Die Glocke
Bestandhaltende Institution
Beschreibung verfasst von
Nerea Eschle (2019), Institut für Zeitungsforschung
Geschichte und politische Ausrichtung
Gegründet wurde die „Glocke“ 1880 in Oelde als katholisches Blatt in Zeiten des noch anhaltenden Kulturkampfes. Durch ihren Schwerpunkt auf landwirtschaftliche Themen etablierte sich die kleine Tageszeitung als Heimatblatt im ländlichen Westfalen.
Die Lockerung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der wirtschaftliche Aufschwung der Gründerzeit sorgten nach 1871 für eine Blüte der Presse. Vor diesem Hintergrund traf Engelbert Holterdorf die Entscheidung, nach Oelde zu ziehen, um dort mit dem Verlag E. Holterdorf neben einer Buchhandlung auch eine Zeitung zu gründen. Am 14.05.1880 erscheint die erste Ausgabe der „Glocke“, die zunächst die Titel „Oelder Zeitung“ und „Beckumer Bote“ trug. Seit dieser Zeit wurde der kurze und prägnante Titel der „Glocke“ nicht mehr verändert.
Der Name sollte laut Verleger und Redaktion „das Geläut der Wahrheit, Freiheit und Recht“ ertönen lassen. Eine mögliche Inspiration für den Titel könnte Schillers Gedicht „Das Lied von der Glocke“ (1799) sein, in dem sich bürgerliche Werte widerspiegeln. In den Versen findet man ebenfalls die damals weit verbreitete Meinung, dass das Läuten der Glocken vor einem Blitzeinschlag schützen könnte.
Der Anfangserfolg der „Glocke“ in den Jahren 1880–1890 war sehr groß, denn viele Landbewohner hatten zuvor keine Zeitung bezogen. Zudem erwies sich die gute Bahnanbindung Oeldes als günstig für den Vertrieb. Politisch hingegen waren die ersten Jahre eine Bewährungsprobe für die noch junge Zeitung. In verschiedenen Artikeln nahm die „Glocke“ eine bismarckkritische Position ein. Die Tageszeitung verurteilte die Verhaftung von Priestern und unterstützte die christlich-konservative Zentrumspartei. Das Selbstverständnis der „Glocke“ als „katholisches Kampfblatt“ sorgte für Konflikte. So verbrachte der Gründer Engelbert Holterdorf 1887 wegen Beleidigung Bismarcks sechs Monate in Haft.
Die „Glocke“ baute ihr Netz an Lokalredaktionen und Geschäftsstellen Schritt für Schritt aus. Engelbert Holterdorf gründete 1884 die „Wiedenbrücker Zeitung“, 1887 die „Beckumer Volkszeitung“ und 1896 das „Warendorfer Wochenblatt“. Besondere Bedeutung kommt der Gründung der „Gütersloher Volkszeitung“ im Jahr 1919 zu. Noch bis 1980 stellte Gütersloh die größte Stadt im Verbreitungsgebiet dar.
Die meinungsbildende Kraft und die starke Verbundenheit mit der lokalen Bevölkerung zeigte die westfälische Tageszeitung 1932 bei der „Rettung“ der Kohlenzeche „Sachsen“. So sollte zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise eine Zeche in der Region Beckum stillgelegt werden, wodurch tausende Bergleute arbeitslos geworden wären. Joseph Holterdorf verurteilte in seinen Artikeln das Vorhaben aufs schärfste, rief zu Massenversammlungen auf und verhandelte mit Politikern aus Berlin. Mit Erfolg: Franz von Papen, der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler, gab nach, die Zeche blieb weiterhin in Betrieb.
Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten positionierte sich die „Glocke“ als bürgerliches, katholisches Blatt, das im Wahlkampf für das Zentrum Partei ergriff. Die erste Liquidierungswelle überstand die „Glocke“, da sie zum einem als bürgerlich galt und zum anderen den Wiedenbrücker Kreisleiter Horn als Fürsprecher auf ihrer Seite hatte. Er sah bei einem Verbot die „innere Front“ gefährdet. Ein weiterer Grund, weshalb die „Glocke“ weiterhin erschien, war die Tatsache, dass sich das Parteiblatt, die „National-Zeitung“, nicht in der Region durchsetzen konnte. Statt die „Glocke“ aufzulösen, wurde die Tageszeitung ab 1933 zwangsweise von Verlagsdirektoren der NS-Presse übernommen. Ab dem Sommer 1935 trug die „Glocke“ den Zusatz „amtliches Mitteilungsblatt des Gaues Westfalen-Nord der NSDAP für die Kreise Beckum, Wiedenbrück und Warendorf“. Im Oktober 1944 sollte die Regionalzeitung endgültig eingestellt werden, doch der Luftangriff auf Münster im September 1944 verhinderte kurzfristig das Vorhaben. Da dort sämtliche Druckereien zerstört wurden, beschlagnahmte die NSDAP die Holterdorfer Zeitungsdruckerei. Bis zum Kriegsende wurde in Oelde neben der „Glocke“ auch die „Westfälische Zeitung“ gedruckt.
Mit dem Einmarsch der Alliierten in Oelde am 01.04.1945 erschien vorerst die letzte Ausgabe der „Glocke“, denn für die nächsten viereinhalb Jahre stand die Produktion still. Nach der Aufhebung der Lizenzpflicht setzte die regionale Zeitung ihren katholisch-bürgerlichen Kurs fort und zeigte sich CDU-nah. Die erste Nachkriegsausgabe erschien am 2.11.1949 und wurde, nach eigenen Angaben, begeistert von der alten Leserschaft angenommen. Es ist bemerkenswert, dass die „Glocke“, trotz der Zeitungskonzentration, ihre uneingeschränkte Selbstständigkeit als Familienunternehmen bis heute wahren konnte.
Inhalt, Leserschaft und Verbreitung
Über die Jahrzehnte hat sich der inhaltliche Aufbau kaum verändert. Die ersten Seiten waren den aktuellen Ereignissen deutscher Innenpolitik gewidmet, gefolgt von weiteren Nachrichten zur Außenpolitik. Dann kamen in der Regel Meldungen zu Lokalem und Provinziellem sowie Beiträge zu „Handel und Gewerbe“ und Zahlen zur Berliner Börse. Das Ende des redaktionellen Teils bildeten das Regionale aus „Westfalen und den Nachbarländern“ und „Vermischtes“.
Besonderes Kennzeichen der „Glocke“ ist der starke Fokus auf das Lokale, damit gilt sie als „typisch westfälisch“. Diese Ausrichtung lebte der langjährige Chefredakteur Joseph Holterdorf vor. Dieser war nicht nur kommunalpolitisch sehr aktiv, er sorgte auch dafür, dass in der „Glocke“ auch Beiträge auf Plattdeutsch zu finden waren. Diesen ausgeprägten Heimatbezug pflegt das Blatt bis heute. So trägt die Tageszeitung mit ausführlichem Lokalteil seit 1970 selbstbewusst den Untertitel „Führende Heimatzeitung im Herzen Westfalens“.
Die thematischen Schwerpunkte lagen bei der „Glocke“ von Anfang an auf lokalen, provinziellen sowie unterhaltenden Themen. Die Tageszeitung wandte sich durch verständliche Sprache und landwirtschaftliche Inhalte an die breite Bevölkerung. Die „Glocke“ tritt damit in die Tradition der lokalen Wochenblätter der Aufklärungszeit. Für diese Ausrichtung wurde die Regionalzeitung teilweise als „Bauernblatt“ verspottet.
Das von der Leserschaft benannte „Glockenland“ umfasste zu Beginn die Kreise Beckum, Warendorf und Wiedenbrück. Über die Jahrzehnte hat sich die Verbreitung nur leicht verändert. So reicht der Leserkreis heute bis nach Soest, Gütersloh, Bielefeld und Münster. Die „Glocke“ als Heimatblatt ist die führende Medienmarke in den Kreisen Gütersloh, Soest und Warendorf.
Erscheinungsweise, Umfang, Format und Auflage
In den ersten Jahren erschien die „Glocke“ wöchentlich zweimal, dienstags und freitags. Dreimal die Woche war sie ab 1885 erhältlich. Im Jahr 1897 wurde die „Glocke“ zur Tageszeitung und erschien werktäglich. In den Jahren 1934 und 1935 erhielt das Heimatblatt zusätzlich eine Sonntagsausgabe.
In den 1930er beschränkte sich der Umfang der „Glocke“ auf etwa 10–14 Seiten, mit Ausnahme der Samstags- oder Sonderausgaben, die auf mehr als 18 Seiten kamen. Bis zum Jahr 1971 druckte man die Tageszeitung mit den damals gängigen Rotationsmaschinen im sogenannten „Berliner Format“. Mit der Umstellung auf das „Rheinische Format“ erhielt die „Glocke“ ihre heutige Größe.
Von Anfang an verzeichnete die „Glocke“ eine vergleichsweise hohe Auflage, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der Kleinstadt Oelde, dem Standort der Zeitung, 1880 gerade einmal 3000 Einwohner lebten. Ein Grund für den Erfolg war das bis dato nicht erschlossene Lesergebiet. So gewann die regionale Tageszeitung in den ersten acht Wochen nach ihrer Erstausgabe 29.800 Leser. Heute verzeichnet die Glocke, wie viele andere Tageszeitungen, einen Rückgang an verkauften Auflagen. Im Jahr 2019 sind es laut IVW 49.590 verkaufte Exemplare.
Abonnenten- und Auflagenzahlen:
1880: 1000 Abonnenten
1881: 2000
1905: 10000
1930: 20000
1949: 29800
1955: 34000 (Druckauflage)
1980: 65000 (Druckauflage)
Vor 1934 machten die „Westfälischen Nachrichten“ mit ihrem Lokalteil „Neuer Emsbote“ der „Glocke“ den Titel als Heimatzeitung im Kreis Warendorf streitig. Nach 1949 gehörten neben den „Westfälischen Nachrichten“ die „Ahlener Volkszeitung“, die „Westfälische Rundschau“, die „Münstersche Zeitung“, die „Freie Presse“ und das „Westfalen-Blatt“ zur Konkurrenz.
Beilagen
Schon der ersten Ausgabe der „Glocke“ lag ein kostenloses Unterhaltungsblatt bei. Diese Beilage nannte sich in den ersten Jahren noch „Glöcklein“, ab spätestens 1907 „Unterhaltungsblatt“, und erschien bis 1935 täglich. Man fand dort auf vier Seiten Fortsetzungsromane, Kurzgeschichten, Rätsel und Witze.
Ab 1885 [?] erschien regelmäßig das „Sonntagsblatt“. Unter dem Namen „Illustriertes Sonntagsblatt“ war es spätestens ab 1907 zu finden und lag vierteljährlich bei. Als „Glocke am Sonntag: Volkstümliche illustrierte Wochenschrift zur Erbauung und Unterhaltung“ erschien die Beilage von 1930 bis 1942 wöchentlich.
Eine der täglichen Beilagen in dem Zeitraum von 1907 [?] bis 1930 war der „Praktische Ratgeber“. Er informierte über die Themen Ackerbau, Viehzucht, Obst und Gartenbau sowie Jagd, Fischerei und Naturschutz. Das „St. Ida-Blatt“ war das religiöse Sonntagsblatt der „Glocke“. Die vierseitige Beilage erschien von 1927 bis 1930 und behandelte in Beiträgen Bibelzitate, Römerbriefe und aktuelle christliche Feiertage. Für die Leserinnen gab es 1930 die wöchentliche Beilage „die Frau und ihre Welt“. Von 1920 bis 1926 lagen die „Heimatblätter / Heimatbund des Kreises Beckum“ bei. Die Wochenbeilage „Glocke im Bild“ knüpfte von 1928 bis 1930 [?] daran an. Im November 1949 erschien zuerst nur in der Warendorfer Ausgabe eine Neuauflage unter dem Titel „Neue Blätter für Orts- und Heimatkunde im Kreis Warendorf“. Im Gegensatz zu den Vorgängern sollte ein Heimatblatt auf wissenschaftlichem Niveau produziert werden. Auch als „Heimatblätter der Glocke“ bekannt, werden bis heute vierteljährlich Berichte zur lokaler Stadt- und Familiengeschichte veröffentlicht. Ab 1950 lag der „Glocke“ eine monatliche Beilage für Vertriebene bei. Der ursprüngliche Titel „Unvergessene Heimat im Osten. Heimatblatt der Vertriebenen“ wurde 1965 zu „Ostdeutsche Begegnungen“ und erschien bis 1980. Die Beilage enthielt Erinnerungen aus der „alten Heimat“ und informierte über aktuelle Ereignisse aus der Region.
Literatur
Die Glocke Nr. 120 vom 24.05.1930. Jubiläumsausgabe (50 Jahre)
Die Glocke 100 Jahre. 1880 - 14.5. – 1980. Ein Firmenporträt, Oelde 1980
Gehre, Ulrich / Gruhn, Klaus: Radaublätter und Tugendwächter?, Warendorf 2003