Nachen 1889.— Nr. 302.
39.— Nr. 302. 41 Jahragne 9001
„* Ltwotz, 25 Dtzenba.— Ertes Blat.
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Hubert Immelen. Meltase 9
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Scho, Nachen.— Telephonauschluß Nr. 62.
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Die einzige ernste Gefahr für den Festfrieden lag in
der, Bergarbeiterbewegung. Daß der dußere Friede zu weiynachten nicht gestört sein werde, ließ sich schon längst
Wa, schhester Wohischeinlichteit vorausechen. Aber die uer Sue, tines innern Kampfes, eines großen und verhängnißvollen Ausstandes hat uns noch in der letzten Zeit in Spannung gehalten. Böllig beschworen erscheint die Gefahr erst durch den Beschluß der Saar=Arbeiterschaft vom letzten Sonntag. Beschworen freilich nur für die nächste Zeit; denn der augenblickliche Zustand sieht noch mehr einem Waffenstillstand als einem endgültigen Frieden ähnlich. Doch„Zeit gewonnen" bedeutet hier„viel gewonnen"; ja sogar Alles gewonnen— wenn man auf beiden Seiten die Predigt des Weihnachtsfestes auf sich wirken läßt.
Das erhabene Festwort vom„Frieden auf Erden“ deutet jedes Einzelwesen, jede Partei, jeden Staat gern zum Vortheil seiner Interessen und Bestrebungen aus; denjenigen, die uns gegenüberstehen, setzen wir mit Emphase die Pflicht und die Ersprießlichkeit des Friedens, der Verträglichkeit, der Liebe auseinander und vergessen nur zu oft, auf uns selbst die Weihnachtslehre anzuwenden. In selbstsüchtiger Verblendung nimmt man es als ausgemacht an, daß man selbst immer und überall zu denen gehört, die„guten Willens“ sind; und doch steht geschrieben, und die Erfahrung bezeugt es, daß sogar der Gerechte siebenmal fällt, daß Nichts und Niemand auf Erden vollkommen dem Ideal entspricht, welches im Sterne von Bethlehem der Welt aufgegangen ist.
Wenn man das christliche Gebot des Friedens und der Liebe nicht bloß für die individuellen Beziehungen, sondern auch für die Beziehungen der Klassen, Parteien, Staaten als Richtschnur hinstellt, begegnet man vielfach „überlegenem" Lächeln, als ob einem pythagoräischen Lehrsatz der modernen Realpolitik widersprochen wäre. Sieht man aber genau zu, so findet man vielfach die anerkannten Meister dieser Nützlichkeitskunst gerade dann auf dem Gipfel ihrer Tüchtigkeit und ihres Erfolges, wenn sie die Selbstsucht dem höheren Gesichtspunkt des allgemeinen Besten unterzuordnen wissen. Ob nicht zum Beispiel die einsichtige Nachwelt dem Fürsten Bismarck die Erhaltung des Friedens seit 1871 zu noch größerem Ruhme anrechnen wird, als die gewaltigen Errungenschaften der Kriegsjahre?
Die Ueberwindung kurzsichtigen, ungerechten, lieblosen Eigennutzes, zu welcher uns das Fest mahnt, ist nicht bloß gut, sondern auch weise. Die Arbeiterschaft ist neuerdings zum Bewußtsein ihrer Macht gelangt. Die jüngsten Erfahrungen haben zugleich gezeigt, daß das Maßhalten die unerläßliche Bedingung der Erhaltung der Macht ist. Welch' ein unseliges Weihnachtsfest, welch' einen unheilvollen Jahresanfang hätten zunächst die Betheiligten und dann die unmittelbar betroffene Allgemeinheit zu beklagen gehabt, wenn jeuer Geist der leidenschaftlichen Rücksichtslosigkeit, der Ende Mai zu dem glücklicher Weise erfolglosen Beschlusse eines neuen Streiks geführt hat und jetzt an der Ruhr in wilden Reden und an der Saar in wirren Theilausständen sich kund that, für die Haltung der Arbeiter bestimmend geworden wäre? Auf der andern Seite sind die Arbeitgeber durch die jüngsten Ereignisse darüber belehrt worden, daß es neben dem ihrigen noch ein berechtigtes Interesse und einen zu beachtenden Willen gibt, mit welchen man nur noch auf dem Wege der ehrlichen Verständigung fertig zu werden vermag. Für manche Naturen ist es bitter, den Glauben an ihre schrankenlose Macht aufgeben zu müssen, und sie sind nicht geneigt, von dieser Verschiebung zu ihren Ungunsten den Anfang des allgemeinen Verderbens
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Verlag von P. Käoder i1# Druck von Hermann Raccher
zu datiren. Zum Troste zeigt wiederum die jüngste Erfahrung, daß die„Opfer“ nicht unnütz gebracht sind, daß die nova potentis auch den Gesetzen der menschlichen Ver
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auch auf frieblichen Boden fallen.
6. 1. 3 Peine Kindlein, liebet euch unter einanderl“ die sot5 Frage wird doch durch nichts anders gelößt, als aray die allgemeine Wiederherstellung des Reiches der christlichen Liebe. Denn letztere ist der Inbegriff aller Tugenden, die das Leben im irdischen Jammerthale erträglich machen: der Gerechtigkeit, der Treue, des Gemeinsinnes, der Weisheit, kurz der vernünftigen Lebensführung überhaupt.
.. Und wenn der eine Theil sagt, er brauche und könne sich nicht auf den christlichen Standpunkt stellen, weil der andere Theil auf einem goit=, rechts= und lieblosen Standpunkt stehe, so betrügt er sich selbst. Was insbesondere den unchristlichen, atheistisch=revolutionären Geist unter der Arbeiterschaft angeht, so hat das unchristliche Gebahren von Arbeitgeber=Seite sicherlich zumeist zu dessen Entwicklung beigetragen und wird es auch in Zukunft thun, wenn nicht die Arbeitgeber zu dem Entschluß gelangen, den vierten Stand durch ein gutes Beispiel
Prt, durch shöne Worte und häßliche Ausnahnegesetze zu
Möge das Weihnachtsfest überall den guten Willen,— den wirklichen, aufrichtigen, von keiner Selbstsucht verblendeten guten Willen neu beleben oder wiederherstellen, damit alle wohlmeinenden Kräfte zusammenarbeiten zur Aufrichtung und Ausschmückung des sozialen Weihnachtsbaumes.
In= und Auslaudes nehmen Anzeigen für dest Sche“
nem#uderen hiesigen Blatte erreicht wir:
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*) Nachdeuck unieriagt
Deutsches Reich.
( Berlin, 23. Dez. Die Lohnbewegung wird anscheinend im nächsten Frühjahr eine gewaltige Ausdehnung annehmen. Die Maurer wollen auf einem Kongreß, der wahrscheinlich Ende Mai zu Magdeburg stattfindet, die letzten entscheidenden Schritte treffen, um ein einheitliches Vorgehen zu ermöglichen. Die Wirker werden ihren Kongreß in Apolda haben. Die Ziegelarbeiter wollen einen Verband gründen, ein Aufruf zur Organisation ist bereits erlassen, ein Fachorgan gegründet. Man hofft, das nächste Frühjahr werde sehr günstig für die Lohnbewegung sein. Die Gewerkschaften wollen nach einem gemeinsamen Plane handeln.
Die„Post bezeichnet die Nachricht, daß der Herzog von Natibor für den Reichstag nicht mehr kandidiren wolle, als falsch.
Wie die„Danz. Zig.“ vernimmt, war bald nach den Verhandlungen des letzten Provinziallandtages über die Dr. Wehrsche Mißwirthschaft seitens der Staatsanwaltschaft die Untersuchung eingeleitet und brieflich an die Polizeibehörde die Aufforderung gerichtet worden, Dr. Wehr im Betretungsfalle zu verhaften und dem Danziger Gericht zuzuführen. Derselbe war inzwischen ins Ausland gegangen und neuerdings nach Berlin zurückgekehrt, wo er bekanntlich verhaftet wurde.
+ Berlin, 23. Dez. Dr. Adolph Kohut, der im Jahre 1884 wegen seiner journalistischen Thätigkeit aus Preußen ausgewiesene österreichische Staatsangehörige, hat die Erlaubniß zur Rückkehr erhalten. Derselbe hatte an den Reichskanzler eine zu dessen Verherrlichung zusammengestoppelte Schrift:„Fürst Bismarck als Humorist“ gesandt und zugleich um Zurücknahme der Ausweisungsmaßregel gebeten.
Die Kaiserin besuchte gestern Abend die Erziehungsanstalten„Krippe“ und„Marthas Heim“ in Poisdam und wohnte daselbst den Weihnachtsbescheerungen bei.
Die russische Regierung verbot den deutschen Fleischern das Schweineschlachten in Polen.
* Berlin, 23. Dez. Sicherem Vernehmen nach hat
Minister v. Maybach beschlossen, einer größern Anzahl von technischen Unterbeamten auf den schlesischen und rheinisch=westfälischen Staatswerken, deren Monatslöhne im Vergleich zu den gesteigerten Preisen der Lebensbedürfnisse nicht mehr ausreichend bemessen zu sein scheinen, schon für des laufende Rechnungsjahr eine Lohnzulage zu bewilligen. Es soll sich in erster Linie um diejenigen Unterbeamten handeln, welche zu den Staatswerken im Vertragsverhältniß stehen und welche eine etatsmäßige Staatsbeamtenstellung noch nicht einnehmen, also die Steiger, die Beamten der Materialienund Produktenverhandlung, die Hüttenaufseher u. s. w. Es ist aus den Etatsverhandlungen bekannt, daß Minister v. Maybach der Besserstellung dieser Werkbeamten, denen eine große Verantwortlichkeit im technischen Betrieb der einzelnen Werke obliegt, seit langer Zeit eine besondere Aufmerksamleit widmet, und daß er namentlich anstrebt, ihre Stellungen allmählich in feste Staatsdienerstellungen umzuwandeln. Sein jetziger Beschluß einer schon für diesen Winter platzgreifenden Lohnerhöhung wird allseitig mit großer Freude begrüßt werden. Doch wünschen wir aufrichtig, daß auch für die entsprechenden Klassen von Unterbeamten der innern und der Finanzverwaltung eine entsprechende Gehaltserhöhung bald beschlossen würde.“ * München, 23. Dez. Die„Allgemeine Zeitung“ vernimmt, der Kultusminister nehme zur Wiederherstellung seiner Gesundheit einen längeren Urlaub. Der Finanzminister vertrete den Kultusetat zunächst im Finanz= ausschusse. Es scheint wohl, daß Herr von Lutz der Berathung des Kultusetats im Abgeordnetenhause aus dem Wege gehen will. Das Centrum hat an dem Etat eine große Anzahl Streichungen vorgenommen. Voraussichtlich wird es zu recht lebhaften Debatten kommen. Oesterreich.
23. Dez. Wie aus Miramar gemeldet wird, begeben sich der Kaiser, die Kaiserin, die Erzherzogin Marie Valerie und der Erzherzog Franz Salvator heute an Bord des„Greif“ zu der in der Bucht von Maggia ankernden Schiffsdivision. Der Kaiser, begleitet von dem Erzherzog Franz Salvator, besichtigte die Kriegsschiffe Saida und Loudon und ließ sodann ein Schiffsmannöver ausführen. Nach Miramar zurückgekehrt, ließ der Kaiser von Bord des Loudon signalisiren:„Ich belobe meine Macine!“ Der Kommandant des deutschen Schiffes Wacht, Korvettenkapitän Graf v. Baudissin, wurde dem Kaiser an Bord des Loudon vorgestellt. Die übtigen zur Zeit in den österreichischen Gewässern anwesenden deutschen Marineoffiziere wohnten den Uebungen an Bord des Schiffes Nautilus bei.
Ausland.
* Brüssel, 22. Dez. Die Antisklaverei=Konferenz hat sich bis zum 18. Januar vertagt. In der kurzen Notiz. die darüber veröffentlicht wurde, hieß es, daß die Delegirten sich bis dorthin zuverlässige Instruktionen bezüglich der Frage der Unterdrückung des Sklavenhandels zur See verschaffen würden. Diese Frage ist nämlich noch immer ein Hauptstein des Anstoßes. England hält das Untersuchungsrecht in irgend einer Form für unerläßlich, während Frankreich dasselbe nicht zugestehen will. Man erfährt nun aus der„Indsp. belge“, daß Frankreich Gegenvorschläge gemacht hat, die allerdings nicht soweit gehen, wie die Engländer wollen. In englischen Blättern konnte man in der letzten Zeit vielfach lesen, Frankreich habe ja doch auch im Fischereivertrage von 1882 Zugeständnisse gemacht, und was es „zum Schutz der Häringe“ gethan, könne und müsse es doch auch zum Schutze der Menschen thun. Nun hat Frankreich für seine Gegenvorschläge gerade diesen Fischereivertrag, der zwischen England, Deutschland, Holland, Belgien, Dänemark und Frankreich geschlossen worden
u hen sieht, findet man, daß damit nicht viel erreicht ist. Der Vertrag bestimmt nämlich, daß die Kreuzer der betreffenden Mächte, wenn sie bei einem ihnen begegnenden Schiffe eine Vertragsverletzung vermuthen das Recht haben, das fremde Schiff anzuhalten, ihm den Nachweis abzuverlangen, daß es seine Flagge mit Recht führe, sodann ein etwaiges Vergehen zu konstatiren und dieses beim nächsten Seeamt der Nation, dessen Flagge das Schiff führt, anzuzeigen. Din Durchsuchungs= oder gar Konfiskationsrecht kennt der Vertrag nicht. Nach den Vorschlägen Frankreichs läge die Sache nun wie folgt. Wenn ein englischer Kreuzer im persischen Golf auf ein Schiff stößt, daß die französische Flagge führt und den Verdacht erweckt, ein Sklavenschiff zu sein, so kann der Kreuzer das Schiff anhalten, es zur Vorlage seiner Papiere zwingen, ein Protokoll darüber aufnehmen und an das nächste französische Seeamt Anzeige erstatten. Mehr kann er nicht thun, selbst wenn es sich herausstellt, daß das Schiff wirklich Sklaven birgt und die französische Flagge fälschlich führt; in Frankreich ist man nämlich der Ansicht, daß die Ehre der Flagge auch dann nicht verletzt werden dürfe, wenn ein Unbefugter sie führe. Es liegt auf der Hand, daß die Engländer mit diesem„Härings=Schutz" sich nicht begnügen werden; ist aber Frankreich geneigt, in seinen Zugeständnissen weiter zu gehen? Von der Antwort auf diese Frage wird es abhängen, ob der Zweck der Konferenz in seinem Hauptpunkte erreicht wird oder nicht.
* Lissabon, 23. Dezbr. Das brasilianische Kaiserpaar begab sich gestern Nachmittag nach Coimbra, wo es zwei Tage verbleibt. Es besucht dann Oporto, vielleicht auch Braga und reist sodann nach Pau. Die Kaiserin machte den Königinnen Amelia und Pia Abschiedsbesuche. Man verheimlicht dem Kaiser die Nachrichten aus Rio, betreffend die Landesverweisung und die Dotations=Suspension.
= London, 23. Dez. Stanley wird sich am 30. d. Mis. mit seinen Europäern an Bord eines englischen Dampfers begeben und vor seiner Abreise nach England in Kairo kurzen Aufenthalt nehmen.
— Petersburg, 23. Dez. Neue Gewaltmaßregeln gegen die Katholiken werden hier gemeldet. Der Gouverneur von Kiew befahl die Schließung von 20 katholischen Kirchen in Volhynien, und zwar ohne Augabe irgend welchen Grundes.
Amtliche Nachrichten.
* Berlin, 23. Dez. Se. Majestät der Kaiser hat den Postdir.kioren Rübmann in Trier, Pichon in Elberfeld und Lanitzki in Köln(Rhein) den Rang der Räche vierter Klasse beigeligt.
Telegramme des„Echo der Gegenwart“ 6 Berlin, 24. Dez.(Privattelegramm.) Der Gesetzentwurf betreffend Einführung gewerblicher Schiedsgerichte und Einigungsämter soll erst noch dem Volkswirthschaftsrathe vorgelegt werden.
Der„Börsenzeitung" zufolge empfahlen die Aerzte dem Kaiser für die nächsten Tage noch besondere Schonung.
w Rom, 24. Dez. Der Senat genehmigte die Aufhebung der Differentialzölle mit 70 gegen 4 Stimmen. Der Gemeinderaih von Terni wurde wegen der irredentistischen Kundgebung vom 20. d. Mis. aufgelöst. Die Auflösung mehrerer anderer Gemeinderäthe in der Romagna ist aus gleichem Grunde bevorstehen).
London, 24. Dez. Die portugiesische Regierung antwortete auf die Note Salisdurys, daß die eing gangenen Nachrichten in keiner Weise das Serpapinto zugeschriebene Vorgehen bestätigten. Derselbe wies lediglich die Angriffe
Pesanstschercensteuncttee
58 K Sonnenried.
Roman von Marga Brechten.
(Fortsetzung.)
21. Kapitel. Im Brausen der See.
Du heilig Meer, ergossen glatt und weit, Mit grünen Inseln, ew'gem Wellenschlag,
So sonnig leuchtend an dem gold'nen Tag, So dumpf erbrausend in der nächt'gen Zeit.
Ich lausche dir: sind's Märchen lang erzählt, Die wieder tauchen aus dem Wellenschaum, Die Jugendzeit, des Vaterhauses Traum? Die Tage schwer, die mich zum Mann gestählt?
Fr. Alfr. Muth.
XIVI.
„Also, mein Herr Kapitän Freidorf,“ sagte der Besehlshaber des amerikanischen Dampfers zu seinem unfreiwilligen Gaste,„lassen Sie mich Ihnen noch einmal wiederholen, daß da von Dank keine Rede sein kann! Es war mir eine hohe Freude, Sie zu reiten, und ich bedaure nur, daß wir nicht früher an Ort und Stelle sein konnten. Ich betrachte Sie als einen sehr wertheu Gast, mehr noch als einen Freund, den ich aus der Haltung seiner Leute kennen gelernt habe. Wahrlich, es ist selten, daß wir eine solche Anhänglichkeit von unseren Untergebenen ernten.“
Ihno von Freidorf drückte die dargebotene Rechte warm, wehrte mit müdem Lächeln jede Anerkennung ab und fragte nach dem mitgeretteten Matrosen.
„Na, der ist schon in voller Thätigkeit und hantirt oben so flink, als ob er an Bord des s Grahame groß geworden wäre. Einige Schluck echten Jamaika=Rums thaten's bei dem. Aber nun ich sehe, daß auch Sie beinahe wieder hergestellt sind, möchte ich Sie gerne in Ihre eigene Kajüte führen.“ Die beiden Herren verließen den kleinen Salon, und betraten ein sehr schmales Gemach.
„Sehen Sie, dies ist leider der einzige, noch freie Raum auf dem Schiffe,“ fuhr Kapitän Wiederhart fort. „Bei Tage werden Sie indessen nicht viel unten sein, und für die Nacht wird es wohl gehen. Aus Rücksicht für eine sehr leidende Dame gleich nebenau, habe ich bis jetzt Niemanden hier einlogirt,— arme Lady, sie dauert mich. Pflegen Sie nun noch der Ruhe, damit ich nachher das Vergnügen haben kann, Sie meinen Passagieren vorzustellen. Sie werden doch mit uns diniren?“
„Ich muß wohl, aber dann bitte ich vorher um meine Kleider.“
„Freilich, die meinigen sind für einen solchen Athleten nicht berechnet,“ lautete die scherzende Antwort.„Ich lasse sogleich nachsehen, ob man dieselben wieder in Stand gesetzt hat.“
„Noch eine Bitte, Herr Kapitän! Senden Sie gütigst den Matrosen Sturen zu mir, ich möchte ein paar Worte mit ihm wechseln.“
Ihno von Freidorf war allein. Er streckte sich auf dem Ruhebelt aus und versuchte seine Gedanken zu sammeln und sich über seine Lage klar zu werden.
Da trat Haus Sturen ein. Nach einem flüchtigen Blick auf seinen Herrn blieb er an der Thür stehen— dem forschenden Auge ausweichend.
„Hans Sturen,“ begann der junge Kapitän,„Ihr seid mir noch eine Erklärung schuldig; wie kamet Ihr auf das Wrack?“
„Herr, wenn Ihrs erlaubt, so möchte ich lieber darüber schweigen.“
„Nein, Mann, so kommt Ihr mir nicht weg! Vor zwei Tagen, da ich noch Befehlshaber auf der Meeresbraute war, erinnert Euch wohl— in der letzten Stunde vor dem Sturm, da habt Ihr gar viel gesprochen, weil es Euer Wunsch war; jetzt sollt Ihr sprechen, weil ich es befehle! Also, noch einmal, waret Ihr im zweiten Rettungsboote? Wenn mich meine Augen nicht täuschten, sah ich(uch hinabspringen.“
„Ja, Herr, ich war darin, aber ich wußte auch, daß
Ihr die Leute gezählt und Euer Mitfahren von einem etwa noch freien Platze abhängig gemacht hattet. Das Boot aber wies keinen mehr auf; da sprang ich heraus, die Sturzwelle verbarg mich, aber sie stieß auch das Boot zu früh für Euch ab.“
„Und Ihr verharrtet die ganze Zeit über hinlen an der Regeling angeklammert?“
„Das that ich. Ich lugte nach einem Schiff aus, früher oder später mußte doch eines kommen. Ob cs uns retten würde oder könnte, war freilich'#e andere Sache.“
„Warum gabt Ihr kein Lebenszeichen?“
„Zunächst getraute ich mich nicht recht, weil ich ohne Eure Einwilligung zurückgeblieben war. Als das Schiff sich aber immer mehr neigte, hielt ich es für gefährlich, Euch von hinten anzurufen; Ihr würdet Euch umgedreht und vielleicht den Mast fahren gelassen haben; dann hätte das nimmersatte Meer das Schiff mit sammt dem Herrn gehabt, das aber wollte ich nicht.“
„Eure Erklärung genügt mir noch nicht vollständig. Ihr gehört seit kaum vierzehn Tagen erst zu meinen Leuten, warum lag Euch so viel daran— den Platz im Boote frei zu lassen?“
„Herr, es gibt eine Treue, die zählt nicht nach Tagen und Jahren! Jan Sturen, mein Vater, pflegte, wenn er von seinem Herrn sprach, zu sagen, daß er für ihn ins Feuer gehen würde, für den Herrn Ihno Skandenberg nämlich. Wenn unn ich ins Wasser gehen wollte für seinen Sohn, so kommt das so ziemlich auf Eins heraus.“
„Gemach, gemach, so weit sind wir noch nicht! Ihr habt kein Recht, von einer bloßen Aehnlichkeit die Abstammung herleiten zu wollen. Wie aber, wenn kein Schiff vorübergekommen wäre?“
„Weiß Golt, ich hätt's bedauert um Euretwillen. Hans Sturen, hab ich zu mir gesagt, dein Kapitän hat wohl ein liebes Weib oder irgend Jemand, der nach ihm
ausschaut— ob du ins nasse Bett hinunter mußt, oder ob du wiederkommst, darnach fragt Niemand.“
Der junge Kapitän antwortete nicht gleich. Er war nicht der Mann, um viele Worte zu machen, und so einfach, wie die Wohlthat erzeigt worden war, so einfach wurde sie auch angenommen. Diese beiden Männer, so ungleich an Bildung und Lebensstellung, waren doch einander gleich an Seelenadel und Schlichtheit des Charakters. Hier wurde kein Wort von Aufopferung gesprochen, dort keines vom Lohn.
Jetzt reichte Ihno von Freidorf dem Matrosen die Hand. Dieser ergriff sie stumm, während es in seinem Gesichte zuckte— wie von verhaltener Rührung.„Deine Kameraden werden auf anderen Schiffen Löhnung nehmen, Du aber trittst, wenn Du willst, von heute ab in meine persönlichen Dienste. Nun aber laß meine Hand los, Haus Sturen! Au dem Tage, an welchem ich sie Dir wieder reiche, haben wir einen Pakt mit einander geschlossen, und Du wirst dann erfahren, ob ich ein Friese bin oder nicht.“
Als die Tischglocke die Passagiere der ersten Klasse in den Speisesaal rief, hatte Ihno von Freidorf seine gewöhnliche stramme Haltung wiedergewonnen, nur die tiefe Blässe seines Gesichtes und der düstere Ernst in seinen Zügen sprachen noch deutlich von den ausgestandenen Leiden. Einige Stunden festen Schlafes und ein warmes Bad hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, und nachdem er sich mit großer Sorgfalt angekleidet hatte, folgte er seinem freundlichen Wirthe, obschon mit innerem Widerstreben.
„Sie sind der Held des Tages,“ meinte dieser,„ich habe Ihretwegen schon ein wahres Kreuzverhör von Fragen bestehen müssen, von denen ich die meisten selbstverständlich gar nicht beantworten konnte.“
„Es ist ein trauriges Geschick, dem ich diese kurze Berühmtheit verdanke,“ sogte der schiffbrüchige Kapitän mit einiger Bitterkeit. Sein Blick siel dabei auf einige