Bonn, Sonntag den 18. April 1875.

Ergan für das natholische deutsche Volk. Wberds

Nr. 106.

O

Die Deutsche Reichs=Zeitung erscheint täglich, an den Wochentagent an Sonn= und Festtagen Morgens. Insertionsgebühren die Petitzeile oder deren Raum 15 R Pf.(1 ½ Sgr.).

" Die Mittwochsitzung des Herrenhauses.

In der Mittwochs=Sitzung des Herrenhauses hat Fürst Bis­

uck das Möglichste geleistet. Die evangelischen Herren, die disher seine Kirchenpolitik bekämpften, haben, so sagt er,das Evangelium der Politik untergeordnet, es hat ihnen das Bekenntniß im Evangelium gefehlt". Darnach wäre nicht Kleist=Retzow, sicht Gerlach ein Bekenner des Evangeliums, sondern Dr. Virchow, Durcker, Windthorst(Bielefeld) u. a. Virchow bezeichnete be­kanntlich vor Kurzem den Inhalt der Bibel als Mythologie! Das wären die Männer, die nicht das Evangelium der Politik, sondern die Politik dem Evangelium unterordnen! Von unserm Staate sagt Bismarck, daß ernun doch einmal evangelisch sei. Daß ein Drittel der Staatsbürger katholisch ist, scheint also in Bis­marcks Augen nichts zu gelten! Wir Katholiken zählten mithin nur insofern, als wir unsere Steuern zahlen und mit in den Krieg ziehen, wenn es losgeht. Es war vielleicht an der Zeit, daß Bismarck die Latholiken daran einmal wieder erinnerte. Bismarck nennt sich be­wandert in der katholischen Dogmatik, und nicht blos sich, sondern

ganze Versammlung im Herrenhause. Er legt dann auch seine Kerntniß der katholischen Dogmatik an den Tag. Der un­sehlbare Papst, sagt er, kann nicht als Nachfolger des Apostels Petrus betrachtet werden! Und warum nicht? Der Apostel war, so sagt Fürst Bismarck, nicht unfehlbar; denn er hat Sünde gethan und seine Sünde bereut, und davon, sagt er, ist bei dem Papste(Pius IX.) nichts zu bemerken. Fürst Bismarck will die katholische Dogmatik kennen! Die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes verwechselt er mit Sündenlosigkeit! Aber kein Mensch saßt die Unfehlbarkeit mehr so auf, kein Kind in der Elementarschule! Der jetzige Papst soll noch weniger unfehlbar sein als Petrus, weil Fürst Bismarck von dessen Reue über seine Sünden nichts bemerkt, während Petrus über seine Sünde der Verleugnung des göttlichen Herrn öffentlich bitterlich weinte. Muß Pius, wenn er seine Sünden bereut, deren er trotz der Unfehl­darkeit begehen kann, wie jeder andere Mensch, seine Reue dem Fürsten Bismarck kundgeben? Man sieht, unser Staat ist nun einmal evangelisch, wie Bismarck sagt, und das müssen wir fühlen; sonst würde er den katholischen Staatsbürgern gegenüber nicht eine solche Sprache führen. Bismarck kennt die katholische Dogmatik: so behauptet er wenigstens. Die Bischöfe sind, so sagt er, nur Präfecten des Papstes. Möchten die Oberpräsi­denten, die Regierungspräsidenten, die Landräthe u. s. w. nur nicht Präfecten irgend Jemandes sein! Es haben in der letzten Zeit die früheren Oberpräsidenten von Sachsen und Schlesien, es haben verschiedene Regierungspräsidenten, verschiedene Land­räthe abtreten müssen, und dasselbe ist der Fall gewesen mit Ministerialdirectoren und Geheimräthen in den Ministerien, wäh­rend andere, die man nicht entlassen kann, unbeschäftigt bleiben: ro und wann hat Pius IX. einmal einen Bischof entsetzt? Wo also könnte am ersten von Präsecturwirthschaft die Rede sein?Die Bischöfe, sagt Bismarck, haben nicht einmal mehr das Recht, an­ders zu denken, als der Papst", und um das näher zu beleuchten, fügt er hinzu, der Soldat dürfte, wenn er im Gliede stände und das Commando hörte, immer noch denken: das sei ein thörichtes Commando, das dürften aber die Bischöfe nicht dem Papste gegen­über. Man sieht auch hier, wie Bismarck in der Dogmatik be­vandert ist, andererseits aber auch, was er der katholischen Be­völkerung Preußens bietet, die ein Drittel der Gesammtbevölkerung ausmacht.Unser Staat, sagt er, ist ja nun einmal ein evan­gelischer Staat. Mögen sich die Katholiken an diesen Gedanken gewöhnen, um ertragen zu können, was Herr v. Bismarck im Interesse des evangelischen Staates für nothwendig hält! Doch nicht uns Katholiken behandelt der Fürst so: dem Herrn v. Kleist­Retzow, der in dem Kampfe, der entbrannt ist, das Christenthum vertheidigt, sagte er offen ins Gesicht hinein, daß er sich von der Treue gegen den König und das Vaterland, daß er sich von dem Evangelium lossage! Also Kleist=Retzow und seine politischen Freunde Feinde des Königs und des Vaterlandes, die Helden des Jahres 1848, die Stürmer des Zeughauses, die Hochver­kalher, die zur Verbannung, zu lebenslänglichem Zuchthaus, zum Lode verurtheilt worden, die sind die Königs= und Vaterlands­skeunde! Ich füge noch hinzu, daß der Oberbürgermeister der chlefischen Stadt Görlitz in der heutigen Sitzung des Herren­hauses offen erklärt hat, es müsse die katholische Kirche Deutsch­lands losgelöst werden von Rom, es müsse ihr ein deutscher Papst gegeben werden.

Deutschland.

Berlin, 16. April. In erster und zweiter Lesung wurde Peule mit großer Majorität folgende Gesetzesvorlage angenommen: Die Artikel 15, 16 und 18 der Verfassungsurkunde vom 31. vanuar 1850 sind aufgehoben. DieNordd. Allg. Ztg. ver­onentlicht den Wortlaut der Note der deutschen Regierung an die Eeicgische vom 8. Februar. DerStaatsanzeiger publicirt die Einennung des Directors vom Grauen Kloster, Dr. Bonitz, zum vortragenden Rath im Cultusministerium, bekanntlich für Gymna­sialangelegenheiten.

Berlin, 15. April. Das Herrenhaus nahm heute mit : gegen 29 Stimmen den§ 1 des Sperrgesetzes an, welcher Princip der Vorlage enthält. An der heutigen Debatte be­Peligten sich weder der Reichskanzler noch der Cultusminister uus Die IFrankf. Zig. bemerkt dazu:

Brücke, die Fürst Bismarck am Mittwoch den Conservativen rung ie denn gestern in erklecklicher Zahl in das Lager der Regie­bliebenir, und mit den katholischen Mitgliedern des Herrenhauses Pilsach, Wigiehen: Jehn des Siahl'schen Regiments, die Kleiß, Senfft­hat noch feine: und Uhden drüben. Eine Majorität, wie die gestrige, Bürgermeiner. v. ische Vorlage im Herrenhause gefunden, und die um das.#r und Geschobenen brauchen sich nicht mehr zu incommodiren, in deren Beiganju d letzten Ritter zu vergrößern. Die Kreuzzeitung, noch nicht die die neueste Wendung große Lücken zu reißen droht, scheint digen: die nöthige Fassung gefunden zu haben, das Ereigniß zu wür­

jener Generzier, sehen die Nationalliberalen vor dieser Brücke, verlegen wie

Bismarchk.:" Lauernbursche, da sie sich noch eben gerühmt haben, Fürst Nat=Zig: mit ihnen ein Herz und eine Seele, und sinnend meint die

fassen zu va. Peichskanzler scheine, wenn er auf jener Brücke Posto Hocherfreut slaube, die Perspektive nicht richtig genommen zu haben. fices deg2 oegrußt dagegen diePost das Ereigniß, sie belobt die Ponti­mus wiedex s, daß durch sieBegriff und Name des Conservatis­mehr fehs. z Ehren gebracht sei und ist überzeugt, nun könne es nicht Pers,daß auch der Einfluß der conservativen Principien in unse­

rem Staatsleben zu verstärkter Geltung gelangen werde. Seit der gestri­gen Rede des Fürsten Bismarck hat die orthodex lutherische Partei Ober= wasser erhalten, bei Hofe macht sich in diesen Kreisen eine starke Agitation gegen den Culiusminister Falk bemerkbar, welcher derselbe leicht zum Opfer fallen könnte. In Abgeordnetenkreisen hat die gestrige Rede des Reichs­kanzlers die peinlichsten Eindrücke hervorgerufen, die Nationalliberalen las­sen die Köpfe hängen; diesmal gelingt es ihnen nicht, sich aus den Aruße­rungen ihres Meisters einen richtigen Vers zu machen. Auch in der heute im Herrenhause stattgehabten Debatte traten die Abtrünnigen der Fraction Stahl, unter ihnen Herr v. Wedell, für den orthodoxen Protestantismus in die Schranken; den Herren muß von intimen Hofkreisen die Parole gegeben sein, ihre Opposition gegen die Bismarck'sche Politik fahren zu lassen, und bald werde sich ihnen das Eldorado einer frischen und fröhli­cher Reaction eröffnen. Die gestrige Berathung im Herrenhause kann von hoher Wichtigkeit für die nächste Zukunft unserer politischen Institutionen werden. Fürst Bismarck und mit ihm die pommerschen und schlesischen Junker, haben sich offen dazu bekannt, daß jetzt der Kampf des Protestan­tismus gegen den Katholicismus angefochten wird. Es ist gut, daß diese Anschauung in so unzweidentigen Weise von dem Leiter der auswärtigen Politik ausgesprochen worden ist, hoffentlich werden uns jetzt die Herren Dr. Virchow und Ge­nossen mit der Phrase des Kuliurkampfes verschonen; die neueste Rede des Fürsten Bismarck muß sie davon überzeugt haben, daß es sich in dem kirchlichen Streite nicht um die idiellen und freiheitlichen Güter der Nation, sondern um die Befestigung des specifische vangelisch=lutherischen Standpunk­tes im Gegensitz zum katholischen Bekenntniß handelt. Die orthodoxen protestantischen Mucker unterstützen Herrn von Bismarck jetzt im Kampfe gegen die katholische Kirche nur, um das Heft wieder in die Hand zu be­kommen. Von den heute gegen das Gesetz abgegebenen 29 Stimmen ge­hören die meisten der gesprengten Fraction Stahl an, außerdem stimmten u. A. dagegen der Oberhofmeister der Kaiserin, Graf Nesselrode, der Kam­merherr der Kaiserin, Freiherr v. Landsberg, der Chespräsident des Ober­tribunals, Uhden, der Exjustizminister Graf Lippe und einige Polen, für die Vorlage stimmten u. A. das Mitglied des österreichischen Herren­hauses, Graf Althann, welcher eigens zu diesem Zwecke hier einge­troffen ist.

:: Berlin, 16. April. Nach Sybel soll die Regierung rück­sichtlich ihrer Bildungsanstalten gegen die östlichen Provinzen zu­rückstehen. Ich habe schon unlängst aus amtlichen Zahlen des Centralblattes für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen nachgewiesen, daß die Sybelsche Behauptung in Betreff der Volks­schulen so sehr unwahr ist, daß die rheinischen Volksschulen einen der ersten, in einzelnen Regierungsbezirken geradezu die ersten Plätze einnehmen. Das neueste Heft des Centralblattes bietet Zahlen zur Beurtheilung der Sybelschen Behauptung in Betreff der Gymnasien. Rechnen wir die Zahl derer zusammen, welche nach der Anmeldung zur Aditurientenprüfung entweder von der­selben zurückgetreten oder zurückgewiesen oder bei derselben durch­gefallen sind(im allgemeinen dürfen wir wohl die beiden ersten Kategorien für ebenso anfähig halten, wie die letztern), so bekom­men wir, um die Rheinprovinz mit den sechs östlichen Provinzen zu vergleichen, für das Jahr 1873 in der Provinz Preußen 56 Unfähige auf die Gesammtzahl von 308, in der Provinz Brandenburg 108 auf 435, in der Provinz Pommern 51 auf 207, in der Provinz Posen 30 auf 190, in Schlesien 81 auf 411, in Sachsen 67 auf 373, in der Rheinprovinz 19 auf 339, die zur Prüfung angemeldet waren. Das Verhältniß der Un­fähigen zu der Gesammtzahl der Angemeldeten ist also in den Provinzen Brandenburg und Pommern ungefähr wie 1: 4, in Schlesien wie 1: 5, in Preußen und Sachsen wie 1:, in Posen wie 1: 6⅛, dagegen in der Rheinprovinz fast wie 1: 18. Ich habe dabei die Externen außer Rechnung gelassen, es galten also die Zahlen von den Schülern der Oderprima. Die rheini­schen Gymnasien stehen also viel günstiger, als die der sechs öst­lichen Provinzen. Dasselbe Verhältniß ergidt sich in Schleswig­Holstein, in Hessen=Nassau ist das Verhältniß wie 1:, in Hannover wie 1: 11, in Westfalen wie:13. Will Herr v. Sybel sagen, bei der Prüfung werde in den östlichen Provin­zen strenger verfahren? Das ist ihm wiederum nicht zu glauben, oder er muß es beweisen; er wird es aber nicht beweisen, weil es nicht wahr ist.(Aehnlich sind die Resultate bei den Real­schulen 1. Ordnung.) Im Jahre 1873 sind überhaupt zur Ma­turitätsprüfung angemeldet worden 3108, darunter 65 Externe. Bestanden haben im ganzen 2602, darunter 49 Externe. Katho­lische Theologie haben als Berufsstudium angegeben 252, evange­lische Theologie 239. Von ersterer Zahl fallen 18 auf die Pro­vinz Preußen, 15 auf Posen, 28 auf Schlesien, 2 auf Sachsen, 11 auf Hannover, 78 auf Westfalen, 11 auf Hessen=Nassau, 89 auf die Rheinprovinz und Hohenzollern.

DieDonauztg., welche bekanntlich die Abstinenzpolitik, d. h. die Anschauung vertritt, wonach die Katholiken Preußens und Deutschlands wohl ihre Candidaten wählen, und diese auch nach Berlin gehen, bei jeder kirchenpolitischen Gesetzesvorlage jedoch unter Protest das Haus verlassen und bei der Berathung und Abstimmung über solche Gesetze ihre Mitwirkung versagen, schreibt heute zur Situation:

Begreift man jetzt, warum wir so eindringlich schon seit zwei Jahren der Abstinenzpolitik das Wort geredet haben? Wir sind aus lauter Han­gen und Bangen immer selber mit dabei gewesen, wenn man uns ein Stück nach dem andern von unserer Religionsfreiheit abgerissen hat und haben immer mitgesprochen und mitgestimmt, als wenn es sich um einen alten Nockflügel handeln würde, den wir uns morgen wieder annähen lassen können. Jetzt haben wir die Bescheerung. Die Führer des Cin­trums sind in einer recht traurigen Lage. Sie müssen consequenter Weise auch jetzt mitthun, nachdem sie in hundert analogen Fällen mitgethan ha­ben. Sie können jetzt auf einmal nicht protestiren und sie können nicht gehen, nachdem sie bei dem Jesuitengesetz, bei dem Brodkordgesetz und bei ähnlichen schönen Gesetzen nicht protestirt haben und nicht gegangen sind. Wir beneiden die Herren Windthorst und Reichensperger um dies: Zwangs­lage wahrlich nicht; die Herren werden sich aber nicht verhehlen können, daß dieselbe nur das richtige Ende von einem verkehrten Anfang ist. Es rächt sich immer, wenn man aus irgend welcher Speculation die Prin­eipien preisgibt. Und diese bittere Erfahrung müssen jetzt die Führer des Centrums machen. Sie müssen gern oder ungern mitreden und mitstim­men bei jenem Parlamentsbeschluß, durch welchen die Grundgesetze unserer Glaubensfreiheit aufgehoben werden. Es wird, so hoffen wir, nun auch dem Centrum klar sein, daß seines Bleibens in einem solchen Parlamente nicht länger mehr ist und daß sie endlich von der Tridüne herabsteigen müssen. Die Discussion ist geschlossen, hat der sterbende Mallinckrodt aus­gerufen und hat damit angedeutet, daß die Zeit gekommen ist, wo Gott der Herr den Kampf für seine Kirche mit andern Mitteln führen wird. Mit dem Debattiren sind wir fertig.

Während der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauses fand im anstoßenden Ministersaale ein Ministerrath Statt, welchem Fürst Bismarck präsidirte. Es hieß, der Gegenstand der Bera­thung sei das Gesetz über Auflösung der Klöster und Congrega­tionen gewesen, worüber Fürst Bismarck dem Kaiser noch im Laufe des Tages Vortrag erstatten würde. Die Angabe, als wären dieser Vorlage manche Bedenken entgegen getreten, scheint

sich zu bestätigen. An dem Ministerrath betheiligten sich übrigens sämmtliche Mitglieder des Staatsministeriums, auch der Kriegs­minister v. Kameke und der Chef der Admiralität v. Stosch. Die Angabe, der Kaiser habe bereits seine Zustimmung zu dem Gesetz gegeben, ist falsch, doch dürfte nach der evangelischen Bekenntniß­rede des Reichskanzlers sie nicht mehr auf sich warten lassen. Ab­gesehen von den Eisenbahnvorlagen, welche der Handelsminister noch einbringen wird, dürfte mit dem bevorstehenden Gesetz über die Klöster das Material für die diesjährige Landtagssession end­lich abgeschlossen sein.

Am Montag wird die dritte Lesung über das Verfassungsgesetz und im Laufe der nächsten Woche schon die erste Berathung im Herrenhause stattfinden.

Das Staatsministerium hat eine Allerhöchste Ordre, betreffend die Umwandelung des Zeughauses in eine Ruhmeshalle, erhalten. Dasselbe soll Vorschläge zur Ausführung des Planes machen.

DieGermania widmet dem auf Samstag fallenden fünfzig­jährigen Priesterjubiläum des hochw. Herrn Fürstbischofs Dr. Heinrich Förster von Breslau ihren von Dr. Franz verfaßten heu­tigen Leitartikel. Die Katholiken Schlesiens haben ihre Ehre da­reingesetzt, das Jubelfest ihres Bischofes gerade unter den jetzigen Umständen auf das Feierlichste zu begehen.

= Straßburg, 16. April. Die deutsche Regierung macht mit ihrer Reichslandsuniversität und ihren hierhergebrachten Pro­fessoren nette Erfahrungen. Wer denkt nicht noch an den Professor des Strafrechtes, der im Universitäts=Einweihungsjubel in der Nacht zum 1. Mai 1872 den alten Herrn v. Ausseß so durch­holzte, daß der arme alte Greis starb. Das machte damals große Verlegenheit. Aber diese Verlegenheit ist nicht die einzige geblieben. Es ist von den importirten Professoren so Manches geschehen, worüber wir Elsässer herzlich lachten, die Verwaltung indeß vor Aerger gelb und grün wurde. Es ist aber noch besser gekommen. Bekanntlich ist derCulturkampf das Ideal der neudeutschen Büreaukratie, ein gewisses znoli me tangeres und wer ihn nicht glorifizirt und als Weisheit aller Weisheit preist, der ist kein Reichs­freund, nun und wer hätte es gedacht, kommen an der Reichsuni­versität so einige Professoren und nennen da denCulturkampf" Barbarei. So etwas ist doch unerhört und gleichwohl ist es ge­hört worden im Colleg des Professors der Jurisprudenz Herrn Sohm und da kommt nun auch noch Professor Heinrich Geffken und schreidt ein Buch voll Gruseln nennen es die Lieberalen eindickes Buch von 673 Seiten über Staat und Kirche (Berlin, Wilhelm Hertz, 1875) worin er sich schließlich mit aller Entschiedenheit gegen die Bismarck'sche Kirchenpolitik ausspricht und die Liberalen verurtheilt, welche diese Politik unterstützen.Der Liberalismus, an den Wagen des Culturkampfes gespannt, ver­läugnet alle Grundsätze, so schreibt der Herr Professor,um seinem Hasse gegen die Kirche genug zu thun, und fördert die geistige Verwüstung durch Auflösung jedes religiösen Bewußtseins; alle festen Begriffe von Gerechtigkeit und Freiheit gehen in dem sinnverwirrenden Lärm der nationalen Phrase unter" u. s. w. Jetzt herrscht großer Jammer im reichstreuen Israel.

O München, 15. April. Der Justizminister Fäustle ist in großer Verlegenheit. Er soll der Kammer im Herbste einen Gesetzentwurf über Einführung der Civilehe in Baiern vorlegen, findet aber in seinem Ministerium keinen Beamten, welcher der Aufgabe, einen solchen Gesetzentwurf auszuarbeiten, sich unterziehen möchte. Keiner von den Ministerialräthen will sein juristisches Wissen und Gewissen vor Mit= und Nachwelt compromittiren. Wie ich Ihnen bereits mitgetheilt habe, stehen nämlich einzelne Bestimmungen des Civilehegesetzes im Widerspruche mit den Stipulationen des Concordates bezüglich der Ehegerichtsbarkeit. Das Concordat besteht aber in Baiern zu Recht, darum müßte die Arbeit eines gewissenhaften und logisch denkenden Juristen über Einführung der Civilehe zu Resultaten führen, welche dem Mi­nister nicht genehm sein können. Entweder Verzicht auf Einfüh­rung der Civilehe oder Aufhebung des Concordates, auf diese Alternative wird jeder Jurist stoßen. Das Eine kann Fäustle des Reiches wegen, das Andere der Volksvertretung wegen nicht. Mit gewundenen Phrasen, wie Fäustle im Reichstage sich zu helfen wußte, läßt sich ein Gesetzentwurf nicht zu Stande bringen. Darum ist große Noth im Justizministerium. Gottfried Schmidt, welcher im Auftrage der baierischen Regierung bei Ausarbeitung der Civilehe in Berlin thätig war, weigert sich entschieden, das Einführungsgesetz zu machen. Ebenso Ministerialrath Lor. In dieser Verlegenheit richteten sich die Blicke des Justizministers sehnsüchtig nach einem Professor. Die deutsche Wissenschaft bringt alles fertig. Hr. v. Sicherer soll der Künstler sein, welcher Civil­ehe und Concordat zu reimen versteht. Vor zwei Jahren stellte der ultramontane Abg. Dr. Freytag in der Kammer den Antrag, daß kein Beamter an Actiengesellschaften sich betheiligen dürfe. Der liberale Landtags= und Reichstagsabgeordnete Stenglein mußte seine Stelle als Appellrath niederlegen, um Verwaltungsrath der Ostbahnen bleiben zu können. Bei der Generalversammlung der Ostbahnaktionäre sprach er gegen den Ankauf, angeblich, weil das Kaufoffert zu gering sei. In der Kammer enthielt er sich der Abstimmung. Sicherem Vernehmen nach soll er jetzt zum Ober­appellrathe ernannt und als Hilfsarbeiter in's Ministerium der Justiz einberufen werden, wo er gute Dienste leisten kann. Stenglein ist ein Culturkämpfer hervorragendster Sorte, er ver­langt in seinem Wahlprogramme für den Reichstag die Einfüh­rung der preußischen Maigesetzgebung in Baiern durch das Reich. Stenglein dürfte neben Sicherer am besten qualifizirt sein, die erste Bresche in das Concordat durch Einführung der Civilehe in Gneist'scher Manier durch Phrasen von der Souveränetät der staatlichen Gesetzgebung zu rechtfertigen.

München, 16. April. Der Landtag ist so eben durch Prinz Luitpold geschlossen worden. Der Landtagsabschied besagt: sämmt­liche vereinbarte Gesetze sind sanctionirt, sämmtlichen Wünschen und Anträgen Gewährung zugesagt. Es wird Dank und Aner­kennung ausgesprochen dafür, daß auch für das ideale Leben (Akademiegebäude) gesorgt worden ist, dagegen wird lebhaft be­dauert, daß das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Militär­beamten abgelehnt worden, und die Hoffnung ausgedrückt, daß auch die künftige Landesvertretung dem König treu zur Seite