Geschäftsstelle und Anzeigen-Annahme
marzellenstrasse 37.
unterhaltende Sonntagsbeilag
General-Anzeiger für die rheinische Hauptstadt. 2 Kölner Fremdenbiatt.
Nr. 84. 23. Jahrgang. Geschäftsstelle: Fernspr. 420. Köln, Samstag, 27. März 1909. Redakt.: 523., 523.,1255,5234. Heute 16 Seiten.
Das Neueste vom Tage.
Das preußische Luftschifferbataillon blickt heute auf sein 25jähriges Bestehen zurück.
Die Warthe steigt seit gestern rasch. Es herrscht auf ihr starker Eisgang. Der erste Flutgraben ist bereits überschwemmt.
In der Nähe von Pest riß die Kuppelung eines Eisenbahnzuges. Der abgerissene Zugteil lief auf den Zug wieder auf, wodurch sechs Reisende getötet, einer schwer und einer leicht verletzt wurden.
Zur
Im Reichstage wurde gestern abend die Lage wesentlich ruhiger beurteilt, namentlich soweit die Konservativen in Betracht kommen. Man tut bei den Konservativen so, als ob sich nichts geändert hätte, und wünscht nur, daß möglichst wenig über die Geschichte gesprochen und geschrieben wird. Tatsache ist, daß v. Normann weder Dr. Wiemer noch den Führern der Zentrumspartei die feierliche Erklärung in der von der nationalliberalen Presse veröffentlichten Form abgegeben hat. Mit den Führern des Zeutrums sprach allerdings gelegentlich schon vor langer Zeit v. Normann in ähnlichem Sinne sich aus, ohne daß man auf seiten des Zentrums der Sache irgendwelche weitergehende Bedeutung beigelegt hätte. Im Zentrum hat man auch nicht erst seit heute und gestern die Absicht bewiesen, sachlich ohne Rücksicht auf Kanzler und Block mitzuarbeiten an der Reichsfinanzreform. Ganz genau so wird es auch in Zukunft bleiben.
Die Freisinnigen haben sich für die Biersteuer, für die Weinsteuer, für die Schnapssteuer, auch für die Tabaksteuer im Prinzip doch längst festgelegt. Sie können jetzt nur noch zurück, wenn sie das Odium auf sich nehmen wollen, daß sie nicht sachliche, sondern Verärgerungspolitik treiben wollen. In übelster Laune sind die Nationalliberalen, die schon befürchteten, ihre Rolle als„Kern des Blocks“, als Mittelpunkt, um den sich alles dreht, sei ausgespielt. Man könnte die Lage am besten jetzt mit dem Bilde charakterisieren: Man hat im Blockhause mit Feuer gespielt, nun, da das Haus brennt, will niemand der Brandstifter sein. Von allen Seiten ist man aber bemüht, mit Dampfspritzen den Brand zu löschen.
Die Besprechungen und Konferenzen drängten sich vorgestern und gestern vormittag förmlich. Die Blockparteien hielten um 1 Uhr Fraktionssitzungen ab. Als ein Anzeichen, wie ruhig und bestimmt man im Zentrum der„neuen Situation“ gegenübersteht, mag der Blockpresse die Tatsache dienen, daß allein das Zentrum weder vorgestern noch gestern eine Fraktionssitzung wegen der angeblichen ernsten Lage abgehalten hat.
Das Zentrum wird nach wie vor weder das Steuerprogramm der Rechten, noch das der Linken machen, sondern die Steuern mitbewilligen helfen, welche es mit seinem Programm und seinen
Grundsätzen als gerecht und dem Wohle der Gesamtheit dienlich vertreten kann. Das muß man auf der Linken ebenso wie auf der Rechten allmählich einsehen. Wären die Dinge wirklich so weit gediehen, wie man es in der nationalliberalen Presse darstellt, wäre der Block wirklich gescheitert, dann müßte doch unbedingt Fürst Bülow auch seine Drohung in der offiziösen Presse wahrmachen und den„nationalen“ Reichstag auflösen. Solange man bloß mit dem schwarzen Manne droht, glaubt niemand an das alte Spiel.
Im Reichstage wurde gestern im Sinne der Kommissionsbeschlüsse der Etat des Pensionsfonds beraten. Abg. Erzberger(Zentr.) führte aus, das bisherige Tempo in der Erhöhung der Pensionsaufwendungen müsse unbedingt gemäßigt werden. Er empfahl unter anderem, die Gehälter der pensionierten Offiziere, die sich in Privatstellungen befinden, auf die Pension anzurechnen. Nach seiner Darlegung, die unwidersprochen blieb, ist die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds ein Ruhepöstchen, wo die Beamten auch noch nicht für drei Stunden täglich Arbeit haben. Der Reichstag trat im weiteren den vier Resolutionen bei, die von der Budgetkommission zu den neuen Grundsätzen für die Anstellung der Militäranwärter beantragt werden. Abg. Nacken(Zentr.) bat bei dieser Gelegenheit, es möchte bei der Besoldungsreform der Wunsch der Militäranwärter erfüllt werden auf Anrechnung ihrer Dienstzeit beim Besoldungsalter.
Schließlich begann man die zweite Lesung des Automobilgesetzes. Ein Antrag Stadthagen, der den Bundesrat ermächtigen wollte, eine Maximalarbeitszeit für Chauffeure festzulegen, wurde abgelehnt. Der zweite Teil der Vorlage bezweckt den Schutz des Publikums auf der Straße und macht den Automobilbesitzer haftbar für die durch sein Fahrzeug bewirkten Schäden. Die Kommission hat im Interesse der Straßenpassanten die Ausnahmen bestimmter formuliert und in einer Resolution eine Zwangsversicherung der Automobilbesitzer gefordert. Gegen die Vorlage erklärten sich die Sozialdemokraten, die keine Ausnahmen von der Haftpflicht zulassen wollen— auch nicht bei zweifellosem Verschulden des Ueberfahrenen! Abg. Träger (Frs. Vp.), der für die Kommissionsbeschlüsse eintrat, erregte große Heiterkeit, als er versicherte, keine„Rücksicht auf den verewigten Block“ seien für die Entschließungen der Freisinnigen in der Kommission bestimmend gewesen.
Das Abgeordnetenhaus nahm gestern in zweiter Lesung die Vorlage an, welche die Haftpflicht des Staates festlegt für Schäden, die durch pflichtwidrige Handlungen von Beamten herbeigeführt werden. Die Kommission hat die Vorlage erweitert durch die Haftpflicht der Schulverbände für die durch Lehrer verursachten Schäden. Für leistungsschwache Gemeinden tritt wieder der Staat ein. Das Haus nahm die Beschlüsse der Kommission unverändert an; gegen den Lehrerparagraphen stimmten die Konservativen. Abg. Freiherr von Zedlitz(fk.) regte an, in der Kommission die Frage zu prüfen,
ob die Beamten, Geistlichen und Lehrer nicht eine auf die demnächstige Gehaltserhöhung anzurechnende Teuerungszulage bekommen könnten. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, daß beim Abwarten der Erledigung der Besoldungsgesetze durch das Herrenhaus die Beamten erst im 2. Quartal die ihnen zugedachte Aufbesserung erhielten. Schließlich begann man noch mit der zweiten Lesung der Vorlage zur Erhöhung des Kapitals der Preußenkasse.
Autorität,
wie es dem Geiste des Liberalismus und seiner Vergangenheit entspricht, gefällt sich der Stadtanzeiger zur Kölnischen Zeitung. Der Pfarrer Tremel in Volsbach, der merkwürdigerweise mit seinem Amte und seiner Stellung als katholischer Priester es vereinbaren zu können glaubte, dem kirchenfeindlichen Nationalliberalismus anzugehören, hatte in einer Versammlung der Jungliberalen in Bayreuth einen Vortrag gehalten, trotzdem ihm der Erzbischof von Bamberg mit Rücksicht auf das Aergernis, das er den weitesten katholischen Kreisen dadurch geben würde, das Auftreten in dieser Versammlung verboten hatte. Zur Verantwortung gezogen, sollte Pfarrer Tremel, der in liberalen Zeitungen inzwischen gegen seinen Erzbischof hatte schwere Angriffe richten lassen, eine Erklärung abgeben, worin er bedauern sollte, daß er den schuldigen Gehorsam verletzt habe. Es hat lange gebraucht, bis Pfarrer Tremel endlich zur Einsicht kam, auf welch abschüssigem Wege er sich befand. Aber er hat doch schließlich seinen schwerkranken Erzbischof um Verzeihung gebeten. Das gefällt dem kulturkämpferischen Stadtanzeiger natürlich nicht; bezeichnenderweise schreibt er in Nr. 134: Pfarrer Tremel bekundet mit diesem Schritt, daß ihm die Kraft fehlt, den Weg ganz zurückzulegen, dener frischunter die Füßegenommen hatte. Lieber wäre es also dem Stadtanzeiger gewesen, wenn der katholische Geistliche in seinem starren Ungehorsam gegen seinen Ober hirten verharrt und schließlich den völligen Bruch mit der Kirche vollzogen hätte. Die katholiken= und kirchensreundliche Maske, die sich der Stadtanzeiger aufzusetzen beliebt, ist ihm in einem unbedachtsamen Augenblicke wieder einmal heruntergerutscht.
An der Herz-Jesukirche hat man das gezimmerte Gerüst zum Versetzen des steinernen Turmhelmes vollendet, so daß die Maurer nunmehr mit ihrer Arbeit wiederum beginnen werden. Während des Richtens des Gerüstes hatten die Zimmergesellen in der Nähe der Kirche beständig Zuschauer, welche ihre Kühnheit in der schwindelnden Höhe bewunderten. Das Gerüst, das von unten auf in drei Etagen von je 12 Meter und in sechs Etagen von je
Feuilleton des Kölner Local=Anzeiger. 27. März 1909.
c die Macht des Gewissens.
[29] Roman frei nach dem Amerikanischen von Erich Friesen.
Da die Gatten jetzt beisammen sind, erklärt Virginia, sie wolle einen Spaziergang übers Feld machen. Zum Abendessen werde sie wieder zurück sein. Und nach einem herzlichen Kuß auf die jetzt zart gerötete Wange der Freundin verläßt sie das Zimmer.
Liebevoll blickt ihr Ruth nach.
„Weiß Virginia, daß Lord Donald heute abend kommt, Armin?“
„Nein, mein Herz. Sie soll überrascht werden. Mag er die
Festung im Sturm nehmen!“
„Du meinst, sie wird ihn heiraten?“
„Ja, Ruth.“
„Sie hat ihn doch schon einmal abgewiesen!“
„Hm— Fräulein Virginia besitzt Charakter. Die trüben Ersahrungen der letzten Zeit haben Eigenschaften in ihr entwickelt, die sonst wahrscheinlich stets geschlummert hätten. Um ihren Grundsätzen treu zu bleiben, weist sie selbst das zurück, was ihr als größtes Glück vorschwebt. Gilbert hat sie beleidigt— sie hält es für notwendig, ihn dies fühlen zu lassen. Trotzdem — sie wird ihn heiraten.“
Ein Seufzer der Erleichterung hebt Ruths Brust.
„Ich wünschte es von Herzen.“
„Es wird geschehen. Wenn nötig, werde ich das Meinige dazu tun. Es macht dich glücklich— so soll sie ihn heiraten.“
Fast ängstlich hebt Ruth die Augen zu dem Gatten empor.
„Du hast zu viel Macht über die Herzen, Armin.“
„Bedeutet meine Macht über dein Herz nicht unser Glück, mein Lieb?“ fragt er leise, ihre Hand an seine Lippen drückend.
Wieder seufzt sie leise auf.
„Ja ja, wenn du bei mir bist, bin ich unaussprechlich glücklich; dann fürchte ich nichts. Ach, Armin, Armin, verlasse mich nie!“
„Aber, mein Lieb, wie kannst du so reden," erwidert er vorwurfsvoll, sie an seine Brust ziehend.„Ich bin dein Gatte!“ Hastig befreit Ruth sich aus seiner Umarmung.
„Gewiß, in diesem Leben! Aber jenseits! Werden unsere Seelen auch dort vereint sein? Manchmal habe ich Angst—“
Er schließt ihr den Mund mit einem Kuß.
„Gewiß auch jenseits, Ruth. Aber nun genug davon! Du wirst schon wieder bleich. Komm' mit in den Rosengarten!"—
Inzwischen eilt Virginia leichtfüßig durch den Park, dem Feld zu. Als sie den schmalen Weg querfeldein biegt, fragt sie sich, ob wohl die Heckenrosen am Ende desselben schon blühen oder nicht. Und schneller eilt sie vorwärts. Richtig, da leuchten schon die ersten Blüten! Virginia hebt den Arm, um eine besonders schöne zu brechen, als aus der nebenstehenden Hütte die alte Frau Fick tritt, Josuas Mutter.
„Guten Tag auch, Fräulein!“
Obgleich die unsaubere Person Virginia stets antipathisch war, so treibt ihr gutes Herz sie doch, ihr ein paar freundliche Worte zu sagen. Sie beachtet nicht, daß ein ungeschlachter und listig blickender Mensch, die Hände in den Hosentaschen, sich breitbeinig auf der Schwelle aufgepflanzt hat.
„Wollen Sie nicht reinkommen, Fräulein?" fragt Frau Fick mit katzenfreundlichem Lächeln.„Was macht die gnädige Frau Mama? Grämt sich wohl sehr, daß sie weg mußte von dem feinen Platz hier? Aber Recht bleibt Recht, ja wohl— die gehört unserem Fräulein Ruth und niemand anders. Kommen Sie doch rein Fräulein! Ich fühle mich sehr geehrt, ja wohl — und mein Junge, der Josua, auch!... Josua, sieh her! Dies ist Fräulein Forster, die junge Dame, die in der Waldburg wohnte, bevor unser Fräulein Ruth wieder herzog!“
„Nee,wirklich?“ ruft der Bursche, Virginia verblüfft anglotzend.
Sein dicker Schädel ist dunketrot geworden vor Ueberraschung. Mit ein paar Worten verabschiebet Virginia sich. Das unheimliche Paar flößt ihr Ekel ein. Schnell dreht sie um und eilt den Feldweg zurück.
Josua raunt seiner Mutter ein paar Worte ins Ohr. Dann
folgt er der zierlichen Gestalt. Jetzt gilt's, fünfzig Pfund Sterling zu verdienen. Zwar ist sein Gewissen schon so sehr beladen, daß ihn manchmal eine Art Grauen vor sich selbst überfällt. Dann rennt er wie ein Wahnsinniger durch die Straßen und wimmert:„Die Sonne bringt es an den Tag! Die Sonne bringt es an den Tag!"; dann fürchtet er sich vor dem hellen Tageslicht, vor dem klaren Himmelsblau, vor den leuchtenden Sonnenstrahlen; dann kriecht er in den Straßengraben oder unter den Brückenbogen; oder er schließt den Laden vor seinem Fenster und zieht die grobe Bettdecke bis über die Ohren, nur um kein Licht, keinen Himmel, keine Sonne zu sehen...
Wenn es an ihm läge, so würde er diese neue Sünde nicht mehr begehen; er fürchtet sich vor erneuten Gewissensqualen. Aber was hilft's? Ein Verbrechen zieht gewöhnlich andere nach sich. Für ihn heißt's:„Immer weiter, immer weiter!" oder „Hinein ins Loch, hinter Schloß und Riegel!"... Und außerdem— fünfzig Pfund Sterling sind eine schöne Sache! Also vorwärts!
Virginia hat einen tüchtigen Vorsprung. Josua beschließt, quer übers Feld zu laufen und sie zu überholen. Und richtig— als sie die Landstraße erreicht, steht er bereits mit der Mütze ir
Hand da.
Guten Abend, Fräulein.“
Guten Abend.“
Ich möchte Ihnen was sagen, Fräulein."
Ein andermal. Es ist schon zu spät, und ich bin in Eile. Werd' ich ein Stückchen mitgehen.“
zirginia bleibt stehen und blickt den aufdringlichen Burschen
mütig an.
Nein. Ich kenne Sie ja nicht. Wenn Sie mir wirklich etwas
sagen haben, so machen Sie schnell!“
Mein Name ist Josua Fick, zu Diensten— wenigstens in er Welt. Wie ich später mal heißen werde— und über seine chmitzten Züge huscht für einen Augenblick jenes irrsinnige nsen, welches seine häßlichen Züge geradezu abschreckend seinen läßt.
zirgina hat ein tapferes kleines Herz; trotzdem wird es ihr