Der Turm
Bestandhaltende Institution
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld
Beschreibung verfasst von
Dr. Jochen Rath (2021), Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld
Geschichte und Entwicklung
Am 1. Juli 1920 erschien erstmalig der „Der Turm“, ein Blatt mit klarer Zuordnung zum politischen Katholizismus, der sich in der 1870 gegründeten Zentrumspartei versammelte. Nachdem der 1899 bis 1909 von Holterdorf, Oelde, herausgegebenen und dort mit einem Mantelteil versehenen katholischen „Bielefelder Volks-Zeitung“ kein dauerhafter Erfolg beschieden war, ergriff der Kirchenvorsteher und Zentrums-Stadtverordnete und Weinhändler Theobald Biermann (1853–1927) die Initiative und kaufte eine Druckerei in der Ritterstraße 43. Er veräußerte den Betrieb an die 1920 aus Hildesheim zugezogenen August Rennebohm (geb. 1881) und Alfred Hausknecht (1891–1958). Am 7. Mai 1920 meldeten die Neuankömmlinge aus Hildesheim die Firma „Rennebohm & Hausknecht“ als Kommanditgesellschaft an, die eine Buchdruckerei und Verlagsanstalt betrieb.
Die kaufmännische Leitung lag bei Rennebohm, während Hausknecht Redaktionsleiter war und den täglichen Leitartikel „Rückblicke und Ausblicke“ beisteuerte. Hausknecht engagierte sich auch politisch und war von 1924 bis 1933 Stadtverordneter des Zentrums, das 1924 drei (von 46) Mandate erringen konnte, 1929 und 1930 nur noch zwei. Biermann hatte wohl noch den Zeitungstitel angeregt, indem er sich vom oft zitierten „Zentrumsturm“ inspirieren ließ. Beflügelnd für die Zeitungsgründung mag die Ernennung des Zentrumsmannes Constantin Fehrenbach (1852–1926) zum Reichskanzler am 25. Juni 1920 an der Spitze eines Minderheitskabinetts aus Zentrum, DDP und DVP gewirkt haben, das die nach der Reichstagswahl 1920 zerbrochene Weimarer Koalition ablöste. Im Leitartikel der Erstausgabe schrieb der erst im Mai 1920 aus Lüdinghausen zugezogene Parteisekretär Heinrich Thyron (1880–1945): „Politisch steht der ,Turm‘ voll und ganz auf dem Boden der Zentrumspartei und wird als Organ dieser Partei jede einseitige Interessenpolitik, woher sie auch kommen mag, entschieden ablehnen.“
Der in Löhne geborene Rennebohm schied bereits am 30. November 1921 wieder aus dem Unternehmen aus, das aber seinen Namen beibehielt, und verzog 1922 nach Mülheim/Ruhr. Hausknecht wurde persönlich haftender Gesellschafter, später trat Anton Heiner als Kommanditist ein. Die Buchdruckerei wurde 1939 ausgegliedert und ging an „Beyer & Hausknecht“ über. Anfangs beschäftigte „Rennebohm & Hausknecht“ neun Mitarbeiter, 1922 sogar 25 Arbeiter und Gehilfen sowie 20 Lehrlinge, 1924 16 Arbeiter/Gehilfen und drei Lehrlinge, 1928 schließlich noch 11 Arbeiter/Gehilfen und drei Lehrlinge.
Der unruhige Erscheinungsverlauf des „Turms“ reflektiert möglicherweise die Probleme des Unternehmens, sich bei einer ohnehin eingeschränkten, konfessionell rekrutierten Klientel und ausdifferenzierten und etablierten Konkurrenz am Zeitungsmarkt zu behaupten. Die katholische Bevölkerung Bielefelds zählte in den 1920er-Jahren einschließlich Kindern etwa. 8.500 Personen, der Anteil an der Gesamtbevölkerung lag bei etwa 11 %, bei den Wahlen zwischen 1920 und 1933 holte die Zentrumspartei in Bielefeld zwischen 5 und 7 %. Das Abonnentenreservoir war also, auch wenn der Kreis hinzugezählt wird, nicht besonders stark. Genaue Auflagenzahlen sind nicht bekannt, lediglich für 1930 nennt Meier 6.000 Bezieher, was die Anzahl der 4.135 Zentrum-Stimmen in der Stadt und im Kreis bei der Reichstagswahl 1930 deutlich übersteigt, was zur Annahme führt, dass „Der Turm“ neben einer Tagezeitung als Zweitzeitung gehalten wurde.
Bis zum 30. Juli 1922 erschien „Der Turm“ als großformatige Tageszeitung, zeigte aber immer wieder Unterbrechungen des Erscheinungsverlaufs (z. B. 9.–20. Oktober 1921), danach im kleineren Format bis 23. November 1924 nur sonntags, bis zum 30. Januar 1927 mittwochs und sonntags und schließ-lich bis zum 27. Mai 1934 erneut nur sonntags. Auch der Untertitel wurde 1922 verändert: Das ursprüngliche „Politische Tageszeitung und Handelsblatt“ wurde durch „Kulturpolitische Zeitschrift mit Kirchlichem Anzeiger für Ostwestfalen“ ersetzt. Im November 1924 kehrte man zum herkömmlichen Zeitungsformat und untertitelte mit „Wochenschrift für Politik und Kultur“.
Ursprünglicher Hauptgegner des „Turms“ waren die Sozialdemokraten, ab etwa 1930 dann die Nationalsozialisten Gegner. Die in Bielefeld ohnehin schwache Zentrumspartei war in der Stadtverordnetenversammlung allenfalls als bürgerlich-konservativer Mehrheitenbeschaffer relevant, aber ansonsten seit jeher einflussarm. Nach der Selbstauflösung des Zentrums am 6. Juli 1933 gab auch Hausknecht dem Druck der nationalsozialistischen Machthaber nach. In der letzten „Turm“-Ausgabe vom 24. Mai 1934 verwies er auf neue „nationalpolitische Formen“, während die Zent-rumspartei sich aufgelöst habe, „um der neuen Volksbewegung auch im katholischen Volksteil den Weg freizugeben.“ Pathetisch schloss Hausknecht an: „Unsere geistige Verbundenheit […] soll als Leitstern für jeden einzelnen von uns für alle Zukunft das flammende Bekenntnis tragen: Alles für unser deutsches Vaterland und für unsere heilige katholische Kirche! Das sei unser Schwur und unser Abschiedswort.“
Eine Wiederaufnahme der Herausgabe war nicht absehbar, auch wenn der Fortsetzungsroman „Der schwarze Major“ von Felix Bronnen geradezu trotzig mit einem „(Fortsetzung folgt)“ abschloss und dort eingestreute Anzeigen ungebrochen eine Weiterempfehlung des „Turms“ bewarben. Hausknecht zog sich ins Verlagsgeschäft zurück und gab nach dem Ende der NS-Diktatur ab dem 15. März 1946 die CDU-nahe „Westfalen-Zeitung“ (später „Westfalen-Blatt“) heraus.
Verbreitung, Leserkreis, politische Ausrichtung, Auflagenhöhe
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Umfang, Format und inhaltlicher Aufbau:
-- 1. Juli 1920 – 30. Juli 1922: Tageszeitung (außer montags; auch sonntags; mit kurzen Unterbrechungen wie z. B. 9. – 20. Oktober 1921)
-- 6. August 1922 – 23. November 1924: wöchentlich (sonntags)
-- 26. November 1924 – 30. Januar 1927: zwei Mal wöchentlich (mittwochs/sonntags)
-- 6. Februar 1927 – 27. Mai 1934: wöchentlich (sonntags)
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Verbreitung: Auflagen 1930: 6.000 (Maier, Milieu, S. 351, ohne konkrete Quelle)
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Politische Ausrichtung: katholisch/Zentrum
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Beilagen: Leuchtfeuer (11. Juli 1920 – 27. Juli 1921)
Konkurrenzblätter
- „Volkswacht“ (sozialdemokratisch)
- „Westfälische Neueste Nachrichten“ (bis 1933/35 liberal)
- „Westfälische Zeitung“ (bürgerlich-konservativ, national-konservativ, nationalsozialistisch)
Literatur
- Lüpke, Reinhard, „Spiegel der Gesellschaft”. Entstehung und Entwicklung der Bielefelder Presse von 1811 bis heute, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1996, S. 660-663
- Klein, Martin, Veränderungen eines lokalen katholischen Milieus: Bielefeld 1860–1965, in: 90. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (2005), S. 39-112, hier insb. S. 63 f.
- Meier, Gerd, Zwischen Milieu und Markt. Tageszeitungen in Ostwestfalen 1920–1970, Paderborn 1999
- Wagner, Bernd J. 15. März 1946: Die Westfalen-Zeitung (später Westfalen-Blatt) erscheint als die erste unabhängige Tageszeitung nach 1945 (Online-Ressource)