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Kölner
Local-Anzeiger
Nr. 7.(Colonia.)
Sonntags=Beilage.
Sonntag, 18. Februar 1900.
Feuilleton des Kölner Local=Anzeiger. 18. Febr. 1900.
D Ins Wasser geworfen.
Novellette von Bertha Mutschlechner.*)
Samstag ist's und Feierabend. Aber für den Kranzlbauern ist es nichts weniger als Rastzeit; der hat die allerschwerste Arbeit noch vor sich, eine Arbeit, die Schweiß kostet, denn er muß denken dabei, und wenn er das anfängt, wird's ihm allemal schwarz und grün vor den Augen.
Da sitzt er in der großen Stube und wischt sich mit dem Aermel ein übers andere Mal über das grobknochige, bartlose Gesicht, schiebt den Hut, der für den großen Kopf viel zu klein ist, vom rechten aufs linke Ohr und wieder vom linken aufs rechte und schüttelt das Tintenglasl, daß darin ein dicker Brei entsteht, weil heute die Tinte so schlecht angeht. Und während er in verschiedenen Papieren und schmutzigen Büchlein wühlt und so erst recht nicht zusammenfindet, was er braucht, ärgert er sich unbändig über eine Stubenfliege— schlägt danach und in seinem Eifer mit der Fliege das Fenster hinaus.
„So, da hat man's. Mit der verflixten Schreiberei! Wieder ein Zwanziger weg!“
Dann setzt er sich wieder hin, rechnet, stöhnt und malt mit der schweren Hand wunderbare Bilderrätsel, die für ihn Buchstaben und Ziffern bedeuten, auf ein Blatt Papier. Er macht Kassensturz und Monatsabrechnung heute;„denn im Kopf kann's einer doch nicht alles behalten, besonders die Ausständ'.“
Ja, die Ausständ'! Die nagen wie ein Wurm am Herzen des Kranzlbauern, während anderseits seine Schuldner von einem nagenden Schuldbewußtsein blutwenig merken lassen. Der Kranzl= bauer hätte aber nie Ausstände bekommen, wenn er nicht ein unternehmender Mann und ein heller Kopf wäre, der mit seiner Zeit geht und seinen Vorteil zu benutzen weiß. Es sind zwar in dem kleinen Orte ohnedies über ein halbes Dutzend Krämer; aber es kam ihm eines Tages der glänzende Gedanke, daß diese durchaus nicht für die Bedürfnisse seiner Mitmenschen genügen, und um einer etwaigen Hungersnot vorzubeugen, errichtete er in seinem leeren Schuppen ein„Viktualiengeschäft en gros“.
Der erwünschte Zulauf ließ nicht auf sich warten, und die Brust des angehenden Handelsherrn schwellte vor Stolz, als er gar„von außen her“ größere Aufträge mit Beträgen zu zweibis dreihundert Gulden bekam. Solche Kundschaften darf man nicht abschrecken, da muß man Kredit gewähren, sonst schadet man seinem Ruf! Als dann ein Viertel= und ein halbes Jahr vergeht, ohne daß das so gewiß versprochene Geld eintrifft, da freilich dämmert in dem zermarterten Gehirn des Bauern eine leise Ahnung auf, daß er in die Falle schlauer Füchse gegangen, und von da ab prägt sich des Daseins ganzer Jammer in seiner Miene aus. Er quält sich mit einem Schreibebrief um den andern ab, um es den Herren Schuldnern begreiflich zu machen, daß sie durchaus nicht rechtlich handeln. Er predigt sich Vorsicht uno zählt jeden Kupferkreuzer nach, wenn die armen Arbeiterkinder Erbsen, Mehl und dergleichen bei ihm holen, denn bei solchen Leuten, die nichts haben und im Kleinen kaufen, muß man besonders auf der Hut sein, denkt er. Er giebt den Handwerksburschen höchstens nur mehr einen halben Kreuzer, ißt noch schlechter, kargt sich die sonntägliche Halbe Bier ab und rackert noch mehr, aber alles nützt nichts, die Hunderte kommen damit nicht herein.
Als er nach geraumer Zeit einsieht, daß seine rührsamen Mahnbriefe ohne Erfolg bleiben, überfällt ihn ein verzweifelter Mut, er thut, was bei Handelsherren in solchen Fällen üblich, wie's ja auch in der neuen Kalendergeschichte steht: er nimm: sich einen Doktor.
„So,“ sagt er nach diesem großen Schritte aufatmend zu seiner Bäuerin,„jetzt fehlt's nimmer! Der brockt's ihnen ein! Jetzt krieg ich mein Geld in acht Tagen, kosten thut's nichts, das müssen alles die anderen zahlen!“
Neues Stadium der Pein. Briefe kommen, die, um gelesen zu werden, unerhörte Ansprüche an das nun so sehr angegriffene Gehirn machen; Briefe gehen, die ein Gaudium sondergleichen in der Notariatskanzlei hervorrufen. Endlich kommt eine Rechnung über zweiundzwanzig Gulden, was der Kranzlbauer in fürchterlicher Deutlichkeit lesen kann, zugleich mit dem Bescheid, daß die einzufordernden Summen uneinbringlich, Gerichtsvollstreckung unzulässig, da betreffende Schuldner nichts besitzen usw.„Der Herr Doktor empfiehlt sich für weitere Fälle dem geehrten Herrn Klienten.“
„Zum aus der Haut fahren!“ keucht der letztere und fährt mit den zehn Fingern in seine struppig grauen Borsten. Dann kommt der Rückschlag, er fühlt sich schwach und alt, verwünscht das Geschäft, alle Warenvorräte, voraus die, um welche er geprellt wurde; und das Bewußtsein, so viel Schlechtigkeit leiden zu müssen, erdrückt ihn schier.
„Das kommt davon, weil sie draußen in der Welt keine Religion mehr haben,“ brummt er und giebt dem hungerigen
Abdruck ist nicht gestattet. Gesetz vom 11.Juni70, 88 7 u. 10. D. Red.
Phylax, der ihm freundlich naht, einen Rippenstoß; denn an etwas muß er seine Wut doch auslassen.
Dann humpelt er in sein Magazin, überschaut seine Vorräte, berechnet den Gewinn, nimmt aus einem Winkel, über dem Spinngewebe hangen, ein trübes Gläschen und vergönnt sich aus dem Eck, wo das kleine Faßl steht, ausnahmsweise einen Seelentrost auf den Schrecken. Das hat die Wirkung, daß er so viel Fassung gewinnt und zu dem heldenmütigen Entschluß kommt, heute noch einmal all das verwünschte„Gelump“ durchzuschauen, was ihm ins Reine verhelfen soll über Soll und Haben. Seiner Alten hat er seine neuesten Erfahrungen noch gar nicht zugestanden, sonst versalzt sie aus Ingrimm wieder die Samstagsnudeln, und versalzene Nudeln verträgt er schlecht.
So sitzt er da, stemmt die Fäuste an die Schläfen, die Ellbogen auf den Tisch, während er mit den großen, hervorstehenden Zähnen am Federhalter kaut, den er in dieser Pause des Denkens statt der Pfeife im Munde hält.„47 und 63, das war... das war... das war soviel als...“ Und gerad, wie er dieses Kunststück überwunden glaubt, geht die Thüre auf.
„Grüß Gott, Kranzlbauer! Wie geht's? Hab' nicht vorbeigehen wollen, ohne zu fragen, was für Fortschritte Euere Angelegenheiten machen?“
„Hm,“ brummt der andere, kaum aufblinzelnd, und thut furchtbar wichtig, während er in Papieren kramt und mit dem Daumen über die Achsel auf die Ofenbank deutet.„Bisl niederhocken!“
Der„Herrische" nimmt die Einladung an, aber es ist nicht zu verkennen, daß ihm was anderes mehr am Herzen liegt, als das Ausrasten, denn als der Bauer mit unbekümmerter Ruhe, als ob niemand da wäre, seine Uebungen im Einmaleins fortsetzt, unterbricht er ihn:
„Habt Ihr Nachricht? Ich möcht's Euch wünschen, daß Ihr zu Euerem Gelde kommt! Da seid Ihr einmal zu gut gewesen und zu vertrauensselig; bei solchen Geschäften mit ganz Fremden müßt Ihr vorsichtiger sein.“
Der Bauer weiß, daß der andere recht hat, darum möcht' er am liebsten sagen: Was geht's denn dich an? Aber weil er ihn in einer schwachen Stunde doch einmal als alten Bekannten eingeweiht hat in seine schmerzensvollen Erfahrungen, räuspert er sich bloß statt aller Antwort.
„Ja, heutzutage hält's immer schwer, ausständiges Geld einzubringen," beginnt der Herrische wieder.„Ich kann auch ein Liedl davon singen, und bei mir ist's noch was anderes, als bei Euch; Ihr seid trotzdem geborgen vor Not, aber bei mir warten Weib und Kinder auf jeden Gulden, und kommt keiner, so heißt's hungern, daß die Rippen krachen."
„Möcht' mich bedanken für solch ein Geschäft!“ grinst ihn der Kranzlbauer an. Der Herrische ist auch so ein Federfuchser, und auf die ist der Bauer heute fuchtig.„Möcht' mich bedanken! Aber wundern thut's mich nicht, Ihr schreibt das ganze Jahr, und es muß hübsch was zusammenkommen davon. Wenn die Leute all das lesen sollen, müssen sie ja ganz toll werden dabei, und hernach sollten sie auch noch zahlen dafür! Schaut nichts heraus bei der Arbeit; möcht' mich bedanken!“
Der Herrische geniert sich gar nicht, er lacht hell auf, und bei dem herzlichen, frohen Lachen verschwindet der schwere, sorgenvoll Ausdruck, der erst auf seinen Zügen lag.„Kranzlbauer, jeder bei seinem Leisten! Nichts für ungut, aber das versteht Ihr nicht! Uebrigens komme ich heute mit einem kleinen Anliegen zu Euch.“
Aus den schief geschlitzten Augen des Angeredeten fährt ein mißtrauischer Blick auf den Sprecher: er wittert sofort Lunte und verfällt in lautes Jammern über die Geldnot, die schlechten Zeiten, das schlechte Wetter und über die Leute, die Schulden machen.
Der Herrische bleibt vollkommen gelassen; er steht auf und legt ihm die Hand auf die Schulter:„Ich brauche ja bloß drei Gulden, und die sollt Ihr mir leihen. Geht, Kranzlbauer, seid menschlich, seid freundlich, Ihr kennt mich ja und wißt, daß Ihr's mit Zinsen zurückbekommt!“
Der Bauer verdreht die Augen, das Gesicht verlängert sich, es wird noch knochiger, noch härter, und er krallt die Hände in einander, daß die Fingerglieder knacken.
„Hab's nicht, kann's nicht hergeben. Muß Steuer zahlen und den Doktor und den Mehllieferanten... ach, ach,“ stöhnt er, daß es einen Stein erbarmte.„Geld, Geld, von mir Geld wollen!“ Dann sich besinnend:„Ja, zu was braucht Ihr denn das Geld?“ sagt er in gut geheucheltem Erstaunen.
„Kranzlbauer,“ sagt jetzt der Herrische,„wißt Ihr zu was? Zu dem, was Euch Gott wachsen läßt: zu Brot, denn mich und die Meinen peinigt der Hunger, und es kann noch etliche Tage währen, bis mir wieder was eingeht. Sobald es aber kommt, bringe ich Euch warm die drei Gulden zurück.“ Er sagt es in eindringlichem, ehrlichem Tone, aus dem Pein und Seelenangst spricht— der Bauer trommelt auf den Tisch und thut, als höre er nicht gut.
Da kommt die Magd herein:„Drei Star Erdäpfel will der Simmerl=Hans. Ob's die Bäuerin einmessen soll?“
„Nein, nein,“ winkt der Bauer ab, denn seine Ehehälfte mißt ihm viel zu gut, er steht auf und will hinausrennen, froh über diese Gelegenheit, den anderen loszuwerden. Der aber packt ihn beim Aermel:„Geht, Nachbar, thut mir den Dienst, gebt mir drei Gulden! Ihr habt keine Kinder, Ihr weißt nicht, wie's thut, sie leiden zu sehen; schaut, und Ihr kriegt es ja in kurzem wieder!“
Der Angepumpte windet sich wie am Marterpfahl: Simmerl, Erdäpfel, Gulden, alles tanzt vor seinen Augen; endlich zwängt er die breite Hand in den Sack der Lederhose und reißt zornig sein„Brieftaschl“ heraus, und die widerspenstige Hand zittert, bis sie endlich drei zerdrückte Guldenzettel herausfischt, die er auf den Tisch wirft.
„Ich weiß schon,“ weint er fast,„ich könnt's grad so gut ins Wasser werfen! Hin, alles hin, das gute schöne Geld!“
Ueber des Mannes Gesicht, der mit einem Seufzer der Erleichterung danach greift, zuckt es; aber er faßt sich schnell: „Kranzlbauer, wenn man seinem Nächsten, der's ehrlich meint, in Nöten hilft, dann ist das Geld nicht ins Wasser geworfen, hört Ihr? Merkt's Euch, vielleicht kommt die Stunde, wo Ihr es einseht, und jetzt schönen Dank und gute Nacht!“
Der Kranzlbauer hat's gar nicht mehr eilig auf einmal; er steht da und kratzt sich hinterm Ohr: Ins Wasser geworfen, das hätte er doch nicht sagen sollen! Ja drum: Schweigen ist Gold! steht im Kalender. Das kommt vom schnellen Reden. Es liegt zwar sonst nicht viel daran; zu der„Gmoan“ gehört der Herrische nicht, es ist bloß ein Fremder, der seit einiger Zeit da im Dorf ansässig ist, und ein„Notiger“ ist es auch, denn viel kann die Kopfzerbrecherei nicht einbringen, schätzt er, also ist der Schaden nicht groß— denn den, den braucht er doch sein Lebtag nicht! denkt der Kranzlbauer.
Einige Wochen später knarrt die Thüre des Häuschens, worin Schriftsteller Lauter mit den Seinen wohnt; ein schwerer, zögernder Schritt trabt die Stiege hinan. Fritz Lauter hört das Geräusch; denn es ist ganz still, sogar das leise Zischen seiner Feder ist vernehmbar, wie sie eilig über das Papier gleitet. Er steht auf und öffnet die Thüre, aber er erschrickt, denn da steht der Kranzlbauer, dem er die Schuld noch nicht zahlen konnte.
„Ach, grüß Gott! Gelt, weil ich nicht komme, kommt Ihr zu mir!“ scherzt er mit einem erzwungenen Lachen.„Kommt herein, nehmt Platz!“
Aber der Bauer steht in einer ganz veränderten Gestalt da, schier gebückt, und weil er höflich sein will, dreht er die abgegriffene Kappe rastlos in den Händen und zwingt das Gesicht in freundliche Falten.
„O, o, hat keine Eil'! Bin nicht deswegen da, möchte Euch nur was fragen, wenn Ihr Zeit hättet für mich.“
Lauter fällt ein Stein vom Herzen. Er schiebt dem Besucher seinen eigenen Polsterstuhl hin, den dieser verdächtig anschaut, ehe er sich behutsam auf eine Ecke desselben hockt.
„Es ist von wegen der Ausständ',“ platzt er heraus.„Gestern bin ich zurückkommen, aber kriegt hab' ich nichts!“
Der Zuhörer ergänzt schnell im Geist die Zwischenkapitel dieses kurzen, aber inhaltsreichen Berichtes.„Also Ihr habt wirklich die Reise nach Oberösterreich gemacht? Seid Ihr selbst bei den Schuldnern gewesen und beim Gericht?“
„Ueberall!“ bekräftigt der andere;„die Schuldner haben mir die Ohren vollgeschrieen und über die Ware geschimpft, und gehabt haben sie schier nichts; verräumt müssen sie alles haben, die Bande, wie wenn sie mich hätten kommen sehen! Nachher bin ich aufs Gericht!“
„Nun und da?“
„Na, die Herren waren lieb und fein und schrecklich freundlich mit mir, das muß ich sagen! An Mordsspaß haben sie gehabt mit mir und vor lauter Freud alleweil gelacht. Zuerst sind es ihrer drei gewesen, nachher sind es schleunig sechse worden, aber gelacht haben alle...“
Und der Bauer verzieht im Andenken an diese ehrende Anerkennung seitens des hohen k. k. Gerichtes den breiten Mund zu einem vergnügten Grinsen.„Ja, lustig war's, lustig war's, aber wenn ich von meinen Ausständ’ angefangen hab’, haben sie mir gar nicht zugehört.“
„Nun, und was habt Ihr denn gethan?“
„Na, dann bin ich halt gegangen!“
„Ja, dann habt Ihr ja so viel wie gar nichts ausgerichtet!“ ruft Lauter, den ein menschliches Rühren erfaßt, womit er seine Neigung, es den Gerichtsherren gleichzuthun, niederkämpft, während er die wehmütige Miene seines Gegenübers betrachtet.
„Hin, hin, alles hin, viel hundert Gulden ins...“ Wasser geworfen, will er sagen, aber diesmal würgt er die zwei Worte hinunter, denn es dämmert ihm etwas, daß er seine beliebte Redeform einmal zu viel angewendet hat.„Und jetzt bin ich halt da,“ fährt er kleinlaut fort,„weil ich mein', zu solchen
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