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Nr. 57. 40. Jahrgang.
Remscheider
Verantwortlicher Redakteur: Julius Krumm in Remscheid.
Diese Zeitung erscheint täglich, mit Ausnahme der Sonn= und Feiertage.
Preis pro Vierteljahr 2.50 Mark.
Früher:
Nemscheider Volksblatt.“
Mittwoch den 9. März 1887.
eitung.
Druck und Verlag von Hermann Krumm in Remscheid.
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Nemscheid, 9. März 1887
Die erste Lesung der Militärvorlage im Reichstage.
Einmüthig, freudig und rasch soll nach dem in der Thronrede ausgesprochenen Wunsche die Militärvorlage jetzt vom Reichstage angenommen werden. Rasch ging die erste Lesung von Statten, die Sitzung dauerte kaum 1½ Stunden. Aber in der verhältnißmäßig kurzen Zeit wurde doch manches interessante Wort gesprochen, das wir festhalten wollen.
Der Kriegsminister erinnerte vom Regierungstische aus an das bekannte Wort:„Wer den Frieden will, der möge sich zum Kriege rüsten.“ Die Mahnung aus dem Munde Desjenigen, der es sprach, klingt ernster als das Zitat durch den Lehrer in der Schule!
Doch vom Kriege und Frieden sprechen wir jetzt nicht. Es ist uns darum zu thun, die Parteistellung im Reichstage aus der ersten Lesung der Militärvorlage kennen zu lernen.
„Wenn der Reichstag, ohne Zögern und Zaudern, unter Vermeidung alles in dieser Frage dovpelt unnützen Streites und Haders die volle Uebereinstimmung der Reichsregierung und der Volksvertretung vor aller Welt herstellt", lautet der Kern der von Bennigsen'ichen Rede,„so erfüllt er den Willen des Kaisers.“
Es überrascht nicht, wenn Herr Dr. Windthorst im neuen wie im alten Reichstag derselbe geblieben ist. Darum hat er auch jetzt noch Bedenken; aber dieselben auszusprechen, verspart der Zentrumsmann auf die zweite Lesung, bis das Resultat einer Reihe einflußreicher Stichwahlen bekannt geworden sein wird.
Der Konservative v. Helldorf läßt sich die Gelegenheit nicht entgegen es einmal deutlich auszusprechen, daß„wir die Tugend der Duldung bisher in übertriebener Weise geübt. Wir haben geduldet, daß hier im Hause Abgeordnete sitzen, die nicht Vertreter der Interessen des deutschen Volkes sind, die nicht auf dem Boden vaterländischer Gesinnung stehen, sondern internationale Interessen
verfolgen.“
Aus der Rede des Herrn Richter sind drei Punkte bedeutsam Erstens gibt Redner zu, daß in avsehbarer Zeit Deutschland in europäische Berwicklungen gerathen könne. Sodann kündigt er die Vorlage der Reichseinkommensteuer an, sobald die Zeit dafür gekommen sein würde. Drittens dringt Namens seiner Parteigenossen der Sprecher auf Einführung der zweijährigen Dienstzeit.
Auf beide letzteren Punkte erwiderte auf der rechten Seite des Hauses Herr von Kardorff, die Reichseinkommensteuer sei nicht möglich und ob die Verringerung der Dienstzeit, die jetzt 2 Jahre 4 Monate beträgt, um weitere 3 Monate zulässig sei, werde die Zukunft lehren. Von ganz besonderer Wichtigkeit aber ist aus der Rede des freikonservativen Abgeordneten die Stelle hervorzuheben welche über die Parteipolitik der Zukunft Aufschluß gibt:„Wir werden uns eifrigst bemühen, alle Fragen wirthschaftlicher, sozialer und konstitutioneller Art immer unter dem höheren Gesichtspunkt zu betrachten, die Majorität, die wir jetzt im Hause haben auch zu behauvten. Ob dieselben geeignet sein können, diej vorhandene Majorität irgend zu zerstören, dieser Frage werden wir alle andern unterzuordnen suchen. Ich sage das besonders Herrn Windthorst.“
Herr Singer erklärte es für gleichgültig, ob seine Partei 11, 24 oder 35 Mann stark im Reichstage sitze, sie werde gegen die Vorlage stimmen. Die vermeintlichen Segnungen würde das Volk bald genug spüren. Großen Lärm riefen des Redners Bemerkungen über die Wahlbewegung hervor:„Wir glauben, daß in den eben beendeten Wahlen nicht blos Wahlbeeinflussungen vorgekommen sind, es sind geravezu Verbrechen an der Wahlfreiheit des Volkes verübt worden.“
Wenn das in diesem Tone so fortgehen sollte, dürfte, nach der ersten Lesung der Militärvorlage zu schließen, der neue Reichstag noch manchen Sturm erleben.
Personal-Nachrichten.
— Der Kaiser hatte den Montag Abend im Arbeitszimmer zugebracht. Später war eine kleinere Theegesellschaft. Am Dinstag hörte der Kaiser den Vortrag des Grafen Perponcher, erledigte mehrere Regierungsgeschäfte und empfing den kommandirenden General von Pape, welcher sich dem Kaiser nach längerer Krankheit als wiederhergestellt meldete. Mittags arbeitete der Kaiser mit dem General von Albedyll und unternahm später eine Spazierfahrt.
— Der Empfang des Reichstagspräsidiums erfolgte durch den deutschen Kronprinzen und die Kronprinzessin. Der Kronprinz, an einem Katarrh leidend, äußerte nach der ersten Begrüßung scherzhaft, er könne den Herren allerdings nichts voringen.
— Prinz Arnulph von Bayern ist zum Kommandeur der ersten bayerischen Division ernannt worden.
— Zum 22. März sind ferner in Berlin angemeldet: Der Kronprinz von Dänemark und der Großfürst und die Großfürstin Mladimir von Rußland. Gerüchte, welche wissen wollten, der Czar werde selbst nach Berlin kommen, sind falsch.
— Ferdinand von Lesseps wird heute Mittwoch Morgen mit dem fahrplanmäßigen Kourierzug in Berlin ankommen.
— In Leipzig starb Professor Dr. med. Karl Reklam. bekannt durch seine Thätigkeit auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege.
— Der Afrikareisende Dr. Junker ist in München angekommen.
— Aus Petersburg wiro zum Geburtstage des Kaisers auch eine Deputation höherer Offiziere nach Berlin kommen.
Politische Aebersicht.
Berlin, 8. März. Der Reichstag arbeitet mit Dampf. Wie die erste Berathung der Militärvorlage ist auch die des Reichshaushaltsctats ohne alle größere Debatten beendet. Die Redner sämmtlicher Parteien sprachen ihre Geneigtheit aus, so schnell wie möglich den Etat fertig zu stellen und läßt sich also ziemlich sicher annehmen, daß die Arbeit bis zum 1. April beendet ist. Man will offenbar bis dahin alle schärferen und die Arbeiten verzögernden Auseinandersetzungen vermeiden.
— Der Seniorenkonvent des Reichstages, zu welchem die
Abgg. von Benda, Marquardsen, von Franckenstein, Windthorst, von Helldorf=Breda, von Kardorff, Rickert gehören, hat am Dinstag die Vertheilung der Kommissions=Stellen an die einzelnen Frak. tionen nach der Kopfstärke derselben vorgenommen. Die Sozial demokraten, welche unter 15 Mitgliedern zählen, werden als Frak tion überhaupt nicht mehr betrachtet, haben deshalb auch in keiner Kommission einen Sitz erhalten, selbst nicht in der Wahlprüfungs Kommission.
— Nachdem verschiedene Mitglieder der Parteien im Reichs tage ihren Parteistandpunkt näher präzisirt, zählen die Reichstags Fraktionen Mitglieder: Deutschkonservative 80, Freikonservative 41, Nationalliberale 102, Deutschfreisinnige 30, Sozialdemokraten 11, das Zentrum 100, die Welfen 4, die Polen 13, die Dänen die Elsaß=Lothringer 15 Sitze.
— Im Reichstagswahlkreise Varel hat bekanntlich eine Nachwahl für den zweimal gewahlten Rickert stattzufinden. Die Freisinnigen stellen Träger auf.
— Die Wahlvrüfungskommission des preußischen Abge
Wahl der Herren Stöcker und
§§— Die Hinrichtung der Verschwörer in Rustschuck at Leben in die auswärtige Politik gebracht, und es fehlte nicht an solchen Leuten, die meinten, in der allernächsten Zeit würde auf der Balkanhalbinsel ein neuer Waffentanz beginnen. Davon kann nun vorläufig keine Rede sein, und die aufgeregten Gemüther werden inzwischen sich bereits etwas abgekühlt haben. Zwischen wem soll es zum Schlagen kommen? Das wäre die erste Frage. Die Antwort würde lauten, Rußland oder die Türkei werden in Bulgarien einrücken. Selbstverständlich wird in Petersburg auf dem Gesicht des Zaren, seiner Minister und der Panslavistenhäuptlinge kein sanftes Lächeln geschwebt haben, als sie die Mittheilung von der Exekution in Rustschuck erhielten; die neuen Offiziere sind, wie die Panslavistenblätter laut verkünden, für Rußland gestorben. Es wurde allerdings früher von Petersburg aus Protest gegen die Vornahme von Hinrichtungen erhoben, aber ein Blatt Papier bedeutet noch keinen Krieg. General Kaulbars verschwand eines schönen Tages aus Bulgarien, und es kam zu keinem Konflikt, jetzt sind die Rebellen füsilirt, und die Welt wird auch nicht aus den Fugen gehen. Gewaltigen Lärm wird es geben, und der ist schon da, aber sich in eine Reihe von kriegerischen Wagnissen zu stürzen, dazu scheint dem Zaren die Zeit doch noch nicht gekommen. Wie Rußland in Bulgarien hineinkommt, darüber besteht in Petersburg wohl kein Zweisel, Niemand weiß aber, wie man wieder herauskommt. Mit Rußland ist es also nichts. Und nun die Türkei. Der Moslemin ist heute ein gesitteter, braver Mann geworden, der nach nichts weniger verlangt als nach Krieg, denn die Regierung in Konstantinopel weiß sehr wohl, daß sie bei einem Feldzuge keinen anderen Vortheil haben würde, als ihren dünnen Geldsack noch dünner zu machen. Damit ist es also auch nichts! Wohl steht aber zu erwarten, daß sich die europäischen Großmächte nunmehr freundschaftlich ins Mittel legen und um des lieben Friedens willen versuchen werden, die Ruhe wiederherzustellen. Und wir meinen, das wird gelingen. Die Exekution in Rustschuck war ein äußerst kräftiger Donnerschlag, aber darnach gibt's auch in der Regel bald wieder klarer Himmel. Man ist im ersten Augenblick perplex, beruhigt sich aber dann bald wieder.
— Der schon aus einer ganzen Reihe von Städten ausgewiesene sozialdemokratische Baumeister Keßler hat sich nun in Altenburg niedergelassen.
— Nach der„Nat.=Lib. Korr.“ wird am Mittwoch die zweite und am Freitag, wenn nicht schon früher, die dritte Lesung der Militärvorlage stattfinden.
— Der freisinnigen Liberal=Korr. zufolge ist ein öffentliches Geheimniß, daß im Zentrum Differenzen ausgebrochen sind und daß eine Anzahl von Mitgliedern es sich nicht nehmen lassen wollen, für das Septennat zu stimmen. Die Bemühungen, den Riß zu verkleistern, werden fortgesetzt; mit welchem Erfolge, steht dahin.
— Mehrere Leipziger Studenten, welche sich am Wahltage der freisinnigen Partei zur Verfügung gestellt hatten, sollen beim Universitätsgericht angezeigt worden sein, und man ist jetzt gespannt darauf, ob auf Grund dieser Denunziation eine DisziplinarUntersuchung gegen die Betheiligten eingeleitet werden wird.
— Herr Professor Lazarus hat vor einigen Tagen einen Appell an die deutschen Juden erscheinen lassen, und wie die Thatsachen ergeben, sind die Glaubensgenossen der beiden Professoren zum großen Theile wirklich in das gouvernementale Lager übergegangen. Dieser Vorgang imponirte dem Reichskanzler und weil ei die jüdische Abkehr vom Freisinn auf Herrn Goldschmidt's
ordnetenhauses hat beschlossen, die Wahl der Herten Strur: ine####..
Meyer zu Selhausen als Abgeordnete für den zweiten Mindener Initiative zurückführte, so nahm er vor einigen Tagen Anlaß, ihn
Wahlkreis für gültig, dagegen sowohl die Wahl der Herren Seyf= zu diesem Erfolg zu beglückwünschen. Goldschmidt machte für das
farth und Goldschmidt als Abgeordnete für 5. Liegnitz, wie die bisherige Festhalten der Juden an dem Programm der Freisinnigen Wahl sämmtlicher Wahlmänner der Stadt Liegnitz für ungültig zu die Regierung verantwortlich, da es in deren Macht gestanden hätte, erklären. die antisemitischen Hetzereien Stöckers zu verhindern und den Herrn
— Mit dem neuen Revetirgewehr sind auch die preußischen Stöcker selbst zu beseitigen. Der Kanzler trat nicht für den HofGardehusaren in Potsdam bewaffnet worden. Auch ein neues prediger und dessen Agitation ein, aber er ließ doch nicht die
Fuß=Exerzierreglement ist bei diesem Regiment eingeführt worden. Meinung aufkommen, als wäre die Beseitigung Stöckers so leicht,
Durch Nacht zum Licht.
Roman von Ewald August König.
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Und daß er einen solchen Freund in dieser jungen, liebenswürdigen Dame gefunden hatte, das erhöhte für ihn den Reiz der Sache, und mit keinem Gedanken dachte er daran, daß jemals eine Zeit kommen könne, in der er diesen Freund wieder verlieren werde.
Ein Monat war verstrichen, das Weihnachtsfest nahte, und je näher es kam, desto trüber warfen die Erinnerungen an frühere Jahre ihre Schatten auf den Pfad der beiden Damen.
Fürst Alexander ahnte nicht, wie schwer der Druck auf der Seele seiner jungen Freundin ruhte, ihm zeigte sie stets eine heitere, unbefangene Miene, und er war zu sehr mit seinen Studien beschäftigt, als daß er Zeit gefunden hätte, über das Seelenleben Mariannens nachzudenken.
Desto schärfer blickten die Augen der Fürstin; das ganze Denken und Trachten der edlen Frau ging dahin, Marianne glücklich zu sehen.
Oft hatte sie bei der Freundin die Rede auf dieses Thema gebracht, aber Baronin Gisela wußte immer wieder einem tieferen Eingehen auf dasselbe auszuweichen.
„Ich weiß, wie unangenehm es Ihnen ist, wenn ich über Herrn von Weilen mit Ihnen rede“, nahm die Fürstin kurz vor Weihnachten wieder einmal das Wort, als sie in ihrem traulichen Boudoir sich mit der Baronin allein befand,„zürnen Sie mir nicht deshalb, meine theure Freundin, es geschieht ja einzig und allein nur Mariannens wegen. Das arme Kind sucht uns seinen Kummer zu verbergen, und während von ihm Lichtstrahlen ausgehen, die uns alle beglücken, sieht es selbst nur eine trostlose Nacht vor sich, in der kein Stern ihm leuchtet. Ich weiß auch, welche Bedenken Sie gegen die Verbindung Mariannens mit Herrn von Weilen hegen, aber sollte die Liebe eines Mutterherzens nicht über solche Bedenken erhaben sein?"
Baronin Gisela wiegte ablehnend das Haupt.
„Durchlaucht, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die Theilnahme, die Sie meinem Kinde und mir bewiesen haben und auch ferner zu beweisen nicht müde werden. Aber was hilfts, ob wir immer wieder auf jenen Punkt zurückkommen, Herr von Weilen hat selbst und aus eigenem freien Antrieb erklärt, daß an diese Verbindung nicht zu denken sei, so lange ein Makel auf seinem Namen ruhe. Und daran, daß dieser Flecken von seiner Ehre genommen werden könne, ist nun nicht mehr zu denken.“
Aber Sie selbst sind doch überzeugt, daß er das Verbrechen
nicht begangen hat!“
„Ich bin's, Durchlaucht, aver kann ich mit meinem Glauben an seine Schuldlosigkeit ihm auch in den Augen der öffentlichen Meinung die verlorene Ehre zurückgeben?“
„Sie allein vielleicht nicht, aber ich glaube, es gibt dennoch Wege, auf denen diese sogenannte öffentliche Meinung gezwungen werden kann, ihr Urtheil zu ändern.“
„Gezwungen? Das zu glauben, fällt mir schwer, und ich fürchte, es ist ein gefährliches Experiment!“
Die Fürstin schwieg, sie blickte einige Minuten lang sinnend hinaus, wo der Schnee in großen, dichten Flocken niederfiel.
„Haben Sie kürzlich Nachrichten aus der Heimath erhalten?“ fragte die Fürstin.
„Keine erfreulichen, Durchlaucht, es ist dort noch Alles so wie es war, und die Nachforschungen, auf die man so große Hoffnungen baute, sind im Sande verlaufen. Es war thöricht, solche Hoffnungen wieder zu wecken, da ihnen doch Enttäuschungen folgen mußten, besser ist es, sich in das Unabänderliche zu fügen, Vergangenes zu vergessen und—“
„Vergessen, Gisela!“ unterbrach die Fürstin sie mit einem leisen eufzer.„Wie leicht das inhaltschwere Wort ausgesprochen ist! Können sie es? Ist es Ihnen möglich, aus Ihrem Gedächtniß die Vergangenheit auszulöschen und ein verlorenes Glück zu vergessen? Glauben Sie, daß ein Menschenherz das berauschende Glück seiner ersten Liebe jemals vergessen könne? Glauben Sie, daß Marianne sich jemals von der Nothwendigkeit dieser Trennung überzeugen lassen wird? Nimmermehr! Die innere Stimme, die selten oder niemals trügt, sagt ihr, daß dieser Mann schuldlos sei, mit ihrer Liebe will sie ihn entschädigen für das bittere Unrecht, das ihm widerfahren ist, sie weiß, daß sie ihr Glück findet an seiner Seite, und nun soll sie das Alles kleinlichen Bedenken opfern!"
Wieder schüttelte die Baronin das Haupt, und ein herber Zug umzuckte die fest aufeinandergepreßten Lippen.
„Würde sie wirklich ihr Glück an seiner Seite finden?" fragte sie.„Ich glaube es kaum; es könnten, ja, es müßten Stunden kommen, in denen der Schatten ihres Vaters zwischen die Beiden treten würde, um ihnen fühlbar zu machen, daß das Verbrechen noch nicht gesühnt sei.“
„Sie sehen zu schwarz, Gisela!“
„Ich lege meinem Urtheil mein eigenes Empfinden zu Grunde, Durchlaucht!"
„Und ich urtheile objektiv, meine theure Freundin“, sagte die Fürstin in ihrer ruhigen, sanften Weise, und aus ihren seelenvollen Augen traf ein Blick voll herzlicher Theilnahme die Baronin,
„überlassen Sie es einmal mir, diese Angelegenheit zu aller Zufriedenheit zu ordnen, ich hoffe, daß der Versuch mir gelingen wird.“
Der Eintritt Mariannens unterbrach das Gespräch.
„Ich bitte um Verzeihung, Durchlaucht, wenn ich störe“, sagte die Baronesse,„der Brief, den ich erhalten habe, wird hoffentlich mich entschuldigen. Melanie von Gerstenkorn, meine Freundin, schreibt mir, daß sie sich entschlossen habe, mich zu besuchen und das Weihnachtsfest bei mir zu feiern, und damit ich keine Zeit finde, ihr eine ablehnende Antwort zu geben, ist sie sofort ihrem Briefe nachgereist, sie wird heute Abend schon eintreffen.“
„Melanie von Gerstenkorn?“ fragte die Fürstin.„Die junge Dame, von der Sie mir so viel erzählt haben?— Nun, das ist ja prächtig", fuhr sie fort, als Marianne die Frage bejahk hatte, „es wird mich freuen, diese treue Freundin kennen zu lernen. Sie wird natürlich hier bei Ihnen wohnen, die nöthigen Anordnungen sollen sofort getroffen werden, und Sie, Marianne, fahren mit meinem Wagen zum Bahnhof, um die Freundin abzuholen.“
„Tausend Dank für diese Güte!" erwiderte Marianne.„Ich war, aufrichtig gesagt, in einiger Verlegenheit, da ich nicht wußte, wo ich die Freundin unterbringen solle. Sie haben mir eine Last vom Herzen genommen.“
„Könnte ich nur Alles von Ihnen nehmen!“ sagte die Fürstin gütig, und vor ihrem besorgten Blick senkte Marianne erglühend die Wimper.„Ich hoffe, die Freundin wird Ihnen gute Nachrichten aus der Heimath bringen. Heute Abend beim Thee stellen Sie mir die junge Dame vor, nicht wahr?“
„Wie Durchlaucht befehlen!“
„Nicht doch, ich wünsche es nur, mein liebes Kind, ich habe kein Recht, Ihnen einen Befehl zu ertheilen.“
Die Baronin hatte dieser„kurzen Unterredung schweigend zugehört, ihr persönlich schien der Besuch Melaniens nicht angenehm zu sein, aber war dies auch der Fall, so durfte sie es jetzt doch nicht äußern, nachdem die Fürstin ihre Freude über diesen Besuch ausgesprochen und Melanie gewissermaßen als ihren eigenen Gast bezeichnet hatte.
Aber lieb war es ihr doch, daß dieser Zwischenfall das frühere, ihr peinliche Gespräch unterbrochen hatte, einer Wiederanknüpfung desselben konnte sie jetzt dadurch vorbeugen, daß sie sich mit ihrer Tochter in die eigenen Gemächer zurückzog unter dem Vorwande, die Anordnungen treffen zu wollen, die der nahe bevorstehende Besuch nöthig mache.
Eine halbe Stunde später trat die Fürstin in das Studirzimmer ihres Sohnes.
Fürst Alexander war mit der Untersuchung einiger Mineralien