes Gesetzes zwei Ausweisungen ergangen, von denen die eine von allen Seiten unbedingt als gerechtfertigt anerkannt wird. Die Ausweisung des Generalvikars Rapp mag möglicherweise Anfechtungen unterworfen sein; es hängt dies von dem Thatbestande ab, der nicht genügend aufgeklärt ist; namen tlich fihlt eine Erkenntniß von dem Maße, in welchem Generalvikar Rapp systematisch gegen die Gesetze sich aufgelehnt und den gegen dieselben Handelnden Hulse geleistet hat. Wir geben also zu, daß dieser Fall als ein streitiger betrachtet werden kann; im Großen und Ganzen wird man aber zugestehen müssen, daß, wenn im Laufe des letzten Jahres kein weiterer Fall dieser Art dargethan ist, und wenn während der drei Jahre der deutschen Verwaltung überhaupt nur ein einziger Fall dargethan werden konnte, man wohl sagen kann: soweit Personen in Betracht kommen, kann von einem Mißbrauch der außerordentlichen Befugnisse, welche das Gesetz vom 3. März 1871 dem Oberpräsidenten von Elsaß Lothringen überträgt, keine Rede sein.— Die Ausweisung und Fernhaltung derjenigen Elsaß=Lothringer, die für Frankreich optirt haben, ist zwar von den elsässischen Rednern in die Debatte gezogen worden, gehört aber gar nicht Lierher; es ist eine Frage der hohen Politik, ob man Tausende von Ausländern in einem eben erst eroberten Lande wohnen lassen darf.— Zweitens, die Beschwerde, daß der Oberpräsiden von Elsaß=Lothringen seine Besugnisse der Presse gegenüber tendenziös zur Anwendung bringen kann, hängt nicht unmittelbar mit dem angesochtenen§ 10, der als Boden der„Diktatur“ bezeichnet wird, zusammen, sondern es ist diese Frage an sich beurtheilen. Die französischen Gesetze geben der Verwaltung der Presse gegenüber einen viel weiteren Spielraum, als die deutsche Preßgesetzgebung; die deutsche Regierung hat diese Befugniß vorgefunden und es ist gewiß nicht zu erwarten, daß sie bei der jetzigen Lage Elsaß=Lothringens dieselbe ausgeben soll; vielmehr wird sie davon noch für einige Zeit den Gebrauch machen, welchen die französische Regierung selbst unter gewöhnlichen Umständen davon macht. Die ganze Lage der Dinge in dem Reichslande muß bei der Erwägung, ob und wann die Presse dort nach denselben Gesetzen wie im übrigen Reiche zu behandeln ist, in Betracht gezogen werden; der gegenwartige Zustand der Aufregung kann gewiß nicht als der normale gelten, wo ohne Weiteres den Elsaß=Lothringern eine Freiheit zu beliebigem Gebrauche eingeräumt werden könnte, die sie früher unter Frankreich nicht gehabt haben, und, wenn sie bei Frankreich geblieben wären, heute sobald zu erlangen wohl keine Aussicht hätten.
Der Antragsteller hat seine Schlußrede ausdrücklich damit eingeleitet, daß, da man Thatsachen von ihm gefordert habe, er diese geben wolle; er gestand damit zu, daß seine erste Rede nur prinzspielle Beschwerden enthalten habe. Die angeblichen„Thatsachen“, welche Herr Abbe Gerber vorbrachte, hingen nun aber gar nicht zusammen mit den Diktatur=Paragraphen, sondern bezogen sich auf die Gemeinde=Verwaltung und außerdem waren es Beschwerden von der Art, wie sie in kleinen Städten der Gegenstand des Thee= und Kaffeegesprächs bilden, und dort in den Honoratioren=Kreisen Aufsehen machen, in der Regel aber einen recht spießbürgerlichen Hintergrund haben. Eine halbe Stunde lang hatte Herr Gerber solche Kleinigkeiten erzählt und seine eigenen Freunde, insbesondere die Ultramontanen, dadurch recht genirt, als der Präsident den Redner leider unterbrechen mußte; es wäre im Interesse der Sache gewesen, wenn der Präsident diese Erzählungen ohne Unterbrechung noch eine Stunde lang hätte fortführen lassen; man würde dann noch besser begriffen haben, was es mit den Klagen über die Diktatur auf sich hat, wenn ein Redner, zur Beibringung von Thatsachen aufgesordert, nur sosche Thatsachen vorbringen kann. Mehr noch hat nach der negativen Seite hin der andere elsässische Redner, Pfarrer Winterer den Eindruck der Verhandlungen verstärkt; er hob als Beschwerdepunkt die Eingrisse des Staates in des Schulwesen heraus; er fand sich dadurch beschwert, daß die Geistlichen nicht mehr wie früher freie Hand in der Schule haben. Wir geben zu, daß vom ultramontanen Standpunkte aus die Verschärsung der Staatsaussicht über die Schule als eine Verschlechterung der französischen Zustände gelten kann; aber in Deutschland halten wir für die größte Wohlthat und begrüßen mit Freuden jeden Schritt, welchen der Staat thut, um die Gewalt über die Schule an sich zurückzunehmen. In Deutschland wird eine Haltung, welche zu solchen Beschwerden Anlaß gibt, der deutschen Regierung in ElsaßLothringen vielmehr zu besonderem Verdienst angeregnet werden, und ein Blick auf Frankreich lehrt, daß auch dort die Bewegung für die Staatsschule von den besten Männern ausgenommen worden ist und nur unterbrochen wurde durch die wüste Reaktion der Ultramontanen.
Nach diesem Verlaufe der Verhandlungen konnte es gar nicht zweiselhaft sein, wohin die Mehrheit des Reichstages und insbesondere die liberale Partei sich wenden mußte. Selbstverständlich war von vornherein, daß, wenn die Regierung erklärte, daß sie ohne die außerordentlichen Befugnisse des§ 10 das Reichsland nicht zu regieren vermöge, diese Befugnisse ihr nicht entzogen werden konnten. Ueberdies würde ein einsertiger Beschluß des Reichstages, welcher die Aufhebung des§ 10 aussprach, nur den Eindruck einer Demonstration gemacht haben, da die Regierung nach ihrer Erklärung demselben keine Folge hätte geben können. Man würde in Elsaß=Lothringen gesagt haben: Der Reichstag hat uns Recht und der Regierung Unrecht gegeben; er ist aber zu schwach, eine Einwirkung auf die Regierung auszuüben. Dieser politische Gesichtspunkt mußte maßgebend sein. Vom Standpunkte der Kontrolle über die öffentliche Verwaltung würde es die liberale Partei besonders inter ssirt haben, wenn nachgewiesen worden wäre, daß mit der außerordentlichen Vollmacht des§ 10 Mißbrauch getrieben worden sei; nun aber ist durch die Verhandlungen das gerade Gegentheil erwiesen worden, so daß die Regierung eher zu loben ist für die Enthaltsamkeit, die sie ausüvt im Besitze einer solchen Vollmacht, als daß ihr auf den Wunsch ihrer Gegner ein Tadel auszusprechen wäre, soweit es über die Ausübung der Vollmacht ein Urtheil abzugeben gilt. Es konnte bei dieser Sachlage dem Gesetze selbst nur entgegen estellt werden, daß die Regierung anderweitig mit dem Rechte, den Belagerungszustand nach der Vorschrift der deutschen Verfassung zu erklären, auskommen konnte; aber es liegt klar auf der Hand, daß die Erklärung des Belagerungszustandes auch nur in einem Theile des Reichs ein viel schlimmerer Schritt ist, als das, was§ 10 des Gesetzes vom 30. Dezember 1874 der Regierung in die Hand gibt, der sicherlich die mildeste Form der Abwehr außerordentlicher Zustände darstellt, indem er eine außerordentliche Vollmacht in die Hand der Zivilbehörde legt, die in Betreff der Anwendung derselben unter der Verantwortlichkeit der ordentlichen Regierung steht.
Noch ist bemerkenswerth, daß für die Aufhebung des§. 10 außer den Elsaß=Lothringern unbedingt nur die Ultramontanen, Polen und Sozialdemokraten stimmten, während derjenige größere Theil der Fortschrittspartei, der am Schlusse dem Antrag Gerber beitrat, vorher förmlich hatte erklären lassen, daß er dieses thue, weil er noch nicht genügend davon überzeugt sei, daß die Regierung außerordentliche Befugnisse gebrauche. Freilich wäre nach dieser Verhandlung zu erwarten gewesen, daß auch dieser Theil der Fortschrittspartei selbst im Fall: des Zweifels bei Abwesenheit eines jeden Mißbrauchs und bei einer anerkannten richtigen Handhabung für die Aufrechterhaltung des§. 10 stimmen würde, und das Votum dieses größeren Theiles der Fortschrittspartei bleibt daher unter allen Umständen zu bedauern; aber andererseits ist es doch wieder erfreulich, daß der Eindruck der Verhandlungen einen immerhin erheblichen Theil der Fortschrittspartei bestimmt hat, sich gegen den Antrag Gerber auszusprechen und daß die andern reichsfreundlichen Parteien mit völliger Einstimmigkeit den Antrag Gerber abgelehnt und demgemäß der Regierung das Vertrauen ausgedrückt haben, welches die bisherige Handhabung des Gesetzes über die Verwaltung von Elsaß=Lotbringen verdient. Das Ergebniß der Verhandlungen wird deshalb von erheblicher Wichtigkeit für Alle sein, welche dasselbe unparteiisch zu beurtheilen geeignet sind.
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Politische Tages=Uebersicht.
Duisburg, 6. März.
Die Zeitungen beschäftigten sich jetzt naturgemäß sehr viel mit den Verhandlungen in den Kommis.ionen; die Berichte aus denselben müssen alle entweder zu allgemein oder zu einseitig ausfallen, da die diskreten Mitg ieder des Reichstages sich bei ihren Berichten überhaupt die Verpflichtung auferlegen, ihre Darstellung so knapp und allgemein wie möglich zu halten; während andere Mitglieder einen völlig einseitigen Standpunkt in ihre Berichte hineintragen, indem sie die Verhandlungen wiedergeben, wie sie ihnen nach ihrem persönlichen Verständniß oder aber nach der Auffassung, welche ihre Partei als die korrekte vorschreibt, erscheinen. Das ist der beklagenswerthe Erfolg der halben Oeffentlichkeit, welche nicht verhindert, daß Berichte über die Kommissionsverhandlungen veröffentlicht werden, aber andererseits auch nicht die Garantie gibt, daß objektiv berichtet wird. Aus diesen Gründen halten wir derartige Kommissionsberichte nicht für geeignet, einer objektiven Kritik unterworfen zu werden. Insbesondere irreführend könnte eine solche werden, mit Rücksicht auf die Militärfrage, wo, wie es scheint, man sich auf Grund gefärbter Kommissionsberichte vielfach mit der Frage: ob Conflikt oder nicht Conflikt, beschäftigt, während in Wahrheit es gerade auf eine sehr genaue Kenntniß und Erörterung der Thatsachen ankommt, wie diese in der Kommission von beiden Seiten mit der erwünschten Ruhe geführt wird. Wir enthalten uns, vor dem Schlusse dieser thatsächlichen Erörterungen und dem wirklichen Hervortreten der entgegengesetzten Meinungen eine Kritik an die Berichte anzulegen; wir werden später sachgemäß die Differenzen, soweit solche etwa vorhanden sind, auf Grund des thatsächlichen Materials und in der Absicht, zur besten Ordnung dieser Angelegenheit beizutragen, darlegen.
Der nationalliberalen Fraktion sind neuerduss noch die fachlichen Abgerscten Kotz(tnncherat und
Pfeiffer beigetreten, so daß dieselbe außer Herrn v. Forckenbeck jetzt 150 Mitglieder zählt; da die Fortschrittspartei nach Hinzutritt des Abgeordneten Heine 49 Mitglieder zählt, so bilden beide Parteien mit zusammen 199 Mitgliedern genau die absolute Majo ität des Reichstags, die eben 199 Stimmen beträgt.
— In den Vorstand der nationalliberalen Fraktion sind gewählt worden die Abgeordneten: v. Bennigsen, Lasker, Miquel, Freiherr Schenk von Stauffenberg, Simson, Stephani, v. Unruh, v. Weber(Würtemberg).— Dr. Simson wird, nachdem seine Gesundheit wiederhergestellt ist, in den nächsten Tagen hier erwartet, um an den Verhandlungen des Reichstages Theil zu nehmen.
Es wird auffällig gefunden, daß das Civil=Ehegesetz, nachdem dasselbe mit dem Landtage vereinbart worden ist, die Allerhöchste Sanktion noch nicht erhalten hat. Es braucht wohl, nach Lage der Verhältnisse, keiner Versicherung, daß sachliche Bedenken der Verzögerung nicht zu Grunde liegen. Da aber die Sanktion eines jeden Gesetzes, auch eines aus der Initiative der Regierung hervorgegangenen, erst auf Grund eines nochmaligen Berichts des Staatsministeriums erfolgt, so mag wohl diese Formalität noch nicht zu erfüllen gewefen sein und zwar wegen der zeitweiligen Abwesenheit des Cultusministers.
Die gestrige„Provinzial=Correspondenz“ hat in sehr gründlicher Weise die neuerdings zu Tage gesörderte Behauptung: daß die Staatsregierung ihre Stellung zu dem UnsehlbarkeitsDogma gewechselt habe— widerlegt. Ihr Beweis des Gegentheils ist aktenmäßig und erstreckt sich auf alle Phasen des Kampfes, welcher seinen Abschluß noch nicht gefunden hat, aber so weit er sich hinzieht, zu immer schärferen Consequenzen
drängt. Denn je hartnäckiger der Widerstand gegen die StaatsAutorität, um so dringender die Nothwendigkeit, diesen Widerspruch zu brechen.
Erst vier Wochen befindet der Erzbischof Graf Ledochowski sich in Hast und schon scheint er bei der polnischen Bevölkerung gänzlich vergessen zu sein. Sein Name wird zwar allsonntäglich in allen Kirchen bei den vom Konsistorium für ihn angeordneten Gebeten genannt, aber weiter kümmert sich auch Niemand um ihn, und selbst die Beileidsadressen, die ihm früher aus verschiedenen Parochien auf Betreiben der Geistlichen eingesandt oder überreicht wurden, haben gänzlich aufgehört. Es ist Thatsache, daß trotz aller Versuche der ultramontanen Blätter, die polnische Bevölkerung aufzuregen und zu fanatisiren, die Verhaftung des Erzbischofs seitens derselben mit einer Gleichgültigkeit ausgenommen worden ist, die Niemand erwartet hätte.
— Ein weit regeres Interesse als dem gesangenen Erzbischof wendet man polnischerseits, selbst in den leitenden ultramontanen Kreisen, den Vorgängen in Russisch=Polen zu, wo die russische Regierung mit ungleich größerer Strenge als die preußische dem revolutionären Polonismus und Ultramontanismus zu Leibe geht. Um auch die unteren Klassen für das Schicksal der „schwer verfolgten“, Brüder in Russisch=Polen zu interessiren, werden in Posen im Saale des Dzialynski'schen Palais an jedem Sonnabend von dem päpstlichen Hausprälaten Likowski, dem ehemaligen Regens des geschlossenen Klecikalseminars, populäre Vorträge über die griechisch=unirte Kirche in Rußland gehalten, die in der Regel sehr zahlreich besucht sind. Diese Vorträge schildern in grellen und oft sehr übertriebenen Farben die strengen Maßregeln der russischen Regierung gegen die widerspenstigen unirten Geistlichen und Gemeinden und wirken dadurch zwar aufregend gegen Rußland, aber zugleich auch besänftigend in Bezug auf Preußen, weil jeder aus diesen Schilderungen die Ueberzeugung gewinnt und gewinnen muß, daß, während Rußland die polnischen und ultramontanen Staatsfeinde mit allen Waffen der Gewalt bekämpft, Preußen gegen dieselben nur gesetzliche und humane Maßregeln in Anwendung bringt.
In Frankreich machten schon seit einiger Zeit gewisse Artikel des„Figaro“, die von einem Offizier, der sich SaintGenest nennt(sein wahrer Name ist Bucheron), herrühren, bedeutendes Aussehen. Diese Artikel ließen es sich angelegen sein, den Marschall Mac Mahon als den berufenen Retter Frankreichs zu feiern, im Gegensatz zu der gespaltenen, schlaffen, energischen Handelns unfähigen Nationalversammlung, die von dem Herrn St. Genest keineswegs mit der dem wahren Souverän gebührenden Ehrerbietung behandelt wurde. Der Eindruck dieser Artikel war um so größer, als die Ansicht ziemlich weit verbreitet war, daß der Marschall dieselben keineswegs ungern lese. Neuerdings nun hat Herr St. Genest aber das Maß des Erlaubten überschritten, indem er den Marschall geradezu zu einem Staatsstreich a la Pavia aufforderte. Dies war für die Nerven der Abgeordneten der Mehrheit denn doch zu viel.
In allen Gängen der Versammlung wurde nur vom„Figaro“ und seinen Impertinenzen gesprochen; selbst die Wahlen wurden von Herrn Saint=Genest's Heraussorderungen in den Hintergrund gedrängt. Besonders nimmt der Qnästor Baze die Sache sehr ernst.„Auf seinen Betrieb sand bereits eine Unterredung zwischen den Quästoren und dem Präsidenten der Republik statt. Vielfach sprach man von der Unterdrückung des Blattes als einer nothwendigen Maßregel. Das ganze Büreau der Nationalversammlung wird eine Sitzung halten, um über das verwegene Blatt, welches dem Souverän ein memento mori zuzurufen wagt, und den Präsidenten zum Mitschuldigen zu machen sucht, Rath zu halten. Herr Buffet soll übrigens zur Beruhigung der ängstlichen Gemüther mitgetheilt haben, Herr Saint=Genest werde nicht mehr in den Zeitungen schreiben, da ihm als einem Offizier in Disponibilität, ein darauf bezügliches Verbot des Kriegsministers zugegangen sei.
Die im Umlauf befindlichen Nachrichten über eine neue internationale Industrieausstellung, welche im Jahre 1875 in Paris statthaben soll, sind mit großer Vorsicht aufzunehmen. Die französische Regierung steht, wie wir aus guter Quelle wissen, dem Unternehmen gänzlich fern. Dasselbe trägt einen lediglich privaten Charakter, der indeß aus mehr als einem Grunde noch keinerlei Bürgschaften für die Ausführung des Werkes in sich schließt. In jedem Falle kann unter solchen Umständen von einer offiziellen Betheiligung fremder Staaten nicht die Rede sein, es müßte vielmehr gegebenen Falls den Privatindustriellen überlassen bleiben, zu ermessen, ob und inwieweit sie an dem Risiko, welches ihnen die Pariser Unte nehmer offeriren, theilzunehmen für gut halten.
Wie der„Kölnischen Zeitung" aus London gemeldet wird, beginnen in nächster Woche die anti=ultramontanen Meetings in den Provinzen. Am 12. d. Mts. soll in TurnbridgeWells, am 26. d. in Reading ein solches Meeting stattfinden. Das große Meeting in Liverpool ist für den 31. d. Mts. oder 2. k. Mts. in Aussicht genommen und dürfte dem letzteren vielleicht der Vizepräsident im Erziehungs=Comite des Geh. Rathes, Lord Sandon, präsidiren.
Nach einigen italienischen Blättern soll die deutsche Regierung eine Note an das italienische Kabinet gerichtet und dagegen reklamirt haben, daß dasselbe den im Ausland fabrizirten Alkohol dreifach so hoch besteuern will, wie den im Inland bereiteten.— Diese Mittheilung ist dahin zu berichtigen, daß die deutsche Regierung der italienischen keine hierauf bezügliche Note übersandt, daß aber der deutsche Gesandte dem Herrn Minghetti Vorstellungen gegen die ihm zu hoch vorkommende Besteuerung des fremden Fabrikats gemacht hat. Voraussichtlich wird das italienische Parlament bei Verhandlung des betr. Gesetzentwurfs den Wünschen der befreundeten Regierungen nicht entgegen sein.
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Gesetzgebung und Verwaltung in
Eine shlagende Jatraction erhalen die Fereniaden der Herren Gerber und Winterer durch die dem Reichstage soeben vorgelegte Uebersicht über die Gesetzgebung, sowie die Einrichtung und den Gang der Verwaltung in Elsaß=Lothringen für 1873. Das Bild welches der Bericht von den Zuständen des Reichslandes entwirft, ist das direkte Gegentheil des von den elsässischen Rednern entrollten Schauergemäldes. Freilich werden die Letzteren, von Herrn Windthorst nach Kräften unterstützt, die Regierung der tendenziösen Schönfärberei beschuldigen. Aber die nüchternen, rein thatsächlichen Ausführungen des offiziellen Aktenstücks tragen in so eminentem Maße das Gepräge der Wahrscheinlichkeit, daß die Gegner zu ihrer Entkräftigung wohl andere Mittel werden ins Feld führen müssen, als die Hyperbel von „Galgen und Rad“. Aus der reichen Fülle des in der Uebersicht dargebotenen Materials greisen wir zunächst dasjenige heraus, was durch die vorgestrige Debatte in den Vordergrund des Interesses geschoben ist. Unter der Rubrik„Polizeiverwaltung" heißt es, wie folgt:„Die äußeren polizeilichen Zustände können im Allgemeinen als befriedigend bezeichnet werden; jedoch hat ein System von Wundererscheinungen, welches große politische Aufregung in die Volksmassen brachte, zu um assenden polizeilichen Einschreitungen gegen Volksansammlungen während eines großen Theils des Jahres genöthigt, wobei auch militärische Kräfte angewandt werden mußten. Zu sonstigen polizeilichen außerordentlichen Maßnahmen war kein Anlaß vorhanden. Jusbesondere ist es seit dem 1. April 1873 nicht nothwendig gewesen, von den außerordentlichen Besugnissen, welche dem Oberpräsidenten durch§ 10 des Gesetzes über die Einrichtung der Verwaltung vom 30. Dezember 1871 übertragen sind, Gebrauch zu machen.
Nur ein in Speyer erscheinendes Sonntagsblatt„Der christliche Pilger“ hat wegen seiner gegen das Reich aufreizenden Behandlung der elsaß=lothringischen Verhältnisse verboten werden müssen. Daß schärfere Repressionen nicht nöthig geworden sind, schreiben die zuständigen Behörden wesentlich der präventiven Wirksamkeit jener gesetzlichen Bestimmung zu.“ Soviel über die Polizeimaßregeln und die Anwendung des„unerhörten"§ 10. Die Hauptangriffe der ultramontanen Redner von vorgestern waren aber gegen die Unterrichts=Verwaltung gerichtet. Besondes ist ihnen der Schulzwang ein Dorn im Auge; der ausgewiesene Generalvikar Rapp stand sogar im Begriff, den Widerst ind der Bevölkerung gegen diese Einrichtung förmlich zu organisiren. Der Bericht kann jedoch mittheilen:„Die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs ist allgemein in fortwährender Zunahme begriffen. Hierzu wirkt nicht blos die Bestrafung der Schulversäumnisse wesentlich mit, sondern auch das unverkennbar steigende Interesse der Bevölkerung am Schulwesen und an den bereits erkennbaren Segnungen der allgemeinen Schulpflicht." Betreffs der Unterrichtssprache heißt es:„In den Elementarschulen der deutschredenden Bevölkerung ist die deutsche Sprache Schulsprache. In den Landestheilen mit französischredender Bevölkerung macht das Bedürfniß, die deutsche Sprache zu erlernen, zur Erleichterung der Beziehun en zu den deutschen Ländern sich immer mehr geltend und findet daher die zur Erfüllung dieses Bedürfnisses gereichende Einsetzung von deutschen Unterrichtsstunden in den Lehrplan der Elementarschulen Anerkennung.“ Auf Grund dieser letzteren Bemerkung werden die Gegner freilich behaupten, daß die Regierung ihr Hauptaugenmerk für die Posdonung bet stoteritis in Frantihen gur ver etistiche
∆ Dämonen.
Roman in vier Büchern von
Karl Frenzel.
(68. Fortsetzung.)
„20. März 1864. Heute war ein außerordentlich milder und sonniger Tag; wir hatten bis Sonnenuntergang fünszehn Grad Wärme. Emma, die sich erholt hat und recht gut aussieht, und Miß Wood haben mich in der Mittagsstunde aus der Fabrik im Wagen abgeholt und all mein Sträuben hat mir nichts geholsen, ich habe mit ihnen nach dem Schlößchen Tegel hinausfahren müssen. Dorthin hatten die Listigen schon einen Diener vorausgeschickt, wir haben im Gasthause den Tisch gedeckt gefunden, Emma ihren Rohrstuhl, um sich durch den Garten fahren zu lassen. Am See entlang über Saatwinkel sind wir nach dem gelben Hause zurückgekehrt. Ein reiner Freudentag. Emma hat wie ein Kobold gelacht, daß sie mich überlistet und mich einmal„freigehalten"; auch Miß Wood hat herzlich in den Scherz eingestimmt. Ich hätte nie gedacht, daß sie so aus voller Kehle lachen kann— und wie gut steht ihr dies Lachen! Wie sie sich in meine und Emma's Eigenheiten eingelebt hat, ist kaum zu beschreiben., Ihre angeborene Herzensgüte, ihre Selbstlosigkeit erleichtern ihr freilich eine solche Hingabe, ein solches Aufgehen, aber man merkt ihr auch nicht den Schatten eines Zwanges an. Sie bewegt sich in unserer Mitte, nur für uns sorgend, in einer Freiheit, Würde und Anmuth, daß man sie sich gar nicht in einer anderen Stellung, in einem anderen Rahmen denken mag. Was sollte aus uns werden, wenn sie uns verließe?“
Das„uns“, sah Bruno jetzt, war ausgestrichen und„Emma“ darüber geschrieben, als hätte der trotzige Mann sich später eines solchen Bekenntnisses geschämt.
„31. März 1864. Nach Tische habe ich mit Miß Wood ein längeres interessantes Gespräch geführt. Wir fingen von Reiseplänen an; der Arzt will Emma, der Zerstreuung und der guten Luft wegen, auf zwei Monate nach Wiesbaden und Schlungenbad senden; kamen dann auf den Zustand der theuren Kranken und verirrten uns allmählig in den Abgrund des Todes. Miß Wood hat sich eine eigene Theorie, halb nach indischen Mustern, über das Leben nach dem Tode ausgedacht; die Seele wandert nach ihr von der Erde nach den nächsten Planeten,
je nach ihren Fähigkeiten, und nach einem längeren Verweilen an diesem Aufenthalt, nachdem sie dort zugleich weiser und moralisch besser geworden, schwingt sie sich zu einem anderen Sterne auf. Eine unendliche, unabsehbare Wanderung! Ich warf ihr ein, daß sie nur das irdische Sein fort= und fortsetze und durch ihre Annahme einer ewigen Pilgerschaft die Menschheit um das einzig wahre Glück brächte: die Ruhe, die uns der Tod verheißt; denn das Paradies der Christen sei ein seliges Ausruhen, und die Vernichtung, an welche wir Materialisten glaubten, schlösse endgiltig das Dasein des Einzelnen ab. Aber sie wehrte sich wacker; meine Auffassung sei gut für die Müden und die Feigen, die Tapferen und die Strebenden gingen bis aus Ende der Welt.
„Und all die Millionen viehischer, roher, wilder und dummer Menschen— denn die Mehrzahl der Menschen ist elender, dümmer und armseliger als die Thiere— wollen Sie auf die Sterne versetzen?“
„Warum nicht? Fliegen die Spatzen nicht auch in die Luft? Nur kommen sie nie dahin, wo der Adler horstet.“
Und so weiter. Flausen, so das Eine wie das Andere. Aber ist es nicht angenehm, ein junges hübsches Mädchen um sich zu haben, mit dem man über solche Dinge plaudern kann, ohne befürchten zu müssen, daß sie Einem davonläuft oder dabei einschläft? Miß Wood hat einen ernsten Sinn, sie strebt und sucht nach der Wahrheit; keineswegs schlägt sie wie die heuchlerischen Pietisten oder die intoleranten Pfaffen ein Kreuz gegen ein philosophisches Buch. Kennen lernen will ich Alles, hat sie mir neulich gesagt, allein mein Glaube wird durch mein Wissen schwerlich eine Aenderung erfahren; die Empfindung ist die Wurzel des Lebens und des Glaubens, nicht der Verstand."
5. April 1874. Jeder muß das Exempel seines Daseins aus eigene Weise lösen und es gibt die verschiedensten Arten, es glücklich zu lösen. Es ist eine Täuschung, daß mehr des Unglücks als des Glücks auf Erden vorhanden sei, eine Täuschung, die daher entspringt, daß der Betrachter bei aller Weite und Schärse seines Blickes doch immer nur die eine Art Glück die er fühlt, versteht, würdigt, in den menschlichen Zuständen sucht und die übrigen übersieht. Meinungen Miß Wood's gegen Schopenhauers Welt=Elend. Als Beweis erzählt sie folgende Thatsache: Ein schrecklich durch eine Maschine verstümmelter Arbeiter ward nach Folkestone gebracht und dort verpflegt; er litt die furchtbarsten Schmerzen. Da erlaubte ihm der Arzt zu Prauchen. Der Lord schenkte ihm ein Dutzend guter Cigarren,
und in seine Rauchwolke sich einhüllend, vergaß der Verstummelte seine Leiden und war nach seiner eigenen Behauptung der glücklichste Mensch. Dies für das Physische. Und sie fragt weiter: kann sich ein Philosoph, der an keine Götter glaubt, auch nur annähernd eine Vorstellung von dem unbeschreiblichen Genuß machen, mit dem eine arme Wittwe an einem Sonntag Nachmittag in ihrem Andachtsbuche liest und in die Hoffnung ewiger Seligkeit und des Wiedersehens ihres Geliebten sich vertiest? Weil der Pilosoph diesen intellektuellen Genuß nicht empfindet, streicht er ihn einsach aus. So verketzern Alle die Liede, wenn sie frei von ihr sind, niemals wenn sie unter ihrem Zauber stehen... Es hört sich ganz gut an für Diejenigen, die ihr Lebensexempel richtig herausgerechnet haben, ich habe leider das X meiner Gleichung nicht gesunden. Oder wäre der Rechnungssehler vermieden worden, hätte ich dies außerordentliche Frauenzimmer zehn Jahre früher kennen gelernt?"
„2. Mai 1864. Aergerliche Auftritte mit Bruno, der vor einer Woche zurückgekommen. Er nimmt Partei für die Arbeiter die sich gegen die neue Fabrikordnung auflehnen. Fehlt mir noch, einen aufrührischen Sohn im Hause zu haben. Die Herren Arbeiter können sich zum Teufel scheeren; sie sind ohne Zweifel freie Leute, uber ich bin auch ein freier Mann. Im gelben Hause Zank mit Wolfhart. Es wird nicht eher gut, dis ich ihn aus dem Hause gewiesen habe. Sollte mir leid um ihn thun. Nein, warum ist er ein Widerbeller? Wer mein Brod ißt hat mir zu gehorchen. Pein, Sorge, Verdruß, ein beständiges Hetzen hin und her... Wo ist Ruhe und Glück? Im Grabe.“
„7. Mai 1864. Ich habe meine Fabrikordnung nun doch durchgesetzt. Alle wollten gehen, und wie viele sind gegangen? Noch nicht ein Dutzend. Ja, Hunger thut weh und so viel wie Martin Greif zahlt Keiner. Bruno war ganz verdutzt, als die furchbare Rebellion wie eine Seifenblase zerplatzte. Sei du nur selbst ein Mann von Eisen, du zwingst die Anderen, du zwingst zur Roth auch die Götter.“
„15.—20. Mai 1864. Reise nach Wiesbaden. Eine passende Wohnung und Einrichtung für Emma und Miß Wood gesunden. Sonst macht mir das Reisen kein Vergnügen. Die vielen Menschen, mit denen man gezwungenermaßen in Berührung kommt, widern mich an; sie sind zudringlich, neugierig, Schwätzer, Lärmmacher. Das ganze Affenthum der Menschheit kommt auf Reisen zum Ausdruck. Ich lobe mir ein stilles wohlverschlossenes Haus. Im Eisenbahnwaggon, im Gasthofe, an
der Table’hote— überall Hansnarren, die sich als Weise ausspielen, Jeder in einem andern Humor und Alle gleich unausstehlich. Von den Weibern ist gar nichts zu sagen. Miß Wood erscheint mir mehr und mehr als eine Ausnahme ihres Geschlechts. Ihretwegen habe ich mich schon in ganz kuriose Ideen verloren. So auf der Nachtfahrt hierher. Hat dies
dies Mädchen schon einmal einen Mann geliebt? Dummheit, bin ich ihr Beichtvater?“
„29. Mai 1864. Vor einiger Zeit auf einer Bilderauktion ein holländisches Bild gekauft, eine Dame in Blau, das mir wegen seiner leichten Aehnlichkeit mit Miß Wood auffiel. Ich habe es heute von dem Restaurator erhalten, es nimmt sich nach der Restauration vortrefflich aus. Die Aehnlichkeit mit ihr tritt jetzt noch stärker hervor; es ist der Schnitt ihres Gesichts, die Farbe und das Wellige ihrer Haare. Während ihrer Abwesenheit wird es mich an sie erinnern. Ich habe mich so an ihre Gegenwart, ihr Walten im Hause gewöhnt, daß es mir schwer werden wird, so viele Wochen ohne sie hinzuleben... Uebrigens ist es ein gut.s Geschäft gewesen, der Banquier Gutmann, der vorhin das Bild bei mir sah, hat mir gleich das Zehnfache des Kausschilligs dafür geboten, veräußere es aber nicht.“
„3. Juni 1864. Emma und Miß Wood sind heute nach Wiesbaden abgereist; Bruno begleitet sie. Er ist ein besserer Reisemarschall als ich; er hat eine vornehme Weise, das Geld auszugeben, spielt dabei gern den vornehmen englischen Lord und ist zu weltschmerzlich, um sich über Kleinigkeiten zu ärgern. Nun din ich ganz allein. Der Garten ist schön, der Rasen grün, golden schien die Sonne und doch hat mich ein stundenlanges Umherwandeln unter den Bäumen nur verdrießlich un traurig gestimmt. Nachher habe ich mit Koursbuch und Karte ihren Weg verfolgt— gerade als ob sie nach der Negerstadt Timbuctu reisten. Ist es das Alter, das mich so wehmüthig macht.“
„4. Juni 1864. Sie sind glücklich angekommen.— Hat Lucretius Recht, daß einzig die Furcht die Götter geboren hat! Freilich, bei der Mehrzahl der Menschen wird er das richtige getroffen haben. Sie fühlen sich nur wohl unter der Peitsche, und den unsichtbaren Göttern gad ihre Angst die stärkste Geißel in die Hand. Aber die Klugen, die Pfisfigen? Sind alle Priester Betrüger? Das ist eine unsinnige Behauptung, und doch, was können sie noch fürchten? Immer noch die alten Fabeln, den Tartarus, die Hölle und die ewigen Strafen? Miß Wood sagt, der Glaube wird aus der Sehnsucht geboren,