Nr. 207. 22. Jahrgang. Geschäftsstelle: Fernspr. 420. Köln, Mittwoch, 29. Juli 1908. Redakt.: 5231, 5232, 5233,5234 Heute 12 Seiten.

In der stillen Zeit mit dem prosaischen, an gewisse Früchte derSaison" erinnernden Namen kommen dem Zeitungsleser allerlei Betrachtungen. Daher auch die vorstehende Ueberschrift. Wer damit gemeint ist, errät der Leser bald, dem in diesen Tagen die Namen Philipp Eulenburg und Karl zu Löwenstein so oft vor die Augen traten: ersterer vor den Schranken dem Schwurgerichtes als des Meineids bezich­tigter stehend, der letztere vor der Schwelle der Ordensprofeß und des Priestertums.

Welch ein Gegensatz zwischen beiden Männern! Beide sind sie erstklassige Menschen, fast auf der höchsten Stufe der mensch­lichen Gesellschaft, was Stand, Reichtum, Ehre und Einfluß be­trifft, sich befindend. Und wie verschieden doch in Gesinnung, Lebensarbeit und schließlichem Lebenslose! Der eine trotz der glänzendsten Gaben an Bildung, Kunstsinn, diplomatischer Ge­schicklichkeit und gesellschaftlicher Gewandtheit ein Charakter dunkelster Art, dessen traurige Seiten nur unter voll­ständigem Ausschluß der Oeffentlichkeit beleuchtet werden konnten; der andere ein Edelmann von erhabener Ge­sinnung, lauterem Charakter, unbeugsamem Mut der Ueber­zeugung, der nach einem langen Leben edelster Arbeit für Kirche und Vaterland den Schauplatz der Oeffentlichkeit frei­willig velatzt, um weltvergessen nur dem ewigen Ziel zu leben. Der eine wußte, obschon er Jahrzehnte lang auf die äußere und innere Politik einen unheimlichen Einfluß ausgeübt hat, sich selbst so wenig zu beherrschen, daß er der von ihm unter Eid abgeleugnetenSchmutzereien nun erst recht verdächtig von der Strafbank steht; der andere vertauscht den Fürsten­mantel, den er vor der Welt in allen Ehren getragen, im helden­mütigen Akte der Entsagung mit dem demütigen Gewande eines Ordensmannes.

Der eine will der berufene Verfechter der Idee einesevan­gelischen Kaisertums an den Höfen katholischer Staaten ge­wesen sein und sich eben dadurch den unversönlichenHaß des Klerikalismus" zugezogen haben; der andere hat in Wahrheit immer und überallGott gegeben, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist". Darum steht er in hoher Achtung bei jedermann, und seinem Rücktritte von der Bühne des Lebens folgt die Bewunderung aller Edelgesinnten, der Protestanten sowohl wie der Katholiken. Der eine sucht sich krampfhaft zu retten für das Leben einesWeltmannes" und schmäht deshalb seine Gegner, denen er die Schuld an seinem Unglück beimißt. Ob wohl der andere, der nunmehr die Welt verlassen hat, um das Leben einesGottesmannes zu führen, die geringste Bitter­keit gegen etwaige frühere Gegner im Herzen bewahrt hat?

Somit können wir sagen:Wenn Kultur die Veredelung des Menschen besagt, dann ist ein wahres Lichtbild der Kultur der hochbetagte Fürst in der einsamen Dominikauerzelle; aber ein trauriges Schattenbild, um nicht zu sagen Zerrbild der

Feuilleton des Kölner Local=Anzeiger. 29. Juli 1908.

0 Die Glückliche.

6] Roman aus dem alten Rom von A. Heerdorf.

Jedes ihrer Worte war ihm, wenn er auch manchmal darüber lachte und äußerlich nicht darauf einging, wie etwas Heiliges vorgekommen... und nun... nun war gerade sie, die er für so treu und fleckenlos gehalten, eine Christin!

Er dachte an alles das, was man den Christen nachsagte wie ihre Versammlungen ein Kultus der Liebe seien, bei­spiellos an Sittenlosigkeit! Und er... er hatte an Felicitas geglaubt!

Er hatte auf sie gehofft, hatte jedes ihrer Worte für Gold ge­halten und nun war alles, alles Schmutz an ihr. An ihr gerade! Es schien ihm noch immer unfaßbar, und doch wußte er ja, daß es wahr war. Warum warum hatte sie ihn nur so betrogen!

Er lachte bitter auf. Warum wohl! Nun, weil sie eben " Christin war! Er haßte sie in diesem Augenblick, so sehr er nur hassen konnte. Und doch fühlte er sich, obwohl sein Stolz ihm verbot, sich das einzugestehen, unsagbar elend. Denn ihm ekelte jetzt vor allem, was bisher sein Lebensinhalt gewesen; ihm ekelte vor Felicitas, die ihn betrogen, vor sich selbst, der eine so Verworfene geliebt, und vor der ganzen Welt. Alles kam ihm jetzt häßlich und schlecht vor alles, alles, ohne Ausnahme.

Und nun galt es auch noch, den Vater Felicitas' von dem Vorgefallenen in Kenutnis zu setzten. Er schritt dem Hause des Senators zu. Die Nachricht mußte den alten Mann furchtbar treffen, das wußte Aurelius. Aber warum auch nicht!

Es war, als hätte der furchtbare Schlag alle gute Eigenschaften in Aurelius vernichtet. Er dachte, daß ihn ja auch Felicitas' 1 Verrat so schwer getroffen hätte warum sollte er da ihren 1 Vater bemitleiden!

Als er in das Haus des Senators trat, fiel ihm dort eine merkwürdige Veränderung auf. Die Sklaven, die sonst stets bei einem Eintritt ehrfurchtsvoll still gestanden, liefen jetzt mit ver­

Kultur der fürstliche Untersuchungsgefangene in der Charité zu Berlin.

Wodurch erklärt sich dieser Gegensatz? Gott ist der Richter unserer Herzen? Soviel ist aber gewiß: Wer es ernst nimmt mit der Religion und sie mannhaft übt, kann wohl als greiser Edelmann noch an der Pforte des Klosters landen, schwerlich aber vor der Pforte des Zuchthauses.

Die Rosten des Eulenburg-Orozesses. Legt man der Berechnung rund 70 Zeugen und Sachverständige zugrunde, die im Eulenburg=Prozeß eine Vergütung von durchschnittlich 12 M. er­halten, so ergibt das täglich für die Staatskasse eine Ausgabe von 340 M. Von 16 Sitzungstagen und vier weiteren Aufenthaltstagen in Berlin sind das allein 16800 M. Gerechnet sind dabei noch nicht die Reisekosten, die rund 3500 M. ausmachen dürften; der Spesenposten erfordert jedenfalls 20000 M. Man geht also nicht fehl, wenn man die Gesamtkosten der ungültig gewordenen Haupt­verhandlung die Voruntersuchung nicht gerechnet auf minde­stens 30000 M. veranschlagt.

Wie Staatsacheimnisse in die Presse gelangen.

Das Tagesgespräch der Journalisten Englands bildet z. Zt. ein Gesetzesantrag, der die Zeitungen daran verhindern soll, Staats­geheimnisse zu veröffentlichen. Bei dieser Gelegenheit erzählt eine englische Wochenschrift, auf welche Weise Staatsgeheimnisse Zeitungen zugänglich gemacht werden, und wie sie bezahlt werden. Vor einiger Zeit waren noch die Angestellten der Regierung, die tags­über in ihren Bureaus arbeiteten, bei Nacht als Journalisten tätig, bis die Regierung dieses Treiben unmöglich machte. So waren die Zeitungen darauf angewiesen, ihre Artikel, in denen Staats­geheimnisse veröffentlicht wurden, selbst zu schreiben; das Material dazu wurde ihnen natürlich nach wie vor von den Beamten zur Verfügung gestellt. So konnte kürzlich eine Zeitung einen Re­gierungsbericht veröffentlichen, der noch geheim gehalten werden sollte. Ungefähr ein Dutzend der Journalisten hätte genau angeben können, wer der Schuldige war, denn dieser war bei verschiedenen Zeitungen erschienen und hatte sein Angebot gemacht. Es war ein Angestellter aus der Druckerei, der einen Probeabzug dabstra­hierte(nicht etwa gestohlen!) hatte und diesen verkaufte. Natürlich stehen die Diener hoher Staatsbeamten in Beziehung zu den Zeitungen. Sie durchwühlen den Papierkorb ihres Herrn und studieren eifrig die Abdrücke auf den Löschblättern seines Schreib­tisches; haben sie mehr Uebung, so verstehen sie sich auch aufs Lauschen. Auf diese Weise konnte es geschehen, daß eine Dame, die in einem Gespräch mit einem Minister diesem ein wichtiges Staats­geheimnis entlockt hatte, mit dem sie sofort zu einer Zeitung fuhr, um es zu Geld zu machen, zu spät kam, denn ein Diener, der ge­lauscht hatte, war ihr zuvorgekommen und hatte den Lohn ihrer Mühe eingeheimst. Mitunter allerdings machen die Zeitungen hier­bei schlechte Geschäfte. Kürzlich bezahlte ein großes Blatt über 300 Pfund(über 60000.) für einen Regierungsbericht, der zeinige Zeit aufbewahrt und erst dann veröffentlicht wurde, als der richtige psychologische Momente gekommen war. Die Sache war aber ein Reinfall gewesen, denn derRegierungsberichte war falsch und stellte sich als freie Erfindung des gechickten Betrügers heraus.

störten Gesichtern hin und her und waren so aufgeregt, daß sie ihn gar nicht bemerkten. Und als Aurelius einen kleinen Sklaven, der eben an ihm vorbeieilen wollte, anhielt und gebot, ihn bei dem Herrn zu melden, sah ihn das Kind erstannt an erstaunt darüber, daß er von dem Unglück, das dem Senator zugestoßen war, noch nichts wisse. Aurelius wurde unruhig und fragte dringend, was denn geschehen sei, und da erzählte ihm der Sklave, daß der Senator von einem Pferdehuf gegen den Kopf getroffen wäre und jetzt im Sterben läge.In ganz Rom hat man nach unserer Herrin, Felicitas, gesucht, fügte er hinzu,aber sie war nirgends zu finden... Da hat der Herr noch schnell sein Testament gemacht, aber jetzt geht es mit ihm zu Ende.

Auch das noch! dachte Aurelius bitter...aber es muß ja auch sein! Er hätte sich wirklich kaum noch gewundert, wenn der Himmel auf die Erde niederstürzt wäre und die Welt zer­trümmert hätte. Warum nicht seine Welt war ja doch zerstört...

Aurelins eilte zu dem Sterbelager. Aber bei dem Anblick des furchtbar veränderten Senators mußte er denken, daß dieser plötzliche Tod doch eigentlich das beste für ihn sei, denn die Nachricht, daß sein einziges, so sehr geliebtes Kind Christin wäre, würde den Senator schwerer als der Tod getroffen haben. So aber blieb ihm der namenlose Schmerz, der Aurelius kaum denken ließ, erspart.

Beim Anblick des jungen Kriegers glitt ein Schimmer der Freude über das Antlitz des Sterbenden. Er stammelte ein paar Worte einen letzten Gruß für sein Kind. Und mit mühsamer, fast versagender Stimme legte er Aurelius noch ein­mal ihr Wohl ans Herz.

Und Aurelius brachte es nicht über sich, dem Sterbenden diese Bitte abzuschlagen. Warum auch so erhellte doch we­nigstens ein Lächeln die Züge des Senators, auch als der Tod ihn schon in seine Arme genommen hatte. So war er ent­schlafen, ohne etwas von dem Schicksal seiner Tochter erfahren zu haben.

In seinem letzten Willen hatte er Aurelius zum Verwalter des Vermögens seines Kindes eingesetzt.

Der junge Mann lachte, als er das erfuhr, bitter auf. Er

S Kölnischer Geschichtskalender. Gundertz

29. Juli.

1864 Beginn der Fahrten der Anfangs Januar geoildeten Omnibus­Aktiengesellscaft in der Stadt. Das Kapital der Gesellschaft betrug 25 000 Taler, wovon sie im Juni auf dem Großen Griechenmarkt ein Grundstück für 18 000 Taler erworben hatte. Am 3. August trat die Linie SeverinstraßeFlora hinzu.

1880 Die Stadtv.=Vers. genehmigt die Anstellung des Privatdozenten Dr. Konst. Höhlbaum in Göttingen als Archivar(Gehalt 3600.) als Nachfolger des am 14. Juni verstorbenen Dr. H. L. Ennen.

französischen Antimilitaristen.

Ein Pariser antimilitaristisches Blatt hat an seine Leser die An­frage gestellt, was sie im Kriegsfall als das Beste anraten würden: in die Kaserne gehen, sich ausrüsten lassen und dort die Rebellion schüren, oder aber der Einberufung zur Mobilmachung nicht folgen und draußen mit allen Kräften der Arbeitervereinigungen und revolutionären Gruppen den Aufstand organisieren. Unter den Antworten sind einige bemerkeuswert. Ein Kamerad B. schreibt aus Paris: In die Kaserne muß man gehen und sich Waffen geben lassen. Dreißig oder vierzig Mann in jedem Regiment die Zahl dürfte nicht übertrieben sein können, wenn sie entschlossen sind, viele Soldaten zur Rebellion mit fortreißen. Findet die Rebellion nicht in der Kaserne statt und geht der bewaffnete Reservist zur Bevölkerung über, so leisten dann gute Kriegsgewehre bessere Dienste als Revolver. Uebrigens ist Anwesenheit der Reservisten in der Kaserne not­wendig zur Beeinflussung der jungen Soldaten, die sonst vielleicht nicht revoltieren würden. Die Redaktion hat es für nötig gehalten,gewisse, von etwas wilder Energie zeugende Ratschläge eines anderen Briefes durch Punkte zu ersetzen. Der Verfasser dieses Briefes ist evenfalls dafür, daß die Reser­visten in die Kaserne gehen, was die Verpfuschung der Mobilmachung erleichtert. Sechs Revolutionäre unter fünfzig Resignierten können hier den Abgang zur Metzelei ver­hindern oder wenigstens verzögern... Ich gehöre zur Artillerie. Einmal in der Kaserne, zeige ich mich dienstfertig bei der Füt­terung und vergifte mit Arsenik den Hafer der Pferde. Man müßte sich auch in die Waffenkammer ein­schleichen und so viele Waffen als möglich zerstören können. Unter den Kameraden gäbe es wohl einen Waffen­schmied, der uns zeigen würde, wie und an welcher Stelle die Mordwerkzeuge am schnellsten und wirksamsten unbrauchbar ge­macht werden könnten. EinBauer aus dem Indre=Departe­ment meint, im Falle einer Mobilmachung sollten Weiber, Kin­der und Greise sich an den Bahnhöfen ansammeln, womöglich eindringen, die Abfahrt der Züge durch Versperrung der Geleise verhindern und nötigenfalls das Material beschädigen. In der Kaserne ist seines Erachtens ffür den einzelnen Revolutionär nichts zu machen: es gibt noch zu viel Patrioten und die Furcht würde manche abhalten, den Aufforderungen zum Reservisten­streik zu folgen.

haßte jetzt dieses marmorne Haus und diesen Garten, in dem alles ihn an jene erinnerte, die er so sehr geliebt und die ihn doch, wie er meinte, schändlich betrogen hatte, indem sie zu einer Genossenschaft von Sündern, ja vielleicht gar Mördern gehörte.

Aurelius fühlte sich so unglücklich, daß er den Toten benei­dete. Mit Felicitas gemeinsam oder für Felicitas hätte er jeden Schmerz lachend ertragen. Aber daß durch sie ihn ein solcher Schlag treffen würde an diese Möglichkeit hatte er nie, niemals gedacht.

Die Sorge für die Feuerbestattung des Senators zerstreute ihn anfangs ein wenig. Mit großer Pracht ließ er die Feier­lichkeit vollziehen.

Während derselben Zeit aber wurde Felicitas auf die grau­samste Weise gefoltert, um ihrem Glauben zu entsagen oder die Untaten zu bekennen, welche die Römer den Christen zuschoben.

Aurelius wußte recht gut, daß sie furchtbare, fast zu fürcht­bare Qualen für ein junges Mädchen von so großer Zartheit erdulden mußte. Sie war eben eine Staatsgefangene und er felbst hatte dem Kaiser zugeredet, mit den strengsten Maßregeln gegen die Christen vorzugehen. Er hielt es für Haß, daß seine Gedanken sich immer noch mit ihr beschäftigten, daß er, bei allem, was er tat, nur an sie denken mußte, an sie! Er wollte sie vergessen, oder mit kalter Gleichgültigkeit an sie denken. Und um das zu erreichen, griff er zur Arbeit oder betäubte seine Gedan­ken durch Wein.

Aber wenn er es am Tage durch alle diese Mittel erreicht hatte, nicht an sie denken zu müssen dann trat sie des Nachts im Traume vor ihn, so schön und unschuldvoll und so traurig, und seine Sehnsucht war, wenn er erwachte und alles, was sich ereignet hatte, ihm wieder bewußt wurde, nur um so größer! Er wußte es selbst nicht, der stolze Römer, daß er sie immer noch liebte, er kannte nicht den ewig schönen Spruch, den man auch auf irdische Liebe beziehen kann: Die Liebe verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles, die Liebe höret nimmer auf.

Oder fühlte er es? Wußte er den Grund dafür, daß ihm, wenn er in den Garten ging, aus jeder Blume ihr Gesicht zu schimmern schien, daß er aus dem Gesange der Vögel nur immer