Einzelbild herunterladen

Neusser, Heitung

rscheint täglich mi. Ausnahme der Sonn oe WSI IEI

Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn und Festtage. Preis vierteljährlich in Neuß 1.50 Mk., durch die Post bezogen 1.65 Mk., mit illustriert. Unterhaltungsblatt in Neuß 1.80 Mk., durch die Post bezogen 1.95 Mk. Verantwortlicher Redakteur: F. Schrage, Neuß.

Nr. 297.

Zum neuen Jahr!

Das neue Jahr!.. Mit staunender Geberde Hat es betreten unsre alte Erde! Glück auf! so schallt es ihm rings entgegen, Wohin es kam. Wie war so froh die Welt! Heil! Tausend Heil!" ertönts auf allen Wegen, Wo es umjubelt seinen Einzug hält. O sei auch fürder freudig immerdar Das neue Jahr!

Der Winter hält die kalte Welt umfangen:

Kahl lassen Baum und Strauch die Zweige hangen.

,<space> B a l d<space> r e g t s<space> s i c h<space> w i e d e r<space> i n<space> d e n<space> s c h w a r z e n<space> A e s t e n,<space> Die Sonne bricht des Frostes Macht gewiß,

Der Nordwind weicht dem lenzeslauen Westen, Und Sonnenglanz besiegt die Finsternis.

Und was jetzt trübe dräut, wird hell und klar Im neuen Jahr!

Und tausend Hoffnungen sind neu geboren, Und wie Verheißung klingts in tausend Ohren! Es pulst die Freude heut in tausend Herzen,

Daß mancher stille Wunsch nun wird erfüllt, ,<space> U n d<space> d a ß<space> k e i n<space> F l o r,<space> g e w e b t<space> a u s<space> L e i d<space> u n d<space> Schmerzen,

Mehr unsrer Zukunft Sonnenbild verhüllt.

Wir grüßen dich: Sei der Enttäuschung bar Du neues Jahr!

Sei auch in deinem Laufe uns beschieden Ein ungetrübter, segensreicher Frieden!

Der Kunst, der Wissenschaft, sowie dem Handel, Der Landarbeit, der ems'gen Industrie In reicher Fülle unter deinem Wandel Heil, Wohlstand, Segen und Erfolg erblüh'! Meb' unsrem Vaterland der Freunde Schar Du neues Jahr!

Glück auf den Weg! Wir hoffen und wir glauben!

Und nichts soll unsre Zuversicht uns rauben! Wir wollen dienen dir in Treu und Ehren Und Arglist halten fern von deinem Thron,

Daß sie voll Haß den Sinn nicht kann betören! Wir wissen es: nur so harrt unsrer Lohn!

Glück auf den Weg drum heut und immerdar, Du neues Jahr!

Wieder steigt ein neues Jahr auf den Thron der Zeiten. Mit Jubel wird es empfangen und tausend Hoffnungen flattern in dieser Stunde zu ihm empor. Noch ist nicht der leiseste Schatten auf seinen Pfad gefallen; noch liegt es in seinen Monden, Wochen und Tagen, ein Buch mit unbe­schriebenen Blättern vor uns möge seine Schrift uns nur gutes deuten!

Der Neujahrstag ist einer der gewichtigsten Zeiteinschnitte in unserem gesellschaftlichen und unserem seelischen Leben. Er ist ein Ausschau­

punkt auf Vergangenheit und Zukunft. Er trägt tausend neue Hoffnungen in unsere Herzen, kr stählt unseren Mut, unsere Tatkraft und unser Selbstvertrauen für künftige Tage. Mit tausend guten Vorsätzen pilgern wir in das neue Jahr hinein. Die Hoffnung weist uns den Weg und die Zuversicht leitet uns an ihrer Hand. Wohl wissen wir, daß auch das neue Jahr Fröste und Stürme bringen wird, die unseren Mut beugen und unsere

Amtliches

Kreisblatt

Druck und Verlag: Rob. Noack, Neuß.

Montag, 31 Dezember.(Silvester.

Anzeigen 15 Pfg. die 7gespaltene Petit­zeile oder deren Raum. Kleine lokale An­zeigen 12 Pfg. Reklamen 50 Pfg. die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum. Verantwortlich für die Inserate: Josef Wyrich, Neuß. Expedition: Neuß, Neustr. 1. Tel. 57

1906. 81. Jahrn

Erwartungen erfrieren lassen werden. Allein wir verzagen dennoch nicht! Wir wissen, daß nicht jedes Saatkorn reift, das wir auswerfen, und daß wir deshalb noch lange nicht an der Ernte zu verzweifeln brauchen, wenn ein Unwetter über ihre Halme einherbraust.

Mitten in den Winter hinein fällt der Neujahrs tag. Aus Frost und Eis heraus erblüht uns die Blume unserer Hoffnung. Aus der Finsternis heraus wird unser Licht geboren. Noch trium­phiert das Dunkel. Noch reckt sich erst langsam und bedächtig das junge Leuchten. Aber die Tage wachsen. Unaufhaltsam dehnt sich ihr Glanz, der in kurzem wieder frühlingsjung die weite Welt erhellen soll. Aber die Gewißheit ist nun der Welt geboren. Allen Harrenden zum Heil ist sie auf den Plan getreten. Und nun glänzt die Zuversicht in tausend Blicken. Machtvoll jubelt sie ihren Sang hinaus in die Welt, daß die Herzen der Verzagten erzittern und daß die Seelen der in Bangen und Niedergedrücktheit Dahinlebenden neuen Lebensmut schöpfen.

Ein neues Jahr tritt in die Welt und sein Ban ner ist die neueHoffnung auf ein froh Gelingen und auf ein glückliches Beenden unserer Werke!

Noch brausen die Winterstürme der wilden Jagd ob unseren Häupten. Lasset sie brausen und we hen! Sind sie nicht Vorboten des kommenden Len zes? Noch sitzt starr und steif der harte Winter auf seinem Thron. Frost und Eis schmieden ihre Ketten und der Schnee hängt sein gleißendes Silber um das letzte Grün. Wie lange noch? Nicht ewig ist die mörderische Macht der rauhen Jahreszeit. Auch ihrem Wüten sind Ziele gesetzt, die näher und näher rücken. Und wenn sonst diese Gewiß­heit auch nur zaghaft in unserer Brust zu sprechen vermag, heute jubelt sie mit tausend Zungen, denn eine neue Verheißung ist der Welt geboren: das neue Jahr!

Prosit Neujahr! rufen wir unieren Freunden und Bekannten zu: gutes und schönes wünschen wir allen unseren Mitmenschen, ob wir sie nun kennen oder nicht. Lauter denn sonst an einem anderen Tage des Jahres spricht heute die Näch­stenliebe und die Unekgennützigkeit aus uns. Et­was Frohes und Festliches durchpulst die ganze Welt und möchte sich mitteilen einem jeden, der uns in den Weg kommt. Freier blitzen die Augen, wärmer klingen die Worte und traulicher wird der Druck unserer Hand. Das ist Neujahrsstimmung!

Und mag das neue Jahr auch nicht alles das erfüllen, was wir von ihm erhoffen. Wir grollen ihm darum nicht! Wir wissen, daß wir uns be scheiden müssen, mit dem, was es uns freiwillig gibt. Gewaltsam erzwingen läßt sich nichts von ihm, denn auch unserem Wollen sind festgefügte Bahnen vorgeschrieben, die sich durch nichts ändern lassen.

So heißen wir das neue Jahr auf das herz­lichste, innigste und hoffnungsreichste willkommen. Wir lassen seine voraussichtlichen Licht= und Schat­tenseiten an unserem Auge vorübergleiten. Wir wissen, daß er uns nicht alles das erfüllen kann, was wir von ihm erwarten. Aber wir wissen, daß demjenigen, der dem Lichte entgegenhungert, auch dieses neue Jahr Licht und Sonne in Hülle und Fülle geben wird

Das fünfte Gebot.

Roman von Maximilian Brytt. Nein," versetzte Fräulein von Jennichen, sich zu einem unbefangenen Ton zwingend,ich werde nach dem Gasthof gehen.

Sofort erboten sich die Mädchen, sie zu begleiten. Fräulein von Jennichen überlegte. Das weib­liche Dienstpersonal schlief in den Bodenkammern der Dependance. Um dahin zu gelangen, mußte man den Garten durchschreiten. Auf keinen Fall durfte Fräulein von Jennichen dulden, daß die Mädchen jetzt diesen Weg nahmen, solange sich Werner im Garten aufhielt. Sie nahm also die Begleitung dankbar an und verließ das Haus durch einen seitlichen Ausgang.

Erst am Hotelportal entließ sie dann ihre Be­gleiterinnen. Das war eine Nacht, Fräulein

von Jennichen vermochte kein Auge zuzutun, so quälte sie die Erinnerung an das erlebte Aben­teuer.

Was sollte sie von Werner denken? Er hatte sich zweifellos in jenem unerklärbaren, traumhaften Zustand befunden, der das Bewußtsein des davon ergriffenen Menschen aufhebt und ihn zum Werk­zeug unbewußter Willensimpulse macht.

Die Wissenschaft besitzt für den Schlafwandel leinerlei Erklärung. Fräulein von Jennichen hatte auch noch nie mit einem Arzt über derlei ustände gesprochen. Ein unheimliches Rätsel sah da vor sich.

Jetzt gab es für sie keine Ungewißheit mehr: der geheimnisvolle Wanderer jener Nacht war nicht

Ein hoffnungsvoller Frohsinn macht aller Au­gen glänzen und spricht lauter als tausend Zun­gen das schöne Wort: Glück auf, du neues Jahr!

Allen unseren Lesern und Freunden wünschen wir von ganzem Herzen ein

Glückseliges neues Jahr!

Politische Nachrichten.

Deutschland.

Zur Unterwerfung der Bondelzwarts. In

derTägl. Rnudsch. warnt ein früherer Schutz­truppenoffizier, der Unterwerfung der Bondel­zwarts allzuviel Zutrauen beizulegen. Schon vor drei Jahren haben wir eine fast ähnliche Unter­werfung der Bondelzwarts erlebt. Am 24. Dez. 1903 verhandelte Oberst Leutwein in Humsdrist am Oranje über die Bedingung des viel beschimpf­ten Friedens von Kallfontein mit Johannes Christian. Man kann den Truppen den Erfolg, der in der neuesten Unterwerfung der Bondel­zwarts liegt, von Herzen gönnen und doch die be­sorgte Frage aufwerfen, ist es nicht wieder ein Frieden um jeden Preis? Es wäre sonst unver­ständlich, wie man die Unterbringung in Loka­tionen bei Kalkfontein zugestehen konnte, nur 40 Kilometer von Warmbad entfernt, wo die Bondel­zwarts bereits einmal interniert waren und wo sie samt und sonders entwichen sind. Wenn die Eingeborenen die Nachgiebigkeit, die in dieser den Bondelzwarts zugestandenen Bedingungen liegt, mißverstehen, dann würde die Waffenstreckung des Bondelzwarts=Stammes weder den endgültigen Willen zum Frieden beweisen, noch würde sie das Ende des Krieges in Deutsch=Südwestafrika be­deuten.

Bezüglich der deutsch=amerikanischen Hau­delsvertragsverhandtungen erfährt dieRhein. Volksstimme aus zuverlässiger Quelle, daß ein Hauptpunkt derselben die Erwägung bildet, ob und unter welchen Bedingungen es den Amerika­nern gestattet werden soll, amerikanisches Schlacht­vieh nach Hamburg zubringen, dort zu schlachten und alsdann nach dem Vorbild der in Amerika durch den Fleischtrust längst geschaffenen Organi­sation durch Deutschland zu vertreiben. Die letztereMeldung möchten wir denn doch bezweifeln.

Ausland.

Paris, 29. Dez. Bei der Ausweisung der Se­minaristen, in Cambrai wurde der Bischof Dela­maire, der Koadjutor des Erzbischofs, verhaftet, weil er den Unterpräfekten anfaßte. Das Zucht­polizeigericht verurteilte Delamaire unverzüglich zu einer Geldbuße von 25 Franken.

Rom, 29. Dez. Kardinal Felix Cavagnis ist diesen Morgen plötzlich am Herzschlag gestorben. Er war geboren in Bordogna, Diözese Bergamo, am 13. Januar 1841 und durch Papst Leo XIII. im Konsistorium vom 15. April 1901 zum Kardi­naldiakon kreiert worden.

Lodz, 29. Dez. Sämtliche dem Fabrikanten­verband angehörenden Fabriken sind geschlossen worden, da die Arbeiter der Fabrik Zosznansti die ihnen gestellten Bedingungen zur Wiederaufnahme

Oswald oder sonst ein anderer gewesen, sondern Werner. Vielleicht trieben ihn seine überreizten Nerven jede Nacht im Schlaf hinaus; vielleicht war er auch in der Stunde von Agathens Tod draußen im Garten gewesen.

Namenloses Entsetzen erfaßte sie. Sie entsann sich des Ausspruches, den er am Morgen nach der Schreckensnacht über seinen furchtbaren Traum getan hatte: er habe die quälende Wahnvorstel­lung gehabt, daß er Zeuge der Ermordung Aga­thens gewesen sei, ohne doch helfen zu können. Ja, das waren seine eigenen Worte gewesen, als er noch zerschlagen und hinfällig wie nach ermüdender Wanderung ins Sterbezimmer Agathens gelangt war.

Sollte die Natur ein solches Widerspiel ermög­lichen, daß ein Mensch ein doppeltes Leben führt im Wachen und im Schlaf? Daß er im wachen Zustande kein Bewußtsein mehr von dem hatte, wovon er in seinem Schlafwandel Zeuge geworden war?

War es nicht ihre Pflicht, einzugreifen?

Hätte sie ihm vielleicht unerschrocken entgegen­treten, ihn aus seinem unnatürlichen Zustand er­wecken sollen?

Die Gegenwart der Mägde hatte das unmöglich gemacht.

Außerdem entsann sie sich, daß ein derartiges jähes Erwecken so behauptete wenigstens der Volksmund eine Krisis herbeiführen konnte.

Was also tun? Aerztlicher Rat stand ihr nicht zur Seite. Denn einem anderen als Werner selbst durfte sie sich nicht anvertrauen. Aber war es

der Arbeit nicht angenommen haben. Hierdurch sind 40000 Arbeiter beschäftigungslos geworden.

Kertsch, 29. Dez. In den letzten Tagen explo­dierten in der hiesigen Synagoge eine Bombe. Bei der hierauf vorgenommenen Untersuchung entdeckte man in der Synagoge eine Geheimdrucke­rei. Der Gouverneur beschloß daher, das Verwal­tungspersonal der Synagoge, mit Ausnahme des Rabbiners, abzusetzen. Die übrigen Mitglieden wurden zu Geldstrafen verurteilt.

Gerichtssaal.

*<space> N e u ß,<space> 2 9.<space> D e z.<space> S c h ö f f e n g e r c h t.<space> D e r<space> Hausierer Robert Pf., früher zu Düssldorf wohn­haft, jetzt aber ohne bekannten Aufenthaltsort, ist angeklagt, am 27. August zu Neuß Waren, wie Liederbücher, Ansichtspostkarten u. s. w. feilge­boten zu haben, ohne im Besitze eines Wanderge­werbescheins zu sein. Strafe 24 Mark, eventl. 2 Tage Haft und die Kosten. Heinrich Br., Fa­brikarbeiter zu Neuß ist angeklagt in der Ncht vom 20. zum 21. Oktober gegen Uhr der mehr­maligen Aufforderung, den Eingang zur Polizei­wachstube frei zu machen, keine Folge geleistet zu haben, dafür erhielt er eine Polizeistrafe von 3 Mk. eventl. 1 Tag Haft. Auf hiergegen beantragte richterliche Entscheidung wurde die Strafe bestä­tigt. Heinrich Kemp, Sandgrubenbesitzer zu Neuß, hatte am 8. November seinen Hund in die Jagd von Brockhaus ohne Maulkorb frei umher: laufen lassen. Gegen ein Strafmandat von 4 Mk. beantragte er richterliche Entscheidung. Die Strafe wurde auf 2 Mark heruntergesetzt. Der Beklagte muß aber die Kosten des Verfahrens tragen. Heinrich Ge., Tagelöhner zu Neuß, hatte in der Nacht vom 4. zum 5. November da­durch groben Unfug verübt hat, daß er mit einem alten Gachütz unbefugter Weise über den. Markt­platz gefahren war. Er erhielt ein Strafmandat von 4 Mark. Hiergegen beantragte er richterliche Entscheidung. Die Strafe wurde auf 2 Mark her­untergesetzt, der Beklagte aber in die Kosten des Verfahrens verurteilt. Arnold He., Konditor zu Neuß, erhielt, weil er in der Nacht vom 7. zum 8. November zu Neuß bis 12¾ Uhr Gäste in seinem Lokale geduldet hatte, ein Strafmandat von 3 Mark. Er beantragte richterliche Entscheidung mit dem Erfolge der kostenlosen Freisprechung. Peter Nil., Maurermeister zu Neuß, hatte am 24 Oktober, abends 8 Uhr, einen Haufen Ziegelsteine auf dem Holzheimerweg liegen lassen, ohne den­selben mit einer hellbrennenden Laterne versehn zu haben. Gegen eine Polizeistrafe von 1 Mart bantragte er richterliche Entscheidung. Das Ge­richt bestätigte die Strafe, auch muß der Beklagte die Kosten des Verfahrens tragen. Wegen Bet­telns wurden bestraft: Hermann Sch., Arbeiter aus Krefeld, mit 4 Wochen Haft und Ueberweisung an die Landespolizeibehörde; Friedrich Li., Hand­langer aus Wesel mit 2 Wochen, Johann., Stuckateur aus Köln mit 1 Woche, Franz Sa., Ar­beiter aus Schmichow mit 2 Wochen, Franz Ho., Friseur aus Köln, mit 3 Wochen Haft.

*<space> K o b l e n z,<space> 2 9.<space> D e z.<space> W e g e n<space> f a h r l ä s s i g e r<space> Tötung ist am 21. März vom hiesigen Land­gerichte die Ehefrau Maadalena Frank zu neun

denn gewiß, daß er Kenntnis von seinem Zustand hatte? Längst würde er dann doch dagegen ange­kämpft haben.

Vielleicht war es am besten, sie holte am näch­sten Tag gesprächsweise sein eigenes sachverstän­diges Urteil über diese seltsame Erscheinung ein. Sie brauchte ihm ja nicht zu sagen, daß es sich um ihn selbst handelte...

In peinvoller Erregung verließ sie mit dem anbrechenden Tag den Gasthof. Die hausfrau­lichen Geschäfte, die ihr oblagen, lenkten ihren Sinn nur vorübergehend ab. Sobald sie die Ar­beit im Hause verteilt hatte, beschäftigte sie sich wieder eingehend mit dem aufregenden Vorfall von gestern Abend.

Werner verließ sein Zimmer erst gegen neun Uhr und begab sich sofort noch ehe Fräulein von Jennichen ihn hatte sprechen können nach dem Strand, um ein Bad zu nehmen. Fräulein von Jennichen ließ dazwischen seine Wohnung her­richten. Nachdem die Mädchen sämtliche Arbeit auf den betreffenden Befehl erledigt hatten, trat sie gewissenhaft einen Rundgang an, um sich von der Ordnung zu überzeugen.

So gelangte sie auch in Werners Zimmer. Trotzdem der Raum nur die übliche Hotelausstat­tung aufwies, besaß er doch einen gewissen per­sönlichen Charakter. Die Nervosität Werners sprach, sich in dem Durcheinander aus, der auf dem Schreibtisch herrschte, in der Unordnung im ganzen Zimmer. Fräulein von Jennichen machte sich daran, etwas aufzuräumen. In der dunklen Ecke hinter dem Schreibtisch stand Werners ge­

öffneter Koffer. Es war derselve, in den er da­mals im Verlauf des Gesprächs mit seinem Bru­der noch das Lederetui gesteckt hatte, das seine Reiseapotheke enthielt. Sie wußte selbst nicht, wie sie plötzlich darauf verfiel, aber es trieb sie mit unwiderstehlicher Macht, sich davon zu über­zeugen, ob sich das Kästchen in Ordnung befand. Eine ganz seltsame Gedankenbrücke brachte sie mit einmal auf die Frage, ob Werner sich nach dem rätselvollen Tode Agathens denn auch sofort selbst davon überzeugt hatte, daß in diesem Etui noch alles genau mit dem früheren Inhalt stimmte.

Ein heftiger Griff und der Gegenstand, der in dem geöffneten Handkoffer obenauf lag, befand sich in Fräulein von Jennichens Händen.

Das Etui war nicht verschlossen. Rasch öffnete sie es.

Es enthielt die ihr bekannte Zusammenstellung kleiner Medizinkolben für dringliche Fälle: Cloro­form, Morphium, Aether und Chloral. Aber ein Fach war leer das, in dem der Aufschrift nach das Opium gewesen war.

Ein jäher Schreck durchfuhr Fräulein von Jen­nichen. Wo war das Fläschchen, das hier fehlte? Und wußte Werner darum, daß es sich nicht mehr in dem Etui befand?

Sie stand ein paar Sekunden lang wie erstarrt da: Sie hörte Schritte über den Korridor kom­men, doch es war ihr nicht möglich, den Gegenstand auf seinen Platz zurückzulegen, überhaupt eine Be­wegung auszuführen. Lähmendes Entsetzen hatte sich ihrer plötzlich bemächtigt.

(Fortsotzung folgt.)