47. Jahrgang
Bonn, Dienstag den 28. Mai
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Von a. Hauptmann.
In unserer Montags=Nummer wurde schon gemeldet, daß Lenin eine Rede hielt; nach welcher er unter allen Umständen das Privateigentum vernichten, die umlaufenden Zahlungsmittel für ungültig erklären und durch neue ersetzen will, wobe Niemand mehr wie 2000 Rubel zurückerhalten soll. Lenin besitzt eben den Mut seiner Ueberzeugung, er vernichtet Rußland, ebenso wie man vor 250 Jahren mit demselben Mut der Ueberzeugung Hexen verbrannte. Besonders das Experiment, die bestehenden Zahlungsmittel für ungültig zu erklären, wird eine Bombenwirkung äußern, welche bisher in der Weltgeschichte noch nicht gesehen worden ist. Als die französische Republik ihre Assignate für ungültig erklärte, waren dieselben schon sehr durch die Verordnung entwertet, daß dieselben zu Steuerzahlungen nicht angenommen wurden, der Verlust war also nicht so bedeutend wie bei den russischen Scheinen.
Schon vor einem Monat hielt Lenin eine ähnliche Rede, in welcher seine Acußerung:„Unsere Macht ruht nicht auf Eisen, sondern auf Brei, und darauf kann man keinen Sozialismus aufbauen", pathologisch anmutete und den Eindruck einer beginnenden Gehirnerweichung machte. Er sagte unter anderem:
„Wer haben zwei Feinde: einen inneren und einen äußeren. Der Imperialismus wartet nur auf den Augenblick, wo er sich auf das SowjetRußland stürzen kann. Nach vier Kriegsjahren und einem solchen Zusammenbruch wie heute haben wir keine Armee. Der Krieg hat uns gelehrt, daß man zum Erfolg nicht nur Soldaten, sondern eine organisierte Technik braucht. Wir haben keins von beiden und können so keinen Widerstand leisten. Der Bruderkrieg ist heute zu Ende. Das war im ganzen für uns ein berauschender Erfolg. Jetzt ist die Lage anders. Der innere und der äußere Feind rücken mit aller Kraft heran, und wir müssen zurückweichen. Wir müssen uns nur halten, bis die Arbeiter der anderen Länder uns zu Hilfe kommen. Wir sind nur die Vorhut der sozialistischen Armeen. Wir müssen uns halten, die feste Linie des Proletarierkampfes einhalten, wenn nötig, zurückweichen und lavieren, aber uns halten bis zum Angriff der reifenden sozialistischen Revolution. Gegen uns rückt das Element des kleinbürgerlichen Eigenbesitzes an, das Streben, zu nehmen, wo und wie man kann. Das ist unser Feind. Wenn wir diesen nicht vertreiben, kommen wir nicht zum Sozialismus. Man weist uns auf eine Verständigung mit der Bourgeoisie hin. Nein, diese wird es nicht geben. Jetzt, wo der Hunger herannaht, sollen alle klassenbewußten Arbeiter sich immer sagen, daß das Heil allein in ihnen selbst liegt. Wir stehen gegen Cutsb sitzer und Kapitalisten und alle, die ihnen folgen. Wir haben unsere kleinbürgerlichen, kleinen Eigentumsinstinkte noch nicht besiegt. Nur die So jets und die Diktatur der Arbeiter können uns retten, und wir werden schonungslos gegen alle vorgehen, die uns desorganisieren wollen.“
Wie man sieht, wartet dieser Geistesgestörte darauf, daß in allen übrigen kriegsführenden Ländern die Revolution ausbricht und diese Rußland zur Hülje kommen. Es ist übrigens noch eine Frage, wer non den Dreien: Wilson, Lloyd George oder Lenin, der größte Narr ist und es bedeutet ein tragisches Geschick der Menschheit, die doch über so viel Verstand verfügt, daß sie so häufig in der Weltgeschichte sich von Narren hat leiten lassen.
In Petersburg herrscht augenblicklich die größte Hurgersnot. in Moskau liefern nach einem Bericht des„Temps“ Banden von Plünderern der Polizei, welche völlig machtlos ist, wahre Schlachten. Seit weniger als einem Monat wurden in Moskau über 10.000 Einbrüche und Angriffe ausgeführt.
Nach den Statistiken der Arbeiterbörse in Moskau haben die Löhne vom Juli 1914 bis zum Juli 1917 eine Steigerung erfahren, die allerdings dem Weltproletariat verlockend erscheinen könnte. Es stiegen die Tagelöhne der Schreiner, Erdarbeiter, Maurer. Maler, Schmiede, Schlosser, Taglöhner in diesem Zeitraum von 1 bis 2 Rubel 25 auf 8 bis 9 Rubel. Es ergibt sich eine durchschnittliche Erhöhung der Löhne um 515 Prozent. Während der gleichen Periode stiegen jedoch die Lebensmittelpreis um 536 Prozent. Noch stärker sind die Preise von Industrieprodukten, die überhaupt fast vollständig fhlen, gestiegen. Laut Statistiken des Gemeinderates von Moskau stiegen die Preise z..: Kaliko um 1173 Prozent, Tuch um 1233, Schuhe für Mäiner um 1700 Prozent, Kleider um 900 Prozent, Metallgegenstände um 1900 Prozent usw.
In Petersburg, wo im Frühling 1917 ebenfalls Aufstellungen gemacht wurden, ergaben sich ähnliche Resultate. Während dort ein Arbeiter im Jahre
1914 14 Prozent seiner Ausgaben für die Wohnung, Heizung und Beleuchtung verwenden konnte, mußte er im Jahre 1917 diese Rate auf 8 Prozent herabsetzen. Seine Ausgaben für Medikamente, Vergnügungsanlässe usw. hatte er auch von 12 auf 8 Prozent zu reduzieren. Die Rate für das Essen ging dagegen von 60 auf 72 Prozent, so daß der russische Arbeiter zurzeit etwa drei Viertel seines Einkommens für die Ernährung verwenden muß. Das Los der Arbeiter ist also trotz den Lohnerhöhungen kein beneidenswertes.
Das„Journal“ vom 22. berichtet, daß Lenin in einer Rede in Moskau gesagt habe:„Die Republik der Sowjets stellt eine Oase inmitten eines wütenden Ozeans der imperialistischen Beraubung dar.“ Dieser schöne Satz ist ein weiterer Beweis seiner Geistesstörung, da er eine Oase mit einer Insel und den Ozean mit einer Wüste verwechselt. Ein Redner der Linken rief ihm hierauf zu, er sei ein unbelehrbarer Phrasendrescher dessen soziale Republit vor dem Eintreten der großen sozialen Revolution zu Grunde gehen werde. Das„Journal“ schließt seinen Artikel mit dem Satz, daß die bolschewikische Presse in Moskau den Eindruck äußerster Unruhe und Nervosität mache, die bei der maximalistischen Regierung herrsche.
Aber bei uns gibt es genau dieselben Phrasendrescher, dieselben Fanatiker, wie Lenin und Genossen, und diese bilden sogar zur Ehre des deutschen Volkes die stärkste Partei im deutschen Reichstage. Auf diese Herren wartet Lenin, auf diese Herren, die schon den verunglückten Streik ins Leben gerufen haben.
Die Tätigkeit der-Boote.
WIB. Berlin 26. Mai. Amtlich. Neue Ubootser folge im Sperrgebiet um Italien: Fünf Dampfer von zusammen etwa 27000 BRT. Hiervon versenkte das von Kapitänleutnant Heinrich XXXVII. Prinz von Reuß befehligte Üboot drei wertvolle große Dampfer von zusammen rund 19000 BRT., darunter den französischen Truppentransportdampfer„St. Anna“ von 9350 BRT. Im Anschluß an die am 8. Mai veröffentlichten Erfolge eines Ukreuzers im Sperrgebiet um die Azoren ist nachträglich festzustellen, daß ein von ihm aus einem großen gesicherten Geleitzug auf dem Wege Gibraltar=England durch Torpedo versenkter Dampfer, der auf etwa 4500 BRT. geschätzt wurde, inzwischen als der englische Truppentransportdampfer„Nirpura“ von 7640 BRT. mit einer englischen Kavallerieabteilung an Bord, ermittelt worden ist. Der Chef des Admiralstabes der Marine.
Gegen die französischen Eroberungspläne.
WIB. Bern: Renaudel schreibt in der Humanite, daß alle Welt das Bedürfnis empfinde, über die Friedensbedingungen klar zu werden. Die ganze Welt suche einen Weg aus dem Kriege. Es sei erstaunlich, daß gerade in einem solchen Augenblick von gewissen Zeitungen, u. a. vom Tempo, ein heftiger Feldzug für das linke Rheinufer begonnen werde. Dieser Standpunkt sei mit den von der Entente vertretenen Forderungen auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Freiheit aller Völker unvereinbar.
Clemenceau vor dem Sturz— wenn Soch unterliegt.
Aus London wird berichtel, daß nach dort eingetroffenen Nachrichten die französischen Sozialisten in den letzten Tagen der bestimmten Ansicht gewesen seien, die Regierung werde den Prozeß Caillaux nicht durchführen, weil sich eine Anzahl Minister bei Clemenceau dafür verwandt hatte, den Prozeß vorläufig ruhen zu lassen, bis die Bevölkerung, die über die nächste Zukunft sehr besorgt sei, sich beruhigt habe, also für die Zeit nach der erwarteten Offensive zu vertagen. Die Pariser Sozialisten sind der Ansicht, es würde in Frankreich demnächst eine neue Regierung ans Ruder kommen. Renaudel sagte: Nach einer Niederlage Foch muß ein Ende kommen Das ist klar und wird auch vom Volke bestimmt erwartet.
Im„Populaire du Centre“ schreibt der Deputierte Pressemans: Balsour, Cecil und Wilson seien bereit, jederzeit in Friedensverhandlungen einzutreten. Jetzt müsse man nur noch wissen, wie die französische Regierung darüber denke. Ganz zu unrecht halte diese die Stimme der Zeitungen für die Stimme des Volkes und das erzwungene Schweigen des Landes für die Bewilligung ihrer Politik. Clemencean solle sich endlich davon überzeugen, daß nicht das ganze Land hinter ihm stehe. Dies wäre der Fall. wenn er außer dem Willen den Krieg zu führen auch den aufrechten Wunsch hegen würde, Frieden zu schließen.
Der Verlust eines deutschen=Bootes.
WTB. London 26. Mai. Die Admiralität teilt mit: Eines unserer atlantischen Geleit=Unterseeboote berichtet nach Rückkehr in seinen Stützpunkt: Am 11. Mai sichtete es auf der Höhe von Cap St. Vincent, während es auf den Geleitzug wartete, ein deutsches Unterseeboot vom sogenannten Kreuzertyp und versenkte es. Da zurzeit schwerer Seegang war, gab es keine Ueberlebenden. Kurz darauf wurde ein anderes feindliches Unterseeboot gesichtet, aber da es eiligst tauchte, entging es dem Schichsal seines Gejährten. Angesichts der Tatsache daß es der erste Untersee=Kreuzer ist, der zerstört worden ist, wurde beschlossen, von der üblichen Regel, die Zerstörung einzelner feindlicher Unterseeboote nicht zu melden, abzusehen.
(Da über eines unserer westlich von Gibraltar operierenden Üboote seit längerer Zeit keine Nach richten vorliegen muß mit einem Verlust auf die englischerseits gemeldete Weise gerechnet werden.)
Der Rückgang der niederländischen Uebersee=Trustgesellschaft.
Weil die holländische Schiffahrt doch lahmgelegt worden ist und weil wegen der Tauchbootgefahr und wegen Mangels an Tonnage gleichfalls keine fremden Schiffe ihre Produkte nach holländischen Häfen bringen, hat die Niederländische UeberseeTrustgesellschaft(N. O..) sich gezwungen gesehen, eine große Anzahl ihrer Angestellten zu entlassen und fünf von ihren bisher gebrauchten Gebäuden zu räumen. Die Geschäfte werden in bedeutend bescheidenerem Umfang weitergeführt. Auf diese Weise verschwindet die Niederländische Uebersee=Trustgesellschaft, die doch zugunsten der Entente gearbeitet hat, durch den Lauf der Ereignisse allmählich von selbst. Diese Gründung ist der erste Schritt Hollands gewesen auf der Bahn der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Entente. Der Schiffsraub war die letzte Konsequenz.
Ein Seueralissimus, der zum Gemeinen degradiert wurde.
Die Helsingforser Tageszeitungen geben folgenden Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Roten Kriegsgerichts in Wiborg am 28. April wieder:„Das Gericht verhandelte über eine gegen den früheren Oberbefehlshaber der Roten Garde Eero Araonpoika Haapalainen angestrengten Klage wegen Säuferei, unpassenden Benehmens auf öffentlichen Plätzen und unvorsichtiger Handhabung geladener Schußwäffen. Nach Prüfung der Klage wurde folgender Beschluß gefaßt: Der Beklagte Eero Argonpoika Haapalainen wird wegen Säuferei, unpassenden Benehmens auf öffentlichen Plätzen und unvorsichtiger Handhabung geladener Schießwassen dazu verurteilt, zugunsten der Garde einen fünfundzwanzigtägigen Sold zu entrichten; er wird ferner zum gemeinen Frontsoldaten degradiert und durch Kommando des Distriktbefehlshabers an die Front geschickt. Der Beschluß muß in dem Tagesbesehl der Garde veröffentlicht werden.“ — Ein Generalissimus, der zum gemeinen Soldaten degradiert wird, ist sicher etwas Außergewöhnliches. Ebenso merkwürdig ist der Umstand, daß Haapalainen gerade wegen solcher Verfehlungen verurteilt worden ist, deren sich die anderen roten Gardisten in mindestens ebenso hohem Grade schuldig gemacht haben.
Der Kampf gegen das Deutschtum in Brasilien.
Wie der Temps aus Rio de Janeiro meldet hat die Regierung beschlossen, alle deutschen Ortsnamen durch brasilianische zu ersetzen.
Die Russen in Amerika.
Daily Telegraph meldet aus Washington: 200000 Russen in den Vereinigten Staaten haben die Erlaubnis zur Rückkehr nach Rußland nachgesucht.
Kriegsrausch in Italien.
Lugano, 26. Mai. Telegr.=Union. Die römischen, Mailänder und die sonstigen italienischen Blätter veröffentlichen acht bis neun Spalten lange Berichte über die Jahresfeier in Rom. Sogar Gedichte füllen die Spalten der Zeitungen. Die Wiedergabe aller Reden und Glückwunschtelegramme ist einfach unmöglich. Die Zahl der Straßenumzüge und Kundgebungen war ungeheuer. Zahlreiche Gedenkseiern wurden im Lande veranstaltet. Mit großem Jubel und Lärm seierte man den Endsieg des Verbandes und berauschte sich an kriegshetzerischen Reden. Der neutrale Beobachter mußte sich unwillkürlich an den Kopf fassen und sich fragen, aus welchem Grunde sich das Volk dem hysterischen Freudenrausch hingebe, denn Veranlassung habe es doch wahrlich nicht im geringsten, Siegesfeste zu seiern angesichts der für Italien wenig erfreulichen
Kriegslage. Die blühende venezianische Provinz ist vom Feinde besetzt. Millionen von Italienern haben seit der Kriegserklärung den Tod auf den Schlachtfeldern gefunden, oder sind verwundet, gefangen oder dauernd zum Krüppel geschossen worden, das ganze Volk leidet Hunger, der Staat steht vor einer finanziellen und wirtschaftlichen Katastrophe. Für diesen Widersinn kann es nur eine Antwort geben, nämlich, daß die Feiern durch die italienische Presse auf Drängen Englands veranstaltet worden sind, um das murrende italienische Volk in einer Wolke von Festweihrausch einzulullen und es zum Weiterkämpfen für Englands Kriegsziele aufzustacheln. Deshalb haben Lloyd George, Lord Robert Cecil und General Smuts durch den Berichterstatter des Secolo dem Volke Grüße senden lassen. Sie haben den Italienern Bewunderung vorgeheuchelt und den Heroismus Italiens betont; die alten Phrasen vom Zusammenbruch Deutschlands und vom Endsieg des Verbandes hat man wieder aufgewärmt. Um Italien weiter im Banne zu halten, telegraphierten Poincare und der König von England nach Rom. Deshalb hoben sie die Unauflöslichkeit der mit Blut befestigten Bande hervor, die Italien, England und Frankreich nunmehr fester denn je zur Verteidigung des Völkerrechts und der Völkerfreiheit vereinigen. Aus diesem Grunde stammelte eine armselige Drahtpuppe, der Prinz von Wales, dem römischen Volke einige Worte vor. Ein amerikanischer Abgeordneter hielt eine hochtönende Bluffrede. Vom ungeheuern Beifall der Massen angefeuert, verhöhnte Orlando das Friedensangebot des Kaisers, begeistert verkündet er die Erlösung Triests, Straßburgs und Warschaus vom drückenden Joch des Feindes. Amerika feierte er als den kommenden Befreier Europas. Die Ueberreichung der Fahne für die tschechischen Freiwilligen erregte einen maßlosen Jubel. Rufe„Nieder mit Oesterreich“ wurden laut, Sonnino, Wilson, Belgien, Serbien und alle die Schmerzenskinder des Verbandes wurden von den Rednern gefeiert. Das Volk klatschte tumultuarisch Beifall. Das ganze war, mit einem Wort gesagt, ein riesiger Hexensabbath, dem zweifellos der etnsprechende Katzenjammer auf dem Fuße folgen wird.
Jum Tode
des Reichstagspräsidenten.
Der Reichskanzler hat, wie die Nordd. Allg. Ztg. mitteilt, an das Reichstagspräsidium folgendes Telegramm gerichtet: Dem Reichstage spreche ich zugleich im Namen der Reichsleitung das aufrichtigste Beileid anläßlich des Heimganges seines hochverdienten langjährigen Herrn Präsidenten aus. Es war ihm vergönnt, in großer Zeit dem Vaterlande Dienste zu leisten, die ihm einen ehrenvollen Platz in der Geschichte des deutschen Reichstages sichern werden. Der Tochter des hingeschiedenen Präsidenten Frau v Redern sprach der Reichskanzler sein Beileid in einem Telegramm aus, worin es heißt: Lange Jahre gemeinsamer Arbeit im Parlament verband mich mit dem Verewigten und ließ mich seine vorzüglichen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten würdigen. Seine Verdienste um das Vaterland in seiner schweren Zeit werden bei der Reichsregierung und bei dem deutschen Volke unvergeßlich bleiben. Näheres über die Beisetzung, die Mittwoch stattfinden soll, wird heute beianntgegeben.
Die neue Besetzung des Reichstagspräsidiums wird so gedacht, daß die beiden stärksten Fraktionen. Zentrum und Sozialdemokraten, die infolge der Parteikonstellation von 1912 unvertreten waren, herangezogen werden. Wie die Voss. Ztg. erfährt, kommen die Abg.Fehrenbach(Ztr.) und Scheidemann(Soz.) in Betracht Die Kandidatur des Grasen Posadowski, die in der Presse erörtert wurde, wäre nach der persönlichen Seite eine allen Parteien willkommene Lösung. Sie scheitert aber daran, daß der frühere Reichsschatzsekretär Vorstandsmitglied einer der kleinsten Fraktionen ist, der die großen Fraktionen den Vortritt nicht lassen wollen.
Kaiser Karl und die österreichische Nationalitätenfrage.
WTB. Wien 25. Mai. Der Kaiser empfing heute in Gegenwart des Ministerpräsidenten Dr. von Seidler mehrere Abordnungen aus den südlichen Alpenländern. Die Führer derselben wiesen darauf hin, daß in den meisten dieser von Deutschen und Slowenen bewohnten Gebiete bis vor kurzem ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Volksstämmen bestand, das jedoch insbesondere durch die bekannte vorjährige südslawische Maideklaration gefährdet wurde. In den Deputationen war auch die slowenische Stajerc=Partei vertreten, deren Programm seit jeher strenges Festhalten des un
zerreißbaren Zusammenhanges der Kronländer mit dem mächtigen unzerstörbaren Oesterreich, sowie gemeinsame wirtschaftliche Arbeit der Deutschen und Slowenen war. Endlich war auch die Vertretung der Deutschen Triests und des Küstenlan des erschienen, die auf die natürliche wichtige Rolle des Deutschtums für die Beziehungen des Reichshafens und der ganzen Meeresküste hinwies.
In seiner Erwiderung sagte der Kaiser die ernsthafteste und wohlwollendste Erwägung der vorgebrachten Wünsche zu. Das Bedürfnis, die noch offene Nationalitätenfrage des Staatswesens der Lösung zuzuführen, sei äußerst dringend. Welche Aenderungen auch immer in den Einrichtungen des Staatswesens Platz greifen würden, die Festigkeit seines Gefüges dürfe keine Lockerung erfahren. Die Regierung werde nicht verabsäumen, den Agitationen, die die Kraft und Geschlossenheit des Staatswesens zu gefährden drohen, mit allen ihr gesetzlich zustehenden Mitteln entgegen zu treten.
Der Kaiser fuhr fort:„Manches in den Beding= ungen für die nationale und kulturelle Entwickelung der einzelnen Völker ist bei uns einer Verbesserung bedürftig, und meine Regierung ist eifrig bestrebt, die richtigen Wege zu einer allseits befriedigenden Lösung dieser Grundlagen zu finden. Eine solche Lösung kann im österreichischen Rahmen erfolgen. Sie darf die historischen Eigentünsichkeiten der Länder, die Festigkeit ihres Zusammenschlusses,, die Freiheit unserer großen wirtschaftlichen Wege, die geistigen und materiellen Grundlagen für die Geschlossenheit der Kräfte und der Gedeihens des Staatowesens auch nicht im mindesten beeinträchtigen. Hegen Sie darum keine Besorgnis, daß eine gegen die unverbrüchliche Festhaltung dieser obersten Richtlinien geführte Agitation sich ungehindert ausbreiten, geschweige denn sich in der künftigen Gestaltung der Dinge zur tatsächlichen Geltung bringen könnte. Dem deutschen Volk in Oesterreich sei eine große und wichtige Aufgabe zugedacht, würdig jener alle Erwartungen übertreffenden, unvergleichlichen Leistungen, die es in den Zeiten des Krieges erbracht und auf die es mit Recht stolz sein darf.“„Ich zähle— so schloß der Kaiser— auch künftighin auf die Treue und bewährte Mitarbeit der Deutschen. Schon darin mögen Sie die volle Beruhigung finden, daß die Rechte des deutschen Volkes und die Bedingungen für die Wahrung und Entwickelung seines Volkstums und seiner erprobten Geltung im Staate niemals eine Beeinträchtigung finden werde.“
Der Kaiser über die Tätigkeit der Krankenschwestern.
WIB. Berlin: Gelegentlich der ersten Tagung über die Kaiser=Wilhelm Schule deutscher Krankenpflegerinnen des Vaterländischen Frauenvereins, die am 25. Mai im Abgeordnetenhause in Berlin stattfand, sandte der Hauptvorstand des Vereins dem Kaiser einen telegraphischen Huldigungsgruß auf den der Kaiser erwiderte:
Ich bin durch die Kaiserin über die erfolgreiche Kriegsarbeit des meinem Hause eng verbundenen Vereins dauernd auf dem Laufenden gehalten und habe mich deshalb besonders gesreut, ihm durch die Förderung der Kaiser=Wilhelm=Schule ein neues Zeichen meiner sreundlichen Gesinnung gewähren zu können. Je tiefer der Krieg in alle Verhältnisse des Volkes und der Familie eingreift, um so weniger kann das Vaterland die heilende, pflegende und ausgleichende Mitarbeit der Frau entbehren. Die deutsche Frau bringt für solche Arbeit die Tugenden mit, deren Erhaltung und Nutzbarmachung uns besonders am Herzen liegk und die ich im Vaterländischen Frauenverein mit besonderer Treue gepflegt weiß. Möchte Gottes Segen auf der Anstalt ruhen. Sie darf meiner dauernden Fürsorge und meines besonderen Schutzes sicher sein.
gez. Wilhelm I. R.
Die mitteleuropäischen Wirtschaftsvereinigungen.
WTB. Wien 25. Mai. Meldung des Wiener Korrespondenzbureaus. Die Vorstände der drei mitteleuropäischen Wirtschaftsvereine traten nat, Schluß der Tagung zu einer Besprechung zusammen, in der mit Befriedigung festgestellt wurde, daß die handelspolitischen Verhandlungen zwischen den verbündeten Mächten zu ihrer Grundlage und zu ihrem Ausgangspunkte Beschlüsse der mit.=leuropäischen Wirtschaftsvereine genommen haben und das von den Vereinen gewünschte einheitliche Zollschema bereits fertiggestellt und eine Einigung über die Zollgesetze erfolgt ist. Weiterhin wurde mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß das von den drei Vereinen empfohlene einverständliche Vorgehen beim Abschluß von Handelsverträgen mit dritten Staaten bei den letzten Verhandlungen mit Rußland. der Ukraine und Rumänien durch alle
Die Verhaftung des Herrn Dassel.
62 Berliner Roman von Friedrich Hey.
Nachdruck verboten.
Trotzdem er die Plätze vorausbestellt hatte. war Hartig schon vor Oeffnung der Bahnsperre oben, und als die Schranken geöffnet wurden, rief er: „Rasch, rasch!“ Da er das Rückwärtsfahren vorzog, nahm er den Fensterplatz in der Zugrichtung ein, Mama ward gegenüber placiert. die Töchter hatten die Eckplätze an den Türen. Papa hatte sogleich tausend Geschäfte, packte nervös die Lodenmänte! aus als Sitzunterlage, schnürte die Rucksäcke wieder zu, verstaute sie samt den Koffern, änderte und änderte, holte aus dem seinigen das Kursbuch heraus, verschnürte, verstaute, holte ihn wieder herab um den Reiseführer bei der Hand zu haben, verschraubte die Feldflasche noch einmal usw.
Die Töchter sprachen kein Wort. Schon seit mehreren Tagen nicht, seit der Rückkunft des Vaters aus Bansin. Melitta argwöhnte eine niederträchtige Intrige der Aelteren. Jetzt zog sie die Vorhänge nach dem Gang dicht zusammen und hielt die Tür fest, sooft sich draußen Tritte hören ließen.
„Wenn wir hier nicht allein bleiben im Abteil, komme ich um.“
Erna hielt die Hände auf dem Schoß gefaltet und hing ihren stillen Gedanken nach.
Das Manöver mit den geschlossenen Gardinen glückte ansangs. Aber zehn Minuten vor Abgang mehrte sich das Getrappel auf dem Wagengange. Eiie Mange Menschen mußte plötzlich zekommen sein. Rtig! Die Tür ward aufgerissen.
„Au!“ klagte Melitta.
Ein surchtbar dicker Berliner ward sichtbar.
„Den Rumpitz kennen wir! Schadt nischt, mach es ooch so.'n Tag, die Herrschaften!" Dann drehte er sich um und rief in den Gang hinaus:„Hier! Man rin, Justav! Ottol Hier sind noch vier Plähe!
„Oh!" seufzten Hartigs.
Justav wai ebenfalls ein beleibter Weißbierkönig, Otto dagegen normal. Der Dicke ließ sich nedn Melitta auf die Bank plumpsen.
„Aber, das ist doch unmöglich!“ rief sie.
„Es jenht allens! Ham Se feer zwee Plätze ber zahlt Freilein—.—? Nee? Ick ooch nich!“
Entrüstet wich die Geheime=Raths=Tochter vor ihm in die Ecke.
„Danke scheenstens, na, sehen Se, mit en bißken Jejenliebe läßt sich allens machen!“
Im letzten Augenblicke erschien noch ein Reisekoffer in der Tür, dem ein junger, blasser Mann folgte.
„Ist hier etwa noch ein Platz!“ frug er schüchtern. „Natürlich!" rief der Dicke.
In dem Augenblicken, als er seinen Handkoffer in das Gepäcknetz schwingen wollte, zog die Lokomotive an, der Jüngling fiel Herrn Hartig in die Arme und trat ihn auf den Fuß.
„Oh!“
„Verzeihung mein Herr!“ Er entschuldigte sich tausendmal und setzte begütigend hinzu:„Ich fahre nur bis Halle!"
Als man durch Lankwitz sauste. sprach der Justav: „So, nun können wir anfangen. Bis Jena sinds drei Stunden, da kann noch eine Menge Geld verdient werden."
Der Otto balancierte einen Handkoffer herunter, stellte ihn auf die schmale Seite und breitete einen Lodenmantel darüber aus. Und nun eing das Skatdreschen los. Den Geheimen Rat machte es nervös. Das grobe Aufwichsen der Karten erboste ihn geradezu. Und noch dazu die einfältigen Redensarten bei jedem Blatt! Ein Mensch von Erziehung spielt schweigend und diskret.— Beim Passieren von Trebbin mußten es über dreißig Grad im Abteil sein. Selbst aus dem trockenen dürren Hartig trat der Schweiß in Bächen hervor. Er öffnete das Fenster, aber nach kaum zwei Mi
nuten richtete der blasse Jüngling flehende Blicke an ihn:„Ach, d ürfte wohl geschlossen werden? Ich darf nicht in der Zugluft sitzen. Ich din nämlich erst gestern aus der Charite entlassen worden.“
Frau Hartig rückte erschrocken von ihm ab und drückte sich so weit wie möglich an die Außenwand des Wagens.
„Wat hat Ihnen denn jefehlt?“ sagte der Dicke mit einem mißtrauischen Seitenblick.
„Ich habe die Masern gehabt!“
„Oh! Oh!“ riefen Frau Hartig und Melitta wie aus einem Munde.
„Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, meine Damen“ erwiderte der Jüngling sanft,„ich habe bereits gebadet. Ich bin wieder gesund. Nur vor Zugluft muß ich mich hüten!“
„Na, dann hilft es nischt! Da heeßt es eenfach: Siemens, mach die Klappe zu!“ sagte gutmütig der Dicke und zog ohne weiteres die Fensterscheibe wieder hoch.
Der Zug rollte weiter. Herr und Frau Hartig seuzten still vor sich hin, Melitta schüttelte wütend die Fäuste.
Man donnerte und rürtelte durch die Weichen der Station Luwenwalde.
„Uff=“ stöhnte der Gustav. Wenn't nich anders jeht, dann jehts nich anders.“ Und knöpfte Krawatte und Kragen ab und schlüpfte aus dem Jackett.
„Erlauben Sie!" rief der Geheime Rat.„Nehmen Sie doch Rücksicht auf die Damen.“
Sin Se man jemietlich!" lachte der Dicke.„Wir machen bloß Balltoilette. Bei Hofe tanzen die Damen noch viel dekolletierter! Uebrigens unsere Sports=Uniform: wir sind Skat= und' Kegelklub. Kegeln Sienich ooch'n bitzken? Wenn Sie jescheit sind, machen Sie uns et nach, Bei so'ner Hitze hilft das nischt. Wenn mir hier der Schlag riehrt, haben Sie noch vie. mehr Unannehmlichkeiten.“ Und da krempelte er sich sogar noch die Hemdärmel auf.
„Wir hätten doch zweiter Klasse fahren sollen!" sagte Hartig mit starker Betonung zu seiner Gattin.
„Det kennen Sie ja noch immer!“ rief plötzlich der Otto.„Die Herrschaften brauchen et bloß den Zugführer zu melden und nachzuzahlen.“
Der Geheime Rat drehte dem lachenden Kleeblatt
verachtungvoll den Rücken zu und schaute zum Fenster hinaus.
Oh! Ohl seufzte er im tiefen Grunde seinen Seele. Melitta hatte doch wohl recht! Dort oben an der See, da wäre es kühler, wäre besseres Publikum! Bis ein halb zehn Uhr abends diese entsetzliche Fahrt! Wer aber war an all dem schuld? Dasse!! Dassen!!— Oh. dieser entsetzliche dieser abscheuliche Name! Es krampfte sich alles in ihm. Er sah auf seine Gattin. Diese lag in die hölzerne Ecke des Abteils gedrängt und schlummerte. Noch bis in die Nacht hatte sie gepackt, die Möbel zugedeckt und eingekampfert. Und schon am frühen Wrgen war sie als erste ausgewesen. Kein Wunder, daß sie müde war! Er beugte sich vor und sah nach Melitta. Diese sprang plötzlich empor, riß die Tür beiseite und stellte sich in den Gang. Teilnahmsvoll schaute er ihr nach und überlegte, ob er zu ihr hinausgehen sollte. Aber dann hätte er an den Skatspielern vorbei und sie um Entschuldigung bitten müssen. Dazu hatte er keine Lust. Und während er erwog und nachsann, fielen auch ihm die Augen zu.
K
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