Erscheint wöchentlich zweimal,
Mittwochs und Sonnabends mit Zu
dabe des„Illustrirt. Sonntagsblatt“
Keuet bei den Reichs=Pouanstalten, in der * pedition und bei unsern Colporteuren Oetmold, Lage u. Blomberg 1 M. 10 Pf.
(Früher Sonntagspost)
raan der liberalen Volks- und Fertschrittspartei in Lippe.
Ne 61.
Lemgo,
Sonnabend, 31. Juli 1880.
Anzeigen
werden mit 10 Pf. die 4gesp. Zeile berechnet Für das Blatt bestimmte Anzeigen werden außer in der Expedition in Lemgo auch von den bekannten Colporteuren in Detmold, Lage und Blomberg entgegengenommen.
Die Conferenz der Finanzminister in Coburg.
Mit gespanntem Interesse sieht so mancher den Ergebnissen der Finanzminister Conferenz, die am 28. d. M. in Coburg eröffnet sein wird, entgegen, weiß man doch, daß die Berathungen dieser Herren in der Regel die Einführung neuer Steuern zur Folge haben. Doch für dieses Mal wird's wol so schlimm nicht sein, handelt es sich doch mindestens nicht um die Einführung eines neuen Schutzzolles und auch nicht um die Erhöhung eines solchen im Interesse eines Standes, auf der Stufenleiter der menschlichen Gesellschaft gegen die Interessen aller übrigen. Auch das Tabaksmonopol wird, wie officiös versichert wird, wol kaum zur Sprache kommen, nachdem der Reichstag sich in der letzten Session anläßlich der Interpellation Richter gegen dasselbe ausgesprochen habe. Es ist freilich aus diesem Entrefilet der Beruhigung nicht recht ersichtlich, ob die„schuldige Ehrerbietung vor dem Votum der Volksvertretung", um mit dem höflichen Herrn von Puttkamer zu reden, auch das Rohtabaksmonopol in sich begreift, oder ob es der leitende Staatsmann nicht für angemessen findet, den Willen des Reichstags dahin zu interpretiren, daß nur das Fabrikatmonopol auf einen unbezwinglichen Widerstand stoße. Der Reichskanzler hat dem ersteren neuerdings größere Sympathien entgegengebracht, nachdem es ihm von dienstbeflissenen Steuerfanatikern wegen der Ersparniß Hunderter von Millionen an Entschädigungen für die Privattabaksindustrie in den blendendsten Farben geschildert worden. Wir werden hiernach nicht allzu erstaunt sein, wenn die sommerlichen Studien unserer freiwillig gouvernementalen Collegen sich demnächst mit Energie auf die Etablirung einer Reichs=Central=Tabaksverkaufsstelle für Rohmaterial werfen.
Daß die Erträgnisse einer solchen Einnahmequelle, die stets hinter denjenigen aus dem Fabrikatmonopol wesentlich zurückbleiben müssen, nicht hinreichen, um die umwälzenden Steuerreformprojekte des Fürsten Bismarck aus dem Nebel der Theorie in die Praxis hinüberzuleiten, leuchtet sofort ein. Und da diejenige rettende Maßregel, welcher die Liberalen zuzustimmen geneigt wären, ja welche sie selber oft genug gefordert haben, nämlich die Erhöhung der Branntweinsteuer, nicht im Plane liegt, so gehört wenig Prophetengabe dazu, um aus den Conferenzen der deutschen Finanzminister eine völlig schablonenhafte Wiederholung der ziel= und planlosen Einzelentwürfe hervorgehen zu sehen, die der Reichstag in seiner abgelaufenen Session mit größtem Gleichmuth zu Grabe getragen hat.
Wir werden uns im Frühjahr 1881 einer „verbesserten" Börsensteuer, einer„verbesserten“ Braumahlsteuer, vielleicht auch dem Plane eines Rohtabaksmonopols und(möglich ist ja Alles bei uns) der ungeheuerlichen Idee einer Verstaatlichung des Versicherungswesens gegenüber befinden, aber wir werden nach wie vor eines umfassenden Planes entbehren, der für das Reich wie für die Einzelstaaten wenigstens
sie Aussicht auf ein Ende dieses verwirrenden
Umherirrens in der Wüste der Projectenmacherei eröffnete.
Daß man auch in den Einzelstaaten nicht geneigt ist, auf die versprochenen Ueberschüsse aus den Reichskassen große Hoffnungen zu setzen oder die Steuergedanken des Fürsten Bismarck als die allein seligmachenden anzuerkennen, das zeigt das Beispiel Bayerns, wo man soeben daran ist, ganz im Gegensatz zu dem reichskanzlerischen Ideal des Systems der indirekten Steuern die direkte Einkommensteuer neu einzuführen.
Auch der Finanzminister Bitter wird bei seiner jüngsten Anwesenheit in Friedrichsruh nicht verfehlt haben, darauf hinzuweisen, daß in Preußen vor der Hand an ein Aufgeben der direkten Abgaben nicht zu denken sei. So werden sich die Conservativen wol noch geraume Zeit gedulden müssen, ehe ihr Lieblingswunsch, die Ueberweisung der Grund= und Gebäudesteuer an die Communen und„Einzelverbände", das will sagen, die Befreiung der selbstständigen Gutsbezirke von diesen Lasten zur Ausführung kommt. Wenn es demnach heißt, der Reichskanzler selber sei dieser ewigen Versuche müde geworden, er stehe der Steuerreform jetzt wesentlich kühler gegenüber als noch vor einem Jahre und fange an, sich von der Unmöglichkeit ihrer Realisirung zu überzeugen, so wäre das zwar logisch zu begreifen, aber es hat die psychologische Wahrscheinlichkeit gegen sich. Auch wird der Realpolitiker Fürst Bismarck den sauren Gang nach Canossa nicht gemacht haben ohne die Sicherheit, daß er sich praktisch verlohnen würde. Oder glaubt nach der Kölner Rede des ultramontanen Führers noch irgend wer in Deutschland, daß der leitende Staatsmann nur den schönen Augen des Centrums zu Liebe mit seiner Vergangenheit gebrochen?
Beiläufig gesagt, gegenüber den Klagerufen, welche die Finanzlage des Reichs und Preußens gar nicht als verrottet und verdorben genug zu schildern wissen, möchten wir auf die Thatsache hinweisen, daß der kürzlich veröffentlichte Rechnungsabschluß des Reichs auch ohne den Ertrag der neuen Zölle balancirt, ja sogar noch einen kleinen Ueberschuß(von etwa 10,000 Mark) ergeben haben würde. Die Ueberschüsse der Reichskasse von rund 31 Millionen entsprechen bis auf wenige Hunderte genau den Erträgen der erhöhten oder neu eingeführten Zölle. Würde man sie also gänzlich außer Rechnung lassen, so hätte man doch kein Deficit zu beklagen gehabt. Dieses Ergebniß ist bemerkenswerth und man wird gut thun, es denen gegenüberzuhalten, welche die Aenderung unseres Wirthschaftssystems nicht als Erleichterung verstehen, sondern als Ueberwälzung auf andere Schultern und als Befreiung der Wenigen zum Schaden der Vielen. Der Egoismus ist der Vater der sogenannten Steuerreform.
Der Landtagsabschied vom 8. Juli
1880.
(Asemissen Lemgo.)
Die Lippische Politik verleidet auch dem eifrigsten und zu allen Opfern bereiten Vater
landsfreunde die Lust und Liebe zur Arbeit in ihrem Gebiete. Mir war nach dem unverzeihlichen Fehler bei Errichtung eines eigenen Landgerichts dieselbe geschwunden. Ich muß gestehen, daß ich noch heute auf demselben Standpunkte stehe und daß meine Bedenken gegen ein eigenes Landgericht mehr als ich jemals befürchtet, bestätigt sind. Ich bedaure, daß das Land in die unverhältnißmäßig große Kostenlast gestürzt ist und, was noch schlimmer ist, daß das Land dafür eine hinter den gestellten Erwartungen und Hoffnungen zurückbleibende pflege bekommen hat. Die zuständigen Behörden haben, um nur Eins hervorzuheben, trotzdem ihnen vom Landtage die Mittel bewilligt sind, sich noch nicht einmal zum Baue eines vollständigen Gerichtsgebäudes emporgerafft. In ganz skandalöser Weise wird der Bau verschleppt und leidet die Justizpflege. Wer den Schwurgerichtssitzungen beigewohnt hat, wird anerkennen, daß bei den Verhandlungen an die Kräfte der Betheiligten ganz übermenschliche Anforderungen gestellt sind. Es ist ein Skandal erster Größe und eine nicht zu beschreibende Rücksichtslosigkeit, von einem anständigen Menschen ohne allen Grund Theilnahme an Verhandlungen in solchen Lokalen zu verlangen. Es standen zudem die schönsten Lokale in der Stadt zur Verfügung.
Eine Justizpflege, welche nicht einmal im Aeußern billigen Anforderungen entspricht, zeigt sich auch in anderen Beziehungen schwach. Ich will hier nur behaupten, daß in den letzten 10 Monaten die gröbsten, unentschuldbaren Prozeßverzögerungen vorgekommen, daß namentlich in den verschiedensten, nach dem alten Verfahren anhängigen Prozessen Erkenntnisse nach Schluß der Acten erst nach—1½ Jahren, und auch dann erst nach wiederholten Beschwerden ertheilt sind. Ohne alle Entschuldigung haben viele andere Prozesse längere Zeit hindurch vollständig still gelegen. Von Celle kommen die Entscheidungen auch heute selten vor zurück. Die an Universitäten verschickten Acten ruhen oft länger als 2 Jahre.
Ich habe mir eine Feindschaft durch jenen Kampf gegen die Errichtung eines Landgerichts zugezogen, welche ich keineswegs unterschätze, allein ich bereue meine Schritte nicht. Ich halte mich verpflichtet, solchen aufzunehmen und bin auch heute noch bereit, meine Ansicht, so oft es nothwendig, auszusprechen und, wo es von dazu Berechtigten verlangt wird, zu vertreten. Wenn die Herren, welche mich so oft als Feigling, Verläumder, Denunciant 2c. geschmälert und gelästert haben, wirklich im Stande dazu sind, ihre Behauptungen vor Gericht zu beweisen und dazu Lust haben, mögen sie nur eine Untersuchung gegen mich einleiten. Es ist in den letzten Jahren auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ganz offenbar ein unheimlicher, unbehaglicher Zustand bei uns eingetreten.
Mehr und mehr ist der Kampf zwischen den Parteien in den Zeitschriften des Landes verstummt, ohne daß die Parteien selbst verschwunden sind. Greller sind sogar die Widersprüche zwischen diesen zu Tage getreten u. doch machte in den letzten Jahren Alles äußerlich einen
friedlichen Eindruck. In der Presse und im Landtage geriethen die Gegner nur selten mit