Ausgabe 
11 (1.2.1930) 27
Seite
236
 
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JUBILAUMSNUMMER DES VOLKSBLATTS · DETMOLD 1930

ZEHN UAHRE

VOLK

Von W. Mieler

a flatterte mir bald nach dem Sprunge vom alten ins neue Jahr ein freundlicher Brief der Redaktion des Volksblatts auf den Tisch: Unser Volk--latt feiert demnächst seinen zehnten Geburtstag. Du standest an seiner Wiege als Pate. Bitte, sage jetzt deinem Paten­kinde, was Du von seiner bisherigen Entwicklung hältst, und vergiß auch nicht, ihm zu sagen, was es tun soll, damit es weiter wachse.

Zehn Jahre schon? Ich überschlage: Wir schreiben r930. Ziehen wir davon zehn Jahre ab, dann bleiben r920. Ja, richtig, am k. Februar 1920 ging es los. Wie doch die Zeit vergeht!

Nun sind zehn Jahre noch kein besonders langer Zeitraum, und mancher Pate möchte in der Lage, in die mich die Redaktion mit ihrer Bitte gebracht haf, vielleicht ein wenig bedenklich meinen: Wollen erst noch etwas abwarten. Wer weiß, was die nächsten zehn Jahre bringen werden. Und doch, Ge­burtstagskinder, die zehn Jahre alt werden, blicken mit jugendklaren, hoff­nungsfreudigen Augen in die Welt! Und ständen jetzt Feld, Wald und Wiese nicht kalt und leer, ich würde einen bunten Strauß winden und ihn unserm Geburtstagskind mit artiger Verbeugung überreichen. Einen Strauß nach Fer­dinand Freiligraths Weise:

Eine Winde grün, eine Reb im Blühn,

Eine Kleeblum' aus den Gründen,

Schlechtwildes Zeug, dem Wilden gleich,

Der auszog, es zu finden.

Das geht jetzt nicht, und die weichen, bleich­süchtigen Treibhauserzeugnisse mag ich nicht.

So muß es denn so gehen und gut sein.

Zehn Jahre Volksblatt! Ich sitze und sinne.

Wie war das doch, damals, als wir es noch nicht hatten? Da sehe ich mich selbst wieder als zwölfjährigen Jungen, wenn der Briefträger kam und die Bielefelder Volkswacht ins Eltern­haus brachte. Es war um die Jahrhundert­wende, just in den Jahren, als die deutsche Sozialdemokratie ihre Truppen für die große Wahlschlacht von 1903 formierte. Es lag wie Fieberstimmung in der Luft. War es ein Wunder, daß schon wir Jüngsten das Partei­blatt heißhungrig verschlangen: Damals war unsere Partei und das auch in Lippe noch mehr Sekte als Bewegung. Die Kraft des Glaubens an den baldigen Sieg der Arbeit und an das nahe bevorstehende wahre Reich des Rechtes und der Freiheit beherrschte uns mehr oder weniger alle. An erster Stelle waltete das Gefühl, und es hat langer und harter Kämpfe bedurft, bis uns die Erkenntnis geläufig geworden ist, daß der Berg, der unsern Wünschen hindernd im Wege stand und steht, durch einen noch so inbrünstigen Glauben nicht versetzt wird, daß man dazu der Hacken, Spaten und Karren nicht entraten kann, und daß eine langwierige, zähe, auf­opferungs- und entsagungsvolle Arbeit geleistet werden muß, wenn der Weg bereitet werden soll, auf dem die arbeitende Menschheit sicher in eine bessere Zukunft zu gelangen vermag..

Die Gründung und seitherige Entwicklung unsers lippischen Parteiblattes gehört auch zu dieser Arbeit. Es ist kein Zufall, daß sie unmittelbar nach dem Kriege erfolgt ist. Wohl hat man auch schon vordem mal gelegentlich darüber gesprochen, daß es wünschenswert sei, ein eigenes Parteiblatt in Lippe zu haben. Das war aber auch alles. Wenn wir im Gegensatz dazu gleich nach dem Kriege es als eine geradezu unabweisbare Notwendigkeit empfunden haben, nun schnellstens dies Blatt ins Leben zu rufen, so deshalb, weil wir. im Toben des Weltkrieges begriffen hatten, welches Riesenmaß von Arbeit von uns nach seinem Ende zu leisten sein würde. Wir waren nüchterner ge­worden. Die Augen hatten sich geschärft. Und wir sahen mit schmerzhafter Deutlichkeit den langen Weg durch die Wüste vor uns, die nicht überflogen werden kann, die mühselig durchschritten werden muß, will man in das gelobte Land gelangen. Wüstenwanderungen bergen die große Gefahr in sich, daßs die zunächst geschlossen losmarschierenden Kolonnen sich nach und nach auflösen. Daß bald der eine, bald der andere den Mut verliert und am Wege liegenbleibt, und daß so schließlich vor der Erreichung des Zieles auch die Letzten und Tapfersten verzagen und verzichten.

Kraftquellen schaffen, aus denen täglich ein Strom von Kampfeswillen, eine Flut von Ermunterung hinausfließt ins Land, in die Dörfer und Hütten, die die karge Welt der Mühseligen und Beladenen umschließen, das war nun die Parole. Und da die Schar der gefühlsmäßig mit uns verbundenen lip­pischen Volksgenossen zwar groß, aber die Zahl der in innerer Selbstbefreiung mit uns auf immer zusammengeschweißten, arbeitenden Männer und Frauen sehr viel kleiner war, galt es auch, ein Werkzeug in die Hände zu bekommen, mit dem wir unsere aktiven Kampftruppen verstärken, diejenigen, die nur mit dem Gefühl bei uns waren, zum Denken anregen, und so nach der einen wie nach der anderen Seite die gewonnenen neuen Positionen mit dem Blick auf die Dauerwirkung haltbar untermauern konnten.

Man darf von Kindern in den ersten zehn Lebensjahren nicht viel mehr er­warten, als daß sie Sorgen bereiten. Und Sorgen ja, wir dürfen es frei beken­nen hät uns auch dies Kind genügend gemacht. Da war nicht gleich im Anfang alles so wie heute! Mag sein, daß wir uns manchen Tag auch unnötig schwer

gemacht haben, daß wir allzu ängstlich die dicken Wolltücher bereithielten, wenn mal ein scharfer Wind pfiff. Aber hinterher läßst sich das leicht sagen, und auf dem Wege vom Rathaus ist man schon immer klüger gewesen als auf dem andern, der die ausgetretenen Treppen erst hinaufführte. Immer aber wußten wir, daß das Volksblatt gute und gesunde Anlagen besaß, und da seine sozusagen Amme, die treue Parteigenossenschaft im Lande, es unausgesetzt nährte mit dem besten Lebenssaft, den eine Amme zu vergeben hat, mit dem Vertrauen zu seiner Lebenskraft, konnten wir seiner Entwicklung mit der Zu­versicht entgegensehen, die gelegentliche Krisen schnell und sicher überwinden hilft. Diese Zuversicht war berechtigt. Heute steht unser Geburtstagskind gesund und blühend vor uns, und seine runden, roten Backen berechtigen uns zu der Ueberzeugung, daß es auch das zweite Jahrzehnt seines Lebens gesund und mit wachsenden Kräften durchschreiten wird!

Wenn wir aber die Sorgen erwähnen, die uns in den ersten Lebensjahren gelegentlich das Brot salzten, dann haben wir auch die Pflicht, festzustellen, daß uns das Volksblatt in seinen Kinderjahren nicht nur manche Freude be­reitet hat, sondern daß es uns auch schon sehr früh eine fühlbare Hilfe und Stütze gewesen ist. Wir dürfen sagen, daß es die Hoffnungen, die wir an seiner Wiege aufgepflanzt haben, mehr als erfüllt hat. Als wir damals in das schöne, neue Haus eine große Rotationsmaschine stellten, und als wir

bei dieser Gelegenheit ein paar Minuten die Blicke zurückgehen ließen bis an den Anfang, da war niemand unter uns, der nicht erfüllt gewesen wäre von dem Gedanken: Diese rasche Entwicklung haben wir damals nicht erhofft, geschweige denn erwartet. Und wenn wir heute an die Zeit der ersten Schwierigkeiten zurück­denken und daran, wie hohnvoll gelegentlich wohlgesinnte Repräsentanten bürgerlicher Ge­schäftemacherei dem immer lauten aber nicht immer reibungslosen Wirken unserer Doppel­schnellpresse ihre freundliche Aufmerksamkeit widmeten, und nun sehen, wie still sie alle geworden sind, dann beglückt uns wiederum das Gefühl, einer guten Sache nicht ohne Erfolg gedient zu haben.

Kinder können gute Freunde sein mir liegt in den Ohren, daß ich einmal sagen hörte: nur Kinder können das sein, doch wie dem auch sein mag: Dies Volksblatt-Kind ist uns nicht nur ein guter Freund geworden, es war und ist uns auch ein tapferer Kamerad und Kampfgenosse! Leicht waren doch die po­litischen Kämpfe des letzten Jahrzehnts nicht. Sie fielen in eine Zeit, der die Trostlosigkeit aus allen Fugen schaute. Haben wir sie in Ehren, haben wir sie mit mehr, mit Erfolg bestanden? Wir haben es! Unser Lipperland hat nicht seinesgleichen in der Stetigkeit der innerpolitischen Ent­wicklung; in ganz Deutschland nicht! Um das Verdienst daran zu streiten, ist müßig und zwecklos. Aber wenn einmal Zensuren beliebt werden sollten, dann darf ich plädieren: Das Volksblatt an die erste Stelle!

Wenn heute im Volksblatt-Haus die Maschinen ihr stählernes Lied singen, das mir in den zehn Jahren so vertraut geworden ist, und dem ich so oft ge­lauscht habe, wenn der Rhythmus emsigen Schaffens die Räume, Maschinen und Menschen zu einem einzigen schwingenden Organismus formt, und wenn dann die Gratulanten kommen und dem Geburtstagskind ihre Glückwünsche darbringen wollen, dann, Freunde, gestattet mir, daß ich einen kurzen Augen­blick in eure Mitte trete, und daß ich, wenn dann die Reihe an mir ist, unserm Volksblatt dies sage:

Zehn Jahre bist du heute alt geworden. Mit jungen Augen schaust du in die Welt, doch nicht mit unerfahrenen! Du vereinst Jugend mit frohgemuter Kraft, und du weißt, daß leben kämpfen heißt. Und kämpfen, das heißt siegen wollen.

Du bist dem arbeitenden Menschen Freund und Weggefährte. Du bist es, weil du weißt, daß er, dessen Hände du hältst, im Schatten lebt. Durch seine Arbeit werden alle Lebensgüter erzeugt, auf seinen Schultern vollzog und voll­zieht sich alle Kulturentwicklung, und er selbst geht notgespornt durch ein freudenarmes Dasein. Und doch: vor seinen Augen steht ein anderes, stcht ein Zeitalter, in dem allem, was auf der Erde Menschenantlitz trägt, ein menschen­würdiges Dasein bereitet wird.

Wir wissen nicht, wann das sein wird. Aber wir sehen schon heller als die, die vor uns waren, das Licht des kommenden Menschheitstages. Und uns beseelt der Glaube an das Licht!

Was kümmert es uns, ob wir selbst noch den endlichen Sieg der arbeitenden Menschheit erleben, was schiert es uns, ob wir dabei sein werden, wenn man die Grenzpfählé einschlägt für eine neue, bessere Zeit! Wir kämpfen, weil wir gläubig sind!

Laß deine Kräfte weiter wachsen. Schüre in dir die heilige Unruhe; die wenn der Kampf der Vater die Mutter alles Fortschritts ist. Dann bist du uns, was du sein sollst: Fackel und Flamme und Schwert!

Ein neues Jahrzehnt steht nun vor dir. Morgen ist wieder Kampf. Und wieder dröhnen die Drommeten. Wolle es nur, recke die Fackel empor! Und du darfst stolz bekennen:

Ich bin die Flamme! Ich bin das Schwert!

Blelbt treul

Von Bruno Schönlank.

Zehn Jahre sät jetzt dein Vollsblatt die Saat, Zehn Jahre ruft es zu Kampf und Tat,

Zehn Jchre mahnt es und weckt es hell,

Zehn Jahre singt es, ein kühner Rebell,

Dir Arbeitsvolk.

Wir wellen weiter rotes Leuchten sein.

Ihr Frauen, Männer, Ziegler, reiht euch ein! Blanke Pflugschar, dröhnender Hammersang, Singe endlich ohne Nöte und Zwang Dem Arbeitsvolk.

Zehn Jahre Volksblatt! Bleib Herztakt der Zeitt Bleib treu Deinem Blatt, bleib opferbereit!

Laß bal dein Volksblatt Siegverkünder sein Von ae. us Morgens hellem Flammenschein,

Du Arbeitsvolle.