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270.

Montag, den 12. November 1888.

15. Jahrgang.

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Die Expedition.

Geschichts=Kalender.

12. November 1806. Hannover von den Franzosen unter Mortier besetzt. 1813 Die Festung Sonnenstein capitulirt nach dem Fall von Dresden. Rossen und Preutzen in L üsseldorf; Anschluß Nassaus an die Allirten. 1870. Siegreiches Gefecht zwischen dem preußischen Kanonenboot Meteor und dem französischen AvisoLe Bouvei in den Gewässern von Havanna. DerBouvet" flüchtet nach Havanna.

1877. Osman Pascha in Plewna weist die Aufforderung zur Kapitu­lation zurück. Im Schipkapaß fällt der Artillerie=General Liman(Leh­mann) Pascha.

* Die Abzahlungsgeschäfte

bilden schon geraume Zeit in gewerdlichen Kreisen den Gegenstand einer eingehenden Eröiterung, die zu einer lebhaften Bewegung gegen dies System gefuhrt hat. Bereits im September 1886 hatten sich der 4 allgemeine Handwerkertag zu Kösen, der zu Köln ins Leben gerufeneVerein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe, eine Wanderversommlung der württem­bergischen Vereine in Ravensburg und der 23 schlesische Gewerbetag gegen die Abzahlungsgeschäfte ausgesprochen. Alsdann folgten eine Reihe von Hanselskammern, die in ihren Jah esberichten verschiedene Mißbräuche des Abzahlungsgeschäftes besprochen hatten. Wahrend der letzten Reichstags­session waren auch dem Reichstag Petitionen der Handelskammern von Hannover, Goslar, Harburg, Göttingen, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Verden, Ravensburg, Ludwigshafen, Nordhausen u. s. w. zugegangen, welche gegen Abzablungsgeschäfte, Hausiehandel und Wanderlager gerichtet waren. Nach derVoss. Ztg. jetzt zugehenden Mutheilungen sind neuerdings auch die Bundesregierungen derjenigen Staaten, in welchen fortwährend über die Abzahlungsgeschäfte Klagen erhoben werden, der Angelegenheit näher getreten. Wir erwähnen zunächst die bayerische Regierung, welche, wie es heißt, die Adsicht hat, im Bundes ath die Einschränkung des Eigenthumsvordehalts der Abzahlungsgeschäfte zu beantragen. Dieselbe hat sich in Sachen der Abzahlungsgeschäfte Gutachten erstatten lassen, aus welchen folgende Vor­schläge zu erwähnen sind: 1. Anzeigeerstattung Seitens der Personen, welche den Betrieb eines gewerbsmäßigen Abzahlungsgeschäftes beginnen, und Ueberwachung dieser Geschäfte Seitens der Behörden; 2. Aufhebung der Gültigkeit und Zulässigkeit jeder Verabredung, nach welcher bei Nichtinhal­tung der festgesetzten Abschlagszahlung verkaufte oder mit Aussicht auf Eigenthumserwerb vermiethete, oder ausgeliehene Gegenstände nicht nur zurückgegeben werden müssen, sondern auch die bereits geleisteten Abzahlungen als Vergütung für Benutzung der Gegenstände oder unter sonst einem anderen Titel zu Gunsten des Abzahlungsgeschäftsinhabers verfallen; 3 Verpflichtung des Geschäftsinhabers, auch seinerseits die bereits erhaltene Anzahlung und die Abschlagszahlung wieder zurückzugeben, soweit nicht diese Beiräge nöthig seien, um die durch Schätzung zu ermittelnde Minderung des wahren Werthes zu decken, welche die Sache etwa durch Abnützung oder Beschädigung erfahren hat. Die sächsische Regierung ist ebenfalls der Sache näher getreten und hat sich über gesetzliche Maßnahmen betriffs der Abzahlungsgeschäfte von den Handels= und Gewerbekammern Gutachten erstatten lossen. Die Handels­kammer zu Leipzig will, daß wucherischem Gebahren der Abzahlungsgeschäfte im Wege des Strafrechts und durch Auferlegung der Rückgewähr der wucherischen Vortheile entgegengetreten werde, wünscht jedoch zunächst eine Umfrage bei den Gerichten und Staatsanwälten, um noch weitere Auf­klärung über das Maß und den Umfang der behaupteten Uebelstände zu erhalten, während die Gewerbekammer zu Leipzig befürwortet, daß die Ab­zahlungsgeschäfte, soweit sie sich nicht ausschließlich mit dem Verkauf von technischen Hulfsmaschinen beschäftigen, dem§ 34 der Reichsgewerbeordnung unterstellt, also wie die Pfandleihgeschafte begandelt werden, oder aber, daß die Rechtsgültigkeit oder Ungültigkeit der Leihcontracte einheitlich festgestellt

werde. Endlich läßt auch die preutzische Regierung über den behaupteten Umsang des schädlichen Treibens der Abzahlungsgeschäfte Ermittelungen anstellen.

Die Abzahlungsgeschäfte sind ein Product der neuesten Zeit, während der Grundgedanke dieses Systems ein ganz alter ist. Jeder Geschäftsmann, mag er heißen, wie er will, war und ist bereit, jedem nur einigermaßen zuverlässigen Kunden die Adnahme eines theureren Gegenstandes dadurch zu erleichtern, daß er dem Käufer die Bezahlung in kleinen Raten zugesteht. Dieser Grundsotz ist weder vom geschäftlichen, noch vom volkswirthschaftlichen, noch vom moralischen Standpunkte zu verwersen. Anders stellt sich die Sache, wenn die Abzahlung dazu benützt wird, die Waare im Preise unver­haltattzmäßig zu erhöben. Dem Geschäftsinhaber bringt das wohl Nutzen, aber der Käufer hat großen Schaden, über den er hinweggetäuscht wied. Ganz ebenso stebt die Sache, wenn das Publikum Ramschwaare zu Preisen kauft, die dem Anscheine nach niedrig, in Wahrheit aber colossal hoch sind. Daß Auswüchse im Abzahlungsgeschäft vorhanden sind, ist zweisellos, Gerichtsverhandlungen haben sehr compromittirende Thatsochen aus Licht gebracht; aber man kann noch nicht sagen, daß das ganze Abzahlungssystem trasser Betrug ist. Die Aufgabe der Gesetzgebung wird es sein, zu verhüten, daß auch das reelle Abzahlungsgeschäft vernichtet wird.

Toütische Nachrichten.

Deutschland.

Berlin, 11. Nov. Kaiser Wilhelm, König Albert und Prinz Georg von Sachsen, und der Herzog Ernst von Sachsen=Coburg Gotha sind an. Sonnabend Abend von der Hofjagd aus Königs=Wusterhausen, wohin sie sich Tags zuvor begeben hatten, wieder in Berlin angekommen. Wusterhausener Jagdschlosse hatte vorher, nach Beendigung der Jagden auf Damwild und Sauen, das Jagddiner stattgesunden.

Am Donnerstag Abend um 6 Uhr trifft der Kaiser in Breslau ein. Der Monarch hat mittheilen lossen, daß er nur die zur Stunde seiner Ankunft geplante festliche Erleuchtung Breslau's als Huldigung annehme, alle sonstigen von Breslau und anderen schlesischen Städten, Körperschaften und Vereinen angebotenen Festlichkeiten aber ablehne, da er sich lediglich auf einem Jagdausfluge befinde. Vor der Reise erfolgt noch die Ueber­siedlung der kaiserlichen Familie aus dem Marmorpalais nach dem Ber­liner Schlosse.

Kaiser Wilhelm brachte die Nacht zum Sonntag im Berliner Schlosse zu, wo auch der König von Sachsen Absteigequartier genommen. Sonntag Vormittag nahmen der Kaiser und der König die renovirten Räume in Augenschein, worauf der König dem vom Armeebischof Dr. Ast­mann abgehaltenen Gottesdienste in der Hedwigskirche beiwohnte, während der Koiser zahlreiche Audienzen ertheilte und mit dem Grafen Herbert Bis­marck conferirte. Um 1 Uhr begaben sich der Kaiser, der König Albert und Prinz von Sachsen nach Potsdam, wo das Mittagsmahl im Marmor­palats eingenommen wurde. Der König und sein Bruder reisen am Abend nach Schloß Sibyllenort in Schlesien. Der Herzog von Coburg=Gotha ist Sonnabend Abend schon abgereist.

Trotz aller Ableugnung durch dieFreisinnige Zeitung ist es wie dasF. I. schreibt Thatsache, daß innerhalb derfreisinnigen Partei große Meinungsverschiedenheiten herrschen; die Miß­simmung gegen Richter ist außerordentlich groß. Gleichwohl sind schwerlich practische Folgen von den augenblicklichen D fferenzen zu erwarten, da in der Partei Niemand vorhanden ist, welcher geneigt und fähig wäre, an Richter's Stelle die Führung zu übernehmen.

Großes Aufsehen erregt es, daß dieVossische Zeitung, die anerkannte Vertreterin des autsituirten freisinnigen Berliner Bürgerthums, also des Haupt­stützpunkes der Partei in der Reichshauptstadt, offene Anklage gegen die freisinnige Parteileitung erhebt, ihre Aufgaben zu verkennen. Das Blatt schreibt wörtlich:Eine Erkältung, Rauch und Staub wird von einem starken, gesunden Menschen leicht überwunden, erzeugt aber in einer disponirten Lunge Schwindsucht. Wäre Alles sonst nur, wie es sollte, so würde sich die freisinnige Partei gegen jede Anfechtung behaupten. Da sie aber zu­sehends zerfällt, so wird der Sitz des Uebels ergründet werden müssen. Besser eine schmerzhafte Cur, als ein sicheres Siechthum. Es giebt keine Partei, welche nicht gelegentlich schwere Fehler gemacht hätte. Sie hat dann die Lehren, welche ihr das Volk und die Geschichte ertheilen zu beherzigen und die erlittenen Scharten auszuwetzen. Die Halsstarrigkeit, welche niemals ge­irrt haben will, verliert den Zusammenhang mit dem Volksgeiste. Auch im Leben der Parteien heißt esnicht Stillstand, sondern Fortschritt. Eine Partei­lettung, welche weder der Jnbegriff der politischen Intelligenz, noch wenig­

stens durch den Erfolg gerechtfertigt ist, genügt weder für die Vertheidigung noch für den Angriff und eine Organisation, mit welcher man von Nieder lage zu Niederlage gelangt, ist der Verbesserung dringend bedürftig. In wenig mehr als Jahresfrist werden die Reichstagswahlen erfolgen, wieder auf ein halbes Johrzehnt heraus. Wenn die freisinnige Partei nicht inzwischen mit strenger Selbstkritik eine Reform in sich selbst vollzieht, so wird sie zwischen Socialdemokratie und Reaction wie zwischen zwei Mühlensteinen zerieben werden.

Auch in den Berliner Börserkreisen begegnet es keinem Zweifel mehr, daß der russische Finanzminister nunmehr die Anleihe ab­geschlossen hat, von der in den letzten Monaten so häufig die Rede war. Die Unterhandlungen sind zuletzt in Petersburg durch den Vertreter der Pariser Bankgruppe Herrn Hoskier zu Ende geführt worden. Es handelt sich um den Abschluß einer Anleihe von 500 Millionen Franken, welche die Gruppe bei einem Zinsfuß von 4 plt. zum Kurse von 82¼ über­nommen hat.

Prinz Heinrich von Preußen hat dem Hamburger Senat an­gezeigt, daß er demnächst die dortigen Zollanschluß=Hafenbauten besichtigen wird.

Wie dieDresd. Nachr. schreiben, ist dos Zusammentreffen des Königs von Sachsen und des Herzogs von Coburg=Gotha in Berlin kein zufälliges gewesen. Aus politischen Gründen, und weil er sich 1871 über die vor Paris liegenden sächsischen Truppen in Aufsehen erregender Weise geäußert, bestand zwischen dem Dresdener Hofe und dem Herzog eine Art Verstimmung, die nun jetzt als beseitigt anzusehen ist. Herzog Einst hat wiederholt seiner Verehrung für den König Albert Ausdruck verliehen, und er rühmt in seinen Denkwürdigkeiten auch den sächsischen Hof in hervorragender Weise.

Dem Reichstage wied in der kommenden Session auch eine No­ville zum Krankenkassengesetz zugehen. Eine Anzahl conservativer Abgeoid­neten will abermals einen Antrag auf Einführung eines Wollzolles einbringen.

Die theologische Fakultät zu Gießen hat den Reichskanzler Fürsten Bismarck zum Ehrendoktor ernannt.

Binnen Kurzem erscheint die englische Schrift über Kaiser Friedrich, zu welcher die Kaiserin Friedrich einen Beitrag geliefert hat. Da versucht ist, die Schrift als ein Sensationswerk hinzustellen, veröffentlicht die Verlagshandlung der deutschen Ausgabe Folgendes:Um nicht der Mißdeutung ausgesetzt zu werden, daß wir durch Schweigen an jener Mysti­sikation theilnehmen, sehen wir uns gezwungen, gegen dieselbe hierdurch energisch Einspruch zu erheben. Das Werk enthält zunächst in Form eines Briefes von Ihrer Majestät der Kaiserin Friedrich an den Herausgeber eine tiefergreifende Einleitung, in welcher der Auftrag zur Abfassung der Biographie ertheilt und dieselbe dem Besten des Londoner Hospuals für Halskranke gewidmet wird,gleichsam als ein Gruß des verklärten Kaisers an seine Leidensgefährten. In der Vorrede des Verfassers wird sodann ausdrücklich betont, daß Alles, was zur Polemik Anlaß geben könnte, ausgeschlossen und Politik, soweit wie möglich, vermieden ist. Dann folgen die Schilderungen, welche voller Pietät und Wärme in anmuthender Form ein Lebensbild des hohen Verblichenen entwickeln, wie es nur von ganz nahestehenden Personen gezeichnet werden kann.

DieKöln. Volksztg. veröffentlicht die Huldigungsadresse der preußischen Bischöse an Kaiser Wilhelm II und die Antwort des Letzteren an den Kölner Erzbischof. Die Bischöfe sprechen die Zuversicht aus, daß unter der Regierung des Kaisers die friedlichen und wohlwollenden Bezie­hungen zwischen Kirche und Staat, deren erste Strahlen den Lebensabend Kaiser Wilhelms I verschönten, sich befestigen und ausgestalten werden als sicherer Hort in der Sturmfluth der Umsturz drohenden Lehren und Ideen der Gegenwart. Kaiser Wilhelm dankt für die Beileidsbezeugungen und Segenswünsche bei der Thronbesteigung und giebt, da er die Glaubensfrei­heit seiner katholischen Unterthanen durch Recht und Gesetz gesichert weiß, seiner Zuversicht auf dauernde Erhaltung des kurchlichen Friedens Ausdruck.

In früheren Jahren ist es üblich gewesen, dem Kaiser am 1. Januar die Rang= und Quartierliste der preußischen Armee für das neue Jahr zu überreichen. Wie verlautet, soll dies im künftigen Jahre am 27. Januar, dem Geburtstage des Kaisers, geschehen.

Einen Mackenzie=Proceß wird es unn doch in London geben! Der Verleger Paul Schloßmann in London hat den amtlichen Bericht der deutschen Aerzte in englischer Sprache veröffentlicht und die Anwälte Mackenzie's haben daraufhin gegen Schloßmann eine Anklage wegen Verläumdung an­gestrengt.

Am 9. November waren im deutschen Reichspostgebiet 9999 Telo­

graphenämter im Betriede. Am 10. erfolgte die Einrichtung eines weiteren Telegraphenamtes in Kreisau in Schlesien, bekanntlich dem Landsitze des

In harter Schule.

Roman von Gustav Imme.

(22. Fortsetzung.)

Und dieses Bangen steigerte sich, je mehr er mit Hortense verkehrte und sie fester und sicherer die Fäden ihres Zaubernetzes um ihn schlang. Hatte er eine Stunde im Geplauder mit ihr verbracht, in jenem Geplauder über Nichtigkeiten, das selbst dadurch noch einen fremdartigen Reiz erhielt, daß er des Französischen nicht vollkommen mächtig war und sie das Deutsche höchst possirlich radebrechte; hatte er ihr in die Nrenaugen geschaut, die unaufhörlich die Farbe zu wechseln schienen, bald feurig glübten, sich bald madonnenhaft verschleierten und dann wieder groß und unbefangen wie die eines Kindes in die Welt blickten, so erfaßte ihn ein wahrer Schreck, wenn er an die gemessene, gehaltvolle Unterhaltung mit Leontine, an den ruhigen Blick ihres grauen Auges dachte, aus dem nur selten ein Strahl der Er­regung und Leidenschaft brach. Immer mehr vermied er das Haus seines Oheims, bei seinen kurzen Besuchen bald dienstliche Verhinderung vor­schützend, bald auch geradezu erklärend, er müsse viel in Gesellschaft der Franzosen sein, wenn er der übernommenen Aufgabe gerecht werden wolle

Leontine hatte anfänglich aus dem veränderten Benehmen ihres Vetters kein Arg. Sie war eine vornehm angelegte Natur, der Untreue und Heuchelei selbst sehr ferne lag und die auch Andere dieser Fehler nicht für fähig hielt. Sie war im Leben noch nicht betrogen worden, die Erfahrung hatte also das Mißtrauen, das die Natur nicht in sie gelegt, noch nicht ergänzen können; außerdem besaß sie aber einen grenzenlosen Adelsstolz. Der Ablommling eines adeligen Hauses wie Ulrich war keiner Gemeinheit, keiner ehrlosen Handlung fähig. Machte sie auch jetzt die Erfahrung an ihrem Vater, daß vornehme Abkunft und sogar vorgerücktes Alter nicht vor sehr bedenklichen Thorheiten schützen, so entschuldigte sie diese Verwirrung eben wieder mit einer Tugend des Edelmannes, seinem rückhaltlosen Ver­trauen und vergoß, daß doch auch Ulrich dieser schönen Eigenschaft der Kaste zum Opfer fallen könne.

Als eine Woche nach der andern verging, Ulrich sich immer weniger bei ihr sehen ließ und auch kein entscheidender Schritt zur Entlarvung der Abenteurer geihan ward, begann sie doch unruhig zu werden und diese Un­ruhe wuchs, als sie bemerkte, daß ihr Vater, der sich seit jenem Auftritt in

seinem Zimmer sehr ferne von ihr hielt, so daß oft Tage vergingen, ohne daß sie ihn sah, einstliche Anstalten zu seiner Vermählung machte und daß man dereits in den Kreisen des Adels von dieser bevorstehenden Verbindung zu sprechen begann.

Es war nicht unbemerkt geblieben, daß der Baron, während er ein ständiger Besucher der Oper war, alle anderen Orte, an denen er sich sonst zu zeigen pflegte, mied und sich namentlich aus den vornehmen Cirkeln fern­hiell. Da auch seine Tochter sich zurückzog, gab das zu allerlei Vermuthun­gen und Schlussen Anlaß, man sprach bereits von einem ernsten Zerwü#fniß zwischen Vater und Tochler und es konnte nicht sehlen, daß geschäftige Zungen diese Gerüchte auch an Leontine in ihre Einsamkeit trugen. Dagegen empörte sich ihr Stolz, man sollte nicht über die Reina's reden, so lange sie noch etwas dagegen zu thun vermochte.

Heiter, lächelnd und ruhig erschten Leontine unter dem Schutze bald

dieser, bald jener Dame wieder in der Gesellschaft, ihre Adwesenheit mit Unwohlsein entschuldigend. Sie erreichte durch das Opfer, das sie sich auf­erlegte, zwar ihren Zweck nicht, man flüsterte und zischelte nach wie vor, aber man nahm sich doch in Acht, daß sie nichts davon hörte.

Nur einer machte davon eine Ausnahme Graf Falkenberg, und er durfte sie machen.

Mit den Blicken des Kenners war Kurt den Fortschritten des von ihm angelegten P anes gefolgt und damit vollkommen zufrieden. Gelegentliche verstohlene Besuche bei den Franzosen hatten ihn über Ulrichs Beziehungen zu den denselben auf dem Laufenden erhalten und der Lieutenant erschien ihm bald für vorbereitet genug, daß gegen ihn ein Hauptschlag geführt werden könne, während er auf der anderen Seite vorsichtig näher trat, um im entscheidenden Augenblicke in die Action eingreifen zu können.

Er streute zu diesem Zwecke geschickt, so daß man nie auf ihn als den eigentlichen Urheber zurückgehen konnte, die Gerüchte von der bevorstehenden Wiedervermählung des Barons v Reina aus, hütete sich aber dabei sehr wohl, irgend einen Schatten auf die Erwählte fallen zu lossen, umgab sie vielmehr mit einem Nimbus des Geheimnißvollen, Fremdartigen, was die Gesellschaft von der einen Seite gegen sie einnahm, von der anderen aber auch das Interesse an der neuen wunderbaren Erscheinung vermehrte. Man stellte Leontine's grenzenlosen Widerwillen gegen die zweite Heirath ihres Vaters einfach als die Abneigung gegen eine Stiefmutter dar, und je mehr Damen in mehr oder minder reiferem Alter sich auf die Hand des Barons Rechnung gemacht hatten, um so empörender fand man es, daß ein so jun­ges Mädchen die Herrschsucht und Anmoßung besitze, allein und unumschränkt im Hause ihres Vaters walten und keiner hierzu viel berechtigteren Dame den Platz räumen zu wollen. Grollte man dem Baron auch, daß er diesen Platz mit einer Fremden, Unbekannten zu besetzen gedachte, so grollte man seiner Tochter doch noch mehr, daß sie ihn Keiner gönnen gewollt und schließlich war jede Einzelne, die sich auf die gute Partie Rechnung ge­macht, doch zufrieden, daß dieselbe, da sie ihr entging, wenigstens keiner ihrer Freundinnen und Bekannten zu Theil ward.

Leontine hatte in der öffentlichen Meinung verloren das war eben­falls ein Schachzug des Grafen; ein anderer war der, daß sie sich wieder in Gesellschaft zeigte. Er fand in den Salons oft Gelegenheu, sie zu sehen, während er sie im Hause ihres Vaters nur selten und bei dringenden Ver­anlassungen aufsuchen durfte. Der Baron hatte den Verdacht gegen ihn, daß er seine Tochter gegen seine Braut einnehme, das wußte der Graf aus sicherer Quelle, schon darum mußte er mit seinen Besuchen bei Leontine vorsichtig sein, außerdem mußte er, wenn er ihr allein in ihrem Salon ge­genübersaß, bestimmte greifdare Dinge vortragen.

Das lag ader nicht in seiner Absicht. Er wollte ihr bald hier, bald dort ein Wort zuflüstern, ihr im Vorübergehen erzählen, daß er Ulrich mit den Französinnen gesehen, was er in seinen Mienen gelesen habe, ihr tropfenweis den Zweisel, das Mitztrauen gegen ihren Verlobten einflößen. Das macht sich am besten im Strome der Gesellschaft, wo eine Woge uns mit den Leuten zusammenführt, nach flüchtigem Begrüßen und oberfläch­lichem Gedankenaustausch wenn Gedanken dabei überhaupt zum Vorschein kommen eine andere uns wieder hinwegspült. Es war also ebenfalls des Gasen Veranstaltung, daß Leontine ihre Zurückgezogenheit aufgege­ven halte.

Kr bost id ucd üice Goniaun eher i der lche der Strategie, der alle Chancen zu benutzen versteht. Hätte er Leontine in directer Weise darüber aufklären wollen, daß Ulrich sich von ihr gewendet

habe und den Netzen ihrer Feindin verfallen sei, so hätte sie sich wahr­scheinlich empört dagegen erhoben und möglicherweise Ulrich zur Rechenschaft gezogen. Das wollte er aber nicht. Der Lieutenant glich jetzt noch einem Schlafwandelnden, der bei einem plöglichen Aufruf doch zur Besinnung kommen konnte; er mußte erst unentrinnbar verstrickt und seine Cousine allmählich gegen ihn eingenommen werden. Das gelang. Wie der unauf­hörlich auffallende Tropfen den Fels unterwäscht, der einem einzigen ge­waltigen Angriffe von Strom und Wellen unerschütterlich Stand hält, so schwand auch allmählich, unmerklich Leontinen's Vertrauen zu ihrem Vetter. Hätte man ihr bestimmte ihn gravirende Thatsachen vorgehalten, so würden Gerechtigkeitssinn und die in ihrem Wesen liegende Leidenschaftlichkeit sie zu einem schnellen, entschiedenen Auftreten gegen Ulrich veranlaßt haber, die allmählichen, unbestimmten Zuflüsterungen, denen sie selbst erst Umriffe und Gestalt geben mußte, wirkten mehr versteinernd auf sie. Ihr Stolz gewann die Oberhand, sie umgab sich mit dem Panzer der Unnahbarkeit und begegnete Ulrich, wenn er zu ihr kam, mit einem so vornehmen Gleich­muth, mit einer so verletzenden Kälte, daß er sich mehr und mehr abge­stoßen fühlte und von diesem Nordpol in die Hortense umgebende Atmo­sphäre voll Blumenduft und Sonnenschein flüchtete.

Ist es wahr, daß die Vermählung Ihres Herrn Vaters sogleich nach Ostern stattfinden soll? hatte der Graf Leontinen eines Abends in einer jener kleineren Ges=llschaften zugeflüstert, die trotz der Fastenzeit die vor­nehme Welt noch allabendlich versammelten.

Er hat mir noch keine bestimmte Anzeige davon gemacht, aber alle Anzeichen lassen darauf schließen, daß dem so ist, antwortete sie, ihren tiefen Schmerz unter der Miene höflicher Artigkett verbergend.

Herrn von Freiburg scheint demnach sein kühner Plan immer noch nicht gelungen zu sein!

Leontine schüttelte den Kopf.

Möglich, er spart sich den vernichtenden Schlag bis zuletzt auf, fügte der Graf leichthin hinzu.Sicher hat er Mademoiselle entschieden schon gemacht, denn ich sah sie gestern auf der Promenade in so angelegentlichem Gespräch, daß der ebenfalls im Wagen defindliche Herr Baron völlig in's Hintertreffen gesetzt zu sein schten. Es wäre doch aber nun wohl Zeit, daß der Herr Lieutenant handelte.

Das wäre es, seufzte Leontine.

Man beobachtet uns, sagte der Graf,erlauben Sie, daß ich mich entferne; Sie gestatten mir wohl, Ihnen demnächst meine Aufwartung zu machen! setzte er mit Betonung hinzu.

Er weiß mehr, als er mir hier sagen will, seufzte Leontine und blieb, um sich zu sammeln, noch einige Minuten allein an der Seite sitzen, wo die kurze Unterredung mit dem Grafen stattgefunden hatte.

Bemerkten Sie wohl, wie angelegentlich Graf Falkenburg und Fräu­lein von Reina mit einander flüsterten, Excellenz? sagte die Baronin von Osten zur Generalin Malnowska.

(Fortsetzung folgt.)