Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse.V.

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Druck und Verlag von Karl Salle, Eüdenscheid, Friedrichstraße 91. Verantwortlicher Redakteur: Otto Scaar, Lüdenscheid.

De 6.

Monton i. Jonenr 90.

Pcd. Zohggong.

Sofortige Sanktionen nach Erledigung der Tormalitäten.

Das Neueste vom

Die Reichsregierung steht nach wie vor auf dem Standpunkt, daß sie es in der Reparationsfrage mit der gesamten Entente zu tun hat und daher Sonderverhandlungen mit Frank­reich nicht in Betracht kommen können.

Der Auswärtige Ausschuß ist zur Besprechung der politischen Lage auf Mittwoch den 10. Januar berufen worden.

Der Reichstag tritt am 16. Januar wieder zusammen. Die Be­sprechung der außenpokitischen Lage ist erst für den zweiten Sitzungstag zu erwarten.

Die französische Regierung hüllt sich über ihre nächsten Ab sichten der Oeffentlichkeit gegenüber in Schweigen. Auch über den Ministerrat am Samstag liegt nur eine nichtssagende halbamtliche Meldung vor.

Die Reparationskommission will heute nachmittag deutsche Vertreter in der Kohlenfrage hören.

In Paris erwartet man, daß Montagabend oder Dienstag früh die Verfehlung Deutschlands festgestellt wird, worauf die Reparationskommission sich mit der Frage des Moratori­ums wie es von der deutschen Regierung für 1923 und 24 erbeten wurde, beschäftigen wird.

Heutige Dollarfrühnotierung 9400. Fest.

Der sinkende Franc!

Von unserm volkswirtschaftlichen Mitarbeiter Es mag immer etwas eigenartig anmuten, wenn man dem, der einem das Messer an die Kehle setzt, klarmachen will, wie unvorteil­haft ein solches Beginnen für ihn selbst wäre. Von diesem Gesichts­punkte aus könnte man auch die deutsche Beweisführung dafür an­sehen, daß Frankreich bei Ergreifung vonSanktionen gegenüber Deutschland sich ins eigene Fleisch schneiden würde. Wir wollen aber ein fremdes Urteil über diese Dinge nehmen und unserer Be­trachtung die Stimmung der Londoner City zugrunde legen, die ganz allgemein dahin geht, daß Frankreich bei einem selbständigen Vorgehen durch den sinkenden Frankenkurs bald von der Verfehlt­heit seiner Schritte überzeugt werden würde. Nun haben ja schon die vergangenen Monate gezeigt, daß jedes Mal bei einer politischen Krise und einer darauf folgenden neuerlichen Markentwertung auf den Börsenplätzen diesseits und jenseits des Ozeans auch der Franc eine merkliche Senkung zeigte. Man hat weiter gesehen, wie das internationale Spekulantentum, das mehrere Jahre seinen Sitz in Wien hatte, und schließlich, als Oesterreich gänzlich ausgeplündert war, den Weg nach Berlin nahm, in letzter Zeit bereits in für Frankreich bedenklicher Weise auch in Paris Einzug hielt. Ein solches Auftreten von Mikroben ist für jeden Orzanismus das beste Zeichen dafür, daß ein Zerfall in Aussicht steht und daß seine Widerstandskraft gegen Krankheitserscheinungen im Schwinden be­griffen ist. Der Sieg Poincarees auf der Pariser Konferenz, derfreundschaftliche Bruch mit England und die ziemliche Ge­wißheit, daß nun alsbald Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland ergriffen werden, hat ein beträchtliches Sinken der Mark zur Folge gehabt, das in den nächsten Tagen noch schärfere Formen annehmen dürfte, und seinen Höhepunkt wohl dann erreichen wird, wenn die französischen Drohungen schließlich in die Tat umgesetzt werden. Die Wirkung auf den französischen Frank ist auch diesmal nicht aus­geblieben. Welche Gründe liegen nun für diese Erscheinung vor? Es müssen doch irgendwie reale Tatsachen dafür vorhanden sein, daß eine solche Erscheinung zustande kommt. Nun die Erklärung dürfte nicht schwer sein. Der Raub des Ruhrgebiets bedeutet eine weitere Vermehrung des für viele französische Industriekreise schon jetzt mehr als lästigen Kohlenreichtuns, der infolge der deutschen Zwangszahlungen= und Lieferungen entstanden ist. Nun kommt auch noch das Eisen hinzu und am Ende arbeitet dann ein ganz gehöriger Prozentsatz der deutschen Arbeiterschaft direkt für Frank­reich und schafft dadurch eine unangenehme Konkurrenz für die fran­zösischen Arbeiter. Dann entsteht aber eine höchst merkwürdige Lage. Während nämlich unter solchen Umständen die Inflation in Frankreich größere Dimensionen annähme, würden auch noch Ge­schäftsstockung, Stillstand eines größeren Teiles der Produktion nicht zuletzt auch noch Arbeitslosigkeit hinzukommen. Für Frankreich wären somit die Nachteile eines Landes mit niedrigerer Valuta mit denen eines solchen mit zu hoher vereinigt. Nimmt man hierzu noch die riesigen Ausgaben für die Besatzung, die ja von Deutsch­land unter den gegebenen Umständen miemals gedeckt werden könn­ten, so hat man Erklärungen genug dafür, weshalb bei Ergreifung von Zwangsmaßnahmen für Deutschland der französische Frme in empfindlichster Weise in Mitleidenschaft gezogen würde.

Keine Zurückziehung der Engländer vom Rhein.

Der Londoner Berichterstatter desPetit Parisien meldet, man habe sich gefragt, ob die englische Regierung nicht die bri­tischen Truppen aus dem Rheinland zurückberufen würde. Der Berichterstatter glaubt zu wissen, daß Bonav Law im vollen Ein­vernehmen mit dem Generulstab nicht daran deuke, diesen Schritt durchzuführen.

Das Zwischenspiel vor der Repara­donskommission.

Paris, 8. Januar.(Drahtmeldung.) Zu der gestrigen Sitzung der Reparationskommission über die Kohlenfrage wird ae­meldet, daß nach dem Anhören der deutschen Vertreter die Kom­mission ihre 6ntscheidung entweder sofort fällen oder eine neue Sitzung auf Dienstag vormittag ansetzen wird. Aller Wahrschein­lichkeit nach wird dann die Kommission mit drei Stimmen gegen die Stmme des Engländers Bradbury zur Feststellung einer absicht­lichen Verfehlung Deutschlands in der Kohlenfrage kommen. Dem Petit Parisien zufolge würde in diesem Falle die Durchführung ven Sanktionen sehr bald zu erwarten sein. Gegenüber dem unge­kündigten Widerspruch des englischen Vertreters, der in der Kom­mission darauf hinweisen will, daß die Durchführung von Sanktionen nur nach einstimmigem Beschluß der Alliierten und in gemeinsamem Vorgehen möglich sei, weist dieInformation. darauf hin, daß diese Frage bereits im Jahre 1920 von der eng­lischen Regierung, der dumals Bonar Law anzehörte, im Einver­nehmen mit Frankreich entschieden wurde. Die Kommission wird deshalb den englischen Widerspruch wahrscheinlich mit Stimmen­mehrheit ablehnen, und weiter keine Diskussionen darüber zulassen, Die Reparationskommission wird in dieser Woche noch weitere Sitzungen abhalten. Darin soll die Meug: der Holz= und Kohlen­lieferungen für 1923 festgesetzt werden, ferner die noch immer unbe­antwortete Note der deutschen Regie tun; vom 13. 11. 22, die ein Moratorium für 2 Jahre verlangt, erlebigt werden. Wenn dieser Zahlungsaufschub abgelehnt wird, wird der Zahlungsplan vom Mai 21 automatisch in Kraft gesetzt, wonach Deutschland am 15. Ja­nuar 500 Milliarden Goldmark zu zahlen hätte.

DerTemps erwartet die von der französischen Abordnung vorgeschlagene Feststellung einer deutschen Verfehlung für Montag­abend oder Dienstagmorgen. Im Anschluß daran wird nach dem Blatt das deutsche Gesuch um Zahlungsaufschub vom 13. November zur Verhandlung kommen. Nach demIntransigeant würde Poin­caree, wenn die Verfehlung Montagabend festgestellt werde, sofort zu SSanktionen schreiten, wenn die Feststellung Dienstagmor­gen beschlossen werde, dagegen erst drei Tage später, das heißt also Ende der Woche. Der erste Schritt von Wichtigkeit, der nach dem Blatt vorgesehen ist, wäre die Besetzung von Essen mitsamt den Vor­städten, während Bochum verschont bleiben soll. In Essen wäre man dann geneigt, die ursprünglich für die Pariser Konferenz be­stimmten deutschen Vorschläge entgegenzunehmen.

Formalitäten.

Paris, 6. Januar.(Bl.) Der Wiederherstellungsausschuß erörterte heute ausschließlich die Zulassung eines deutschen Ver­treters in der Frage der Kohlenlieferungen. Barthou bemerkte, daß der Ausschuß schon während seines Aufenthalts in Berlin von den deutschen Einwendungen bezüglich der Kohlenlieferungen Kenntnis genommen habe, und daß es überflüssig erscheine sie noch einmal zu hören. Bradbury, der der Sitzung beiwohnte, bestand darauf, daß Deutschland gehört werde. Es wurde sodann beschlossen, einen Vertreter der deutschen Regierung Montagnach­mittag zu hören.

Die Reichsregierung ist bereit, den Staatssekretär Fischer, der sich zur Zeit in Paris befindet, in der Frage der angeblich ungenügenden Kohlenlieferungen mit der Vertretung der Reichs­regierung vor der Reparationskommission zu betrauen, gegebenen­falls noch weitere Sachverständige nach Paris zu entsenden.

Die drei deutschen Verterter nach Paris abgereist.

Berlin, 8. Januar.(Drahtmeldung) Wie die Telegraphen­Union von zuständiger Stelle hört, sind die drei deutschen Bericht­erstatter, welche auf die Einladung der Reparationskommission über die angebliche deutsche Verfehlung in Bezug auf die Kohlen­lieferungen in Paris Bericht erstatten sollen, nach Paris abgereist.

Der französi'che Ministerrat,

der am Samstag zusammentrat, sollte, wie erwartet wurde, ent­scheidende Beschlüsse wegen des militärischen Vorrückens fassen. Ueber den Verlauf des Ministerrats wurde in Paris nur folgender nichtssagender Bericht ausgegeben:Der Ministerpräsident Ray­mond Poincaree erstattete über die Bedingungen Bericht, unter denen die Konferenz beendet wurde Es scheint aber, wie gerücht­weise verlautet, eine eingehende Debatte darüber geführt worden zu sein, welche Maßnahmen man gegenüber Deutschland ergreifen solle. Unbedingte Begeisterung für die militärischen Druckmittel yerrscht nicht bei allen Mitgliedern des Kabinetts. Eindruck scheint zu machen, daß man im Generalstab von einem Vorrücken in das Ruhrgebiet nicht allzusehr begeistert ist. Der Kölner Times=Korre­spondent macht zwar darauf aufmerksam, daß die Bergarbeiter einen Streik nicht lange durchhalten könnten, er ist aber davon überzeugt, daß sie passive Resistenz leisten würden.

Dabei ist wohl an Fochs Abneigung gegen kleine Sicherungs­trupps zu denken, nicht an den eigentlichen militärischen Ein­marsch.

Die belgische Regierung

hat sich, wie Ministerpräsident Theunis auf Befragen erklärte, auf keinerlei militärsche Maßnahmen festgelegt. Es stehe aber ent­schieden hinter Frankreich. Nach seiner Rückkehr nach Brüssel rief der belgische Ministerpräsident Theunis einen Ministerrat zusammen, der die Haltung Belgiens infolge des Abbruchs der Pa­riser Konferenz beraten hat.

wird Amerika tun?

Londen, 7. Januar.(Bl.) Exchange Telegraph meldet aus Washinzton, daß das amerikanische Kabinett gestern die europäische Lage besprochen habe. Staatssekretär Hu hes befürwortete die Eröffnung von Unterhandlungen, um zu erfahren, ob die euro­

päischen Mächte der Einberufung eines Sachverständigenkomitees günstig gesinnt wäre. Die Bildung des Komitees würde von Ame­rika unterstützt werden, wenn eine formelle Einladung von den Alliierten vorliege.

Eine E..=Meldung aus Newyork besagt, Staatssekretär Hug­hes sei ermächtigt worden, informatorische Verhandlungen einzulei­ten, um zu sehen, ob die Mächte bereit seien, einer internationalen Sachverständigen=Konferenz zur Festsetzung der deutschen Repara­tionsschuld und zur Entpolitisierung des Reparationsproblems zu­zustimmen. Sollten sich die Mächte gegenüber diesem Plan ab­lehnend verhalten, so würden die Vereinigten Staaten der Welt mitteilen, wer hierfür verantwortlich sei. Jedenfalls würden die Vereinigten Staaten gegen eine Besetzung des Ruhrgebiets ent­schieden protestieren.

Der bloßeProtest" wird Frankreich bei der Durchsetzung seiner Pläne nicht im geringsten stören.

Keine Sonderverhandlungen mit Frankreich.

Berliner Hoffnungen und Zweisel.

Berlin, 7. Januar.(RWZ.) In etwas bestimmteren Formen auftretende Nachrichten über eine Interventionsneigung Amerikas in der Wiederherstellungsfrage haben in Berliner politischen Krei­sen teilweise schon wieder eine gewisse Entspannung der Erregung der letzten Tage herbeigeführt, obwohl doch die neueren Nachrichten wieder wenig vertrauenerweckend lauten. Man wird sich also hof­fentlich nicht wieder einem hemmungslosen Optimismus hingeben. Vielfach nimmt man dann auch die amerikanischen Meldungen mit ziemlicher Zurückhaltung und Nüchternheit auf, umsomehr, da sich eine Sensationsnachricht(wonach der Reichskanzler an den Prä­sidenten Harding herangetreten wäre, um eine Intervention der Vereinigten Staaten in Paris Herbeizuführen), wie zu erwarten war, als falsch erwiesen hat. Es wird auch davor gewarnt, die Differenzen zwischen Frankreich und England zu gewichtig einzu­schätzen und sie als unbedingt günstig für Deutschland zu be­trachten. Andere Nachrichten wollen aber davon wissen, daß man in diplomatischen Kreisen Berlins die Lage kühler ansehe und an ein vorschnelles Handeln der französischen Regierung nüht glaube. Man klammert sich vielfach an die Hoffnung, daß Boyden als amerikanischer Vertreter wieder in die Reparationskommission eintreten werde und dort zusammen mit Bradburh einen mäßigenden Einfluß ausüben könne. Ferner glaubt man, daß ein mili­tärisches Vorgehen Frankreichs im Ruhrgebiet nicht so ohne weiteres erfolgen werde, weil Poincaree noch wenige Tage vor der Londoner Konferenz in der französischen Kammer gegen­teilige Erklärungen abgegeben habe. Man wird freilich in diesen Hoffnungen nur einen fromnen Selbstbetrug erblicken müssen, eben­

so in dem Glauben, daß Frankreich bei eventueller Besetzung des Ruhrgebiets etwas schonend und vorsichtig vorgehen werde. Wahr­scheinlicher dürfte es sein, daß alle derartigen Versionen von fran­zösischer Seite in Umlauf gesetzt werden, um tüchtig Wasser in den Wein der nationalen Entrüstung Deutschlands zu gießen und Zwietracht zu sähen. Daß man freilich gleichwohl für die nächsten Wochen auch für den Fall einer bestenfalls nur langsam in Fluß kommenden amerikanischen Intervention mit einer weiteren Verschlechterung der Lage Deutschlands zu rechnen haben wird, glaubten auch die Optimisten feststellen zu sollen. Auch der Vorwärts" vermag nicht zu übersehen, daß Frankreich in Waf­fen starre und daß Deutschland entwaffnet sei, und er spricht von einem neuen Präventivkrieg Frankreichs gegen Deutschland, der von deutscher Seite nicht geführt werden könnte.

Alle Gerüchte, die davon wissen wollen, daß die Regierung mit der französischen Regierung bereits Fühlung genommen habe, um in besonderen Verhandlungen noch einen Ausgleich zu versuchen, sind unbedingt falsch. Die Reichsregierung denkt nicht daran, das Reparationsproblem unter Verletzung der Rechtsbestimmungen des Friedensvertrages mit einem der alliierten Staaten allein zu be­handeln. Sie wird nur mit der Reparationskommission und der Gesamtheit der alliierten Staaten Verhandlungen führen.

Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags wird am nächsten Mittwoch um 5 Uhr nachmittags zusammentreten, um einen Bericht des Reichskanzlers über die politische Lage entgegenzunehmen, in dem auch nähere Mitteilungen über die deutschen Vorschläge ge­macht werden sollen. Staatssekretär Bergmann ist am Sonnabend

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