Sonntagsbeilage der Haaner Seitung
Nr. 1
KaSu
Sonntag, den 7. Oktober
1934
Neige
Verweht ist des Sommers Glut, in starker Fülle prangt der Herbst. Kraft der Tiefe hob, himmelgesegnet, Frucht ins Licht, daß sie gelegt werde in des Lebens Schale.
Herbst, Sinnbild der Tatkraft, aller Steigerung durch Reife... Flamme vor dem Abschied, heroische Gebärde!
Seele, werde am Herbst stark, daß du dich
zeheitsvol auch in die Wandlung schickst, deren ginn schon in diesen letzten glutenschönen Cagen liegt!
Herbst ist Neige...
Es ist ein Großes um das Trinken der letzten Tropfen. Alle glühende Liebe schlägt in die blinkende Neige. So bewußt trankst du noch nie. Des Bechers Fülle ließ dich trinken, trinken. Nicht jeder Schluck war des Bewußtseins voll der echten, großen Innigkeit, nun funkelt des Bechers Neige grundherauf. Oh, jeder Tropfen ist kostbar. Der Becher neigt sich; aber während er sich neigt, hebst du oon selbst das Angesicht empor. Trinke mit offenen Augen, sonnauf, sternauf den Blick Dank und Gruß den ewigen Mächten! Und wenn du des Lebens Becher ausgetrunken hast, so setz' ihn ab mit königlicher Geste.
Der Gott, der auch im Herbst sich offenbart. schenk' dir solche Kraft!
Neige... Goldenklar und würzig bis zuletzt! So kann Neige letzte, höchste Gnade werden für das großbewußte
Herz...
Wenn im Nurpurschein...
Als ein Aufbäumen letzten Lebenswillen: vor dem unerbittlich drohenden Ende möchte man es ansehen, wenn die Natur jetzt noch einmal ein Gewand von geradezu übermütiger Buntheit anlegt. Betonte das zarte Pastell lichten Grüns die Freude erster keimender Lenzeslust, prahlte die Reife des Sommers in den satten, oft sogar grellen Aquarellfarben grüner Wälder und Wiesen, korngelber Felder und blumenbunter Gärten, so zaubert uns der Herbst ein Oelgemälde in tiefen, vollen Tönen. Strotzende Kraft scheint sich hinter dem Braun und Gold und Purpur zu berzen, Lebenslust und Lebensfreude in den helleren Tönen, in der Buntheit von Astern und beorginen zum Ausdruck zu kommen. Doch das ist Maske, Täuschung wie das hektische Rot, die oft unhemmbare Lebenslust mancher Schwerkranken. Blickt weiter, und ihr seht das mißfarbene Grau=Grün=Braun der abgeernteten, ruhenden Felder. Wartet ein Weilchen, und auch das Laub der Wälder deckt als einkönig brauner Teppich den Boden. Dann storren leblos kahle Zweige empor, und auch mit der Buntheit der Gärten räumt das große Sterben auf. Schon jetzt überdecken oft die grauen Schleier trüber Regentage das Leuchten der Farben, mahnt der eigenartige Faulgeruch vorzeitig gefallenen Laubes daran, daß eine Lebensperiode der Natur dem Ende zueilt. Dann kommen die Tage der ersten Fröste, die Zeit naßkalter Witterung. Nichts lockt mehr ins Freie. Dagegen ladet der wieder angeheizte Ofen zu behaglichem Verweilen. Dann scharen sich wohl zwischen Tag und Abend, zur Schummerstunde, die Kinder um die Mutter oder die Großmutter, und diese erzählt ihnen die schönen alten Märchen, öffnet ihnen die Pforte zum Paradies„Es war einmal“. Auch die Erwachsenen finden ein Stündchen des Ausruhens von hastender Arbeit, machen sich frei von ihren Sorgen oder dem Drang nach rauschendem Genuß. Dann füllen sie wohl die kurzen Stunden der Rast vom Alltagsgetriebe mit besinnlichen Gesprächen unter guten Freunden, Gesprächen der Rückschau, der Erinnerung. So etwa, wie es der Dichter Gilm beschreibt:„Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, die letzten roten Astern trag herbei und laß uns wieder von der Liebe reden— wie einst im Mai.“
Der Kaus im Dort
Von Ulrich Sander
Als Förster Kiekebusch die alte, hohle Eiche hatte fällen lassen müssen, weil der Verschönerungsverein in ihr eine Gefahr für Ausflügler und sonstige Passanten zu sehen glaubte, war der Kauz umgezogen, aus dem Stadtholz dicht bei dem Schützenhaus, ins Dorf. Zunächst hatte er ein Unterkommen in Hermann Mews Scheune gefunden, die noch ein Eulenloch hatte und schon mehr als hundert Jahre auf einem Fleck stand. Im ersten
ei
Am Deilbach in Langenberg,
dem Städtchen im Bergischen Land, das den westdeutschen Großsender beherbergt
Alte Stadt
Des Walles Wipfelkrone kränzt die Stadt Die Luft ist satt vom Duft des welken Laubes/ Von den Kastanien tröpfelt Blatt um Blatt/ Und tanzt im Hauch des goldbeschwingten Staubes.
Die Lauben an den Häusern sehen all/ Ehrwürdig drein mit greisen Steingesichtern] Von hohen Fenstern stürzt ein Blumenschwall] Ein Farbenrausch durchglüht das Grau mit Lichtern.
Am Markt der steinern plumpe Roland lacht/(ind auf sein Schwert gestützt trotzt er dem Sturme] Um Mittag wimmert aus dem schmafen Schacht] Ein rostig Glockenspiel vom Münsterturme.
Der Mixenbrunnen rauscht und wirft sein Naß/ Wie einen Silberspeer. Die Schalen schäumen] Und netzen noch die Steine und das Gras] Auf das die steilen Giebelhäuser träumen.
Ums alte Stadttor wuchert roter Wein/ Und Eppich rankt um bröckelndes Gemäuer] So spinnt das Herbstgold meine Seele ein/ Und schmückt die Trümmer dessen, was mir teuer.. IIse Franke
Jahr ging auch alles ganz gut. Sie kriegten drei Junge groß und saßen abends dicht unter dem Haus auf den Wäschepfählen oder in den Büschen. Elwine Mews hatte wohl ein paarmal das Schuddern gekriegt, als die Käuzin ihre Jungen rief, so grell, so unheimlich im Dunkeln, daß ihr schwarze Gedanken ankamen. Sie stammte aus dem Binnenland und war immer etwas zart und anfällig. Als sich Elwine Mews im Frühsommer beim Torf die Lungenentzündung geholt hatte und sich legen mußte, saßen die jungen Käuze abends schon wieder auf den Wäschepfählen und in den Büschen. Hermann Mews ist sonst ein unerschrockener Mensch, der vier Jahre Krieg hintereinanderweg abgerissen hat, dreimal verwundet ist und das Kreuz unten links auf dem blauen Anzug trägt. Aber als er einmal gesehen hatte, wie die Frau unter dem Kauzgeschrei im Garten zusammenzuckte, in ihrem Fieber, da ging er mit Knecht und Magd dabei und schlug die Jungen tot. Vielleicht hätte er das nicht tun sollen, wie die im Dorf sagten:„Nu sünd dat doch irts recht Lieckhäuhner!“ Sie meinten, daß die Käuze nun erst recht zu Leichenhühnern geworden wären, denn nach acht Tagen trugen sie Elwine
Mews aus dem Hause. Hermann sitzt heute noch als ein Einspänner unter seinem Dach und ist noch lange nicht darüber hinweg. Die alte Scheune ist ihm zuwider geworden. Er hat sie abgerissen und eine neue massive ohne Eulenloch gebaut.
Der Kauz ist nun umgezogen. Bei Albert Erdmann auf dem Hof steht auch eine solche Scheune, noch mit dem Eichenbalken; Fetthenne und Moos wachsen auf dem Dach. Erdmann wirtschaftet nicht gut, hat viele Kinder, aber sie taugen alle nichts. Wo er ein Loch zustopft, muß er ein anderes aufreißen. Lange wird es mit ihm wohl nicht dauern. In dieser Scheune zogen die Käuze nun ein und bauten sich ihr Nest mitten im Strohdach, wo niemand hinkonnte. Sie waren so scheu geworden, daß sie sich nie auf dem Hof sehen ließen, sondern gleich in den Dünenbusch zogen. Wenn die jungen Paare sich abends dort trafen und leise flüsternd in den Dornen und Brombeeren saßen, jedes Paar an seinem Platz, dann schrie der Kauz, lachte und kreischte, als sei ihm nicht gut. Die Mädchen schudderten und drückten sich an den, mit dem sie gingen. Nur Friedrich Ahlfanz mochte die Käuze gern und zeigte es seiner Frieda Pähl
Kerbst
Schon ins Land der Pyramiden floh'n die Störche übers Meer; Schwalbenflug ist längst geschieden, auch die Lerche singt nicht mehr.
Seufzend in geheimer Klage streift der Wind das letzte Grün, und die süßen Sommertage ach, sie sind dahin, dahin!
Nebel hat den Wald verschlungen, der dein stillstes Glück geseh'n; ganz in Duft und Dämmerungen will die schöne Welt vergeh'n.
Nur noch einmal bricht die Sonne unaufhaltsam durch den Duft, und ein Strahl der alten Wonne rieselt über Tal und Kluft.
Und es leuchten Wald und Heide, daß man sicher glauben mag, hinter allem Winterleide liegt ein ferner Frühlingstag.
Theodor Storm.
grimm, wie man den Kauzschrei nachmacht und der Kauz dann ganz dicht herankommt. Bei Albert Erdmann ist dann eines Tages die beste Kuh weggeblieben, die beste, die er im Stall hatte, und sie waren alle nicht gut. Da hat er schon nach der Scheune geschielt. Als er fünf Pölke eingraben mußte, hat er geflucht: ick schlog di dod, du ull Lieckhauhn! Als er dann aber auch das Dreizentnerschwein dem Schinder auf den Wagen laden und dafür noch Gebühren bezahlen mußte, wo das Geld im Hause so knapp war, da ist er am Tage so lange auf der Scheune gewesen, bis er den alten Kauz am Genick hatte, Die Käuzin aber ist mit den Jungen noch fortgekommen, saß dann über Tag hier und da herum, sprang von hier nach dort, sah erschreckt auf, wenn die Kinder sie am Tage jagten, und strich dann von Garten zu Garten immer hinter den Häusern entlang ab. Schauerlich hat sie in den Büschen gelächert und geschrien. Aber im nächsten Frühjahr war sie doch wieder bei Albert Erdmann in der Scheune und hat dort genistet. Man hat es nachher vor Gericht zum Vorwurf gemacht, daß er nichts gegen die Käuze unternommen habe, und daraus konstruiert, daß er sich schon im Frühjahr mit gewissen Gedanken beschäftigt habe. Aber man konnte ihm dann doch nichts Entscheidendes nachweisen und er kam frei: die Scheune ging bei einem Gewitten hoch, obwohl kein Schlag zu hören gewesen ist, der so nahebei hätte sein können. Bei dem Feuer ist das Nest verbrannt und mit ihm die noch nicht flüggen Jungen. Aber die Käuzin und der neue Kauz sind offenbar nicht mit umgekommen, sondern haben bei Friedrich Warnkroß im Schornstein zum zweitenmal gebrütet, ohne daß man es bemerkt hat. Auch die Menschen werden ja heimlich und verschwiegen, wenn sie viel durchgemacht haben. Worte und Geschrei haben ja dann auch keinen Zweck mehr.
Bei Friedrich Warnkroß saßen sie wieder auf den Wäschepfählen und in den Büschen. hüpften, als die Jungen so weit waren, in der Scheune und auf dem Speicher umher und fingen auch wieder an zu gelächtern und zu kreischen. Aber Friedrich Warnkroß war gesund und kräftig, seine Frau auch und die Kinder auch. Der Hof ging seinen guten Weg und es stand alles in bester Ordnung. Sie ließen die Käuze auch darum leben und taten ihnen nichts. Dann aber sind Friedrich Warnkroß eines Sonnabends, als er vom Markt kam, die jungen Pferde wohl durchgegangen, vielleicht hatte er auch hinten bei Ernst Keil in der Stube einen zu viel getrunken: sie brachten ihn im Auto, aber schon tot, an. Die Frau blieb mit fünf Kindern und einem großen Hof zurück. Dann ging auf See das eine Boot unter, in dem die Kinder gespielt hatten, und eins von Warnkrossens war auch dabei. Als die älteste Tochter, die mit Karl Niemann ging, sich mit schwerem Blinddarm legen mußte, sie war im letzten Augenblick noch ins Krankenhaus gekommen, da haben sie alle Käuze totgeschlagen, wo sie nur einen fanden. Aber die Käuze hatten keine Schuld, denn seitdem sterben die Menschen doch immer noch im Dorf, Kinder und Erwachsene.
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