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Illustrierte Beilage:Heimat und Wel­"

Nr. 240

Samstag, den 12. Oktober

1929

Böß kehrt nicht zurück.

Beschluß des Magistrats.

Berlin, 11. Okt. Wie das Nachrichtenamt der Stadt Berlin mitteilt, ist der Magistrat in seiner heutigen außerordentlichen Sitzung dem gestrigen Be­schluß der Stadtverordnetenversammlung, der die so­fortige Rückkehr des Oberbürgermeisters und der in Amerika weilenden Stadträte fordert, aus den vom Bürgermeister Scholz bereits gestern in der Stadtverordnetenversammlung dargelegten Gründen nicht beigetreten. Oberbürgermeister Böß ist durch Kabel entsprecheno verständigt worden.

Die Sklareks und die Rote Hilfe.

DieRote Fahne versichert in ihrem heutigen Morgenblatt, daß die Behauptung des Stadtverord­neten Flatau, die Rote Hilfe habe von den Sklareks finanzielle Unterstützungen bezogen, eine schamlose Unterstellung sei. DasBerliner Tageblatt er­fährt hierzu zuverlässig, daß die tatsächlichen Be­ziehungen zwischen den Sklareks und der Roten Hilfe noch viel weiter gegangen sind. Die Sklareks haben, wie einer der drei Sklareks heute bei der Vernehmung angegeben hat, der Roten Hilfe meh­rere Jahre hindurch am Abschluß jeder Saison die gesamten Restbestände ihres Lagers, soweit sie nicht modern waren, der letzten Mode entsprachen, ohne jegliche Gegenleistung übermacht. Diese an die Rote Hilfe geschenkten Restbestände des Lagers präsen­tierten in jedem Jahre einen Wert, der weit über 10 000 Mark gelegen hat.

Oberbürgermeister Böß in Los Angeles.

WTB. Neuyork, 11. Okt. Associated Preß meldet aus Los Angeles: Oberbürgermeister Böß, der aus San Franzisko hier eintraf, erklärte, die gegen seine Verwaltung erhobenen Anklagen der Korruption seien unwahr und von politischen Gegnern insze­niert, um ihn zu diskreditieren, während er sich auf der Reise durch Amerika befinde.

Oberbürgermeister Böß hält an seinem Reiseplan fest.

WTB. Nenyork, 11. Okt. Wie aus Santa Bar­bara in Kalifornien gemeldet wird, erklärte Ober­bürgermeister Böß einem Vertreter der Associated Preß im Anschluß an die bereits gemeldete Tatsache, daß er nicht beabsichtigt, vorzeitig nach Deutschland zurückzukehren, was immer sich in Berlin heraus­stelle, er selbst sei in keinen Skandal verwickelt und beabsichtigt daher, an seinem ursprünglichen Reise­plan festzuhalten. Eine offizielle Benachrichtigung über den Beschluß der Berliner Stadtverordneten­versammlung habe er nicht erhalten.

Oberbürgermeisters erwähnt werde, habe der Ober­bürgermeister für sich selbst bestellt. Der Pelzmantel hingegen, der für die Frau des Oberbürgermeisters bestellt wurde, sei von den Sklareks mit 4000 Mark bewertet worden, und der Oberbürgermeister habe diese 4000 Mark restlos bezahlt. Wie der Sekretär Lehmann zu seiner Behauptung, daß der Frau Ober­bürgermeister Böß eine Rechnung von 400 Mark zu­gegangen sei, kommen konnte, sei ihnen vollkommen unerklärlich. In der Frage der Pelzjoppe habe der Oberbürgermeister sich tatsächlich so verhalten, wie er gekabelt habe.

Neue Behauptungen des Buchhalter Lehmann gegen die Berliner Stadtbank=Direktoren.

Berlin, 11. Okt. Wie die Vossische Zeitung mel­det, hat der Buchhalter Lehmann im Verhör am Freitag die Behauptung aufgestellt die Stadtbank­direktoren Schmitt, Hoffmann und Schröder hätten seit Jahren alle zwei Monate von den Brüdern Sklarek einen Anzug geliefert erhalten, ohne daß ihnen auf Geheiß der Sklareks jemals eine

Berlin, 11. Okt. Zu den Pressemeldungen über Verhandlungen mit dem schwedischen Zündholztrust und Verhandlungen über die Schaffung eines Reichsmonopols für Zündwaren hören wir von un­terrichteter Seite, daß ein Ergebnis der Verhand­lungen noch nicht abzusehen ist. Es handelt sich bei der ganzen Angelegenheit in erster Linie darum, die deutsche Zündholzindustrie, die seit einigen Jahren mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wieder zu kräftigen. Auf Grund des Zündwaren­gesetzes vom Jahre 1927 bedarf die Herstellung von Zündhölzern über den damals bestehenden Kreis der Produzenten hinaus besonderer Erlaubnis des Reiches. Zur Zeit sind ungefähr 65% der Zündholz­fabrikation in schwedischen, 35% in deutschen Hän­den. Für das damals erlassene Gesetz war in erster Linie die drohende Gefahr maßgebend, daß die deut­schen Zündholzfabriken von den schwedischen Fabri­ken aufgesaugt würden. Neben diesem Zündwaren­gesetz besteht noch ein Syndikatsvertrag zwischen den Fabrikanten und der deutschen Zündholz=Verkaufs A.=G. Die Hauptursache der schlechten wirtschaftlichen Lage der Zündholzindustrie ist die starke Konkurrenz ausländischer, insbesondere russischer Zündhölzer. Da eine Wiedergesundung der Zündholzindustrie durch Einführung der freien Wirtschaft schwere Ge­fahren für die Produktion mit sich bringen würde, hat die Reichsregierung erwogen, eine Aenderung

Rechnung zugestellt worden sei. Diese Angaben sind sofort dem Untersuchungskommissar des Oberpräsi­denten, Oberregierungsrat Tapolski, zur Nachprü­fung mitgeteilt worden.

Die deutschnationalen Sklarekfreunde.

Es soll ein netter Abend werden.

Ein demokratischer Stadtverordneter verlas in der gestrigen Sitzung die Abschrift eines Briefes, den der deutschnationale Stadtverordnete Kindel an mehrere (u. a. auch an kommunistische) Stadtverordnete gerich­tet hat. K. lädt in dem Schreiben zu einem Herren­abend ein, an dem auch die Brüder Sklarek teilneh­men sollten. Es heißt darin:Es kommen außer­dem Bürgermeister Schneider und Herr Kollege We­gener zu einem gemütlichen Zusammensein mit ein­nem guten Trunk und dazu gehörigen Essen, also ein ganz kleiner Kreis. Wollen Sie mir das Vergnügen machen, auch zu kommen? Es soll ein netter Abend werden. Es ist nichts weiter nötig, als daß Sie mir die Freude machen, diesen Herrenabend mitzuma­chen." Von deutschnationaler Seite wurde darauf er­widert, daß der Stadtverordnete Kindel den Brief ge­schrieben habe, als jedermann die Sklareks noch für ehrenwert halten konnte.

auf der Grundlage der Weiterentwicklung der be­stehenden Verhältnisse zu erreichen. Dies würde au­tomatisch auch zu einer Begünstigung der in Deutsch­land ansässigen schwedischen Zündholzindustrie füh­ren. Für die Vorteile, die dadurch für die schwedische Industrie erwachsen, wurde von schwedischer Seite ein Anleihe von ungefähr 125 Millionen Dollar an­gehoten. Es ist selbstverständlich, daß die Bedingun­gen dieser Anleihe für das Reich annehmbar sein müssen. Vorläufig ist noch nicht zu übersehen, wie die schwedischen Gegenleistungen in die rechte Bezieh­ung gebracht werden können zu den Leistungen, die das Reich durch die Schaffung eines Zündholzmono­pols auf sich nehmen würde. Irgendwelche Forde­rungen der schwedischen Industrie zum Nachteil der Deutschen können keinesfalls in Betracht kommen. Das Reich wird die Interessen der deutschen Zünd­holzindustrie entscheidend in Rechnung stellen. Wenn auch wahrscheinlich infolge der Aenderung der Ver­hältnisse mit einer Preiserhöhung der Zündwaren zu rechnen sein wird, so muß dabei berücksichtigt werden, daß die deutschen Zündholzpreise erheblich unter dem Preise des Auslandes liegen, und weiter, daß eine Preiserhöhung für den einzelnen Konsu­menten sich nur in Pfennigbeträgen auswirken wird. Die Steuerfrage hat bei den Verhandlungen keine besondere Rolle gespielt.

Die Verhandlungen mit dem schwedischen Zündholztruft

Noch keine Stellungnahme des Oberbürgermeisters zu dem Beschluß der Stadtverordneten.

Berlin, 11. Okt. Von unterrichteter Seite hören wir zu dem gestrigen Beschluß der Berliner Stadt­verordnetenversammlung, Oberbürgermeister Böß sofort zurückzurufen, daß der Beschluß bisher dem Oberbürgermeister nicht übermittelt werden konnte, da auf Grund der Städteordnung erst ein entspre­chender Beschluß des Magistrats vorliegen muß, ehe der Beschluß der Stadtverordneten gültig ist. Der Magistratsrat wird sich heute nachmittag um ½3 Uhr in einer außerordentlichen Sitzung mit der An­gelegenheit beschäftigen.

Disziplinarverfahren gegen die Leiter der Berliner Stadtbank.

WTB. Berlin, 11. Okt. Wie der Amtliche Preu­ßische Pressedienst mitteilt, hat der Oberpräsident der Provinz Brandenburg und von Berlin heute das förmliche Disziplinarverfahren gegen die Stadtbank­direktoren Schmitt und Hoffmann sowie den Abtei­lungsleiter Schröder mit dem Ziel auf Amtsenthe­bung eröffnet. Gleichzeitig hat er die Amtssuspen­sion dieser drei Beamten ausgesprochen.

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Zeugenaussagen über den Pelzkauf.

Zur Klärung der Pelzaffäre wurde heute vormit­tag eine Angestellte der K. V. G., ein Fräulein B., vernommen.

Nach ihrer Aussage hat ihr eines Tages einer der Brüder Sklarek ein Paket ausgehändigt und sie be­auftragt, dieses Paket mit einer Rechnung der Frau Oberbürgermeister zuzustellen. Das Paket enthielt den strittigen Pelz. Wie sich Fräulein B. erinnern will, hatte ihr einer der Chefs gesagt, daß der Preis für diesen Pelz dem Oberbürgermeister mit 400 Mk. in Rechnung zu stellen sei. Das geschah auch. Die Zeugin wußte aber nicht, ob diese Rechnung inzwi­schen bezahlt worden ist. Auch andere Angestellte der K. V. G. sollen diesen Vorgang kennen, und ebenfalls zu seiner völligen Klärung vernommen werden.

Zwei Böß=Pelze?

Berlin, 12. Okt. Die Sklareks erklärten ihrem Verteidiger, daß es sich um zwei verschiedene Ge­schäfte handele. Die Pelzjacke, die im Kabel des

Die Nordpolfahrt desGraf Zeppelin in Frage gestellt.

Die Besatzung lehnt ab.

Friedrichshafen, 11. Okt. Die Nordpolfahrt mit dem LuftschiffGraf Zeppelin ist in Frage ge­stellt. Aus zuverlässiger Quelle erfahren wir, daß Dr. Eckener es jedem einzelnen Mitglied der Be­satzung des LuftschiffesGraf Zeppelin freigegeben hat, sich an der projektierten Nordpolfahrt zu betei­ligen. Zu diesem Zweck ging gestern, Donnerstag, eine Liste zur Aeußerung über diese Frage jedem einzelnen Besatzungsmitglied zu. Das Ergebnis dieser Umfrage war, daß die ganze Besatzung mit Ausnahme des Kapitäns Lehmann, der das Luft­schiff zum Nordpol führen soll, da Dr. Eckener seine Beteiligung an der Nordpolfahrt endgültig abge­lehnt hat, solidarisch erklärt hat, aus finanziellen und technischen Gründen die Nordpolfahrt nicht mitzu­machen.

Die Hollandfahrt, die für heute abend angesetzt war, mußte infolge ungünstiger Witterung auf mor­gen abend festgesetzt werden.

Der größte Teil der Besatzung gegen eine Polarfahrt.

WTB. Friedrichshafen, 11. Okt. Zu der heute nachmittag gebrachten Meldung über die Bedenken der Besatzung des LuftschiffesGraf Zeppelin" gegen eine Polarfahrt teilt Kapitän Lehmann auf Anfrage ergänzend mit, daß nunmehr tatsächlich damit ge­rechnet werden müsse, daß das LuftschiffGraf Zep­pelin" im Frühjahr 1980 die Polarfahrt nicht an­treten wird, da der größte Teil der aus 40 Mann bestehenden Besatzung des Luftschiffes die größten Bedenken gegen eine Polarfahrt geäußert hat. Die meisten Besatzungsmitglieder sprachen die Befürch­tung aus, daß bei unglücklichen Zwischenfällen wäh­rend der Polarfahrt das Luftschiff verloren gehen könnte und die Besatzung dadurch ihre Tätigkeit und

ihren Beruf verlieren würde. Der größte Teil der esatzung äußerte gegenüber Kapitän Lehmann, daß, solange nur ein Zeppelinluftschiff in Friedrichshafen

zur Verfügung stünde, der Graf Zeppelin nur zu den Aufgaben herangezogen werden sollte, für die er ursprünglich bestimmt war, und daß das Luftschiff nicht für Polarflüge aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Sobald zwei Luftschiffe vorhanden seien, wäre die Mannschaft ohne weiteres bereit, sich an einer Polarexpedition zu beteiligen.

Die Ereignisse in Kabul.

WTB. Paris, 11. Okt. Eine nach Afghanistan ent­sandte Berichterstatterin desPetit Parisien" über­mittelt eine Depesche aus Taschkent über die Lage in Afghanistan, in der es heißt: Nadir Ikan hat am 29. September ein Manifest an die Einwohner von Kabul erlassen, in dem er im Namen von neun Unterführern des südlichen und östlichen Afghanistan Ruhe empfiehlt, und unter Androhung der Todes­strafe empfiehlt, das Leben und Eigentum der Aus­länder zu achten. Wenn die Ereignisse weiterhin zugunsten Nadir Ihans verliefen, trage man sich mit der Absicht, eine Nationalversammlung zu kon­stituieren, um die künftige Regierungsreform und Nachfolger für den Thron zu bestimmen.

Die Auswirkungen des Youngplanes.

Berlin, 11. Okt. Der Preußische Handelsminister hat jetzt zugleich auch im Namen des preußischen Finanzministers auf eine im preußischen Landtag von der Wirtschaftspartei eingebrachte Kleine An­frage folgende Antwort erteilt:

Die Maßnahmen, die für den Fall der Annahme des Youngplanes hinsichtlich der Industriebelastung zu treffen sind, bilden zur Zeit den Gegenstand von Erwägungen bei den hierzu in erster Linie zu­ständigen Reichsressorts. Eine endgültige Entschlie­ßung liegt noch nicht vor. Die Staatsregierung wird bei den zu treffenden Entscheidungen darauf hinwirken, daß die berechtigten Interessen von In­dustrie und Gewerbe gewahrt werden.

Rückblick und Vorschau.

Viersen, den 12. Oktober 1929.

Dr. Sch. Am vergangenen Sonntag sind die sterb­lichen Reste des in so tragischer Weise dahingeschie­denen Reichsaußenministers Dr. Stresemann unter größter Teilnahme der offiziellen Welt und der Bevölkerung bestattet worden. Selbst die ge­waltigen Kundgebungen beim Tode Rathenaus und Eberts blieben hinter diesem Volkstrauertag zurück, der nach außen hin der sichtbarste Ausdruck der tie­fen Ehrfurcht und Achtung des deutschen Volkes für den toten Reichsaußenminister war. Stresemann war kein Volksmann im überkommenen Sinne des Wortes, der sich durch Wanderreden in die Gunst des Volkes einzuschmeicheln suchte, und dennoch ver­band ihn etwas mit diesen Massen, die ihm das letzte Geleite gaben und draußen im Lande bewegt von seinem frühen Heimgang sprachen. Wir wollen uns nicht in den widerlichen Streit einmischen, der von den Ewig=Unverbesserlichen, von den Teutobur­ger Helden, entfacht wurde, um Stresemann den Ruhm eines Staatsmannes streitig zu machen. Ein endgültiges Urteil hierüber läßt sich erst fällen, wenn wir die zur sachlichen Prüfung eines jeden Ereig­nisses erforderliche zeitliche Distanz haben. Vorerst stehen wir noch zu sehr im Brennpunkt der Strese­mannschen Politik, als daß heute schon eine von allen persönlichen Zu= und Abneigungen befreite Entscheidung über den Wert oder Unwert der außenpolitischen Zielstrebigkeit Stresemanns möglich wäre. Aber jedenfalls steht so viel fest, daß Strese­mann mehr politisches Fingerspitzengefühl im klein­sten Körperteil besessen hat, als alle Akteure des Volksbegehrens zusammengenommen. Und auch das können wir, ohne dem geschichtlichen Urteil vorgrei­fen zu wollen, mit Reichskanzler Müller sagen: Stresemann wird als einer der Baumeister am Wiederaufbau Deutschlands der Geschichte angehören. Sein Werk steht fest gegründet, und uns allen bleibt in der Zukunft die Aufgabe, es in seinem Geiste fort­zusetzen. Von ihm nehmen wir Abschied in dem Be­wußtsein, daß wir in ihm einen großen Staatsmann, einen Führer und trefflichen Menschen verloren ha­ben, der sich in der Arbeit für sein Volk und Vater­land verzehrt hat. Die Mitwelt hat ihn oft ver­kannt, die Nachwelt wird ihm gerecht werden.

Noch hatten sich die Hügel über Stresemanns' Grab nicht geschlossen, als auch schon der Streit um seine Nachfolge entbrannte. Reichskanzler Müller glaubte zwar diesem Streit dadurch vorbeugen zu können, daß er im Einvernehmen mit Reichspräsident v. Hindenburg kurzerhand den deutschvolksparteili­chen Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius zum vorläufigen Reichsaußenminister ernannte, er hat ihn aber durch diese regelwidrige parlamentarische Maßnahme erst recht entsacht. Wie konnte es auch anders sein? Bisher war es immer Brauch und Sitte, daß die Ernennung eines Ministers die Zu­stimmung der in der Koalition vertretenen Parteien haben mußte, und daß der Reichskanzler vor der Besetzung eines Ministeriums Rücksprache mit den in Frage kommenden Parteien pflog. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn man eine Regierungs­koalition als eine Arbeitsgemeinschaft auffaßt, deren Mitglieder durch gemeinsame Aufgaben und Ziele verbunden sind und nicht durch Meinungsverschie­denheit und andere trennende Faktoren an der Zu­sammenarbeit verhindert sind. Reichskanzler Mül­ler jedoch hat diese Selbstverständlichkeit, die im We­sen jeder Koalition begründet liegt, außer Acht ge­lassen und so ein gewisses Spannungsverhältnis zwi­schen den Regierungsparteien geschaffen. Das Zen­trum hat mit Recht gegen die neuartige Kanzlerma­nier, die sich im Laufe der Jahre herausgebildeten und daher gewohnheitsrechtlichen parlamentarischen Gepflogenheiten über Bord zu werfen und ohne Aussprache mit den Regierungsparteien einen Mi­nisterposten, wenn auch nur provisorisch, zu besetzen. energisch Protest erhoben. Die gegnerische Presse sucht die jedem einsichtigen Politiker verständliche Haltung des Zentrums dahin auszudeuten, das Zen­trum spiele die gekränkte Leberwurst, weil es selbst stark auf das Außenministerium reflektiere und bei dessen vorläufiger Besetzung kein Zentrumsmann plaziert worden wäre. Nichts ist irriger als diese Auffassung. Das Zentrum will lediglich, daß es bei der Besetzung eines für das deutsche Volk lebens­wichtigsten Ministeriums gehört und nicht vor fer­tige Tatsachen gestellt wird. Dieses Verlangen dürfte die Minimalforderung einer Regierungspar­tei an einen Reichskanzler sein.

Daß unsere Reichswehr der Beerdigung Stre­semanns fernblieb, wurde allenthalben recht unan­genehm empfunden und ist für vernünftig denkende Menschen, die den Amtsschimmel zu reiten noch nicht die Ehre gehabt haben, mehr als unverständlich. Um Stresemann trauerte die deutsche Republik und mit ihr das republikanisch gesinnte deutsche Volk, ohne Unterschied der parteipolitischen Zugehörigkeit. Da durfte die Reichswehr, die doch letzten Endes ein Be­standteil der Republik darstellt, nicht fehlen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, erneut zum Angriffs­punkt derjenigen zu werden, welche die republika­nisch=demokratische Erziehung der Reichswehr mit skeptischen Augen verfolgen und deshalb jede Ge­legenheit wahrnehmen, ihr beim Zeug zu flicken. Wir zweifeln nicht daran, daß die Reichswehr gerne eine Ehrenkompagnie gestellt hätte. Aber St. Büro­kratius konnte dies unmöglich zugeben, daß laut ei­

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