Mittwoch, 16 Dez. 1925

Volksblatt für das Bergische Land- Wöchentliche Beilagen?

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58. Jahrgang.

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Hilfe für die untern Beamten.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 15. Dez. Der Reichstag erledigte heute die Hilfsmaßnahmen für die Beamten. Die Sitzung, die sachlich neue Gesichtspunkte nicht mehr brachte, wegen der Materie aber vor allem auf den Zuhörertribünen aufmerksam ver­folgt wurde, gewann dadurch an Interesse, daß die Reichsregierung durch den Mund des Reichs­kanzlers noch einmal zu der Gesamtfrage Stel­lung nahm. Die Ausführungen des Reichskanz­lers, die sehr tewperamentvoll waren und wieder­holt zu stürmischen Unterbrechungen von seiten der Kommunisten führten, gipfelten darin, daß die Regierung den Parteien die Annahme eines vom Abg. Leicht(B3) eingetrachten Antrages empfahl. Es war durchaus nicht sicher, ob die Regierung dabei in der Meh heit bleiben würde oder ob sich daß Plenum für den Ausschußan­trag entschied, den die Regierung ihrerseits ab­gelehnt hat. Den ganzen Vormittag über haben zwischen Regierung und Parteien darüber Ver­handlungen stattgefunden. Das Resultat bestand darin, daß der Antrag der bayrischen Volkspar­tei durch einige Aenderungen verbessert wurde. Dieser verbesserte Antrag hat heute auch im Plenum schließlich mit großer Mehrheit Annahme gefunden. Er geht dahin, daß als einmalige Weihnachtsbeihilfe gezahlt werden soll: den Be­amten, Wartegeld= und Ruhegehaltsempfängern, Beamtenhinterbliebenen und Angestellten der Gruppen 1 bis 4 ein Viertel, den gleichen Ka­tegorien der Gruppen 5 und 6 ein Fünftel des Dezembergehalts, den Ledigen aber mindestens 30 Mark, den Empfängern eines Frauenzuschlages 40., den Empfängern von Kinderzuschlägen außerdem 5., den Vollwaisen insgesamt 10 ., den Kriegsbeschädigten und Kriegshinter­bliebenen ein Viertel der Dezemberbezüge.

Die Abstimmung über die zahlreichen An­träge ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten. Vor allem entspanu sich eine Geschäftsordnungs­debatte über die Reihenfolge, wie abgestimmt werden sollte. Die Linke wünschte zunächst die

Abstimmung über den Ausschußantrag, die übri­gen Parteien die Abstimmung über den Antrag Leicht. Schließlich entschloß sich das Haus da­hin, an erster Stelle über den Antrag Leicht ab­zustimmen. Hierzu erklärte der sozialdemokratische Abgeordnete Steinkopf, daß nunmehr auch seine Freunde für den Antrag der Bayerischen Volks­partei stimmen würden, damit überhaupt etwas für die Beamten gerettet würde.###

Außerdem wurde noch eine Reihe von An­trägen und Entschließungen angenommen: zunächst ein Antrag Frick von den Völkischen, der die Negierung ersucht, unverzüglich eine neue, auf der Grundlage eines ausreichenden Existenz­minimums ausgebaute Besoldungsord­nung vorzulegen. Dieser Antrag wurde im Hammelsprung, d. h. durch Auszählung, mit 209 gegen 138 Stimmen mit einer Enthaltung genehmigt. Der zweite Teil des Antrages, der eine einmalige Wirtschaftsbeihilfe von 100 M. verlangt, wurde abgelehnt. Angenommen wurde weiter eine Entschließung der Demokraten, daß die Reichsbahngesellschaft die den Ausgewiesenen gewährten Darlehen zum vollen Betrage niederschlagen möge, dann ein sozial­demokratischer Antrag auf Vorlegung einer Denkschrift mit einer erschöpfenden namentlichen Uebersicht über die zurzeit laufenden Pensionen und Wartegelder sämtlicher Reichskanzler, Reichs­minister, Staatssekretäre und Generäle aller Grade außer Dienst und im einstweiligen Ruhestand, und schließlich ein Antrag der Deutschnationalen, der schleunigst einen Gesetzenwurf zur Regelung der Ministerpensionsverhältnisse verlangt.

Preußischer Landtag.

Der Fall Wulle.

Abg. Lewereutz=Krefeld(Soz.) gab folgende Erklärung ab: Es bewegt sich hier im Saale immer noch ein Mann, der unter dem starken Verdacht steht, Mitbeteiliater an

einem Merde zu sein.(Lebhaftes Sehr richtig! links und Znrufe: Anstifter!) Wir haben ge­hört, daß dieser Mann es jetzt auch noch gewagt hat, sich zum Wort zu melden, so daß wir schon sagen müssen, daß er damit auch von der Tribüne des Hauses herab dieses Hauses noch zu beschmutzen wagt.(Großer Lärm links).

Als Abg. Wulle(Völk.), gegen den sich diese Erklärung richtete, die Tribüne betrat, verließen die Sozialdemokraten geschlossen den Saal. Die Ausführungen Wulles gingen in dem großen Lärm, den die Kommunisten voll­führten, vollkommen verloren. Wulle wurde mit Zurufen wieLa usbube,Mordbube,Mörder usw. zahlreich bedacht. Der Lärm der Kommu­nisten dauerte minutenlang an und konnte weder durch die Stimme des Vizepräsidenten Garnich noch durch die Präsidentenglocke über­tönt werden. Schließlich mußte die Sitzung auf fünf Minuten unterbrochen werden. Nach Wiedereröffnung teilte Vizepräsident Garnich dem Hause u. a. mit:

Es ist Pflicht des Präsidiums, einem Red., ner des Hauses, der sich zum Wort gemeldet hat, auch zur Durchführung seiner Rede zu verhelfen. Als der Abg. Wulle wiederum die Tribüne betritt wird er von der Linken abermals mit stürmischen Zurufen Meuchelmörder, Mörder usw. empfangen. Darauf verlassen die Demokraten, das Zentrum die Sozialdemokraten und die Kommunisten unter lebhaften Pfuirufen den Saol. Erst hierauf kann Wulle seine Rede, vortragen. Er stellt fest, daß weder seine politischen Freunde noch er eine

Ahnung von dem Morde gehabt haben und daß alle dementsprechenden Behauptungen erstunken und erlogen seien.

Interfraktionelle Besprechungen.

Grundsätzliches Einverständnis.

Abgeordneten Koch aufgestellte Programm. Es ergab sich ein grundsätzliches Einverständnis; es wurde aber vorbehalten, daß die Fraktionen, die heute abend zusammentreten, noch Erwägungen über Klarstellungen verlangen können. Die Führer treten morgen nachmittag zu abschließenden Beratungen über das Problem erneut zusammen.

TU Berlin, 15. Dez. Im Reichstag wurde heute gegen 5 Uhr nachmittags von demo­kratischer Seite folgendes Communique heraus­gegeben.

Die Führer der Fraktionen der Deutschen Volkspartei, der Bayerischen Volkspartei, de­Zentrums, der Demokraten und der Sozial­demokraten verhondelten heute über das vom

Eine Entschließung des Parteitages der Bayerischen Volkspartei in der Pfalz

TU Kaiserslautern, 15. Dez. Der Parteitag der Bayerischen Volkspartei der Pfalz nahm gestern zur Einigung zwischen der Baye­rischen Volkspartei und dem Zentrum folgende Entschließung an: Für die Wiederannäherung der Parteien, durch welche die kath. Bevölkerung des Reiches zur Zeit vertreten wird, die Baye­rische Volkspartei und das Zentrum, sprechen die höchsten Interessen der katholischen Bevölkerung, sowo l im Reich wie in Bayern, in besonders eindringlicher Weise aber in der Pfalz. Die katholische Bevölkerung in der Pfalz ist nicht stark und zahlreich genug, um sich den Luxus zweier politischer Organisationen leisten zu können. Ihre parteipolitische Wirksamkeit wird durch eine solche Spaltung in schlimmster Weise lahmgelegt. Die Spaltung hat schon die schwersten Zer­rüttungen auf mehr als einem Gebiet nach sich gezogen. Zur Förderung einer Wiederannäherung beider Parteien hat die Kreisvorstandschaft der Bayerischen Volk partei der Pfalz kürzlich durch die öffentlichen Blätter in Verschlag gebracht, es möchten die Organisationen des Zentrums, nicht nur aus dem rechtsrheinischen Bayern, wo sie praktisch ohnehin wenig bedeuten, sondern auch in der Pfalz zurückgezogen werden. Der heutige Parteitag der Bayerischen Volkspartei der Pfalz billigt diesen Vorschlag und erblickt in seiner Verwirklichung die wesentlichste Voraus­setzung für eine Wiederannäherung beider Parteien im Reich mit dem Endziel der Wieberaufnahme einer Arbeitsgemeinschaft. Mit tiefstem Bedauern erfüllt den Parteitag deshalb die Tatsache, daß die maßgebenden Aeußerungen der pfälzischen und bayerischen Zentrumspresse erkennen lassen, daß beim Zentrum noch nirgendwo der ernste Wille besteht,(77 D..) dem Vorschlag der Bayerischen Volkspartei der Pfalz beizutreten.

Ueber den Ozean.

Kriminal=Roman von Erich Ebenstein.

Nr. 14.

(Nachdruck verboten.)

Man freundet sich rasch an, wenn man tage­lang auf verhältnismäßig engem Raum einander fortwährend begegnet, nichts zu tun hat und ein gemeinsames Ziel vor Augen sieht.

Es waren sehr nette Leute unter den Passa­gieren derQueen Mary". Leute von Namen und solche, die sich durch Reichtum, Schönheit oder besondere Liebenswürdigkeit auszeichneten.

Kapitän Trux blickte wohlgefällig auf seine engere Umgebung. Was für hübsche Gesichter es da unter den Damen gab! Da war z. B. diese anmutige Mrs. Evans mit ihrem Gatten, die beide in ihrer halb verschämten, halb stolzen Flitterwochenseligkeit einen herzerfreuenden An­blick booten.

Dann links die stolze Schönheit, die, ohne es zu wollen, die Blicke der Männer auf sich zog: Senta Lövenborg, eine schwedische Sängerin, die zu einer Konzerttournee nach Amerika fuhr. Neben ihr der Charakterkopf ihres Schwagers, Swen Gulbranson, der zugleich ihr Impresario war, und Frau Christa Gulbransons feines Prosil.

An sie schlossen sich in bunter Reihe: Mr. White mit seinem Sohn Allan, Mrs. Lakedale und ihre hübsche Tochter Marjorie, die Brüder Zack und Henry Stone, Mrs. Lyon mit ihren drei Töchtern May, Susan und Harriet, lauter reiche New=Yorker, die nach mehr oder minder langem Aufenthalt auf dem Kontinent in die Heimat zu­rückkehrten.

Unter den Passagieren, die Kapitän Trux' engere Umgebung bildeten, befanden sich außer­dem ein altes Ehepaar namens Häfele aus Stutt­gart, das zum Besuch seiner Enkelkinder nach Philadelphia reiste, eine verwitwete Baronin Ort­lieb aus Mannheim, sehr schlank, graziös und kokett. Herr und Frau Barkals aus Budapest,

die ihre an einen amerikanischen Baumwollkönig verheiratete Tochter aufsuchen wollten und von ihrer bildhübschen jüngeren Tochter Etelka, sowie deren Bruder Arpad begleitet waren. Gräfin Casselmar samt ihren drei Kindern, von denen das jüngste noch ein Baby war und von einer Nurse betreut wurde. Die Gräfin, die eine ame­rikanische Erbin gewesen war und nach Frank­reich geheiratet hatte, stand im Begriff, ihr Vater­haus wieder aufzusuchen, nachdem ihre Ehe durch einen an Sensationen reichen Scheidungsprozeß gelöst worden war.

Ganz oben, zu Trux rechter Hand, saß Mon­sieur Gringoir mit seinem Neffen Emile. Der Franzose wollte eigentlich in Mr. Cartergins Nähe placiert werden, aber da er mit seinem Neffen erst erschien, als bereits serviert wurde, mußte er froh sein, daß Kapitän Trux ihnen liebenswürdigerweise rasch noch ein Plätzchen neben sich frei machte.

Trux, der Emile Gringoir nun zum ersten­mal sah, betrachtete wiederholt in verstohlener Bewunderung den bildhübschen Antinouskopf des jungen Mannes. Ein rosiges rundes, noch ganz kinderhaft junges Antlitz mit prachtvollen Linien, schwarzem Lockenhaar uod wunderschönen dunk­len Augen, die ein melancholischer Ausdruck noch interessanter machte.

Leider ließ sich in bezug auf Unterhaltung wenig mit ihm anfangen. Schweigsam und schüchtern beantwortete er nur die an ihn ge­stellten Fragen in knapster Weise.

Sein Onkel fand es schließlich für nötig, den Kapitän weiterer Mühen, Emile in die allgemeine Unterhaltung zu ziehen, zu überheben, indem er ihm leise Zweck und Veranlassung ihrer Reise erklärte.

Siebegreifen, daß der Gedanke, an das Sterbebett seines Vaters zu reisen, und die Am­wälzung, die sein eigenes Leben nun leider er­fahren muß, ihn unempfindlich für alles andere machen, schloß er seufzend.

Der Kapitän begriff dies. Aber was er nicht

begriff, war, wie dieser schüchterne, befangene Jüngling, den er auf kaum achtzehn Jahre ge­schätzt hätte, obwohl Herr Gringoir versicherte, er sei zwauzig vorüber, die Leitung eines Ge­schäftes übernehmen sollte.

Indessen lenkten andere Dinge seine Ge­danken bald ab. Es ging sehr fröhlich zu in dem hübschen schwimmenden Gartenrestanrant, in dem zwischen blühenden Blumen und grünen Ge­wächsen kleine Fontänen angebracht waren und der frische Hauch der See belebend über alles hinstrich.

Eine Fülle von elektrischen Lichtern ringsum machte die funkelnden Sterne am Himmel erblassen und die fröhlichen Weisen der Musik hoben die Stimmung ebenso wie das vorzügliche Menü.

Die älteren Herrschafften glänzten vor Be­

hagen, die jüngeren begannen verstohlen zu flir­ten. Da und dort knüpften sich bereits leise zarte Beziehungen an vielleicht nur für wenige Tage, vielleicht fürs Leben...

Wer kann's wissen? dachte Kapitän Trux nachdenklich, indem er die feurigen Blicke beob­achtete, die Etelka Barkaes dem jungen Allan White zuwarf Blicke, die ebenso feurig er­widert wurden.

Ihr Bruder Arpad hatte sich an Miß Mar­jorie herangemacht. Er war Maler, hatte den Orient bereist und bereits in Wien und Paris ausgestellt, wie er ihr erzählte.

Mrs. Lakedale schien nicht sehr zufrieden mit der Aufmerksamkeit, die ihre Tochter diesen Mitteilungen entgegenbrachte. Sie wechselte zu­weilen einen ärgerlichen Blick mit dem alten White, der ebenso wenig entzückt von seines Soh­nes Begeisterung für Eteika schien.

Gräfin Casselmar hatte rasch Bekanntschaft mit dem alten Ehepaar Häfele aus Stuttgart gemacht und unterhielt sich sehr lebhaft mit bei­den. Die Brüder Stone suchten einander bei der hübschen Baronin Ortlieb an Liebenswürdig­keit zu überbieten und Mrs. Lyon sah mit offen­barem Behagen zu, wie ihre Aelteste, May, sich

mit einem jungen Mr. Dryth unterhielt, der, wie kurz vorher zur Sprache kam, ein naher Ver­wandter der Astors war.

Als Kapitän Trux die Tafel endlich aufhob, konnte er die beruhigende Ueberzeugung haben, daß so ziemlich niemand sich langweilte und er nun überflüssig war.

Diese Ueberzeugung war ihm eine wahre Erleichterung, denn er fühlte sich müde und ab­gespannt und sehnte sich nach ein paar ruhigen Stunden des Alleinseins. Außerdem brannte er darauf, wieder einmal eine Zeitung zu lesen, wo­zu natürlich weder in den letzten zwei Tagen vor der Abfahrt, noch am ersten Tage an Bord Zeit für ihn gewesen war.

Wie immer vor einer Ausfahrt aber gab ihm seine Frau bis Southampton das Geleite und die letzten Worte, die sie ihm dann beim Abschied stets noch sagte, waren:Ich habe dir die drei letzten Nummern der Daily Mail und der Hamburger Nachrichten in die Tasche deines Mantels gesteckt.

Kapitän Trux überzeugte sich also durch einen Rundgang, daß an Bord alles in Ordnung und die diensthabenden Offiziere auf ihren Posten waren, dann zog er sich in seine Kajüte zurück.

Dort begann er bei einem Glas Grog und einer guten Zigarre behaglich seine Zeitungen zu lesen. Erst die Pilitik, dann die Schiffsnach­richten, zuletzt die Neuigkeiten.

In beiden Blättern fanden sich ausführliche Darstellungen der Ereignisse im Loseneggertal. Der Mord am Grafen von Losenegg, das Ver­schwinden von Fräulein Hellkreuts mit allen bis­her bekannten Umständen, die Spur, die nach Hamburg ins Hotel Alsterbassin wies, alles war genau beschrieben. Zuletzt folgte noch eine Per­sonenbeschreibung der beiden Flüchtigen, die Ver­mutung, sie hätten sich nach Amerika gewandt, und Fräulein Hellkreut, die unter falschen Vor­spiegelungen entführt worden sei, benützte wahr­scheinlich den dunkelblauen Sportanzug, don Georg Greiner heimlich gekauft habe.

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