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General-Anzeiger für die rheinische Hauptstadt.* Kölner Fremdenblatt.
D AA Schchche erchn. i# en. u. 3n. mantag 10 gz: Lgasts Atat. ztuz, Heute s6 JSeiten.
Nr. 257. 24. Jahrgang. Fernspr.:. Geschöftstelle Preitestr. 832&a cess. KSsn. Mollag, 18. Jevtember 191. u t
* Wien, 17.8spl.1911.(Drahtber.) Heute vormittag haben zor dem Rathause und in der Volkshalle des Rathauses sozialzemokratische Kundgebungen gegen die Lebensmittelteuerung une das Fleischeinfuhrverbot stattgefunden, an denen sich etwa 40000 Personen beteiligten. Nach Schluß der Versammlungen sam es zu schweren Ausschreitungen. Die vor dem Rathause Versammelten schrien, johlten und zertrümmerten zahlreiche Fensterscheiben am Rathause und an Privatgebäuden. Kaval= lerie und Infante rie mußten hinzugezogen werden. Den Truppen gelang es, die Meng gegen die Bezirke abzudrängen. Auch auf dem Schmerlingsplatze und am Gebäude des Verwaltungsgerichts zertrümmerten die Demonstranten zahlreiche Feusterscheiben. Erst nach dem Eintreffen von Verstärkungen der Kavallerie und Infanterie konnte die Ruhe wieder hergestellt werden.
Sowohl auf seiten der Sicherheitswache wie auf der der Demonstranten gab es Verletzte. Auch in den Bezirken wurden Ausschreitungen begangen, namentlich in Ottakring, in der Lerchenfelderstraße, der Kaiser= und der Thaliastraße, wo an
hiedenen Geschäften die Fensterscheiben und Lichtkörper zernümmert wurden. Auch die Straßenlaternen wurden„ertrümmert. In Ottakring erstürmte und verwüstete die Menge die Schule am Hoferplatz, griff die Straßenbahnwagen an und vermäte zwei in Brand zu stecken. Auch hier griffen Truppen ein, die von der Waffe Gebrauch machen mußten, ehe die Demonstranten sich zerstreuten. Bei dem Vorgehen der Kavallerie auf die Widerstand leistenden Massen sind, wie verlautet, 6 Personen(?) getötet und 8 verwundet worden.
* Wien, I7.Sept.1911.(Drahtb.) Abends nahmen die E zesse im Bezirk Otiakring einen ernsteren Charakter an. Die Demonstranten zertrümmerten in den Hauptstraßen die Gaslaternen, um das Militär au weiterem Vorrücken zu hindern. Als aus den Reihen der Demonstranten und zum Teil aus nicht erleuchteten Wohnungen verschiedene Wurfgeschosse auf die Polizei und das Militär geschleudert wurden, machte das Militär von der Schußwaffe Gebrauch. Wie es bis gegen 10 Uhr abends hieß, wurde eine Perion getölet, vier Personen wurden schwer und gegen 80 mehr oder weniger schwer verletzt. Auf Seiten ues Militärs wurden gleichfalls mehrere Mann verwundet. Von der Polizei wurden mehrere Mann schwer verletzt. Im Laufe des Tages wurden in der inneren Stadt 70, in Ottakring 100 Verhaftungen vorgenommen. Die Exzesse blieben auf den Ottakring beschränkt. Gegen 11 Uhr nachts ist in Ottakring Ruhe eingetreten.
* Wien, 11.#rpt.1911.(Drahtv.) Ein Aufruf der sozialdemokratischen Parteileitung fordert unter Hinweis darauf, daß nach den ruhigen Arbeiterkundgebungen disziplinlose Elemente sdie mit der Sozialdemokratie beileibe nichts zu tun haben! Kampfe mit Militär und Polizei begonnen hätten, die Albeiter auf, sich jeder weiteren Demonstration zu enthalten und am Montag früh wie gewöhnlich die Arbeit wieder aufzunehmen.(Hintenach soll der Brunnen zugedeckt werden, nachdem sih die Sozialdemokratie voryer geweigert hatte, die sonst üblichen Erdner zu stellen und, nach dem Bericht der Köln. Hrg., die Führer dem wüsten Treiben ruhig zugeschaut hatten.
* Wien, 18.Sept.1911.(Drahtber.) 2 Uhr morgens. Nach den bisherigen Feststellungen soll bei den Ausschreitungen in Lttakring eine Person durch einen Bajonettstich getötet worden sein. Durch die von den Truppen abgegebene Salve wurden mehrere Ruhestörer schwer verletzt. Die Zahl der mehr oder winder schwer Verwundeten beträgt einschließlich des Militärs und der Sicherheitsmannschaften 58.
die zogernde und mangelhafte Berichterstattung über die gestrigen sozialdemokratischen Krawalle zu erblicken. Einige gelinde gesagt sehr mißverständliche Wendungen, wie z. B.„die abziehenden Truppen verursachten Ruhestörungen“, sind von uns überdies geändert worden.
Es liegt auf der Hand, daß diese Krawalle dem Wiener Freisinn von dem Kaliber der Neuen Freien Presse sehr ungelegen kommen. Die Erinnerung an das freisinnig=sozialdemokratische Bünduis bei den letzten Wahlen ist doch noch gar zu frisch. Man wird sich daher nicht wundern dürfen, wenn nicht bloß die sozialdemokratischen. Führer, sondern auch ihre freisinnigen Helfer sich nach Kräften bemüben werden, wenn nicht den Umfang der Ausschreitungen— das ist wohl nicht mehr gut möglich,— wohl aber die Verantwortlichkeit der Sozialdemokratie für das vergossene Blut und das zerstörte Eigentum, für das ganze vandalische Gebaren dieser Truppen, der glorreichen„Kultuipartei“ zu vertuschen und zu verwischen. Auch in Deutschland wird eine gewisse Galtung von Liberalismus sich wahrscheinlich Mühe geben, die Schuld allen möglichen anderen Faktoren, vorab den„Agrariern“, die doch weder an der schlechten Ernte noch an der Viehknappheit im Auslande schuld sind, in die Schuhe zu schieben, nur nicht der sozialdemokratischen Verhetzung, deren Früchte doch geeignet sein könnten, seibst manchen ihrer linksliberalen Leser, die sie zu Mitläufern der Sozialoemokratie— siehe Düsseldori— zu erziehen trachten, die Angen zu öffnen. Deshalb wird es nützlich sein, festzuhalten, was ein liberales Blatt, die Köln. Zig.(Nr. 1023) über die Schuld der Sozialdemokratie an den Wiener Krawallen berichtet:
Ueber die Verantwortlichkeiten des heutigen traurigen Tages kann man nunmehr ein germaßen klar sehen. Die Hauptschuldigen sind naturlich die Sozialdemokraten. Sie haben nicht nur seit Wochen die Arbeiter aufgehetzt, sondern auch absichtlich alles unterlassen, was einen ruhigen Verlauf der heutigen Demonstration verbürgt hatte. Es fehlten die sonst üblichen Oroner, die sich bei verschiedenen frühern Veranstaltungen überall gut bewährt haben. Die Masse der Zugteilnehmer zeigte von vornherein sehr geringe Dis
ziplin. Als aber die Zerstörungswut über die Ottakringer Jungmannschaft getommen, war weit und breit tein Fuhrer zu sehen, der versucht hätte, dem Vandalismus Einhalt zu tun, im Gegenteil schauten sie dem wusten Treiben ruhig zu und forderten erst, als die Arbeit bei der Bellaria gründlich besorgt war und Militär und Polizei sichtbar wurden, die Leute zum Abzug auf. Sie hatten aber in diesem Zeitpunkt schon die Gewalt über sie völlig verloren. Wayrscheinlich werden die Sozialdemokraten versuchen, die Schuld wieder auf den Janhagel zu schieben, der sie nichts angehe, weil er unorganisiert sei. Demgegenüber muß scharf betont werden, daß die jugendlichen Wütriche, denen sich auch genug ättere beigesellten, durchweg sozialdemokratische Abzeichen(rote Neike oder Krawatte) und die saubern Sonntagskleider der organisierten Arbeiter trugen. Auch der andere Einwand, als waren diese Leute durch Spitzel, namentlich durch christlichsoziale, irregeführt worren, muß von vornherein entschieven zurückgewiesen werden. Es nahmen am Zuge wohl einige christlichsoziale Gewertschaften teil, diese waren aber schon ordnungsmaßig vorbeigezogen, als der unheilvolle Knall erfolgte. Es wird also den Sozialdemotraten nicht gelingen, sich von der Schuld reinzuwaschen, einen wahnsinnigen Materialschaden, der eine Höhe von rund 100000 Kronen erreichen dürfte, und den Tod und die Verwundung vieler Menschen zwecklos veranlaßt zu haben.
Des weiteren wird dann auch die Regierung getadelt, weil sie nicht genügend Vorsorge getroffen und die Horde weiterhin sich selbst überlassen habe; eine solche Massenversammlung habe sie überhaupt nicht gestatten sollen. In der Tat scheint die zu weitgehende Rücksichtnahme auf die Sozialdemokratie dem Ministerpräsidenten v. Gautsch hier wieder einen Streich gespielt zu haben. Eine ernste Warnung für andere Regierungen!
Soweit der Bericht des Wolffschen Telegraphenbureaus, der uus seltsamerweise erst heute morgen zugegangen ist, obwohl die Uruhen in Wien schon gestern vormittag ihren Anfang nahmen. Vir machen dafür nicht die Kölner Filiale des Wolffbureaus Krantwortlich und nehmen an, daß auch die Zentrale in Berlin
für die Verspätung als solche keine Schuld trifft. Hier zeigt sich wieder einmal die Unzulänglichkeit der Wiener Vertretung des Bureaus, die sich uns auch schon in zahlreichen früheren Fallen unangenehm bemerkvar gemacht hat. Diese Unzulänglchkeit erschöpft sich nicht in dem Mangel an Promptheit in der Nachrichtenbeförderung, sondern sie geht Hand in Hand mit
ener starken parteilichen Befangenheit. Was dem Wiener Freisinn und der mit ihm verbündeten Sozialdemokratie peinich ist, wird nach Möglichkeit unterdrückt oder verblaßt unter eer Reiouche. Man ist versucht, darin auch die Erklärung für
Ueber den Verlauf der Kundgebungen und Krawalle
wird uns im einzelnen folgendes gemeldet:
Auf Sonntagvormittag 10 Uhr war vor dem Rathause eine große Demonstrationsversammlung gegen die Lebensmittelteuerung angesagt. Die Arbeiterschaft einzelner Bezirke versammelte sich an verschiedenen Punkten und zog in geordneten Zügen gegen das Rathaus, wo sich bald eine ungeheuere Menschenmenge an
gesammelt hatte.
Der Platz vor dem Rathaus war bald voller Menschen, und man schätzt die Zahl der Teilnehmer auf 120= bis 130 000 Personen. Die Polizei hatte die Zugänge zu dem in der Nahe des Rathauses gelegenen Ministerien und zur Hofburg gesperrt. In der Versammlung vor dem Rathause sprachen etwa 30 Redner, darunter die bekannten Führer und die Volksredner der sozialdemokratischen Partei, durchweg Abgeordnete. Es wurden außerordentlich heftige Reden gegen die Regierung, insbesondere gegen den früheren Handelsminister Weiskirchner gehalten.
Während der Reden hörte man bereits einzelne Rufe Hoch
Portugal! Hoch die Republik! An der Rückwand des Rathauses hatte ein Demonstrant ein riesiges Transparent augebracht, welches das Parlament im Hintergrund und im Vordergrunde einen Minister an einer Laterne aufgeknüpft zeigte. Besonderes Aufsehen rief es in der Menge hervor, daß ein Trupp von 500 Angestellten der Post und Telegraphie in ihren Uniformen heranzogen, um an der Demonstration teilzunehmen.
Von den Masten der Bogenlampen flatterten unn plötzlich Tausende und Abertausende rote Flugblätter herab, die eine sehr scharfe Resolution gegen die Regierung enthielten. Um 11 Uhr verkündeten Hornsignale das Ende der Versammlung. Die Abziehenden zogen vom Rathausplatz gegen den hinteren Burgring, zum Teil auch gegen den Justizpalast. Das Tor des äußeren Burghofes wurde sofort geschlossen und die Wachen
Plötzlich verbreitete sich in der Menge das Gerücht, daß aus den Feustern des Verwaltungsgerichtshofes auf die Demonstranten geschossen worden sei. In Wahrheit ist in der Menge selbst ein Feuerwerkskörper zum Platzen gebracht oder eine Pistole abgeschossen worden. Daraufhin stürmte die Menge gegen den Verwaltungsgerichtshof. Sämtliche Fenster wurden eingeschlagen. Von der Balustrade, die um das naturhistorische Museum sich zieht, wurden Metallteile abgerissen. Die Menge schleuderte diese gegen das Verwaltungsgebäude.
In der Bellariastraße war Infanterie aufgestellt, während es anderswo an Truppen fehlte; stürmische Szenen und ein Hand gemenge zwischen Polizei und Demonstranten spielten sich mehrere Augenblicke lang, sechs Schritt vor der Front der Gewehr bei Fuß stehenden Infanterie ab, so daß man jeden Augenblick befürchten mußte, das Militär werde wider Willen in den Kampf hineingezogen werden. Da tam im letzten Augenblick als Rettung eine Eskadron Kavallerie, vor der die Menge auseinanderstob.
Vor einem in der Nähe dieser Stelle befindlichen Kaffeehause wurde ein Automobil überfallen, in dem sich ein Offizier befand. Er mußte in das Kaffeehaus flüchten, worauf sämtliche Fenster desselben und eines benachbarten Restaurants eingeschlagen wurden. Wiederholt wurde bei diesen Szenen der Polizeikordon durchbrochen, und die Menge mußte mit der blanken Waffe zurückgetrieben werden. Ein Teil der Demoustranten zog dann gegen die kaiserlichen Hofstallungen.
Ein anderer Teil versuchte in die Herrengasse zu gelangen, fand jedoch alle Zugänge durch Mititär und Polizei fest verriegelt. Ein versprengter Zug gelangte auf den Hof des Kriegsministeriums, wo es gleichfalls zu großen Demonstrationen kam und ein Zug Husaren die Menge auseinanderteeiben mußte. Auf dem Hofe waren hinter einer Polizeikette Infanterie und eine Schwadron Kavallerie aufgestellt. Unter dem Rufe: Nieder mit den Agrariern! Weg mit dem Militär, wir haben selber nichts zu essen! drängte die Menge vor.
Man bewarf das Militär mit Pflastersteinen, so daß die Husaren sich genötigt sahen mit blanker Waffe vorzugehen. Inzwischen waren andere Trupps, die gegen den Ottakring hinabzogen, in der Josephstädterstraße schon in der Nähe des Ottakrings zu einem Laden gekommen, den sie zu demolieren begannen. Der erste Widerstand, den sie selbstverständlich bei der Wache fanden, steigerte die Erregung, und von jetzt ab begann ein unnnterbrochenes Steinbombardement, bei dem sämtliche Feusterscheiben zerstört und eine Anzahl Geschäftsladen geplündert und die Geschäftseinrichtungen demoliert wurden.
Die Straßenbahnwagen, die nicht rasch genug stehen bleiben konnten, wurden umgeworfen, mehrere Anhängewagen wurden mit Petroleum übergossen und angezündet. Die Polizei und die rasch hinzugezogenen Militärpatrouillen sperrten den Brandplatz ab, dadurch wurden die anderen Gassen frei, und die Menge stürzte, ihr wüstes Zerstörungswerk fortsetzend, weiter.
Gegen.30 Uhr nachmittags war bereits in der ganzen langen Straßenreihe keine Fensterscheibe mehr ganz, kein Geschäft undemoliert, alle Gaskandelaber waren umgerissen und guer über die Straße geworfen. Es rückte dann Militär aus der Kaserne an. Eine Infautemeabteilung des 22. Regiments und ein bosnisches Regiment kamen im Laufschritt, die Dragoner und Husaren aus der Praterkaserne im Galopp.
Auf dem Hoferplatz befindet sich ein neues Schulgebäude, das heute(Montag) eröffnet werden sollte. Dort kam es zu großen Exzessen. Man stürmte die Schule. Alle Schulzimmer wurden erbrochen, Bänke, Lehrmittel, Türen und Fenster usw. auf die Straße geworfen und angezündet. Die Flammen griffen auf das Schulgebäude über, das bald lichterloh brannte. Das Feuer konnte nur mit großer Muhe gelöscht werden.
Die 12. Kompagnie des 24. Infanterieregiments rückte an und besetzte die Schule. Andere Truppenteile sperrten die übrigen Zugänge ab. Aus der Menge wurden Steine gegen die Truppen geschleudert. Als ein Soldat durch einen Stein getroffen wurde, kommandierte ein Leutnant: Bajonett vor, marsch!